Protokoll der Sitzung vom 16.07.2003

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Drexler SPD: Das ist aber nicht die Frage! – Abg. Birgit Kipfer SPD: Sachverstand! – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Schmiedel?

Gerne, Herr Schmiedel. Bitte schön.

Herr Minister,...

Herr Schmiedel.

... können Sie mir erklären, weshalb der Innenminister des Landes Baden-Württemberg besser weiß als die Wirtschaft selbst, was in Bezug auf die Gewerbeaufsicht für die Wirtschaft gut ist?

Wenn Sie diese Frage stellen, dann ziehe ich die Antwort vor – ich wäre sonst später noch darauf eingegangen. Das hat nämlich auch Herr Kollege Kretschmann angesprochen. Nun lasse ich einmal die Motive, warum manche Unternehmen zu diesem Thema geschrieben haben und wer sie dazu ermuntert hat, einfach einmal außen vor.

(Minister Dr. Schäuble)

Wir sind beim Thema Gewerbeaufsichtsamt – das war Ihre Frage – folgender, nach meiner Überzeugung absolut zwingender Lösung gefolgt: Schon heute haben die Landratsämter, aber auch die Regierungspräsidien Sachkompetenzen, etwa beim Wasserrecht oder vor allem auch beim Immissionsschutz. Wir haben gesagt: Die Aufgaben der Gewerbeaufsichtsämter – darauf komme ich noch zurück – und das entsprechende Personal übernehmen wir dorthin, wo schon heute die Zuständigkeit für die Entscheidung in der Sache liegt, damit auch hier Einhäusigkeit stattfindet und der technische Sachverstand dorthin verlagert wird, wo schon die Entscheidungskompetenz liegt. Das ist absolut richtig, und das wird auch der Wirtschaft zugute kommen. Davon bin ich hundertprozentig überzeugt – egal, was jetzt geschrieben wird –, weil es einfach logisch ist.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Pfister FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Wo die Entscheidungskompetenz liegt, muss auch der technische Sachverstand angesiedelt sein. Deshalb kommt es zu dieser Lösung.

Jetzt komme ich zu einem Punkt, Herr Schmiedel, bei dem auch ich selbst immer wieder aufpassen muss, dass es präzise formuliert wird. Der Kern besteht darin, dass wir Aufgaben übertragen – Aufgaben, die bisher bei Fachbehörden, nachgeordneten Behörden von Ministerien angesiedelt sind.

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Und Sachverstand! – Abg. Drexler SPD: Mit Personal!)

Wir übertragen solche Aufgaben entweder auf die Regierungspräsidien oder auf die unteren Verwaltungsbehörden. Man muss in der Diskussion immer wieder betonen: Es geht eben nicht im eigentlichen Sinne und in erster Linie darum, dass irgendwelche Behörden eingegliedert werden – deshalb gibt es hinterher auch nicht mehr Behörden, Herr Kretschmann –, sondern wir übertragen Aufgaben, die bisher bei Fachbehörden angesiedelt sind, auf die mittlere und die untere allgemeine Verwaltungsebene.

(Zuruf von der CDU: Genau!)

Das ist das Grundprinzip dieser Reform.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Hofer FDP/ DVP – Abg. Drexler SPD: Mit dem Personal!)

Das Personal folgt in einem gewissen Umfang nach,

(Abg. Schmiedel SPD: Was macht der Rest?)

weil wir für das Personal ja auch irgendwo eine Verwendung finden müssen.

Deshalb bitte ich noch einmal, in den kommenden Diskussionen ganz präzise zu formulieren. Sie haben ja in Aussicht gestellt, dass Sie über das Thema Verwaltungsreform noch oft sprechen werden.

(Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Das liegt ja auch an Ihnen. Wir können dann gerne auch im Detail darüber sprechen, wenn die Gesetzentwürfe vorliegen usw. usf. Aber ich bitte für die kommende Diskussion –

auch ich muss mich immer, wie gesagt, dazu zwingen –, präzise zu formulieren und zu sehen: Wir übertragen Aufgaben, die eben bisher beim Staat, bei Fachbehörden angesiedelt sind, auf die allgemeinen Verwaltungsbehörden.

(Abg. Hofer FDP/DVP: So ist es!)

Das ist ein Grundprinzip unserer Verwaltungsreform. Dieser Übertragung folgt dann das Personal, jedenfalls in einem gewissen Umfang, am Anfang sogar weitestgehend.

Jetzt komme ich zu einem weiteren Punkt, der für mich eigentlich die zentrale Bedeutung hat und von dem man, wenn man an die Situation denkt, die wir insgesamt in Deutschland haben – wir sitzen alle in einem Boot –, glaube ich, sagen darf: Die Wichtigkeit dieses Punktes, auf den ich jetzt gleich komme, kann man nicht hoch genug ansiedeln. Wenn wir Aufgaben, die bisher staatliche Fachbehörden oder Sonderbehörden wahrnehmen, auf untere allgemeine Verwaltungsbehörden – Landratsämter oder Stadtkreise – übertragen, dann müssen wir uns bewusst machen: Wir müssen dann auch das Vertrauen haben, dass die unteren Verwaltungsbehörden diese Aufgaben genauso gut und vermutlich sogar effizienter als die staatlichen Sonderbehörden wahrnehmen. Wenn dieses Vertrauen nicht vorhanden wäre, müssten wir die Hände von dieser Reform lassen. Aber wir haben dieses Vertrauen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Pfister FDP/ DVP)

In den vielen Diskussionen, die ich mit allen Fachministerien hatte, ist mir aufgefallen – da mache ich gar keinen Vorwurf; wir alle sind ja gut beraten, wenn wir uns da in die Rolle des anderen hineinversetzen –: Dieses Vertrauen ist natürlich in der Fachministerialbürokratie nicht so vorhanden. Deshalb können Sie viele Anhörungen durchführen, Sie werden da natürlich immer die Leute auf Ihre Seite bekommen, weil die Fachministerialbürokratie eben dieses Vertrauen nicht hat, sondern sagt: Das machen unsere nachgeordneten Sonderbehörden viel besser als die allgemeinen Verwaltungsbehörden.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Ein normaler Vorgang!)

Aber das ist ein ganz billiger Effekt, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist halt so!)

Es ist von zentraler Bedeutung, dass wir dieses Vertrauen haben.

Übrigens ist wahrscheinlich eines der größten Probleme in Deutschland – ich darf hier auch das Thema Aufgabenabbau mit einbeziehen –, worüber wir mit Recht klagen, die zu groß gewordene Bürokratie – das ist ein Standortnachteil –, die Paragraphenflut, die vielen Behörden usw. usf. Eigentlich ist es ganz einfach, aber man muss es, glaube ich, immer wieder sagen, man kann es nicht oft genug sagen: Wir brauchen in der Politik auf allen Ebenen, auch auf der Bundesebene, und zwar bei allen Parteien, bei den Sozialdemokraten, bei der FDP, bei den Grünen, auch bei der CDU und bei der CSU, das Vertrauen, dass zum Beispiel

(Minister Dr. Schäuble)

die Kommunen, die unteren Verwaltungsbehörden wie jetzt bei unserer Verwaltungsreform, die Aufgaben genauso gut wahrnehmen wie etwa die staatliche Sonderverwaltung. Dieses Vertrauen muss übrigens noch größer werden. Wir müssen auch das Vertrauen haben, dass letztendlich die Bürger ihre Angelegenheiten ohne Bevormundung eigenverantwortlich regeln.

(Abg. Rech CDU: Das ist der Punkt!)

Wenn dieser Grundsatz nicht endlich einmal in der Praxis Anwendung findet, werden wir nie Bürokratieabbau in Deutschland leisten.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ich nenne folgendes Beispiel: Gestern hatten wir bei uns in der CDU-Fraktion eine lange Diskussion über das herrliche Thema „barrierefreies Bauen“. Nun wird es wahrscheinlich irgendwo wieder einen Kompromiss geben. Ich will das jetzt gar nicht im Einzelnen beleuchten. Aber mir fällt auch in unserer Verwaltungsreformdebatte Folgendes auf: Solange wir nicht das Vertrauen haben, dass zum Beispiel die Baurechtsämter von Städten und Gemeinden oder die Landratsämter die Belange von behinderten Menschen genauso wahrnehmen und beachten wie die Ministerialbürokratie und die Sonderverwaltung, so lange kommen wir nicht von dieser Riesenbürokratie herunter, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Drexler SPD: Das ist nicht das Problem!)

Doch! Es ist das entscheidende Problem.

(Abg. Drexler SPD: Da geben wir Ihnen ja Recht!)

Herr Kollege Drexler, wir schätzen uns sowieso. Aber Deutschland ist in einer Situation, in der es einem die Sprache verschlägt. Ich mache jetzt überhaupt keine parteipolitische Polemik. Wir müssen konstruktiv zusammenarbeiten, und wenn wir nicht endlich – und ich habe mich seit 1996 mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abgemüht und Vorschläge gemacht, auch zum barrierefreien Bauen und was weiß ich alles – dieses Vertrauen entgegenbringen, auch auf Bundesebene, wenn zum Beispiel auch bei der Frage, wie die private Altersvorsorge gestaltet wird, nicht das Vertrauen in den Bürger gesetzt wird, dass er es schon richtig macht, dann kommen wir von der Bürokratie nicht herunter!

Deshalb hat der Verwaltungsaufbau ein ganz wesentliches Element: Wir haben Vertrauen in die Leistungsfähigkeit unserer allgemeinen Verwaltung und vor allem auch in die der unteren Verwaltungsbehörden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Drexler, ich darf übrigens in aller Freundlichkeit an Ihre Adresse sagen: Das, was Sie vorhin gemacht haben, war ein bisschen Politikparodie,

(Abg. Drexler SPD: Nein!)

das waren kabarettistische Versuche. Herr Kollege Drexler und auch Herr Kollege Kretschmann, ich sage ganz offen – und die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion, des Ka

binetts und auch unseres Koalitionspartners, der FDP/DVP, können mich darin bestätigen –: Die Diskussionen in meiner Fraktion, im Kabinett, mit dem Ministerpräsidenten, mit unserem Koalitionspartner, der FDP/DVP, zu diesen vorhin zum Teil dargestellten 16 Punkten und zu anderen Fragen der Verwaltungsreform waren in der Sache wesentlich härter und tiefer gehend als Ihre Beiträge, Herr Drexler und Herr Kretschmann. Das will ich einmal ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Drexler SPD: Ja, ja! Sie haben doch zur Polizei gar nichts gesagt! Der Innenminister knickt ein! – Zu- ruf des Abg. Pfister FDP/DVP – Weitere Zurufe)