Protokoll der Sitzung vom 27.06.2001

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Herr Drexler, Sie kür- zen doch auf 67 %!)

Gefordert wären – ich sage es noch einmal – mehr Deregulierung, mehr Entbürokratisierung und eine tief greifende Reform der sozialen Sicherungssysteme. Gefordert wäre, wenn Sie mich fragen, auch eine komplette und sofortige Abschaffung der Ökosteuer, und wichtig wäre ein Vorziehen – das ist besonders wichtig – der letzten Stufe der Steuerreform, um endlich schnell eine mittelstandsfreundliche Steuerreform auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Drexler SPD: Und dann? Wie bezah- len Sie das? – Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Wer zahlt das? – Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Sie wissen um die Bedeutung der mittelständischen Wirtschaft. Sie ist unsere Korsettstange.

(Anhaltende Zu- und Gegenrufe, u. a. Abg. Drex- ler SPD: Wie soll das bezahlt werden? – Abg. Beb- ber SPD: Aus der Portokasse!)

Niemand sorgt so viel für Innovation, keiner sorgt so viel für Investitionen, keiner garantiert Arbeits- und Ausbildungsplätze so, wie die mittelständische Wirtschaft dies getan hat. Sie können mir erzählen, was Sie wollen: Diese Steuerreform, wie sie im Augenblick auf dem Tisch liegt, hat das Prädikat „mittelstandsfreundlich“ nicht verdient. Deshalb muss das korrigiert werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Drexler SPD: Das ist Quatsch! – Zu- ruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Ich möchte darauf hinweisen, dass sich auch das Land Baden-Württemberg der Notwendigkeit von Migration und Integration stellen muss. Auch Baden-Württemberg muss die Migration offensiv angehen, und zwar nicht im Sinne einer Bedrohung, sondern wir sind gefordert, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Migration für unser Land notwendig ist und auch in unserem Interesse sein kann.

(Abg. Drexler SPD: Das hat der Ministerpräsident aber nicht gesagt! Davon steht nichts in der Regie- rungserklärung!)

Ich halte es für positiv – das möchte ich ausdrücklich sagen –, dass sich die Chancen verbessert haben, über die Parteigrenzen hinweg ein gemeinsames Zuwanderungs- und Integrationskonzept zu finden. In der nächsten Woche werden die Empfehlungen der Süssmuth-Kommission veröffentlicht werden. Dann ist es aber auch höchste Zeit, dass die SPD und die Bundesregierung insgesamt endlich einmal deutlich sagen, was sie tatsächlich wollen. Ich stelle in der Migrationspolitik im Augenblick ein Hin-und-Her-Lavieren der SPD fest. Dies muss beendet werden. Noch in dieser Legislaturperiode muss es ein Gesetz über die Migration, über die gesteuerte Einwanderung, geben, und dafür tragen Sie, die SPD und die Grünen, die Verantwortung.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wir brauchen – das habe ich oft gesagt – die Zuwanderung aus arbeitsmarktpolitischen Gründen, und wir brauchen sie aus demographischen Gründen – wahrscheinlich mehr, als aus verschiedenen Gremien verlautet, und vielleicht nicht ganz so viel, wie die Wirtschaft aktuell wünscht –, und zwar heute und in den nächsten Jahren hauptsächlich aus arbeitsmarktpolitischen Gründen und in späteren Jahren und Jahrzehnten zusätzlich noch aus demographischen Gründen.

Das heißt aber auch: Wir müssen die Zuwanderung bewusst steuern und begrenzen. Wir müssen sie nach eigenen Interessen und eigenem Bedarf steuern, und wir müssen sie nach dem Maß der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit unseres Landes begrenzen.

Integration bedeutet mehr als nur Arbeitsplätze und mehr als nur Wohnungen. Sie bedeutet mehr als nur Kindergartenplätze. Bei der Integration geht es auch um die Bereitschaft und die Formen des Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Religionen. Da steht natürlich die Sprache im Vordergrund. Es gibt kein wichtigeres Instrument als die Sprache, weil die Sprache auch die Voraussetzung für die gesellschaftliche Teilhabe ist.

Wenn ich aber von der Sprache als einem Instrument der Integration spreche, fügen wir hinzu: Wir wollen die Sprache fördern; aber wir müssen auch etwas von denjenigen einfordern, die die Sprache lernen müssen: Fördern und fordern, beides ist gleich wichtig.

(Beifall bei der FDP/DVP und der Abg. Dr. Carmi- na Brenner CDU – Der Redner nimmt einen Schluck aus seinem Wasserglas. – Abg. Drexler SPD: Man bekommt nur e i n Glas; ich habe auch nur eines bekommen! – Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Eine trockene Debatte! – Abg. Drexler SPD: Eine trockene Debatte!)

Der Herr Ministerpräsident hat in der Regierungserklärung die Familienpolitik meines Erachtens völlig zu Recht in den Vordergrund gestellt. Auch wir Liberalen haben die Familienpolitik in unserem Landtagswahlprogramm ganz bewusst an die erste Stelle gesetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Denn wir wissen: Die Familie ist wirklich die grundlegende und tragende Institution unserer Gesellschaft. Wir müssen die Familien stärken und unterstützen, damit sie auch unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen ihre Funktionen erfüllen können.

Das heißt: Wir wissen um den Wert traditioneller Familienstrukturen; aber wir verschließen nicht die Augen vor veränderten gesellschaftlichen Realitäten. Deshalb gilt: Familie ist vor allem dort, wo Kinder sind, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Kinder zu haben darf kein Armutsrisiko sein,

(Beifall bei der FDP/DVP)

und Kinder zu erziehen darf keine dauerhafte Beeinträchtigung der beruflichen Chancen insbesondere der Frauen darstellen. Im Übrigen gilt aber auch an dieser Stelle: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss viel stärker zu einem gemeinsamen Anliegen von Vätern und Müttern werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Hier wurde eine Menge getan, und wenn Sie nicht den indischen Affen gespielt hätten, lieber Herr Kollege Drexler – nichts gehört, nichts gesehen –,

(Abg. Drexler SPD: Schauen Sie doch mal die Zahlen an!)

wüssten Sie, dass viel getan worden ist. Das Landeserziehungsgeld in Baden-Württemberg ist verbessert und modernisiert worden.

(Abg. Drexler SPD: Darum geht es doch gar nicht!)

Wir haben früher als andere Bundesländer einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz umgesetzt. Das bestehende Kindergartengesetz wird in dieser Legislaturperiode fortgeschrieben; aber bereits mit dem bestehenden Kindergartengesetz haben wir mehr Angebote mit erweiterten Öffnungszeiten, mehr Ganztagsangebote und vor allem mehr altersgemischte Gruppen erreicht. All dies hat dazu beigetragen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert worden ist. Das gilt im Übrigen auch für die ver

lässliche Grundschule. Sie funktioniert, sie ist bildungspolitisch richtig und familienpolitisch wichtig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Drexler SPD: Und kostet viel Geld!)

Für die Zukunft gilt: Wir wollen, und zwar Hand in Hand mit den Kommunen, um deren originäre Aufgabe es sich handelt, die Ganztagsangebote für Kinder bedarfsgerecht ausbauen, und eben nicht nur für Kinder im Kindergartenalter, sondern auch für Kinder unter drei und über sechs Jahren.

(Beifall der Abg. Dr. Noll und Beate Fauser FDP/ DVP)

Wir werden die verlässliche Grundschule weiterentwickeln und wollen das Angebot an Ganztagsschulen ausweiten, vor allem im Hauptschulbereich, aber eben nicht nur im Hauptschulbereich. Beides trägt auch zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei.

Immer dann, wenn wir über Ganztagsangebote sprechen, ist dies ein Beitrag zur verbesserten Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ganztagsangebote sind aber immer in erster Linie auch pädagogisch begründet, weil sie zu einem wichtigen Lebensmittelpunkt unserer Kinder in den Schulen des Landes werden können.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Seimetz CDU)

Auch im Arbeitsleben ist noch vieles zu tun, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser zu gewährleisten; einzelne herausragende Beispiele reichen nicht aus. Mehr und mehr begreifen aber Arbeitgeber, dass sie auf die hervorragenden beruflichen Qualifikationen junger Frauen angewiesen sind, und sie handeln auch danach. Deshalb heißt der richtige Weg: Anreize setzen, gute Beispiele auszeichnen, Vorurteile abbauen – zum Beispiel das Vorurteil, dass Führungsfunktionen und flexible Formen der Teilzeitbeschäftigung nicht miteinander vereinbar wären; sie sind miteinander vereinbar.

Wir müssen noch mehr tun, um während eines zeitweiligen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben vorhandene Qualifikationen zu erhalten und weiterzuentwickeln. Und wir wollen die Förderung des Wiedereinstiegs in den Beruf weiter ausbauen.

Meine Damen und Herren, all dies trägt dazu bei, die Freiheit der Wahl – und um die geht es – zwischen unterschiedlichen Lebensentwürfen, in die sich der Staat nicht einzumischen hat, real zu gewährleisten.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Diese falsche Gegenüberstellung, hier die Rolle der Familienfrau unter Inkaufnahme von dauerhaften beruflichen Nachteilen und dort die berufliche Karriere unter Verzicht auf Kinder, muss in der Zukunft noch wesentlich besser aufgelöst werden. Eine solche Beschränkung darf es nicht geben.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Die Schülerzahlen im Land steigen weiter; das ist richtig. Deshalb muss sich die Bildungspolitik zunächst darauf konzentrieren, eine angemessene Unterrichtsversorgung sicherzustellen und krankheitsbedingten Unterrichtsausfall so weit wie möglich zu vermeiden.

940 zusätzliche Stellen haben wir für das kommende Schuljahr schon bereitgestellt.

(Abg. Drexler SPD: Die reichen aber nicht!)

300 weitere kommen im Vorgriff auf das Jahr 2003 hinzu.

(Abg. Drexler SPD: Die reichen doch nicht! Das merken Sie doch schon beim Schuljahresbeginn!)

Die feste Krankenstellvertretungsreserve mit 660 Verträgen wird fortgeführt.

Das ist in der Tat ein finanzieller Kraftakt, wie es überhaupt ein riesiger Kraftakt ist, in dieser Legislaturperiode insgesamt 5 500 zusätzliche Stellen bereitzustellen.

Deshalb erlauben Sie mir schon, zu sagen: Die Kritik der SPD, die sich ja selbst nicht etwa mehr, sondern weniger zugemutet hatte, halte ich schon, mit Verlaub, nicht nur für nicht berechtigt, sondern ein Stück weit auch für dümmlich, meine Damen und Herren.