Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Rat der Europäischen Union hat das Jahr 2003 zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen erklärt. Es ist auch in BadenWürttemberg ein Jahr, in dem Menschen mit Behinderungen mit ihrem Alltag, ihren Ideen, ihren Rechten und ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in den Mittelpunkt rücken, wie sie das übrigens auch schon in den letzten Jahren immer getan haben.
Herr Kollege Dr. Noll hat darauf hingewiesen, dass ich neun Jahre lang der Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte gewesen bin. Insofern weiß ich, wovon ich spreche.
Die Aktivitäten des Landes gemeinsam mit den Selbsthilfegruppen in Baden-Württemberg stehen unter dem Motto „Mittendrin statt außen vor“. Damit wird unser Ansatz in Baden-Württemberg klar: Wir wollen behinderte Menschen in der Mitte unserer Gesellschaft haben. In Baden-Württemberg gibt es 682 000 schwerbehinderte Menschen; dies sind mehr als 6 % der Bevölkerung des Landes. Aber nur eine kleine Minderheit der behinderten Menschen, nämlich 4 % davon – Herr Dr. Noll hat darauf hingewiesen – sind von Geburt an behindert. In der Tat: Man ist nicht behindert, sondern man wird behindert – durch Krankheit, durch Alter, durch Unfall, wie auch immer.
Die CDU-Fraktion hat das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen zum Anlass genommen, die Einschät
zungen und Maßnahmen der Politik der Landesregierung für behinderte Menschen abzufragen. Wir haben diesem Anliegen mit einer umfassenden Antwort Rechnung getragen und in 20 Eckpunkten die Politik der Landesregierung für behinderte Menschen dargelegt. Frau Kollegin Lösch, natürlich haben wir kein Lob erwartet. Aber Sie haben so wenig Kritik gebracht, dass ich davon ausgehe, dass die Arbeit hier im Lande gut gemacht wird.
(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP – Abg. Pfister FDP/DVP: Sehr gut! – Abg. Wieser CDU: Nicht gescholten ist genug gelobt! – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)
Ich glaube, es werden doch mehrere Dinge klar, nämlich zum einen, wie sich die Zahl behinderter Menschen voraussichtlich in Zukunft entwickeln wird. Damit hängt ganz eng zusammen, welche finanziellen Ressourcen die Allgemeinheit zur Verfügung stellen muss. – Frau Kollegin Lösch, jetzt lachen Sie doch ein bisschen.
Daneben zeigen wir aber auch auf, was die Landesregierung bisher getan und geleistet hat, um eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft zu erreichen.
Lassen Sie mich eines vorwegnehmen: Die Zahlen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich dahinter immer Menschen mit ihren individuellen schweren Schicksalen verbergen.
Genaue Angaben über die künftige Entwicklung der Zahl behinderter Menschen sind nicht möglich. Eine Trendaussage ist gleichwohl möglich. So ist die Zahl der Schwerbehinderten im Vergleich zu 1989 von damals 645 000 um mehr als 37 000 gestiegen. Das war ein Zuwachs von 5 %. Wir werden auch zukünftig noch einen Zuwachs haben. Denken Sie nur an die Frühchen, die auf die Welt kommen und dann behindert aufwachsen.
Nun ist einerseits durchaus zu begrüßen, wenn neue bundesgesetzliche Regelungen dazu beitragen, die Situation der behinderten Menschen zu verbessern. Es kann aber andererseits nicht sein, dass die Bundesregierung Wohltaten verkündet, die Finanzierung aber den Trägern der Rehabilitation, den Städten und Gemeinden wie auch den Ländern, aufbürdet.
Deshalb sage ich gleich, dass wir die Verantwortung des Bundes künftig stärker einfordern werden. Auch ich bin ohne Wenn und Aber der Meinung, dass wir ein Behindertenleistungsgesetz brauchen.
Lassen Sie mich aber auf das zurückkommen, was im Land schon auf den Weg gebracht wurde und was aktuell noch ansteht.
Schon bisher leistet die Landesregierung zur Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben Erhebliches. Lassen Sie mich hierbei nur die Frühförderung, die Integration in Regelkindergärten und – was noch verbesserbar wäre – in allgemeine Schulen sowie zahlreiche Kooperationen in diesem Bereich nennen. So bestehen 333 sonderpädagogische Beratungsstellen, 34 interdisziplinäre Frühförderstellen und 13 sozialpädiatrische Zentren.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Förderung der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen. Ein Netz von Werkstätten
Herr Kollege Hoffmann, das trifft auch im Kreis Konstanz zu – beschäftigt mehr als 25 000 Menschen. Es gibt sieben Berufsbildungswerke und vier Berufsförderungswerke. Daneben fördert das Land die Modernisierung und den Neubau von Wohnstätten für behinderte Menschen, die infolge der Schwere ihrer Behinderung nicht in einer Werkstatt tätig sein können. Dazu zählen auch noch ergänzende Förderangebote.
In Zukunft werden wir unser Augenmerk noch stärker darauf richten müssen, dass den dort beschäftigten behinderten Menschen je nach Fähigkeiten ein Weg in den ersten Arbeitsmarkt geebnet wird.
Aus Mitteln der Landesstiftung haben wir dazu eine Reihe von Modellprojekten auf den Weg gebracht, die jetzt im Herbst anlaufen können. Immerhin betrifft das ein Fördervolumen von ca. 650 000 €.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Wieser CDU: Gut, dass es die Stiftung gibt! – Gegenruf des Abg. Fischer SPD: Und wenn es ausläuft?)
Ein besonderes Augenmerk möchte ich auf das Modellprojekt „Persönliches Budget für Menschen mit Behinderung in Baden-Württemberg“ lenken. Der Ansatzpunkt ist dabei: Behinderte Menschen sollen statt der üblichen Sachleistungen eine Geldleistung erhalten, mit der sie selbst bestimmen, wer ihnen welche Unterstützung leistet und auf welche Weise diese Unterstützung geleistet wird. Dieses Modellprojekt entspricht unserer Auffassung zufolge gerade ideal dem Leitgedanken des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen: weg von der Fürsorge, hin zu mehr Gleichstellung, Teilhabe und Selbstbestimmung.
Frau Kollegin Lösch, Baden-Württemberg ist übrigens das einzige Bundesland, das auf der Grundlage des Sozialgesetzbuchs IX schon ein persönliches Budget für Menschen mit Behinderungen realisiert hat.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Lasotta CDU: Vorbildlich! – Zu- ruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE – Abg. Wieser (Minister Dr. Repnik)
CDU: Wenn die Opposition die Regierung nicht behindern würde! – Gegenruf des Abg. Fischer SPD: Welche? Kollege Wieser, welche?)
Ich spreche das schon einmal aus. – Die Konzeption für das Modellprojekt „Persönliches Budget“ wurde von den Leistungsträgern, den Einrichtungen der Behindertenhilfe, den Behindertenverbänden und Betroffenen gemeinsam erarbeitet. Damit ist das Modellprojekt ein besonders positives Beispiel für eine lobenswerte Kooperationsbereitschaft unter den Beteiligten. Derzeit beteiligen sich – ich sage: leider – nur der Bodenseekreis, der Landkreis Reutlingen und der Rems-Murr-Kreis daran. Ich danke den Landräten, die das machen.
Von der wissenschaftlichen Begleitung erwarten wir wichtige Erkenntnisse bei der Weiterentwicklung der Hilfen für behinderte Menschen.
Allerdings – das muss ich auch sagen – stellen wir aufseiten der behinderten Menschen und ihrer Angehörigen noch große Vorbehalte fest. Ich hoffe sehr, dass wir diese noch überwinden können, und möchte, dass viele Menschen mit Behinderungen an diesem Modellprojekt teilnehmen.
Auch an anderer Stelle übernimmt Baden-Württemberg bei der Umsetzung des SGB IX eine Vorreiterrolle. So hat sich die Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg bei der Errichtung so genannter gemeinsamer Servicestellen für Rehabilitation beispielhaft engagiert.
Ende des Jahres wird es landesweit 19 solcher Servicestellen geben. Dazu kommen noch sechs Außenstellen. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, und dabei sind wir auch bundesweit führend. Dieses Netz einer umfassenden kompetenten Beratung und Hilfe wird engmaschiger und zunehmend auch wohnortnah.
Die gemeinsamen Servicestellen bieten den behinderten Menschen und ihren Angehörigen einen besonderen Service. Es ist nicht mehr erforderlich, schon vorher zu wissen, zu welchem Leistungsträger man gehen muss. Es genügt ein Besuch bei der gemeinsamen Servicestelle. Diese berät, nimmt den Antrag entgegen und leitet ihn weiter. Das ist eine echte Verbesserung für Menschen, die Verwaltung nicht zu ihrem Hobby zählen und somit oft ratlos sind. Sie wissen manchmal ja nicht einmal, welche Hilfen es für ihr Anliegen gibt und wer, wie man so schön sagt, dafür zuständig ist. Die gemeinsamen Servicestellen kann man daher durchaus als „Leuchtturm“ bezeichnen.
Aktuell sind wir dabei, das barrierefreie Bauen zu forcieren, um behinderten Menschen eine bessere Teilhabe an der Gesellschaft und dem Gemeinwesen zu ermöglichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition zur Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage bemerkt haben, war natürlich nicht anders zu erwarten. Sie sagen, das Landes
Behindertengleichstellungsgesetz sollte endlich auf den Weg gebracht werden. Ich sage dazu: Wir sind in BadenWürttemberg in der Tat noch nicht so weit wie sechs andere Länder. Für mich ist aber eines auch klar: Wenn wir ein Landes-Behindertengleichstellungsgesetz auf den Weg bringen, sollte auch substanziell etwas drinstehen.
Es muss aber auch finanziell umsetzbar sein. Wenn wir immer über Akzeptanz bei Behinderten sprechen, muss auch Akzeptanz bei denen gefunden werden, die die Sache umzusetzen haben.
Deswegen sage ich, auch als Handwerkerbub: Machen wir es lieber richtig als nur einen Schnellschuss.
Ein Punkt zur Verwaltungsreform und zur Auflösung der Landeswohlfahrtsverbände: Ich sage hier klar und deutlich: Die Landeswohlfahrtsverbände sind schon heute eine kommunale Angelegenheit, und wir wollen nichts anderes, als dies dezentral, bürgernah, zum Wohl der Behinderten umzubauen, umzustrukturieren. Deswegen sagen wir: bürgernah, dezentral, mittendrin statt außen vor. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten.