Protokoll der Sitzung vom 29.10.2003

sind sie wieder weg, weil die, die wir holen, zuerst einmal alle Adressen abklappern und läuten müssen, um eine Unterkunft zu bekommen; von Zelten will ich gar nicht sprechen.

Die Wohnungsnot ist ein eklatanter Standortnachteil für Baden-Württemberg. Hören Sie sich einmal die Zahlen an: Die Fördermittel pro Einwohner machen in Baden-Württemberg 3,08 € aus. In Bayern liegen die Fördermittel pro Einwohner bei 16,90 €, in NRW bei 45,7 € und selbst in Schleswig-Holstein bei 25,7 €.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Da sind wir als Land, das Zuwachs braucht, überhaupt nicht erkennbar. – Herr Ministerpräsident, da lachen Sie. Aber ich muss Ihnen ehrlich sagen: Für die Leute, die Wohnungen suchen, und für die Betriebe, die für ihre Arbeitnehmer Wohnungen suchen, ist das, was ich sage, eine ganz bittere Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Im Übrigen steht in Ihrer Regierungserklärung vom 20. Juni 2001 – das will ich schon zitieren, nachdem Sie von Verlässlichkeit und Berechenbarkeit sprechen; das war ja eine zentrale Aussage –:

... das Reihenhausprogramm, das Programm „Innerstädtisches Wohnen“... – alles Erfindungen zugunsten von Familien in Baden-Württemberg – werden wir fortführen.

Es gibt aber keine einzige Fortführung. Sie haben alles gestrichen. So viel zu Ihrer Verlässlichkeit und Berechenbarkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Damit Sie, Herr Kollege Ernst Pfister, auch gleich mit angesprochen sind, zitiere ich aus der Koalitionsvereinbarung:

Die Regierungskoalition wird in der Mietwohnungsförderung und im Energieeinsparprogramm einen Schwerpunkt auf Modernisierungsmaßnahmen an Häusern und Wohnungen setzen.

Sie haben die Mittel für die Altbaumodernisierung inzwischen um 33 % gekürzt; das ist auch kein Schwerpunkt mehr. Auch das gehört zur Berechenbarkeit.

Herr Ministerpräsident, Sie sind so stolz auf den Mittelstand. Lassen Sie mich daher gleich mit ihm fortfahren. Es fehlt nach wie vor das, was mittelständische Unternehmer fordern: ein mittelstandsfreundliches Landesvergabegesetz. Das haben wir schon mehrfach eingebracht. Ein solches Gesetz haben Sie immer abgelehnt. Warum machen Sie das eigentlich nicht mit, damit der Mittelstand bei Ausschreibun

gen eine Chance hat? Sie lehnen ein solches Gesetz nach wie vor ab.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Sie haben in diesem Bereich schwere finanzielle Eingriffe vorgenommen. Dazu haben wir gesagt: Macht das nicht! Zum Beispiel haben Sie bei der überbetrieblichen Mittelstandsförderung 24 % gestrichen. Bei den Softwarezentren haben Sie um 64 % gekürzt.

(Abg. Alfred Haas CDU: Erbsenzähler!)

Beim C1-Programm waren es 38 %. Ich könnte die ganze Latte der Kürzungen vorlesen. Das heißt, Sie setzen im Mittelstandsbereich doch gar keinen Schwerpunkt mehr.

(Abg. Alfred Haas CDU: Machen Sie doch einmal Zukunftsentwürfe für Baden-Württemberg! Wo sind denn Ihre Entwürfe für Baden-Württemberg? Null!)

Ich halte Ihnen ja nur den Spiegel von dem vor, was Sie postulieren, und von dem, was Sie tatsächlich machen. Das ist doch der Punkt.

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)

Es wird keine Priorität mehr gesetzt, Herr Hofer. Das muss man einfach sehen.

(Abg. Alfred Haas CDU: Wo ist denn Ihr Entwurf für Baden-Württemberg?)

Lassen Sie mich noch etwas zum Thema „gut ausgebildete Arbeitnehmer“ sagen. Der Herr Ministerpräsident hat dieses Thema auch angeführt. Dabei muss man doch differenzieren. In Baden-Württemberg sind 22,3 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ohne beruflichen Abschluss. 22,3 %! Damit hat Baden-Württemberg im Vergleich zu allen anderen Bundesländern den höchsten Anteil von Ungelernten und Angelernten, Herr Ministerpräsident. Darüber muss man doch einmal nachdenken.

(Zuruf der Abg. Dr. Carmina Brenner CDU)

Das sind nämlich die Ersten, die entlassen werden; sie unterliegen einem hohen Risiko, arbeitslos zu werden. Deshalb muss man, wenn man solche Zahlen hat, mit der Regierung und der Wirtschaft einmal über Fortbildungs- und Qualifizierungsprogramme nachdenken – von wegen „gut Ausgebildete“!

(Beifall bei der SPD und des Abg. Kretschmann GRÜNE – Abg. Schmiedel SPD: Genau! – Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Herr Ministerpräsident, in der Sozialpolitik ist das Land kein verlässlicher Partner mehr. In der Koalitionsvereinbarung heißt es:

Die Sozialpolitik der Regierungskoalition zielt auf soziale Gerechtigkeit, Stärkung der Familien, Generationengerechtigkeit, sozialen Ausgleich und sozialen Frieden.

Nun sage ich Ihnen, was die Liga der freien Wohlfahrtspflege jetzt machen muss. Sie muss in verschiedenen Hilfs- und Beratungsdiensten für sozial Schwache, die von Haushaltsstreichungen 2003 betroffen sind, 800 Stellen streichen. Für viele soziale Dienste bedeutet das das Aus. Wir haben Anfang dieses Jahres ja auch über die Sozialpsychiatrischen Dienste diskutiert.

Die Liga sagt wörtlich:

Das Land ist kein verlässlicher Partner mehr bei der Gestaltung der sozialen Landschaft in Baden-Württemberg.

Die Caritas steht Ihnen ja wohl näher. Sie sagt wörtlich:

Die Landespolitik zieht sich aus der Förderung ambulanter Angebote zurück und nimmt in Kauf, dass die Betroffenen vielmehr in stationäre Einrichtungen kommen, weil das nicht vom Land, sondern von den Krankenkassen bezahlt wird.

Das ist der Erfolg Ihrer Politik. Deshalb kann man auch in diesem Bereich nicht von Verlässlichkeit und Sicherheit reden.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Jetzt komme ich zur Kinderbetreuung. Da schmücken Sie sich wirklich mit Federn, wobei jeder hier in diesem Landtag und auch bundesweit weiß, dass Baden-Württemberg hinsichtlich der Betreuungseinrichtungen für Kinder unter drei Jahren an letzter Stelle steht.

(Abg. Alfred Haas CDU: Stimmt auch nicht!)

Natürlich.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

In diesem Land bieten gerade einmal 4,5 % der Kindergärten einen Mittagstisch an.

(Abg. Alfred Haas CDU: Sie haben etwas gegen Tagespflege!)

Wir haben überhaupt nichts gegen Tagesmütter.

(Abg. Alfred Haas CDU: Rechnen Sie es doch bitte ein!)

Wenn wir sie einrechnen, sind wir auch nicht viel weiter vorne. Vielmehr stehen wir in diesem Bereich an letzter Stelle.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

McKinsey hat in einer Umfrage festgestellt, dass 30 % der Baden-Württemberger – das ist der zweithöchste Anteil unter allen Bundesländern –

(Abg. Alfred Haas CDU: Sie haben etwas gegen Tagespflege! Das ist Ihr Problem!)

die Versorgung als ganz, ganz schlecht empfinden. Das muss die CDU-Fraktion einfach einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Alfred Haas CDU: Sie haben etwas gegen Tagespflege!)

Schlimm ist auch Ihr neues Kindergartengesetz mit dieser pauschalen Annahme und der Fortschreibung dieser Pauschalität, Herr Ministerpräsident.