Wir haben Reformbedarf. Das ist unumstritten. Wir müssen alle miteinander unsere Hausaufgaben machen. Das gilt für Baden-Württemberg – dazu will ich gleich einiges sagen –, das gilt für Berlin. Wir haben alle miteinander unsere Hausaufgaben zu machen, um zum einen das erforderliche Wirtschaftswachstum, von dem ich gesprochen habe, wieder zu generieren und um zum anderen unsere Haushalte mittelfristig und langfristig auf eine wirklich sichere Struktur zu stellen.
Was muss in Berlin geschehen? In aller Kürze nur: Wir müssen die Sozialversicherungssysteme, die sich in ihrer Form überlebt haben, auf eine neue Grundlage stellen.
Besonders wichtig dabei ist, dass die Kosten der Arbeit von den Sozialversicherungssystemen abgekoppelt werden. Gerade deshalb ist Ihr Vorschlag einer Bürgerversicherung mit Sicherheit der falsche Vorschlag, weil diese Abkopplung dann nicht stattfindet, meine Damen und Herren.
Wir müssen, was die sozialen Sicherungssysteme angeht, längere Lebensarbeitszeiten einplanen. Das kann überhaupt nicht anders sein. Es kann nicht sein, dass alle zehn Jahre die Lebenserwartung um ein Jahr steigt – das bedeutet eine Erhöhung um drei Jahre innerhalb einer Generation –, aber die gesamte zusätzliche Zeit gewissermaßen im Ruhestand, also in der Rente oder in der Pension, verbracht wird. Das ist völlig ausgeschlossen; dies hält kein Sozialsystem aus.
Deshalb müssen wir die Lebensarbeitszeit verlängern. Aber ich plädiere sehr dafür, nicht nur die Diskussion über eine Rente mit 67 oder 68 zu führen, sondern auch dafür zu sorgen, dass die jungen Leute früher in den Beruf hineinkommen. Das wäre eine typische landespolitische Aufgabe. So, wie wir zum Beispiel als erstes Land das achtjährige Gymnasium eingeführt haben, sollten wir dafür sorgen, dass die Kinder früher und flexibler in die Grundschule eingeschult werden, dass die Erstausbildungszeiten insgesamt verkürzt und besser die Weiterbildungszeiten verlängert werden und dass die Regelstudienzeiten durch entsprechende Anreize eingehalten werden.
Meine Damen und Herren, allein diese drei Maßnahmen, die ich genannt habe – frühere oder zumindest flexiblere Einschulung in die erste Grundschulklasse, das achtjährige Gymnasium und das Einhalten der Regelstudienzeit –, könnten sicherstellen, dass die Sozialversicherungsbeiträge für die Rentenversicherung nach dem alten System um volle zwei Prozentpunkte absinken, wenn wir diese Maßnahmen,
Zwei volle Prozentpunkte! Was reden wir uns die Köpfe heiß, wie die Systeme stabilisiert werden könnten? Wir könnten dadurch die Beiträge um zwei Prozentpunkte absenken. In Euro ausgedrückt würde das bedeuten, dass von den Beitragszahlern rund 20 Milliarden € weniger in die Rentenversicherungssysteme eingezahlt werden müssten und wir nach wie vor noch die gleiche Qualität hätten.
Meine Damen und Herren, das sind Ansätze, um in der Zukunft Reformpolitik zu machen. Dagegen ist das, was Sie diskutieren, nichts anderes als ein Bewahren und Verteilen des Mangels.
(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Zimmer- mann CDU – Abg. Stickelberger SPD: Schreien Sie doch nicht so!)
Steuersysteme sind angesprochen worden. Was dazu jetzt in Berlin verabredet worden ist, wird nicht die große Wachstumsdynamik auslösen; das wissen wir alle. Deshalb setze ich auch sehr darauf, dass unabhängig von dem Berliner Beschluss jetzt so schnell wie möglich und mit Ihrer Zustimmung, die ja auch schon an verschiedenen Stellen signalisiert worden ist, ein wirklich neues, modernes Steuersystem auf den Weg gebracht wird.
Die FDP hat schon 1996 – ich wiederhole: 1996 – gesagt, ein solches Steuersystem müsse mit drei Zahlen umschrieben werden: 15 %, 25 %, 35 %.
Rund acht Jahre später kamen andere, zum Beispiel Merz. Er spricht nicht von 15 %, 25 % und 35 %, sondern von 12 %, 24 % und 36 %. Das geht in die gleiche Richtung. Ebenfalls acht Jahre später kommt Kirchhof und nennt nur noch die Zahl 25 %.
Jetzt kann man sich im Einzelfall ja das eine oder andere Modell anschauen und kann darüber diskutieren, welches das beste ist. Aber klar ist doch eines: Wir werden in der Zukunft nur dann ein modernes Steuersystem haben – mit allen Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik –, wenn drei Bedingungen erfüllt werden: Die Steuersätze müssen niedrig sein, und das Steuersystem muss gerecht sein. Es kann aber nur dann gerecht sein, wenn es auch einfach und transparent ist und von den Bürgern verstanden wird, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Seimetz CDU – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Von al- len verstanden!)
Deshalb ist dies die zweite Voraussetzung, die natürlich nur dann funktioniert, wenn wir gleichzeitig auch den Mut zu einem radikalen Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmetatbeständen haben. Nur dann kann ein solches Steuersystem finanziert werden.
Drittens: Reform des Arbeitsmarkts. Alle Fachleute sagen: Mindestens ebenso wichtig wie das Steuersystem und die Steuerpolitik ist für die Wachstumsdynamik auch die Frage einer Entriegelung, einer Entbetonisierung des Arbeitsmarkts. Der Arbeitsmarkt ist zubetoniert, er ist total reguliert. Das muss anders werden!
Deshalb bin ich froh – um noch einmal auf das Ergebnis des Vermittlungsausschusses zurückzukommen –, dass diese beiden Dinge jetzt doch im Zusammenhang gesehen werden: auf der einen Seite die Steuern, auf der anderen Seite aber auch die Entriegelung des Arbeitsmarkts. Insofern geht das in die richtige Richtung. Wie gesagt: Euphorie ist bei diesem Ergebnis des Vermittlungsausschusses nicht angebracht, aber psychologisch ist es durchaus ein wichtiger Schritt.
Ich bin froh darüber, dass den Gemeinden mit einer Art Soforthilfe geholfen worden ist, indem die Gewerbesteuerumlage von 30 % auf 22 % abgesenkt wurde. Das ist schon deshalb wichtig, weil, wie wir wissen, 70 % der Investitionen in den Gemeinden getätigt werden. Deshalb war es wichtig, dass hier sofort etwas geschieht. Ich bin froh darüber, dass es nicht zu einer Revitalisierung der Gewerbesteuer gekommen ist.
Denn die Einbeziehung der freien Berufe würde bedeuten: 800 000 zusätzliche Steuerbescheide, Tausende von Einsprüchen, ein Mehr an Bürokratie. Wir brauchen aber nicht mehr Bürokratie, wir brauchen weniger Bürokratie, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Kretschmann GRÜNE: Aber die Kommunen brau- chen auch mehr Geld, Herr Pfister!)
Die Finanzierung der vorgezogenen Steuerreform erfolgt nicht auf Pump. Auch dies war ein wichtiges Anliegen der FDP und auch der CDU. Wir sind froh, dass wir uns da durchgesetzt haben.
Zur Frage der Zumutbarkeit von Arbeit ist bereits einiges gesagt worden. Ich glaube schon, dass durch eine neue Zumutbarkeitsregelung, die ja auch schon in die Hartz-Empfehlungen und in die Agenda 2010 aufgenommen war, die damals aufgeweicht worden und die jetzt wieder hineingekommen ist, mehr Arbeitsplätze in Deutschland besetzt werden können, was wiederum die Voraussetzung für wirtschaftlichen Aufschwung ist. Ich bin sehr sicher, dass insbesondere für kleinere Betriebe, für Handwerksbetriebe die neue Kündigungsschutzregelung, die wir schon bis 1998 hatten, sehr hilfreich sein wird. Da müssen wir abwarten. Ich bin ziemlich sicher, dass die Wirkung, die wir uns davon versprechen, auch tatsächlich eintreten wird.
Meine Damen und Herren, ein erster, ein kleiner, ein nicht ausreichender Schritt, aber dennoch ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Ich sage noch einmal: Wir hätten uns weltweit zum Gespött gemacht, unsere Unfähigkeit zur Reform weltweit unter Beweis gestellt, wäre es nicht gelungen, wenigstens in diesen ansatzweisen Schritten eine Reform auf den Weg zu bringen. Deshalb begrüße ich diese Vermittlungsausschussergebnisse.
Damit ist auch klar, dass wir einen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen werden. Das bedeutet, dass zu der 1 Milliarde €, die bereits eingespart worden ist – nennen Sie mir übrigens einmal ein einziges Land, das bis heute 1 Milliarde € im Haushalt eingespart hätte; Sie werden mir keines nennen können –, noch weitere Einsparungen hinzukommen werden. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Aber wir werden einen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen. Das Parlament wird rechtzeitig vor den Januarsitzungen des Finanzausschusses die entsprechenden Nachschiebelisten erhalten.
Wir werden auf einen Vorschlag der SPD mit Sicherheit nicht eingehen, nämlich den Vorschlag, die Rothaus-Brauerei an die L-Bank zu verkaufen. Dafür gibt es drei Gründe. Erstens: Wenn wir die Rothaus-Brauerei verkaufen würden, würde sich an den Strukturproblemen des Landeshaushalts durch diese einmalige Einnahme so gut wie nichts ändern. Zweitens: Es wäre eine Scheinprivatisierung. Was denn sonst? Und drittens: Es wäre eine verdeckte Kreditaufnahme – etwas, was die SPD in vergangenen Zeiten übrigens immer kritisiert hat –, denn selbstverständlich müsste auch die L-Bank den Kauf fremdfinanzieren und könnte ihn nicht aus der Portokasse bezahlen. Das wäre eine windige Angelegenheit, meine Damen und Herren, der wir mit Sicherheit nicht zustimmen werden.
Es bleibt so, wie es ist. Sie wissen, dass bei der RothausBrauerei auch eine ganze Reihe strukturpolitischer Gründe, die Herr Kollege Drexler zu Recht angesprochen hat, eine Rolle spielen.
Meine Damen und Herren, der Finanzminister hat einen wichtigen Satz gesprochen, den ich ausdrücklich zitieren möchte. Es geht darum, dass Baden-Württemberg neben Berlin seine Hausaufgaben machen muss, um zu besseren Verhältnissen zu kommen.
Ein klassischer Satz, wie in Stein gemeißelt. Dieser Satz könnte von einem Liberalen sein, Herr Finanzminister.
Deshalb ist es eine vorrangige Politik, dafür zu sorgen, dass öffentliche Aufgaben so effizient und so kostengünstig wie möglich erledigt werden.
Genau das wird die Aufgabe der Verwaltungsreform sein, die wir im nächsten Jahr verabschieden werden.