Zweitens: Bei konkurrierenden Grundrechten wie Lebensschutz und Freiheit der Wissenschaft ist der Gesetzgeber der erste Interpret der Verfassung. Wir sind deswegen aufgefordert, unsere Auslegung hier öffentlich darzulegen.
Drittens: In den Aussagen der Mitglieder der Landesregierung in dieser wichtigen Frage besteht Uneinheitlichkeit.
Da Baden-Württemberg ein wichtiger Forschungsstandort auf diesem Gebiet ist, ist dieser Punkt, glaube ich, wichtig. Insbesondere nach heute aktuellen Meldungen, wonach die Einfuhr embryonaler Stammzellen aus Australien unmittelbar bevorsteht, ist es sehr wichtig, zu wissen, wie sich die Landesregierung dazu stellt, was die Universitäten und Forschungseinrichtungen Baden-Württembergs angeht.
Viertens schließlich – und damit möchte ich mich befassen –: Jetzt geht es darum, die Kriterien, die wir in diesen Fragen anlegen, offen zu legen.
In Artikel 1 des Grundgesetzes heißt es: Die unantastbare Würde des Menschen zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Es heißt weiter: Darum bekennt sich das deutsche Volk zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten, die bindendes Recht für alle staatlichen Gewalten sind. Aus Artikel 79 unserer Verfassung ergibt sich, dass dieser Menschenrechtsartikel in seinen Grundsätzen nicht geändert werden darf. Das heißt, es handelt sich bei dem Menschenrechtsartikel um das, was man den unkündbaren Gesellschaftsvertrag dieser Gesellschaft nennen kann.
Bisher war in unserer ethischen Tradition Konsens, dass die Menschenwürde für den Menschen als Gattungswesen gilt, also unabhängig davon, ob sich der einzelne Mensch dieser Würde überhaupt bewusst ist. Er kann sich ihr zum Beispiel nicht bewusst sein, weil er noch nicht voll entwickelt und noch Säugling ist oder weil er schwer geistesgestört ist und gar nicht merken würde, wenn er menschenunwürdig behandelt würde. Die Menschenwürde gilt auch für das ungeborene Leben.
(Abg. Kiefl CDU: Das ist ja etwas ganz Neues! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Das ist ja interessant! Die Grünen machen sich!)
Heute wird dies mehr und mehr infrage gestellt. Ich betone noch einmal, dass Ethiker wie Peter Singer oder auch der Kulturstaatsminister Nida-Rümelin diesen Konsens im Prinzip verlassen haben ebenso wie jetzt auch Hubert Markl in seiner durchaus beachtenswerten Rede.
Am umstrittensten ist, ob und wann dem menschlichen Embryo dieser unverletzliche, unbedingte, unveräußerliche Schutz zukommt. Was sollen wir nun als Politiker tun, wenn in einer pluralistischen Gesellschaft in solch einer fundamentalen Frage, wo ja religiöse und weltanschauliche Freiheit herrscht, der Konsens jedenfalls stark ins Rutschen gerät? Wo sollen wir eigentlich selber die Grenzen ziehen? Das ist, glaube ich, die entscheidende Frage.
Ich möchte noch einmal betonen: In der gegenwärtigen Diskussion muss es für uns Politikerinnen und Politiker darauf ankommen, zu versuchen, diesen Konsens wieder herzustellen. Das heißt, in diesen Fragen kann es für uns nicht nur um private oder persönliche Meinungen gehen, die natürlich sehr wichtig sind, sondern muss es darum gehen, auf einen Konsens hinzuarbeiten, der ja den Zusammenhalt einer modernen pluralistischen Gesellschaft überhaupt erst gewährleisten kann.
Ich möchte das Prinzip so formulieren: In solchen Fragen müssen wir uns zur sicheren Seite hinbewegen und dürfen uns nicht auf die unsichere Seite begeben. Auf die sichere Seite bewegen wir uns nur dann hin, wenn wir davon ausgehen, dass mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle tatsächlich menschliches Leben beginnt, weil sich daraus zweifelsohne – das ist nie bestrittener Konsens – ein Mensch entwickelt. Davon sind wir bisher alle, auch das Bundesverfassungsgericht, ausgegangen. Deswegen haben wir im Embryonenschutzgesetz ein eindeutiges Verbot der Präimplantationsdiagnostik – weil sie quasi auf Selektion von Embryonen hinausläuft –, aber auch der embryonalen Stammzellenforschung und des therapeutischen Klonens.
Alle anderen Vorschläge setzen meiner Ansicht nach das fundamentale Recht der Menschenwürde auf eine schiefe Ebene. Wenn wir uns nicht auf die Aussage einigen können, dass menschliches Leben tatsächlich an diesem Punkt beginnt, dann sehe ich nicht, wo überhaupt noch Grenzen gesetzt werden können, die eine immer stärkere Verschiebung und Ausweitung verhindern können.
Wenn man sagt, die Präimplantationsdiagnostik sei in ganz einzelnen schweren Fällen von Erbschädigungen möglich, dann frage ich: Wer, bitte schön, legt fest, was das ist? Das ist ein ganz klares Beispiel dafür. Unter dem Druck der Forschungseinrichtungen, aber auch wegen der Hoffnungen, die sich Menschen für ihre Heilung aus solchen Experimenten machen, wird das immer weiter ausgeweitet werden.
Ich möchte nur sagen: Das kann kein Argument sein. Ich finde, es kann kein Argument sein, einfach zu sagen: „Wenn wir es nicht machen, machen es andere.“ Das ist sicher ein wichtiges Argument in der Tagespolitik, da wir in der Tagespolitik unter folgenethischen Beurteilungskriterien stehen. Aber ich glaube, in solchen fundamentalen Fragen kann das kein Argument sein, weil wir sonst moralische Kriterien immer weiter an den Standard angleichen, der der unterste Standard in einem solchen Konkurrenzkampf ist. Dann wird die Menschenwürde sinken; wenn dies geschähe, würde sie immer weiter auf immer niedrigere Standards rutschen. Deswegen kann das, glaube ich, kein Argument sein.
In einer solchen Debatte, in der es um ethische Grundfragen geht, dürfen keine wirtschaftlichen oder forschungs
politischen Aspekte maßgebend sein, sondern müssen nur wiederum selber ethische Aspekte gelten. Um die müssen wir, glaube ich, jetzt ringen.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Kretschmann, ich kann Ihren Ausführungen und dem, was Sie gesagt haben, im Wesentlichen zustimmen. Das will ich bewusst vorab sagen. Ich glaube, Sie haben eher ein Problem damit, Ihren Koalitionspartner in Berlin zu überzeugen, was die Haltung des Bundeskanzlers angeht, als damit, hier eine Aktuelle Debatte über dieses Thema zu beantragen. Das will ich vorwegschicken.
Aber ich will eines einführen: Das ist sicherlich kein Thema für parteipolitischen Streit. Lieber Kollege Drexler, hören Sie erst einmal zu.
Das ist kein Thema für einen parteipolitischen Streit, sondern ist eine individuelle Auffassung, gerade bei diesem Thema, nachdem wir heute erst in der FAZ gelesen haben: „Kieler Wissenschaftler erhält embryonale Stammzellen aus Australien“. Das zeigt die Problematik, das zeigt, dass wir gefordert sind. Ich habe das nur auf die Aktuelle Debatte bezogen, weil ich glaube, fünf Minuten Redezeit im Rahmen einer Aktuellen Debatte reichen nicht aus, dieses differenzierte Thema zu behandeln und ihm gerecht zu werden.
Wir haben bei diesem Thema täglich eine rasante Entwicklung bei den Lebenswissenschaften, die uns zeigt, dass in die menschliche Natur eingegriffen werden kann. Manche stellen schon die Frage: Klonen ohne Ende? Damit sind Hoffnungen genauso verbunden wie Ängste, und wenn wir diesen FAZ-Artikel von heute sehen, müssen wir, wie ich meine, sagen: Es kann keine Lücke im Embryonenschutzgesetz geben, es kann nicht sein, dass wir sagen: Es ist legal – wie das heute geschrieben wird –, dass wir ausländische Embryonen von inländischen Embryonen unterscheiden.
Vor diesem Hintergrund, so meine ich, sind wir alle gefordert, uns dieser Diskussion nicht nur heute, sondern sicherlich auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu stellen. Das Thema wird uns begleiten und fordern, ob wir es wollen oder nicht.
Es gab aber auch weitere dahin gehende Fragen – die MaxPlanck-Gesellschaft wurde zu Recht angesprochen –, auch von Hubert Markl, ausdrücklich mit einer Grundsatzrede zu diesen Fragen. Für ihn ist die Menschenwürde der Imperativ, Grenzen auch zu überschreiten, um die Bedingungen des Lebens zu verbessern.
Diese Schlaglichter zeigen bereits, auf welchem Gebiet wir uns bewegen und welche Fragen uns hierbei vor allem begleiten.
Kolleginnen und Kollegen, es sind Fragen der Ethik, aber auch des Verfassungsrechts. Das hat sich bei der Entschlüsselung des menschliches Genoms in besonderer Art und Weise gezeigt. Wir sehen hierbei, dass das Buch des Lebens eigentlich geöffnet vor uns liegt. Wir können mittlerweile die Buchstaben entziffern, aber wir können noch lange nicht den Sinn begreifen. Das zeigt: Je weiter wir in diese Geheimnisse eindringen, desto schwieriger wird es, sie zu entschlüsseln. Damit liegt, wie ich meine, eine große, nämlich diese Jahrzehnte- oder gar Jahrhundertaufgabe vor uns. Sicherlich wird nicht in Ethikkommissionen, sondern im Parlament der Ort sein, wo wir diese Fragen zu behandeln haben.
Herr Pfister, Sie haben in der Debatte gestern darauf Bezug genommen, und wir haben festgestellt, dass Sie im Gegensatz zu Herrn Westerwelle dieses Thema viel differenzierter angegangen sind. Das möchte ich hier lobend erwähnen. Sie haben im Grunde genommen genauso Bezug darauf genommen, dass es wichtig ist, Grenzen zu ziehen. Das beginnt dabei, dass es keine Verfügbarkeit über menschliches Leben gibt, das beginnt dabei, dass wir mit dem Bundesverfassungsgericht einig sind: Das menschliche Leben beginnt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Das ist aber eine wichtige Grenzziehung, weil viele diese Grenzziehung nicht mehr sozusagen – –
(Abg. Pfister FDP/DVP: Herr Markl zieht eine an- dere Grenze, Herr Westerwelle ausdrücklich nicht! Damit das klar ist!)
Ich sage Ihnen gleich, Herr Kollege Pfister, warum ich zu Herrn Westerwelle komme. Er schreibt heute in der FAZ – er hat ein Gespräch mit Herrn Schröder geführt –, jetzt müsse ganz schnell das Gesetz geändert werden. Das, so meine ich, ist nicht korrekt. Wir müssen eine Diskussion beginnen, wir müssen offen sein und uns diesen Themen stellen, und dies deshalb, weil wir sowohl bei der Forschung mit Embryonalzellen als auch bei der PID, der Präimplantationsdiagnostik, Grenzen haben und sagen: Es darf keine Selektion geben, es dürfen auch keine Embryonen
gezeugt werden, damit sie anschließend für andere Zwecke zur Verfügung stehen. Deshalb haben wir dazu eine klare Haltung. Wir fordern die Förderung der Forschung, und das unterstützen wir auch. Wir sind der Meinung, dass über die Indikation in Einzelfällen – möglicherweise bei schweren erblichen Schäden, aber nur dort und in begrenzten Ausnahmefällen – eine Diskussion entstehen kann. Da haben wir einen offenen Diskurs.
und wir halten es auch im Hinblick auf die Kirchen, im Hinblick auf die ethische Diskussion und im Hinblick auf die Diskussion in der Gesellschaft für wichtig, dass wir jetzt nicht ganz schnell Gesetze ändern. Denn ich denke, das Embryonengesetz hat einen klaren Normzweck: Es schützt das Leben. Das Leben ist unverfügbar, und deshalb sollten wir da keine Schnellschüsse machen, sondern uns auch an Europa und der Welt orientieren.
Denn wir brauchen bei diesem Thema nicht nur in Deutschland einen Konsens. Wir brauchen auch einen Konsens in Europa und in der Welt, weil sonst ein Tourismus ins Ausland entstehen kann.