Ich will Ihnen einmal vorlesen, was im letzten halben Jahr passiert ist: Im Juli 2003 hat Frau Ministerin Schavan während einer Plenarsitzung des Landtags die Veranstaltung
zum 50-Jahr-Jubiläum des Landesschulbeirats Baden-Württemberg durchgeführt und dazu auch Abgeordnete eingeladen. Wir haben uns damals beschwert. Im gesamten Präsidium war klar, dass man so etwas nicht machen sollte.
Dann war eine Weile lang Ruhe. Und dann kam es besonders dick: Am 27. November wollte zunächst die Frau Justizministerin weg. Das haben wir im Präsidium verhindert.
Trotzdem haben am 27. November Herr Teufel und der Herr Wirtschaftsminister parallel zur Landtagssitzung Verhandlungen mit der Stadt Leinfelden-Echterdingen geführt. Das Präsidium hat darüber diskutiert und wiederum gesagt, dass das nicht gehe. Am 10. Dezember gab es eine Einladung zum Symposium von Wirtschaftsminister Döring zu „Frauen in Führungspositionen“, auch parallel zu einer Landtagssitzung.
Dann gab es eine lange Debatte im Präsidium. Alle Fraktionen waren der Auffassung: Das wird jetzt unterbunden. Die CDU-Fraktion hat erklärt, sie werde darauf achten, dass solche Vorgänge nicht mehr eintreten, vor allem nicht solche wie die der Koalitionsgespräche. Darüber hinaus hat die CDU-Fraktion die Regierung gebeten, solche Dinge nicht mehr stattfinden zu lassen. Die FDP/DVP hat Ähnliches im Hinblick auf ihren Wirtschaftsminister erklärt. Wir haben erklärt: Jetzt ist Ende.
Sogar während der Haushaltsberatungen; es ging um den Haushalt des Innenministeriums. – Die ganze Pressetribüne war abgeräumt, weil dazu extra eine Pressekonferenz stattfand. Wir halten das für eine Missachtung des Parlaments.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen diese Missachtung nicht weiter durchgehen lassen. Wir haben gestern Mittag noch versucht, die Ministerin herbeizuzitieren – das ist ja die schärfste Waffe des Parlaments –, um dies deutlich zu machen. Das haben Sie leider entgegen der Übereinkunft, die wir in der Debatte im Präsidium erzielt hatten, verhindert. Jetzt können wir nicht mehr anders, als die Missachtung des Parlaments durch eine Landesministerin mit der Missachtung des Parlaments gegenüber dieser Ministerin bei ihrer Rede deutlich zu machen. Es fällt uns schwer, aber die Fraktion GRÜNE und die SPD-Fraktion werden während der Rede der Frau Ministerin den Saal verlassen.
(Beifall bei der SPD – Lebhafte Unruhe bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist ein bisschen übertrieben! – Abg. Seimetz CDU: Herr Wehner sagte damals: „Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen!“! – Die Abgeord- neten der Fraktion der SPD und der Fraktion GRÜ- NE verlassen den Plenarsaal. – Abg. Dr. Birk CDU: Das ist ja schwach! – Abg. Carla Bregenzer SPD: Wir kommen wieder! – Lachen bei der CDU – Abg. Seimetz CDU: Der Präsident bleibt als Auf- passer da!)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich vor, zu Beginn meiner Rede etwas zum Verlauf des gestrigen Tages zu sagen, es zu erläutern, für bestimmte Teile des Tages auch mein Bedauern auszudrücken. Da man das aber nicht hören will, kann ich das lassen.
Ich beginne mit dem Thema, nämlich den Haushaltsberatungen, die immer auch Debatten zur Vergewisserung sind, zur Vergewisserung über Ziele und Perspektiven für die Zukunft, über Weichenstellungen für gute Entwicklungen.
(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Jetzt haben wir unse- re Ruhe! – Zuruf von der CDU: Endlich mal ge- mütlich!)
Wer sich Gedanken macht über die Zukunft von BadenWürttemberg, braucht einen klaren Kompass für Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung nach dem Motto: Wenn man das Ziel nicht kennt, ist kein Weg der richtige.
Was also sind unsere Ziele, die sich auch in diesem Haushalt und seinen Schwerpunkten niederschlagen? Was sind die Punkte, die uns bei jeglicher Bewertung bildungspolitischen, jugendpolitischen Handelns leiten? Ich nenne vier Bewertungskriterien, die mir zentral erscheinen.
Erstens: Was wir tun – so muss es sich auch im Haushalt widerspiegeln –, muss in pädagogischer Hinsicht überzeugend und zielführend sein.
Viertens: Es muss im Blick auf die Gerechtigkeitsfrage zielführend sein. Das ist eine zentrale Frage eines jeden Bildungswesens, unabhängig davon, welche Grundentscheidungen gefällt werden.
Ich finde, dass das – auch für unsere Beratungen im Schulausschuss – die vier entscheidenden Bewertungkategorien der nächsten Jahre in konzeptioneller Hinsicht, in struktureller Hinsicht und nicht zuletzt im Blick auf den Schwerpunkt von Investitionen sein werden.
Ich gehe die vier Punkte durch und nenne wirklich nur ausgewählte Beispiele, an denen deutlich wird, wie wir diese Bewertungskriterien konsequent einhalten.
Erster Punkt – in pädagogischer Hinsicht –: Spätestens seit PISA ist jedem in Deutschland klar, was vorher umstritten war: dass gute Bildungspolitik lange vor der Schule beginnt, dass frühe Jahre besonders ergiebig für das Lernen sind,
dass wir Zeitfenster nutzen müssen, wie sie uns von den Entwicklungspsychologen und den Hirnforschern genannt werden.
Deshalb halte ich es für einen großen Fortschritt, dass bereits ein Jahr, nachdem das Konzept der Landesstiftung für die Sprachförderung im vorschulischen Bereich verabschiedet wurde, 9 000 Kinder in Baden-Württemberg über Maßnahmen der Landesstiftung im vorschulischen Bereich sprachlich gefördert werden.
Alle Prognosen der Landesstiftung und alle Weichen, die sie im Moment stellt, deuten darauf hin, dass in den nächsten zwei Jahren die anvisierte Zahl von 20 000 bis 25 000 Kindern, die vor dem Schuleintritt sprachlich gefördert werden, erreicht wird. Das ist eine zentrale Weichenstellung gewesen.
Die zweite folgt: Der Orientierungsplan für Bildung und Erziehung in den Kindertagesstätten – auch Orientierung für Eltern, Orientierung für eine Verbesserung der Partnerschaft zwischen Kindertagesstätten und den Familien.
Dritter Punkt: Das Transferzentrum in Ulm für Hirnforschung und lebenslanges Lernen – ein einmaliger Akzent in Deutschland. Wir nehmen ernst, was uns Naturwissenschaftler und Mediziner sagen, was wir an Wissen und an Erkenntnis, gerade aus den Neurowissenschaften, für die Lehrerbildung und für die pädagogische Entwicklung in unseren Schulen brauchen.
In pädagogischer Hinsicht ist auch wichtig, was während der Schulzeit nachmittags geboten wird. Wir nehmen in Baden-Württemberg die Forderung nach qualitativ hochstehenden Angeboten außerhalb der Schule ernst. Ich nenne, weil es in den anderen Reden auch genannt wurde, das Beispiel der Musikschulen. Wir sind in unserem Haushalt nicht mehr in der Lage, einzelne Positionen über Jahre und Jahrzehnte von Kürzungen auszunehmen, aber trotz der jetzigen Kürzung bei den Musikschulen gibt Baden-Württemberg für Musikschulen immer noch so viel aus
Wir fördern nicht nur die Musikschulen, sondern viele andere außerschulische Bildungswelten. Dazu gehören die Jugendarbeit, die Jugendbildung und die Jugendkunstschulen. Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass Bildung nur in der Schule stattfinde. Wir wissen aus den internationalen Untersuchungen: Wichtig für den Erfolg von Schule sind auch überzeugende Bildungswelten um die Schule herum. Wichtig für die Arbeit der Schule ist auch, in anderen Räumen dieser Gesellschaft den Bildungs- und Erziehungsauftrag ernst zu nehmen.
Vierter und entscheidender Punkt – und damit sind wir bei einem neuen Kapitel in der Entwicklung unserer Schulen –: der Bildungsplan 2004 für alle Schularten, übrigens erstmalig mit einem gemeinsamen Einführungstext für alle Schularten, den Herr Professor von Hentig im Namen des Bildungsrats geschrieben hat. Das ist ein wichtiges Signal: Wir kultivieren kein Auseinanderdriften von Schularten; wir wollen Öffnung der Schularten füreinander, wir wollen Kooperation, wir bleiben auf dem Kurs, den wir eingeschlagen haben. Durchlässigkeit ist eine Frage der Gerechtigkeit, und sie muss deshalb gefördert werden.
Wir verbinden damit das, von dem ich überzeugt bin, dass es einer der beiden Schlüssel oder sogar der zentrale Schlüssel für die Umsteuerung des Bildungswesens im Sinne einer Qualitätsentwicklung in pädagogischer Hinsicht ist: Wir formulieren Standards.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu dem Problembereich, auf den auch die IGLU-Studie aufmerksam macht, gehört, dass wir noch nicht wirklich gerecht sind, wenn es um die Benotung von Schülern geht und um die Frage, wer welche Empfehlung bekommt. Wir justieren später nach. Deshalb ist es umso wichtiger, neue Instrumente zu finden und Standards zu formulieren, mithilfe derer die Ergebnisse des Unterrichts bewertet werden können. Damit wird Unterricht vergleichbarer. Das ist also nicht nur in pädagogischer Hinsicht ein wichtiger Schritt, sondern auch ein wichtiger Schritt im Blick auf Gerechtigkeit und eine bessere Vergleichbarkeit in allen unseren Schulen.
Die Grünen haben gefordert – es ist eben noch einmal gesagt worden –: alle Pädagogen raus aus der Schulverwaltung und dem Ministerium. Ich habe mir überlegt, welche Vorstellung bei den Grünen von der Schulverwaltung in der Zukunft vorherrscht.
Es ist doch gerade so und wird auch gesagt: In Zukunft muss Schulverwaltung noch mehr von Pädagogik verstehen als in der Vergangenheit.
Wer nur ein bisschen von dem Prozess, in dem wir jetzt stecken, verstanden hat, der weiß, dass wir gute Pädagoginnen und Pädagogen in den Bereichen brauchen, in denen – und das ist Schulverwaltung in Zukunft – die Einhaltung von Standards, die Evaluation und die Selbstständigkeit der Schule gut begleitet und gut gefördert wird.