Protokoll der Sitzung vom 29.01.2004

Es hilft nichts: Die Schule ist ein Sanierungsfall, und das überall in den deutschen Landen.

Herr Kollege Zeller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Wacker?

Bitte schön, Herr Wacker.

Herr Kollege Zeller, nachdem Sie gerade aus dem Vortrag von Herrn Professor Bos von gestern Abend zitiert haben: Was sagen Sie denn zu der Aussage von Professor Bos, dass der Zeitpunkt der Selektion nicht entscheidend sei, dass sowohl nach der Klasse 4 als auch später eine Trennung möglich sei; denn eine Trennung müsse früher oder später ohnehin vollzogen werden?

(Beifall des Abg. Hauk CDU – Abg. Seimetz CDU: Das hat er verdrängt!)

Herr Wacker, ich habe sehr genau zugehört und mitgeschrieben. Deshalb ist es gut, dass ich dort war.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Ich war auch dort!)

Ich darf Ihnen – Frau Rastätter, Sie können es belegen; Herr Dr. Caroli, Sie waren ebenfalls dort; auch Sie können es belegen – folgendes Zitat vorlesen. Ich habe ja mit solchen Äußerungen gerechnet. Herr Dr. Bos hat gestern gesagt:

Das deutsche gegliederte Schulwesen ist das Ergebnis der Preußischen Schulgesetze aus dem Jahr 1872. Das gegliederte Schulwesen ist weltweit eine Rarität. Nur noch in drei Schweizer Kantonen und in Deutschland gibt es die Trennung nach der vierten Klasse.

(Abg. Seimetz CDU: Raritäten waren schon immer wertvoll!)

Aus Ihrer Sicht, ja. Ich habe auch von Ihnen nichts anderes erwartet, Herr Seimetz.

(Abg. Seimetz CDU: Und diese Zelleritis habe ich auch schon satt! – Zuruf der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Er hat damit klar und deutlich die Trennung nach der vierten Klasse kritisiert.

Meine Damen und Herren, erfolgreiche Bildungssysteme fördern nicht nur sehr früh, sondern sie sind durch das Prinzip des gemeinsamen Lernens äußerst effektiv, wenn hinter Lernschwierigkeiten nicht die Auslese steht, sondern das Prinzip der individuellen Förderung.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja, also!)

Davon profitieren gleichermaßen die Leistungsstarken und die Leistungsschwachen. Ich erinnere auch an die vielen Gespräche, die wir in Finnland und Kanada geführt haben.

(Abg. Wacker CDU: Die Antwort fehlt!)

Noch ein Argument für ein gemeinsames Lernen: Die Schulversuche zur Integration von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung in das allgemeine Schulwesen, die wir während der großen Koalition durchgeführt haben, waren allesamt erfolgreich. Leider wurden diese integrativen Schulentwicklungsprozesse, bei denen Kinder unterschiedlicher Leistungsstärke zusammen waren, nicht konsequent fortgesetzt, sondern sie werden zum Teil blockiert.

(Abg. Wacker CDU: Keine Antwort auf die Frage!)

Viele Eltern – Herr Wacker, wenn Sie sich damit beschäftigen würden – könnten Ihnen ihre Leidensgeschichte erzählen. Ich meine, das müsste Ihnen eigentlich zu denken geben.

Wenn Sie eine gute Unterrichtsarbeit wollen, wenn Sie wollen, dass schulisches Lernen effektiv ist, dann dürfen Sie nicht blind sein und nicht den Zusammenhang zwischen der Bildungs- und Erziehungsarbeit und der Strukturfrage leugnen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Kübler CDU)

Wer dies macht, der nimmt entweder die bildungspolitische Realität nicht wahr, oder er sitzt in einem ideologischen Käfig.

(Lachen des Abg. Seimetz CDU – Abg. Wacker CDU: Er hört nur das, was er hören will!)

Längere gemeinsame Lernzeiten bedeuten nicht nur, über die Schuljahre hinweg länger zusammen zu lernen. Deswegen sind wir für die mindestens sechsjährige Grundschule. Der von Ihnen so gescholtene Baden-Württembergische Handwerkstag hat ja immerhin eine neunjährige gemeinsame Schulzeit vorgeschlagen.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Sehr richtig!)

Gemeinsames Lernen bedeutet auch mehr gemeinsame Lernzeit über den Tag verteilt. Auch hier haben wir Frau Süssmuth an unserer Seite,

(Abg. Seimetz CDU: Das ist doch toll!)

die sich eindeutig für längere gemeinsame Lernzeiten und Ganztagsschulen ausspricht.

(Abg. Wacker CDU: Sagen Sie auch etwas zum Haushalt, Herr Kollege?)

Erst kürzlich hat mein Kollege Christoph Bayer hier im Plenum die Wichtigkeit und die Bedeutung der Ganztagsbildung dargelegt. Ich habe den Eindruck, dass das alles an Ihnen abprallt, weil es nicht sein darf. Sie scheinen gar nicht zu registrieren, welche enormen pädagogischen Fortschritte sich inzwischen bei jenen Schulen einstellen, die am Investitionsprogramm der Bundesregierung teilnehmen.

(Abg. Seimetz CDU: Mal gespannt, wann er zum Haushalt kommt!)

Während der Bund für Baden-Württemberg – so möchte ich sagen – großzügig über eine halbe Milliarde Euro für den investiven Ausbau der Ganztagsschulen bereitstellt, knausern Sie kleinkariert bei der Bereitstellung von zusätzlichem pädagogischem Personal. Ihre eingeschränkte Sichtweise lässt zusätzliche Lehrerwochenstunden nur für so genannte Brennpunkthauptschulen zu. Alle anderen Schulen sind bei Ihnen außen vor.

(Abg. Wacker CDU: Das haben wir schon oft dis- kutiert! Nichts Neues!)

Demagogisch wird es dann, wenn CDU-Abgeordnete und selbst ernannte Bildungspolitiker im Zusammenhang mit Ganztagsschulen von einer Verstaatlichung der Bildung reden.

(Abg. Seimetz CDU: Der selbst ernannte spricht doch gerade! – Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

Wir haben immer gesagt, hier sei das Prinzip der Freiwilligkeit anzusetzen. Kein Schüler wird verpflichtet, in eine Ganztagsschule zu gehen. Aber Eltern benötigen in BadenWürttemberg ein Angebot, ein flächendeckendes Netz an Ganztagsschulen, um auf Wunsch ihr Kind in eine Ganztagsschule geben zu können. Dieses Angebot besteht eben nicht.

(Abg. Dr. Carmina Brenner CDU: Auf Wunsch!)

Ja, natürlich auf Wunsch. Das ist doch klar. Das hat doch niemand bestritten. Die Eltern wollen das inzwischen. Sie

haben es nur nicht registriert. Das ist das Problem an Ihrer Politik.

Auch das Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister hat deutlich gemacht, dass immer mehr Ganztagsschulen notwendig sind. Auch dies können Sie, wenn Sie sich intensiv damit auseinander setzen, nachlesen. Ich sage nur: Während Sie in der Koalition mauern – vor allem auch die Kultusministerin –, denkt Herr Oettinger wenigstens schon einmal darüber nach,

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Denkt Herr Oettin- ger?)

die Beschränkung von zusätzlichem Personal für Ganztagsschulen auf Hauptschulen in sozialen Brennpunkten aufzugeben. Ich denke, das ist wenigstens ein kleiner Fortschritt.

Ich fordere Sie deshalb auf, unserem Antrag zuzustimmen, mit dem wir zusätzlich 300 neue Stellen ausschließlich für den Ganztagsschulbereich schaffen wollen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Situation an unseren Schulen ist nach wie vor angespannt. Sie ist gekennzeichnet von großen Klassen und fehlenden Lehrerstellen. Ganz extrem ist das an unseren beruflichen Schulen zu beobachten, wie Sie von der CDU erst kürzlich bei Ihrem Schulbesuch an der gewerblichen Berufsschule in Ehingen selbst feststellen konnten.

(Abg. Drexler SPD: Herr Wacker!)

Dort wurde Ihnen übrigens vom Schulleiter vorgehalten, dass die ständigen Änderungen den Lehrern zu schaffen machen und eine Klasse tatsächlich mehr als 37 Schüler hat,

(Abg. Drexler SPD: 37! – Zuruf des Abg. Teßmer SPD)