Protokoll der Sitzung vom 04.02.2004

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält Frau Abg. Schmidt-Kühner.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die goldenen Zeiten für den ÖPNV sind vorbei. Das hat Minister Müller letzte Woche in der Haushaltsdebatte gesagt. Im Ausschuss sagte er: Vom

Steigflug des ÖPNV gehen wir jetzt in den Gleitflug über. Das ist das Bild, das er verwendet. Andererseits soll das Grundprinzip Verlässlichkeit und Planbarkeit auch weiterhin gelten, wie in der Antwort auf diese Große Anfrage dargestellt wird; ÖPNV sei eine Daueraufgabe.

Aber schauen wir uns doch einmal die Realität an. Diese Große Anfrage der FDP/DVP ist fast ein Jahr alt. Die Intention der Großen Anfrage wird aber gerade von den aktuellen Streichungsorgien der Landesregierung, insbesondere beim ÖPNV, ad absurdum geführt. So ist die Realität, Herr Schebesta, und nicht anders.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf des Abg. Göschel SPD)

Wir können und dürfen deshalb heute nicht über eine Leistungsbilanz, zumindest nicht nur über eine Leistungsbilanz des Erreichten sprechen, sondern wir müssen auch analysieren, welche Gefahren die Haushaltseinschnitte für den ÖPNV in der Zukunft haben werden. Denn um die Zukunftsgestaltung geht es uns ja schließlich.

Herr Minister Müller hat noch vor kurzem angesichts der angespannten Haushaltslage, die wir natürlich auch konstatieren, bezogen auf die ÖPNV-Förderung die Metapher des Übergangs vom Steigflug in den Gleitflug gebraucht. Jetzt stehen wir vor folgender Situation: Wir gehen – ich bleibe einmal bei dem Vergleich Steigflug/Gleitflug – nicht in einen Gleitflug über, sondern geradezu in einen

(Abg. Fischer SPD: Sturzflug!)

Sinkflug, was den ÖPNV betrifft. Das ist eigentlich die richtige Metapher, die wir hier verwenden müssen.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben in der Beantwortung der hier behandelten Drucksache, der Großen Anfrage der FDP/DVP, auch darauf hingewiesen, dass Fortschritte beim Erreichen der Zielsetzung des ÖPNV-Gesetzes als Daueraufgabe verstanden werden müssen, „da der im ÖPNV erreichte Standard immer nur in Relation zu der jeweiligen Beförderungsqualität im Individualverkehr beurteilt werden kann.“ Das bedeutet nichts anderes, als dass Stillstand Rückschritt ist.

Des Weiteren führt das Ministerium für Umwelt und Verkehr aus – Herr Staatssekretär Mappus hat ja die Antwort unterschrieben –, welch hohes Maß an die Planungssicherheit für alle Akteure im ÖPNV anzulegen sei und dass genau das ein wichtiges Kriterium sei. Aber – jetzt kommt das große Aber, und darauf möchte ich auch hinweisen – während die Bundesregierung bei den GVFG-Mitteln lediglich um 0,6 % und bei den Regionalisierungsmitteln effektiv um 0,5 % kürzt, werden die Rahmenbedingungen für den ÖPNV in Baden-Württemberg rasant verschlechtert.

(Abg. Göschel SPD: Oi!)

Denn im Haushalt, der morgen verabschiedet werden soll, werden 30 Millionen € an originären Landesmitteln zur GVFG-Kofinanzierung gestrichen, und die Förderquoten werden geändert. Das bedeutet eine rasante Verschlechterung.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Da stellt sich der Schebesta so hin!)

Bei den großen Investitionen, also den Investitionen von mehr als 51 Millionen € nach dem GVFG, für die lediglich die Komplementärmittel zu den Zuschüssen des Bundes aufgewendet werden müssen, soll die Förderquote von 85 % auf 80 % gesenkt werden. Das ist richtig viel Geld, wie man feststellt, wenn man sich das genau anschaut. Zum Beispiel entsprechen diese 5 % bei unserer Maßnahme in der Innenstadt von Karlsruhe rund 25 Millionen €. Das müsste von den Gemeinden, von den Trägern des ÖPNV vor Ort, neu aufgewendet werden. Das ist schlichtweg unmöglich.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU)

Bei den „kleineren“ GVFG-Maßnahmen, die nur vom Land finanziert werden, soll die Förderquote sogar auf 25 % gesenkt werden mit dem Hinweis, weniger im Einzelnen sei mehr im Ganzen. Aber, Herr Minister und Herr Staatssekretär, diese Rechnung stimmt nicht. Wer die Situation ein klein wenig kennt, weiß, dass es bei vielen Maßnahmen schon bisher außerordentlich schwierig war, die 15 % Eigenanteil von den Gemeinden zu erhalten. Wie soll das denn dann bei 25 % werden?

(Abg. Göschel SPD: Und der Selbstbehalt!)

Hinzu kommt noch dieser verheerende Selbstbehalt von 100 000 €. Viele Kommunen werden gar keine Projekte im ÖPNV mehr finanzieren können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Folge ist Stillstand im ÖPNV, vor allem im ländlichen Raum, den wir doch gerade fördern wollen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Boris Palmer GRÜNE – Zuruf des Abg. Fischer SPD)

Aus der von Ihnen angeführten Vielzahl von geförderten Maßnahmen – Park-and-ride-Anlagen sowie Bike-and-rideAnlagen, ÖPNV-Beschleunigungsmaßnahmen, zentrale Omnibusbahnhöfe, Omnibusbetriebshöfe und Haltestellenanlagen mit besonderem Schwerpunkt im ländlichen Raum – dürfte dann bestimmt gar nichts mehr werden.

Denken Sie doch an die Beispiele, die wir in den letzten Tagen schon gehört haben. Die Stadt Rottenburg hat zum Beispiel ausgerechnet, dass eine Bahnsteigerneuerung im Stadtteil Kiebingen jetzt statt 70 000 € plötzlich 210 000 € kosten wird, weil nämlich dieser Selbstbehalt dazukommen würde. Das bedeutet eine Verdreifachung des kommunalen Anteils. Das ist für eine Gemeinde nicht mehr zu tragen.

Wir haben in Freiburg eine ähnliche Situation bei der Verlängerung der Straßenbahn von Littenweiler in Richtung Kappel. Da geht es um 15,5 Millionen €.

Weitere Beispiele sind die zweite Ausbaustufe der Stadtbahn in Vauban oder die Verwirklichung der Stadtbahnstrecke Friedrichstal–Spöck im Raum Karlsruhe.

Das sind allein die ersten Ergebnisse der letzten Woche, die wir hier gehört haben. Da kommen doch noch etliche Maß

nahmen dazu, die in den Städten und Gemeinden geplant sind.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Da muss man einmal fragen, ob das überhaupt drin wäre!)

Der Flurschaden, den Sie durch die Reduzierung der ÖPNV-Gelder anrichten, ist einfach riesengroß. Das können wir so nicht belassen. Deswegen macht es überhaupt keinen Sinn, heute hier nur schönzureden wie in der Antwort auf diese Große Anfrage.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Meine Damen und Herren, bei der Gestaltung von Mobilität kommt dem öffentlichen Personennahverkehr eine herausragende Rolle zu. Er sichert einen vom Auto unabhängigen Zugang für alle Bevölkerungsgruppen und verursacht pro Person und Kilometer im Schnitt nur ein Drittel der CO2Emissionen des Pkws. Die Verlagerung von Pkw-Verkehr auf den ÖPNV kann damit einen durchaus beträchtlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Das ist ausgerechnet worden. Ich denke, gerade auch unter dem Aspekt des Beitrags für den Klimaschutz dürfen wir beim ÖPNV nicht zum Stillstand kommen, sondern müssen den ÖPNV ausbauen und dafür auch im Landeshaushalt entsprechende Mittel bereitstellen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Palmer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der FDP/DVP ist in der Tat von besonderem, vor allem von historischem Wert, weil sie offenbart, dass das, was die Kollegin Schmidt-Kühner jetzt zutreffend beschrieben hat, bereits vor einem Jahr in der Landesregierung diskutiert und begonnen wurde. Sie offenbart, dass es im Minister selbst – der heute nicht da ist und vertreten wird – und im Ministerium einen inneren Widerspruch gibt, der sich innerhalb der Antwort auf diese Große Anfrage in zwei Aussagen bündelt.

Die eine Aussage lautet: Aus umwelt- und verkehrspolitischen Gründen ist es notwendig, dass die Menschen vom Auto auf den öffentlichen Verkehr umsteigen, und deswegen muss die Angebotsqualität ständig verbessert werden. Die andere Aussage lautet – Zitat Minister Müller –: „Das goldene Zeitalter ist vorbei.“ Diese Aussage wird in der Antwort auf die Große Anfrage so formuliert, dass Angebotsausweitungen in Zukunft überhaupt nur noch punktuell möglich seien.

Dieser offenkundige Widerspruch zwischen der Aussage, Angebotsverbesserungen seien nicht mehr möglich, und der Aussage, Angebotsverbesserungen seien die Voraussetzung dafür, das selbst definierte Ziel, mehr Menschen für den öffentlichen Verkehr zu gewinnen, zu erreichen, wird durch die Antwort auf die Große Anfrage der FDP/DVP ganz wunderbar dokumentiert. Dafür können wir uns bei Ihnen bedanken.

Meine Damen und Herren, in der aktuellen Situation, die von Mittelkürzungen in allen Ressorts und ganz besonders

im Verkehrshaushalt geprägt ist und die zudem durch die Maßnahmen geprägt ist, die von den Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück in einer unglückseligen schwarz-roten Koalition vorbereitet und teilweise auch durchgesetzt wurden, ist es meiner Ansicht nach sinnlos, darüber zu lamentieren, dass wir nicht mehr mit erheblich mehr Geld für den öffentlichen Verkehr rechnen können. Auch ich konzediere, dass dies der Fall ist. Aber wenn das die Voraussetzungen sind, dann müssen wir uns jetzt umso intensiver darum bemühen, mit dem gleichen Betrag, vielleicht sogar mit weniger Geld mehr öffentlichen Verkehr zu realisieren. Dazu möchte ich Ihnen vier konkrete Vorschläge machen.

Der erste Vorschlag, Frau Berroth, heißt schlicht und ergreifend: mehr Wettbewerb.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das habe ich ja auch so vorgetragen!)

Es ist mir bis heute völlig unerklärlich, warum Sie und die CDU-Fraktion sich für mehr Wettbewerb loben, obwohl Sie gerade der DB einen Verkehrsvertrag mit auskömmlichen Preisen bis zum Jahr 2016 zugesichert haben. Man muss sich das vorstellen: bis zum Jahr 2016!

(Abg. Hauk CDU: Das geht schnell vorbei!)

Ihr Argument, dass doch ein Drittel des Verkehrs ausgeschrieben werde,

(Zurufe der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP und Schebesta CDU)

ist eben leider falsch. Denn wenn Sie einmal nachrechnen, wird Ihnen klar, dass die DB 49 Millionen Zugkilometer fährt, dass davon 32 Millionen bis zum Jahr 2016 durch den Verkehrsvertrag abgesichert sind, aber weitere 8 Millionen bereits durch separate Vereinbarungen, sodass gerade noch 9 Millionen Zugkilometer von heute, also vom Jahr 2004, bis zum Jahr 2013 zur Ausschreibung in Wettbewerbsverfahren anstehen. Das heißt, pro Jahr können Sie noch etwa 2 % der Fahrleistung der DB ausschreiben. Das ist lächerlich wenig; das ist beinahe nichts. Über die Laufzeit des Verkehrsvertrags gerechnet, verschenken Sie mit dieser Babylonischen Gefangenschaft, in die Sie sich im Verhältnis zur DB durch Ihren Verkehrsvertrag begeben haben,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Oje!)

etwa 250 Millionen €, die uns für konkrete Angebotsverbesserungen fehlen.