Protokoll der Sitzung vom 10.03.2004

(Ministerpräsident Teufel betritt den Plenarsaal. – Abg. Stickelberger SPD: Teufel kommt!)

Das Präsidium hat die üblichen Redezeiten festgelegt: 40 Minuten Gesamtredezeit, fünf Minuten für die Redner in der ersten Runde und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an diese Zeitvorgabe zu halten.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Drexler.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! CDU und FDP haben der Öffentlichkeit in den letzten Monaten ein erstaunliches Schauspiel geliefert. Sie haben sich in der Steuerpolitik wie im Metzgerladen verhalten, nach dem Motto: „Darf es noch ein Stückchen mehr sein? Geschnitten oder am Stück?“

Im Dezember vergangenen Jahres haben CDU und FDP im Vermittlungsausschuss alle steuerentlastenden Maßnahmen verhindert und der Öffentlichkeit anschließend verkauft:

Jetzt kommen die großen Steuermodelle mit einer großen Entlastung der Bevölkerung, und alles wird ganz einfach.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

Ein besonderer Propagandist darin war Ministerpräsident Teufel, der das Märchen vom Bierdeckel erzählt hat und der gemeinsam mit Paul Kirchhof in der Villa Reitzenstein erzählt hat, was mit dem Kirchhof-Modell alles erreicht werden könne. Er sprach von einer Jahrhundertreform, vergleichbar mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs,

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

und hat die Vorzüge des „Bierdeckelmodells“ gepriesen. Der Ministerpräsident versprach, seinen ganzen Einfluss geltend zu machen, um dem Projekt zum Durchbruch zu verhelfen, und kündigte an, das Kirchhof-Modell gewinne in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion jeden Tag an Raum, während Friedrich Merz gerade an einem anderen Steuermodell bastelte.

Nach Erwin Teufel vollbringt das Kirchhof-Modell wahre Wundertaten: Das Steuerrecht werde so vereinfacht, dass jeder seine Steuerlast auf einem Bierdeckel ausrechnen könne,

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Ein großer Bierde- ckel!)

das Modell sei sozial gerecht, weil die Bezieher höherer Einkommen bei einem festen Steuersatz von – man höre und staune – 25 % ab einem Einkommen von 18 000 € keine steuerlichen Absetzungsmöglichkeiten mehr hätten.

(Abg. Schmiedel und Abg. Ursula Haußmann SPD: Oi!)

Erwin Teufel wörtlich: „Damit ist genügend Progression im Modell.“ Außerdem sei das Kirchhof-Modell weitgehend aufkommensneutral.

(Zurufe von der SPD)

Herr Ministerpräsident, wir haben in den vergangenen Monaten zweimal im Landtag über dieses Thema diskutiert. Sie haben die genannten Thesen immer wieder vertreten, auch die CDU-Fraktion.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Jetzt liegt ein einstimmig verabschiedeter Bericht der Abteilungsleiter der obersten Finanzbehörden des Bundes und aller Bundesländer vor mit dem Titel „Grundlegende Reform des Steuerrechts – Bewertung der verschiedenen Steuerreformkonzeptionen“. Untersucht wurden das Merz-Modell, das CSU-Modell, das FDP-Modell, das Modell von Kirchhof und ein Modell des Steuerrechtlers Lang, das aber inzwischen ausgeschieden ist. Finanzminister Stratthaus hat letzten Donnerstag zu dem Bericht öffentlich erklärt, die Beamten hätten eine gute Arbeit geleistet,

(Abg. Dr. Caroli SPD: Aha!)

die der Politik eine fundierte Analyse über die gegenwärtigen Reformbestrebungen ermögliche. Aufgabe der Politik

werde es nun sein, diesen Bericht zu bewerten. – Damit wollen wir heute beginnen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Das Ergebnis dieser Studie lautet, dass alle Modelle – alle! – erstens zu weiteren dramatischen Steuerausfällen führen und zweitens eine soziale Schieflage zugunsten der oberen Einkommen und zulasten der kleinen und mittleren Einkommen mit sich bringen würden.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Hört, hört!)

Das haben wir immer gesagt; jetzt wurde es von allen Bundesländern festgestellt. Dieser Bericht wurde, wenn ich es richtig verstanden habe, von allen Finanzministern übereinstimmend als Vorlage für die Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen.

Im Ergebnis – und das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen – führt das Kirchhof/Teufel-Modell im ersten Jahr der Wirksamkeit zu Steuerausfällen in der Größenordnung von 42,9 Milliarden €,

(Heiterkeit und Unruhe bei der SPD)

im zweiten Jahr der Wirksamkeit zu Steuerausfällen in der Größenordnung von 31,6 Milliarden €

(Unruhe bei der SPD)

und im dritten Jahr der Wirksamkeit zu Steuerausfällen in der Größenordnung von 21,1 Milliarden €. Das sind in den ersten drei Jahren zusammen also Steuerausfälle in Höhe von 95,6 Milliarden €. 95,6 Milliarden €!

(Zurufe von der SPD: Oi!)

Auf das Land kämen – um die Auswirkungen zu verdeutlichen – Steuerausfälle in Höhe von ungefähr 4 Milliarden € zu, und auf die baden-württembergischen Kommunen kämen Steuerausfälle in Höhe von rund 2 Milliarden € zu. Das ist nicht finanzierbar, Herr Ministerpräsident. Sie haben dieses Modell immer vertreten, und eigenartigerweise vertreten Sie es noch immer, obwohl Sie diesen Bericht kennen. Am vergangenen Montag haben Sie dieses Modell hier in Stuttgart ja wiederum verteidigt.

Dieses Modell würde zu einer dramatischen Umverteilung führen: Die großen Einkommen würden entlastet, und die kleinen würden belastet. Ein Beispiel: Ein Spitzenverdiener mit 500 000 € zu versteuerndem Einkommen – das ist, wie ich gelesen habe, ungefähr das, was der Vorstandsvorsitzende der Rothaus-Brauerei zukünftig bekommt –

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

würde bei diesem Modell nach geltendem Recht jährlich rund 84 000 € Steuern sparen, und bei einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage wären es immer noch rund 58 000 €.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Na prima! – Abg. Scheuermann CDU: Und in der Praxis?)

Genau auf diesen Zwischenruf habe ich gewartet. Vielen Dank! Sie haben jahrelang behauptet, der Spitzensteuersatz

sei zu hoch und müsse gesenkt werden. Jetzt haben wir ihn gesenkt, und jetzt behaupten Sie, den bezahle ja überhaupt niemand, sodass man ihn in dieser Weise überhaupt nicht mehr brauchen würde. Sie müssen sich wirklich für eine Möglichkeit entscheiden: Wird er nun gezahlt, oder wird er nicht gezahlt? Nicht wie es Ihnen passt, Herr Scheuermann. Das geht nicht.

(Beifall bei der SPD)

Ich will zu diesem Kirchhof-Modell noch sagen: Dieses Modell würde bedeuten, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr in der Lage wäre, überhaupt eine Nullverschuldung anzustreben. Bei diesem Modell würden die Stabilitätskriterien nicht eingehalten und würde der MaastrichtVertrag nicht eingehalten. Sie dürfen doch hier im Land nicht immer die Frage aufwerfen, warum die 3-%-Grenze beim Haushaltsdefizit bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt nicht eingehalten werde, wenn Sie ein Steuermodell, das von Krankenschwestern, Polizeibeamten und Facharbeitern bezahlt wird, vorschlagen.

(Beifall bei der SPD – Unruhe bei der CDU)

Genau das ist es! Lesen Sie doch den Bericht! Genau das ist es.

(Beifall bei der SPD)

Ein solches Modell – kalkulierter Staatsbankrott, und bezahlen sollen es die kleinen Leute – wird mit uns nicht zu machen sein. Das wird mit uns nicht zu machen sein!

(Beifall bei der SPD)

Der Herr Ministerpräsident hat in Stuttgart auch noch den französischen Schriftsteller Victor Hugo zitiert:

Es gibt nichts Mächtigeres als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.

Darauf würde ich jetzt mit dem Schriftsteller und Philosophen Hans Lohberger antworten:

Idealisten sind ein Teil jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft.

Vielen Dank.