Protokoll der Sitzung vom 10.03.2004

(Der Redner setzt versehentlich die auf dem Red- nerpult zurückgelassene Brille von Finanzminister Stratthaus auf.)

Das ist gar nicht meine Brille.

(Große Heiterkeit)

Mit dieser Brille kann ich überhaupt nichts lesen. Mit dieser Brille kann man überhaupt nichts sehen.

(Heiterkeit – Minister Stratthaus holt sich seine Brille am Rednerpult ab. – Heiterkeit und Beifall)

Wenn ich durch die Brille des Finanzministers geschaut hätte, hätte ich nichts gesehen. Kein Wunder!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und Abgeord- neten der Grünen – Abg. Dr. Scheffold CDU: Da- mit könnten Sie besser durchblicken!)

Also noch einmal: Bei einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage machen wir mit. Im Steuerrecht ist aber auch die Gerechtigkeit zu berücksichtigen.

Lassen Sie mich noch einmal hervorheben, Herr Finanzminister: Die Bewertung stammt nicht von uns, sondern die Vertreter aller Ministerien haben festgestellt – das steht auf Seite 87 des Berichts –:

Auch dem Auftrag, in besonderer Weise eine familienfreundliche Besteuerung zu gewährleisten, sind die Reformmodelle allesamt nicht nachgekommen.

Diese These stammt nicht von uns, sondern von Ihren Steuerbeamten und den übrigen Steuerbeamten, die das Gutachten erarbeitet haben. Ich zitiere weiter aus dem Bericht:

die Reformmodelle –

werden für sich allein betrachtet kaum zu einer wesentlichen Verschlechterung von Familien gegenüber dem geltenden Recht führen. Eine deutliche, gleichmäßig verteilte Verbesserung ist allerdings ebenfalls nicht zu erkennen.

Bei all den Modellen. Wir beziehen uns auf das, was auf Seite 87 des Berichts steht, der im Grunde genommen von Ihnen weitergeleitet wird. Daher sagen wir einfach: Alle diese Modelle stimmen nicht.

Lassen Sie mich noch etwas zur sozialen Gerechtigkeit von Besteuerung sagen. Einem Facharbeiter mit teilzeitbeschäftigter Ehefrau, zwei Kindern, einem Einkommen von 52 500 € und einem Anfahrtsweg zur Arbeit von 20 Kilometern bleibt nach der letzten Stufe der Steuerreform erheblich mehr Geld, nach dem Merz-Modell würde er 588 €

und nach dem Kirchhof-Modell 1 266 € einbüßen. Das ist einfach eine Berechnung. Das Ergebnis nehmen wir zur Kenntnis. Aufgrund dieses Ergebnisses kann man eigentlich nicht mehr für das Kirchhof-Modell sein.

Ein anderes Beispiel: Eine ledige Oberkrankenschwester mit einem Jahresgehalt von 34 500 € und einem Anfahrtsweg zur Arbeit von 20 Kilometern

(Zurufe von der CDU)

ja, Ihre Modelle muss man doch durchrechnen! – gewinnt nach der Steuerreform der jetzigen Bundesregierung, nach dem Merz-Modell hätte sie aber 339 € weniger und nach dem Kirchhof-Modell sogar 1 010 € weniger.

(Abg. Capezzuto SPD: Um Gottes willen! – Abg. Dr. Caroli SPD: Ja sag einmal!)

Da muss ich sagen: Wenn das die von Ihnen befürworteten Modelle sind, dann erwarten wir jetzt – deswegen haben wir die Debatte beantragt – natürlich auch vom Ministerpräsidenten eine Antwort auf all die Fragen, die in dem Gutachten gestellt sind, die sich im Übrigen beim FDP-Modell und bei dem verkürzten Modell, das CDU und CSU verabschiedet haben, ähnlich stellen.

Also, meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns einmal sagen: Wir haben jetzt eine drastische Steuerentlastung, und zwar um 60 Milliarden € bis zum Jahr 2005, erreicht. Da wird nicht mehr arg viel mehr drin sein. Schauen Sie sich unseren Landeshaushalt an! Das ist einer der wenigen, die überhaupt noch verfassungskonform sind.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig! Letzteres ist richtig!)

4 Milliarden € weniger, das kann niemand verkraften. Wir brauchen eigentlich mehr Geld oder eine Umschichtung, um das, was wir in Baden-Württemberg machen müssen, finanzieren zu können. Wir können keine Polizeibeamten entlassen; wir brauchen teilweise sogar noch mehr Polizeibeamte, als Sie vorsehen. Sie haben 90 Millionen € Forschungsmittel gestrichen; wir brauchen aber mehr Geld als jetzt vorgesehen, um an der Spitze zu bleiben. Wir brauchen für die Ganztagsbetreuung für Kinder bis zu drei Jahren eher mehr als weniger Geld, und deswegen können wir eine dramatische Steuerentlastung nicht zulassen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sozialarbeit!)

Noch einmal: Wir reden mit Ihnen über Steuerentlastungen, wir reden mit Ihnen über ein einfaches Steuerrecht, aber es darf nicht so sein, dass diejenigen, die wenig verdienen, die großen Entlastungen bezahlen. Das darf nicht sein. Ferner muss der Staat auch in Zukunft handlungsfähig sein. Dies ist bei keinem der bisher in der Diskussion befindlichen Modelle gewährleistet. Wenn Sie andere Modelle anbieten, sind wir gesprächsbereit, aber nicht über das Kirchhof-Modell, auch nicht über das Merz-Modell und zurzeit auch nicht über das FDP-Modell.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und Abgeordne- ten der Grünen – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Wir treten in die Mittagspause ein!)

Das Wort erhält Herr Abg. Theurer.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Finanzminister unseres Landes sehr dankbar dafür, dass wir durch seine Ausführungen doch wieder in die richtige Richtung und zu einer sachlichen Basis der Diskussion gekommen sind.

Ich möchte noch einmal kurz die drei Steuervorschläge – FDP-Modell von Solms sowie die Modelle von Merz und Kirchhof – bezüglich der Grenzsteuerstufen vergleichen: Beim FDP-Modell wird ab 7 700 € ein Steuersatz von 15 % angewandt, ab 15 000 € ein Steuersatz von 25 % und ab 40 000 € ein Steuersatz von 35 %. Beim Merz-Modell sind es ab 8 000 € 12 %, ab 16 000 € 24 % und ab 40 000 € 36 %. Das heißt, zwischen diesen beiden Modellen gibt es gar keine großen Unterschiede. Jedenfalls kann man festhalten, dass beim FDP-Modell und ähnlich auch beim Merz-Modell viele Steuerzahler bei einem Grenzsteuersatz von 25 % liegen.

Wenn man das Kirchhof-Modell damit vergleicht und die Stufen des Grenzsteuersatzes zugrunde legt, sieht man, dass auch das Kirchhof-Modell über soziale Ausgleichsbeträge Grenzsteuersatzstufen enthält. Ab 8 000 € werden nämlich 15 % angesetzt, ab 13 000 € 20 % und ab 18 000 € 25 %. Das Kirchhof-Modell unterscheidet sich von unserem Modell insofern, als wir gesagt haben, für Großverdiener mit einem zu versteuernden Einkommen von mehr als 40 000 € sollten höhere Steuersätze gelten als beim Kirchhof-Modell. Darüber kann man sprechen. In jedem Fall ist im FDPModell eine zusätzliche Sozialkomponente enthalten. Ich denke, dass man diese Unterschiede herausfinden kann. Man stellt fest, dass es einige Unterschiede gibt. Das hat natürlich auch einen Einfluss auf das Steueraufkommen und auf die Frage, wie man die Mindereinnahmen, die alle diese Steuersenkungskonzepte zwangsläufig mit sich bringen, gegenfinanzieren kann. Darauf möchte ich mich jetzt in der zweiten Runde konzentrieren. Das ist ja auch eine Frage einer stufenweisen Entwicklung.

Wir brauchen ein neues Steuersystem, das die Steuerzahler und die Investoren überzeugt, in Deutschland zu bleiben oder nach Deutschland zu kommen. Es geht ja auch um ausländische Direktinvestitionen, und es geht einfach auch um die Frage, wie wir uns im Wettbewerb der Volkswirtschaften präsentieren. Deshalb war richtig – das möchte ich deutlich unterstreichen –, was der Finanzminister zu den statischen und dynamischen Berechnungen gesagt hat: Wenn wir ein überzeugendes Konzept einer niedrigeren, einfacheren und gerechteren Steuer haben, dann wird unser Standort attraktiver.

Herr Kollege Drexler, das ist ja genau das Problem: Die Bareis-Kommission hat Anfang der Neunzigerjahre ein Konzept zur Vereinfachung und zur Senkung der Steuern vorgelegt. Dieses Konzept, die Petersberger Beschlüsse, ist damals – das ist die Tragik der Geschichte – leider im Bundesrat gescheitert.

(Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)

Dass Sie in der Bundesregierung dann später die Absenkung des Spitzensteuersatzes, die Sie damals, 1996, abge

lehnt haben, selbst – zwar nicht ganz so weit gehend, aber zumindest in Teilen – vollzogen haben, hat gar nichts mehr gerettet, weil der Exodus aus Deutschland bereits in vollem Gange war. Die Leute gehen weg, weil sie das nicht mehr mitmachen wollten und weil Sie die Absenkung gleichzeitig durch Steuererhöhungen – zum Beispiel im Bereich der Ökosteuer – konterkariert haben. Genau darin liegt Ihr Problem.

(Abg. Drexler SPD: Sie hatten doch 53 % Spitzen- steuersatz!)

Wir hatten in den Petersberger Beschlüssen auch eine deutliche Absenkung des Spitzensteuersatzes vorgesehen.

(Abg. Drexler SPD: Sie haben bis 1998 im Bundes- tag keinen Antrag eingebracht!)

Natürlich nicht. Aber im Bundesrat ist er ja dann gescheitert.

Jetzt komme ich zur Frage der Gegenfinanzierung. Dabei kommen wir zu dem Thema Subventionen. Zum einen ist die FDP bereit, die Bemessungsgrundlage zu verbreitern, also die Möglichkeiten zu verringern, etwas steuermindernd abzusetzen. Das ist der erste, wichtige Punkt der Gegenfinanzierung. In unserem Gesetzentwurf ist die Möglichkeit, die Bemessungsgrundlage zu verringern, deutlich eingeschränkt worden. Wir haben als einzige Fraktion schon einen konkreten Gesetzentwurf im Bundestag eingebracht.

Zum Zweiten: Wir sind bereit, die Subventionen auf den Prüfstand zu stellen. Dazu sollten wir eigentlich hier in Baden-Württemberg über alle Fraktionsgrenzen hinweg einer Meinung sein. Wohin laufen denn die Bundessubventionen? Darin sind die Subventionen für die Steinkohle, für die Kohle allgemein und für die Werften enthalten.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

In anderen Bundesländern werden nicht wettbewerbsfähige Strukturen aufrechterhalten.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir finanzieren das Ganze, meine Damen und Herren. Baden-Württemberg ist doch überhaupt kein Profiteur von diesen Subventionen. Was wäre eigentlich gewesen, wenn Baden-Württemberg für die notleidende Textilindustrie auf der Schwäbischen Alb die gleichen Subventionen bekommen hätte wie Nordrhein-Westfalen für völlig unrentable Arbeitsplätze im Kohlebergbau?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Dann hätten wir heute auf der Schwäbischen Alb noch etliche Arbeitsplätze, aber die Textilindustrie wäre trotzdem nicht wettbewerbsfähig, und der Staat wäre noch ein Stück weit stärker verschuldet. Deswegen fordere ich die SPD in Baden-Württemberg auf, endlich auch ein klares Wort zum Abbau der Kohlesubventionen und zum Abbau der Werftsubventionen zu sprechen.

(Abg. Schmid SPD: Wie war das vor 1998 mit der Kohle?)

Weniger Staat, meine Damen und Herren, mehr private Strukturen, dann können Sie auch die Steuerreform, wie sie die FDP vorgelegt hat, gegenfinanzieren.