Protokoll der Sitzung vom 31.03.2004

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

a) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Innenministeriums – Konzeption zur Verwaltungsreform für ein zukunftsfähiges Baden-Württemberg – Drucksache 13/1722

b) Große Anfrage der Fraktion GRÜNE und Antwort der Landesregierung – Reform der Verwaltungsstrukturen in Baden-Württemberg; hier: Reformkonzept der Haushaltsstrukturkommission – Drucksache 13/2013

c) Große Anfrage der Fraktion der SPD und Antwort der Landesregierung – Zukunft der baden-württembergischen Versorgungsverwaltung – Drucksache 13/2170

d) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Innenministeriums – Optimierung der Lebensmittelüberwachung bei Erhaltung des WKD – Drucksache 13/2280

e) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Innenministeriums – Weitere Maßnahmen der Landesregierung im Rahmen der Verwaltungsreform im Bereich der Polizei – Drucksache 13/2356

f) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Innenministeriums – Übertragung von Aufgaben auf die Kommunen im Rahmen der Verwaltungsreform – Drucksache 13/2505

g) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Innenministeriums – Verwaltungsreform – Zerschlagung der baden-württembergischen Autobahnpolizei – Drucksache 13/2529

h) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Innenministeriums – Verwaltungsreform – Zerschlagung der baden-württembergischen Wasserschutzpolizei – Drucksache 13/2530

i) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Finanzministeriums – Verwaltungsreform – Wie realistisch ist die von der Landesregierung vorgegebene zwanzigprozentige Effizienzrendite? – Drucksache 13/2531

j) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Innenministeriums – Verwaltungsreform – Zerschlagung des baden-württembergischen Wirtschaftskontrolldienstes – Drucksache 13/2532

k) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Staatsministeriums – Beratertätigkeit des Herrn Landrat a. D. Hans Volle für die Landesregierung – Drucksache 13/2544

l) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Umwelt und Verkehr – Verwaltungsreform – Zerschlagung der baden-württembergischen Gewerbeaufsichtsämter – Drucksache 13/2562

m)Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Innenministeriums – Verwaltungsreform – Zerschlagung der baden-württembergischen Forstverwaltung – Drucksache 13/2602

n) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Innenministeriums – Ankündigung gesetzwidrigen Verhaltens des Biberacher Landrats – Drucksache 13/2636

(Stellv. Präsident Birzele)

o) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Innenministeriums – Künftige Besoldung der badenwürttembergischen Landräte – Drucksache 13/2690

p) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Teufel’sche Verwaltungsreform – Verhinderung einer sinnvollen Schulverwaltungsreform – Drucksache 13/2786

q) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Innenministeriums – Anhörungsfrist zum Entwurf des Verwaltungsstruktur-Reformgesetzes – Drucksache 13/2838

Mit aufgerufen sind der Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucksache 13/3076, sowie der Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP, Drucksache 13/3077.

Das Präsidium hat für diesen Tagesordnungspunkt freie Redezeit festgelegt.

Das Wort erhält Herr Abg. Stickelberger.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Innenminister hat mir gerade schon mit dem Finger gedroht.

(Minister Dr. Schäuble: Freundschaftlich zugewun- ken! – Glocke des Präsidenten)

Herr Innenminister, bitte keine Zurufe von der Regierungsbank, auch wenn es schwer fällt.

(Heiterkeit – Abg. Hofer FDP/DVP: Das war kein Zuruf, das war eine Hilfestellung!)

Das belegt die Vormachtstellung des Parlaments.

Ich kann aber nicht verhehlen, Herr Innenminister, dass ich gleichwohl auch Ihnen gegenüber einige Kritikpunkte anzubringen hätte, was die Verwaltungsreform angeht, obwohl Sie selbst damals bei der Geburt dieser Reform nicht mitgewirkt haben. Sie waren in Spaichingen wohl nicht dabei. Gleichwohl sind hier natürlich die wesentlichen Kritikpunkte anzusprechen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verwaltungsreform, wie sie von der Landesregierung initiiert wurde und wie sie jetzt zügig umgesetzt werden soll, beinhaltet als Kernstück die Eingliederung der unteren Sonderbehörden in die Landratsämter und die Zuweisung weiterer Aufgaben an die Landkreise. Wir kritisieren das vom Ansatz her. Wir halten das von vornherein für einen Systemmangel, weil die Reform an die Landkreise anknüpft, also an politische Gebilde, an Körperschaften, die sich primär eigentlich nicht an lokalen und sonstigen Gegebenheiten orientieren, sondern die aus einer politischen Konstruktion entstanden sind.

(Abg. Alfred Haas CDU: Das ist aber ein heftiger Vorwurf gegen die Kreise!)

Herr Schneider, Sie haben doch die Verwaltungsreform, die Kommunalreform damals miterlebt. Sie wissen doch, wie

die Landkreise damals gebildet wurden und dass dabei vieles auch zufällig passiert ist.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU – Gegenruf des Abg. Dr. Caroli SPD: Der Neckar ist nicht weit, Herr Haas!)

In diesem Zusammenhang wird ja immer die Identität der Bürger mit ihren Landkreisen beschworen. Ich will dieses Argument gar nicht gering schätzen. Wichtig ist sicher, dass Identität der Bürger einerseits und staatliches Handeln andererseits in Einklang stehen. Nur: Wir haben ganz erhebliche Zweifel, dass dies für die Landkreise gilt.

Ich sehe jetzt leider den Kollegen Fleischer nicht.

(Zuruf des Abg. Hauk CDU – Abg. Dr. Caroli SPD: Was heißt „leider“? Das „leider“ kann ich nicht teilen!)

Aber wenn ich ihn sähe, würde ich ihm sagen: „Herr Fleischer, schauen Sie sich einmal Ihren Landkreis, Ihren Wahlkreis oder dessen Umgebung an. Dann frage ich Sie: Was hat ein Bürger von Breisach am Rhein oder von Müllheim im Markgräfler Land mit einem Bürger von Hinterzarten oder von Titisee-Neustadt an gemeinsamem Landkreisgefühl?“ Das frage ich mich ernsthaft.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Da liegen 50, 60 Kilometer dazwischen.

Ich glaube, wir müssen realistisch sehen – –

(Abg. Alfred Haas CDU: Sie wollen Regionalkrei- se, also noch größere Kreise! – Abg. Heinz CDU: Wollen Sie kleinere Kreise? – Abg. Hofer FDP/ DVP: Jetzt kommt’s nicht mehr drauf an!)

Herr Haas, jetzt warten Sie doch einmal! Ich weiß, dass Sie immer Schnellschüsse machen. Jetzt warten Sie doch einmal ab!

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Aber schlecht gezielt und noch schlechter getroffen! – Abg. Alfred Haas CDU: So große Kreise wollen Sie!)

Dieser grundsätzliche Systemmangel setzt also am Landkreis an. Dabei wird nicht erkannt, dass die eigentliche Identität der Bürger – ich will dieses Argument wirklich nicht gering schätzen – an der Frage ansetzt: In welcher Stadt, in welchem Dorf wohne ich, und welcher Region gehöre ich an? Das sind die Ansatzpunkte.

(Abg. Schneider CDU: Ach was!)

Von diesem Ansatz her ist der Kreis der völlig falsche Anknüpfungspunkt für eine Strukturreform.

(Beifall bei der SPD)

Ein weiteres Kernstück – jedenfalls habe ich das den Regierungserklärungen entnommen, und so ist es ja auch angedacht – ist die Stärkung der Kommunen. Auch das ist an sich ein recht überzeugendes Anliegen. Wenn Sie sich unser Regionalkonzept anschauen, das wir vor einiger Zeit, schon vor Ihren Verwaltungsreformplänen, vorgestellt ha

ben, erkennen Sie, dass dieses Konzept sehr stark an regionale Bezüge anknüpft. Das wird kompensiert, indem man die Aufgaben und die Verwaltungskraft der Gemeinden stärkt. Dazu ist in Ihrer Konzeption zur Verwaltungsreform eigentlich wenig zu finden. Sie haben zwar auf unsere entsprechende Anfrage einen Katalog von Aufgaben vorgelegt, die man vielleicht auf die Großen Kreisstädte und andere geeignete Gemeinden delegieren könnte, aber ein einleuchtendes Konzept oder eine echte Systemverschiebung zugunsten der Gemeinden können wir darin nicht erkennen. Bei Ihrem Aufgabenkatalog handelt es sich vielfach um einzelne kleine Zuständigkeiten, die Sie verstreut auf die Großen Kreisstädte übertragen, obwohl die Großen Kreisstädte ja bereits jetzt in vielen Bereichen Aufgaben der unteren Verwaltungsbehörde wahrnehmen und das in der Vergangenheit sicher auch mit Erfolg getan haben.

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)

Trauen Sie den Großen Kreisstädten und den Gemeinden doch einfach mehr zu! Diese sind nahe am Bürger dran.