Hier muss man sich natürlich darüber im Klaren sein, dass das Tragen eines Kopftuchs sehr unterschiedliche Signale aussendet. Auch das ist hier im Hause unumstritten.
Das Kopftuch kann aus rein religiösen Motiven getragen werden. Ich halte es für wichtig, den Kopftuchträgerinnen insgesamt nicht zu bestreiten, dass das Kopftuch auch aus rein religiöser Überzeugung getragen werden kann.
Wir müssen uns davor hüten, alle Kopftuchträgerinnen gleich dem islamischen Fundamentalismus zuzurechnen.
Es kann aus rein religiösen Gründen getragen werden, es kann aber auch Ausdruck einer fundamentalistischen Gesinnung sein, mit der die Werteordnung unseres Grundgesetzes abgelehnt wird.
Wegen dieser Mehrdeutigkeit kommt es ja dann zu den unterschiedlichen Konsequenzen. Ich gehe nachher noch einmal darauf ein. Da sehe ich schon einen ganz wesentlichen Unterschied, insbesondere was die muslimischen Kinder betrifft. Denn das ist die entscheidende Frage: Fördern wir die Integration muslimischer Kinder, wenn wir zulassen, dass Lehrerinnen ein Kopftuch tragen? Für die Integration christlicher Kinder ist es, wenn überhaupt, von relativ geringer Bedeutung.
Der wesentliche Unterschied zu anderen religiösen Symbolen besteht doch darin, dass nach dieser zitierten Überzeugung mindestens alle muslimischen Mädchen, wenn nicht sogar vielleicht auch alle anderen Frauen ab Erlangung der Geschlechtsreife ein Kopftuch tragen sollen. Das ist eine Auffassung, die – das hat Frau Ates sehr ausführlich dargelegt – mindestens für alle muslimischen Frauen gilt. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum Tragen christlicher Kleidungsstücke oder sonstiger Symbole. Mit dem Nonnenhabit wird nicht etwa zum Ausdruck gebracht, dass alle Frauen ein Nonnenhabit tragen sollten. Das Kreuz des Diakons bringt nicht zum Ausdruck, dass alle Männer ein solches
Kreuz tragen sollten. Wenn wir uns diesen Hintergrund unter dem Gesichtspunkt einer Integration betrachten, dann sind wir der Überzeugung:
Es dient der Integration mehr, wenn das Kopftuch im Unterricht von Lehrerinnen muslimischen Glaubens nicht getragen wird.
Frau Ates hat ja auch zu Recht darauf hingewiesen, dass die ganz große Mehrheit muslimischer Eltern nicht will, dass Lehrerinnen mit Kopftuch unterrichten. Es war auch interessant, dass bei der Anhörung, an der eine erhebliche Zahl von Muslimen als Zuhörer teilgenommen haben, die weit überwiegende Mehrheit dieser Zuhörergruppe Frau Ates hierin nachhaltig unterstützt hat.
Wenn man also von der Grundentscheidung „Wir wollen kein Kopftuch“ – und letztlich wollen das im Konfliktfall ja auch die Grünen nicht – ausgeht, ist die Frage: Welches ist der richtige Weg?
Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgegeben, ein Landesgesetz zu machen, wenn das Tragen eines Kopftuchs untersagt werden soll.
In diesem Zusammenhang ist gesagt worden, dass wir dann, wenn wir eine solche Regelung träfen, in der Bundesrepublik bedauerlicherweise gegebenenfalls unterschiedliche Verhältnisse hätten. Meine Damen und Herren, das ist unsere Verfassungssituation.
Wir wollen, dass die Länder weiterhin für die Schulen zuständig sind. Da ist die Bekleidungsregel also wirklich eine ganz minimale Regel. Wenn wir also schon für die Schulen zuständig sind, dann sind wir natürlich erst recht für die Regelung einer solchen Frage zuständig. Dass es hier zu unterschiedlichen Formen kommen kann, halte ich für keinen Schaden. Es gibt auch in Nuancen unterschiedliche Schulformen in der Bundesrepublik. Das ist aus meiner Sicht kein Nachteil, sondern gegebenenfalls eher ein Vorteil, weil es dann auch einen Wettbewerb um die besseren Schulformen geben kann und geben muss.
Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass wir gegeneinander abwägen müssen die positive Religionsfreiheit der Lehrkraft, sich zum Beispiel entsprechend ihrer religiösen Überzeugung zu kleiden, die Religionsfreiheit der Kinder, und zwar in ihrem positiven und ihrem negativen Umfang, also sich selbst so zu kleiden, aber auch nicht unnötigerweise mit solchen Dingen konfrontiert zu werden, die Religionsfreiheit der Eltern und den Erziehungsauftrag der Eltern.
Hier muss der Staat sorgfältig abwägen unter Berücksichtigung der verschiedenen Grundrechtspositionen, und zwar – darauf ist zu Recht hingewiesen worden – in einem offenen positiven Prozess, in einem offenen positiven Neutralitätsgebot, nicht in einem laizistischen.
Nun ist die Frage – und deshalb will ich zum Gesetzentwurf der Landesregierung kommen –: Bringt der Gesetzentwurf dies zum Ausdruck? Ich will das Ergebnis vorweg sagen: Ja – das hat ja der Kollege Wintruff schon dargelegt –, wir tragen diesen Gesetzentwurf mit.
Ich will aber zu einigen Punkten etwas sagen, weil – daran zeigt sich eben: sobald die Gesetzesauslegung im Einzelfall beginnt, beginnen die Differenzierungen – nach meiner Auffassung deutlich gemacht werden muss, damit der Gesetzentwurf nicht falsch verstanden wird: § 38 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 haben einen ganz unterschiedlichen Umfang. In Satz 1 wird ausdrücklich gesagt, dass in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnlichen äußeren Bekundungen abgegeben werden dürfen, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern „oder“ den politischen und religiösen Schulfrieden zu gefährden – also nicht „und“. Es muss einerseits die Neutralitätspflicht des Landes beachtet werden und andererseits selbstverständlich der Schulfriede. Die Störung des einen oder des anderen widerspricht dem Gebot, das in Satz 1 zum Ausdruck kommt.
Der Satz 2 regelt den Fall, dass rein religiös motivierte Bekundungen je nach Empfängerhorizont auch andere Botschaften vermitteln können. Beim Kopftuch ist es ja unstreitig so, dass es auch – nicht nur, aber auch – andere Bekundungen vermitteln kann. Deshalb kann bei diesem Gesetzestext kein Zweifel daran bestehen, dass jedenfalls in der gegenwärtigen Situation der Satz 2 Anwendung findet, wenn eine Lehrkraft mit Kopftuch unterrichten will. Ich betone ausdrücklich: in der gegenwärtigen Situation. Wie das in 20 oder 30 Jahren aussieht, kann heute niemand sagen. Auch ein solches religiöses Symbol kann den politischen Bezug völlig verloren haben und schließlich für etwas ganz anderes stehen.
Über den Satz 3 haben wir auch in der Anhörung ausführlich debattiert. Kollege Wacker hat Professor Jestaedt zitiert, der diesen Satz für überflüssig gehalten hat. Juristen sagen dann: Eine überflüssige Gesetzesvorschrift ist eine eher schädliche. Ich meine, es ist sinnvoll, diese Gesetzesvorschrift im Gesetz zu haben. Sie regelt nichts Neues – auch darüber sind wir uns im Klaren. Durch die vorgeschlagene Umformulierung gegenüber der Entwurfsfassung ist klargestellt, dass der Erziehungsauftrag nach der Verfassung entscheidend ist. Niemand von uns will doch bestreiten, dass für jedes Gesetz, das das Schulwesen regelt, der Erziehungsauftrag nach der Verfassung entscheidend ist – übrigens auch der Erziehungsauftrag in Artikel 17 unserer Landesverfassung, wo in Absatz 1 über die Erziehung der Schülerinnen und Schüler steht:
Artikel 17 – deshalb habe ich Absatz 1 vorgelesen – wird nicht ausdrücklich zitiert, aber niemand von uns wird bestreiten, dass das selbstverständlich eine verpflichtende Rechtsnorm in der Schule ist. Es ist aber dennoch sinnvoll, diesen Verfassungsauftrag im Gesetz zu erwähnen, um deutlich zu machen, welche Zielsetzung wir verfolgen.
Deshalb will ich hier auch ganz deutlich sagen: Dieser Satz enthält kein Privilegium Christianum. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon vor 28 Jahren in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 1975 dargelegt, einer Entscheidung, die auch bei dem Urteil vom Herbst letzten Jahres eine ganz wesentliche Rolle gespielt hat. Sie ist ja mehrfach zitiert worden. Da wird unter anderem ausgesagt, dass Artikel 17 der Landesverfassung eine wichtige Rolle bei der Auslegung anderer Schulartikel in der Landesverfassung von Baden-Württemberg spielt, also der Artikel 12, 15 und 16.
Nun will ich vorlesen, was das Bundesverfassungsgericht dazu geäußert hat, denn dann wird klar, dass diese Verfassungsbestimmungen kein Privilegium Christianum enthalten. Es heißt hier auf Seite 63 im 41. Band:
wird durch Artikel 17 der Verfassung von Baden-Württemberg noch verstärkt. Es verhindert ein Absolutsetzen christlicher Glaubensinhalte außerhalb des Religionsunterrichts, ebenso wie es eine angemessene Mitberücksichtigung anderer religiöser und weltanschaulicher Auffassungen gewährleistet, für welche die Schule offen zu bleiben hat.
Auch das ist eine wichtige Botschaft an Migrantinnen und Migranten. Wir sind für ihre Religion offen.
„Christlich“ bezeichnet hier nicht einen auf die christliche Glaubenslehre ausgerichteten Unterricht in den Profanfächern. Nach dem Lehrverständnis der christlichen Kirchen lassen sich ohnehin die christlichen Konfessionen nicht zu einer gemeinsamen Lehre vereinigen.
Die Bejahung des Christentums bezieht sich in erster Linie auf die Anerkennung des prägenden Kultur- und Bildungsfaktors, nicht auf die Glaubenswahrheit, und ist damit im oben beschriebenen Sinn auch gegenüber Nichtchristen durch die Geschichte des abendländischen Kulturkreises gerechtfertigt.
Das Miteinander mit Andersgesinnten bedeutet nicht Verleugnung der eigenen Überzeugung. Es bietet vielmehr die Chance zur Erkenntnis und Festigung des eigenen Standpunkts und zur Toleranz, die sich nicht als nivellierender Ausgleich, sondern als Anerkennung der Freiheit der Persönlichkeit versteht.
Meine Damen und Herren, diese Zitate aus der damaligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der die Artikel 12, 15 und 16 unserer Landesverfassung, die wir nun im Gesetz zitieren, für verfassungskonform im Sinne des Grundgesetzes erklärt wurden, sind wichtig bei der Auslegung der vorgesehenen Fassung von § 38 Abs. 2 Satz 3 des Schulgesetzes. Sie bedeuten, wie Herr Professor Jestaedt in der Anhörung ausgeführt hat, dass die säkularisierten Werte des Christentums damit dargestellt werden können und sollen, dass aber die spezifisch religiösen Inhalte davon nicht umfasst sind.
Ich komme gleich darauf zurück. – Ich hätte es begrüßt, wenn wir eine enge Ausnahmeregelung gefunden hätten –