Bekundungen von Lehrern, die unseren zentralen Verfassungswerten widersprechen, dürfen wir an unseren Schulen auf gar keinen Fall zulassen. Wenn es um die Verteidigung der Menschen- und Freiheitsrechte, der Gleichberechtigung der Frau und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geht, können und dürfen wir keine falschen Kompromisse eingehen.
Dies ist der zentrale Punkt für das Kopftuchverbot. Wenn irgendwann in der Zukunft das Kopftuch nicht länger als politische Aussage, die gegen unsere Verfassung verstößt, gewertet werden müsste, würde natürlich der Grund für das Kopftuchverbot wegfallen.
Unzweifelhaft ist das Kopftuch ein religiöses Symbol. Deshalb ist ein Kopftuchverbot ein Eingriff in die vorbehaltlos gewährte positive Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes. Aber im Gegensatz zu laizistischen Staaten sprechen wir kein umfassendes Kopftuchverbot aus. Wir er
lauben das Tragen des Kopftuchs den Schülerinnen in der Schule; im öffentlichen Raum ist es ohnehin erlaubt. Durch dieses Gesetz soll nur der Lehrkraft – und dieser ausschließlich in der Schule und im Unterricht – eine Bekundung oder ein äußeres Verhalten untersagt werden, welches bei Schülern oder Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass die Lehrkraft gegen die Menschenwürde und die Freiheit auftritt. Dabei ist die abstrakte Gefahr einer solchen Bekundung für uns ausreichend.
Das Bundesverfassungsgericht stellt es in die Dispositionsfreiheit des Landesgesetzgebers, insoweit und in Abwägung zu anderen Rechtsgütern die Religionsfreiheit der Lehrkraft einzuschränken. Diese anderen Rechtsgüter überragen nach unserer Auffassung in der Summe die Rechtsposition der Lehrkraft. Es wurde schon gesagt: Die beamtete Lehrkraft ist Amtswalter. Ihr kann das Tragen eines Kopftuchs als staatliche Äußerung zugerechnet werden. Der Amtswalter ist, wie es Professor Kirchhof in der Anhörung gesagt hat, nicht zur Selbstverwirklichung, sondern in jedem Fall zur Verwirklichung des Staatswillens da.
Die Grundrechtspositionen der Kinder, zumal der schulpflichtigen Kinder, sollten im Zweifelsfall den Grundrechten der Lehrer vorgehen. Die Schule ist für die Schüler da. Hier ist auch der Verfassungsauftrag des Artikels 16 der Landesverfassung zu beachten, wonach in den christlichen Gemeinschaftsschulen die Kinder auf der Grundlage christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte erzogen werden müssen.
Hinzu tritt das Elternrecht nach Artikel 6 des Grundgesetzes. Kinder haben ein Recht darauf und die Eltern müssen darauf vertrauen können, dass die Erziehung in der Schule in jeder Hinsicht auf dem Boden unserer Verfassung erfolgt. Die Eltern haben nach Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes geradezu die Pflicht, gegen derlei Gefahren, auch wenn sie nur abstrakt sind, vorzugehen.
Weil dies ein für die Grundrechtsverwirklichtung wesentlicher Eingriff ist, muss die Legislative den Ausgleich von Grundrechtspositionen und Verfassungsgütern selbst schaffen. Jeder Abgeordnete, der darüber klagt, wir würden zu einem reinen Jurisdiktionsstaat, und jeder, der darüber stöhnt, die Exekutive habe zu viel Macht, muss hier die wesentlichen Entscheidungen selbst treffen. Insoweit ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch zu begrüßen.
die Abwägung von Grundrechtspositionen den Schulen und den Behörden überlassen wollen und meinen, derlei Probleme könnten am runden Tisch bewältigt werden. Schulen können diese Entscheidung nicht treffen. Sie wären damit überfordert.
Mit einem „Kopftuchgesetz“ wird unsere Verantwortung nicht geringer. Gerade das Toleranzgebot als Ausdruck der Menschenwürde ist Aufgabe und Verpflichtung allen staatlichen und erzieherischen Handelns. Wir müssen den Ausgleich im Hinblick auf die Spannungen suchen, die bei der gemeinsamen Erziehung von Kindern unterschiedlicher Weltanschauungen und Glaubensrichtungen unvermeidbar sind.
Mit diesem Gesetz nehmen wir keine Neubestimmung der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates vor. Unsere Haltung ist nicht auf eine strikte Trennung von Kirche und Staat gerichtet, sondern bleibt eine offene und übergreifende Haltung, die die Glaubensfreiheit aller Bekenntnisse gleichermaßen fördert. Es ist nicht die Motivation dieses Gesetzes, angesichts wachsender kultureller, religiöser und weltanschaulicher Vielfalt in unserem Land und an unseren Schulen mit einer strikteren Zurückdrängung jeglicher religiöser Bezüge zu antworten.
Die Religionen und die Religionsfreiheit sollen im Prinzip ihren Stellenwert in unserem Land behalten. Gerade deshalb begrüßen wir auch den Einsatz des Ministerpräsidenten im Europäischen Konvent für einen Gottesbezug in der europäischen Verfassung.
Das Erlernen eines toleranten Miteinanders der Religionen wird auch als Erziehungsziel immer wichtiger. Wir halten also an den Grundentscheidungen über die Art und Form des politischen Zusammenlebens in unserem Land fest und damit auch an den Kulturwerten, die prägend sind für unser Land, für unsere Identität und die Werte unserer Verfassung.
Wir bekennen uns zu dieser Tradition und wollen sie fortführen. Deshalb wäre es für uns unvorstellbar, wenn einer Nonne verboten würde, in ihrem Ordensgewand an einer öffentlichen Schule zu unterrichten. Die lehrende, Bildung vermittelnde, zu persönlicher Freiheit ertüchtigende Ordensfrau oder der Mönch gehören seit über einem Jahrtausend zu unserer Kultur, aus der unsere Grundrechte erwachsen sind. Im Übrigen würde eine Gleichsetzung des Ordensgewands als religiöses Symbol mit dem Kopftuch der Mehrdeutigkeit des Kopftuchs nicht gerecht.
Bleibt die Frage: Exerzieren wir mit diesem Gesetz den „clash of cultures“, wie es Professor Mahrenholz in der Anhörung an die Wand gemalt hat? Ich glaube, nein. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist eine Passage enthalten, die man noch diskutieren muss. Es wird gesagt, von Muslimas würde das Kopftuch auch getragen, um in einer Diasporasituation die eigene Identität zu bewahren, um auf die Tradition der Eltern Rücksicht zu nehmen und sich damit selbstbestimmt zu integrieren.
Ich glaube, dass dies das klassische Missverständnis der Diasporasituation ist, wie wir es auch bei deutschen Auswanderern im Ausland noch nach Jahrhunderten feststellen können: Man igelt sich ein, man schottet sich ab, man rottet sich zusammen und nimmt damit selbst nicht mehr an der Weiterentwicklung des eigenen Volkes teil, wie sie im Mutterland stattfindet. Durch Abgrenzung würden viele Muslime und Muslimas für uns immer fremdartiger; so erleben
wir den Islam als verschlossen, abwehrend und fremd. Vermehrte Abgrenzung ist kein Rezept für die Verständigung der Kulturen; die Parallelgesellschaft ist in der Tat der falsche Weg. Das Kopftuch, das getragen wird, um die Diasporasituation zu bewältigen, leistet weder einen Beitrag zur Integration noch einen Beitrag zur Verständigung der Kulturen und der Religionen.
Wir stimmen diesem Gesetzentwurf der Landesregierung zu, weil wir glauben, dass der darin vorgesehene Weg richtig ist und dass die Verfassungspositionen damit in einem angemessenen Verhältnis zueinander abgewogen sind.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe bei der Ersten Beratung gesagt, dass diese neuen gesetzlichen Bestimmungen zwar in Baden-Württemberg nur eine einstellige Zahl von Lehrkräften und in der Bundesrepublik vielleicht 40 oder 50 Lehrkräfte betreffen, dass wir aber dessen ungeachtet in diesem Zusammenhang eine wichtige Debatte über unser Grundverständnis, über unser Verfassungsverständnis führen. Deshalb ist es außerordentlich erfreulich, dass sich der Landtag in der Ersten Beratung, in einer öffentlichen Anhörung und in zwei ausführlichen Ausschusssitzungen sehr eingehend mit dieser Problematik befasst hat und sie auch heute sehr eingehend behandelt. Wünschenswert wäre, dass auch bei anderen wichtigen Gesetzen manchmal eine ähnliche Sorgfalt geübt würde.
Meine Damen und Herren, meine Vorredner haben angedeutet, dass die aufgeworfenen Fragen schwierig sind. Dass es nicht eine einheitliche, alle überzeugende Lösung geben kann, ist bei der Kompliziertheit der Materie auch selbstverständlich. Deshalb wird es nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs der Landesregierung auch von denjenigen, die ihn unterstützen, gegebenenfalls unterschiedliche Interpretationen der einzelnen Bestimmungen geben. Denn man muss sich über eines im Klaren sein: Wir machen nicht ein eindeutiges Gesetz, das nicht mehr auslegungsfähig wäre. Wir schreiben ja nicht im Gesetz: „Das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht ist untersagt“, sondern wir treffen eine generell-abstrakte Regelung. Alle Juristen wissen, dass sich nach Verabschiedung einer solchen Regelung trefflich darüber streiten lässt, was darin jeweils mit einbezogen und was ausgeschlossen ist.
Herr Kretschmann hat eine wichtige Frage gestellt; sie ist sozusagen die Vorfrage, die wir beantworten müssen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat ja – egal, wie man zu diesem Urteil steht, man muss es akzeptieren – der Landesgesetzgeber die Entscheidung zu treffen.
Der Landesgesetzgeber muss also, bevor er an die Gesetzesberatung und die Gesetzesformulierungen herangeht, eine politische Entscheidung treffen: Will er unterschiedslos
akzeptieren, dass beispielsweise religiöse oder auch mehrdeutige Symbole in den Schulen uneingeschränkt getragen werden können, oder will er dies nicht?
Ich stelle fest – ich will noch einmal das aufgreifen, was Sie, Herr Kretschmann, gesagt haben –: Für den Landtag von Baden-Württemberg ist klar, dass er sich als Landesgesetzgeber dieser Aufgabe stellt. Wir alle sind übereinstimmend der Auffassung: Wenn es Konflikte an Schulen gibt, muss die positive Religionsfreiheit der Lehrkraft zurücktreten. Das enthält auch Ihr Gesetzentwurf, der Gesetzentwurf der Grünen, denn er führt letztlich – das haben wir auch in der Anhörung noch einmal artikuliert – dazu,
dass sich dann, wenn ein Konflikt nicht lösbar ist, die Lehrkraft der Anweisung, beispielsweise das Kopftuch abzulegen, fügen muss. Wenn sie sich nicht fügen will, ist sie gegebenenfalls aus dem Dienst zu entlassen.
Wir stellen uns der Aufgabe. Die Frage ist, in welcher Form wir den Konflikt lösen wollen. Dazu gibt es diese zwei unterschiedlichen Vorgehensweisen. Vorweg will ich auch noch einmal sagen, dass das Entscheidende ist, ob wir die Integration durch unsere Entscheidungen fördern oder nicht. Dabei haben wir unterschiedliche Auffassungen über den zu beschreitenden Weg. Deshalb will ich noch etwas dazu sagen, was aus unserer Sicht die Botschaft bei der Integration sein muss.
Erstens fordern wir von allen Migrantinnen und Migranten ein unzweideutiges Bekenntnis zu unserer freiheitlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen Grundordnung.
Zweitens fordern wir – auch das will ich in aller Deutlichkeit sagen – keine Assimilation, sondern Migrantinnen und Migranten können selbst entscheiden, wie sie sich auch unter voller Wahrung ihrer kulturellen Identität integrieren. Ich glaube, das ist hier im Hause unumstritten.
Drittens ist es für alle Staaten selbstverständlich, im jeweils typisch staatlichen Bereich Sonderregelungen zu treffen. Diese betreffen Deutsche ebenso wie Migrantinnen und Migranten. Auch Deutsche müssen sich den Normen und Einschränkungen fügen, die ein besonderes Gewaltverhältnis mit sich bringen.
Deshalb stellt sich hier natürlich schon die Frage – vereinfacht ausgedrückt; das Kopftuch war ja Anlass für die ganze Gesetzesberatung –: Fördern wir die Integration unter diesen Zielvorgaben, wenn wir Lehrerinnen mit Kopftuch, jedenfalls zunächst einmal, in der Schule zulassen, oder behindern wir sie eher? Da war doch sehr entscheidend und interessant, was bei der Anhörung Frau Ates zu diesem Problem ausgeführt hat. Sie ist von den Kollegen Wacker,
Wintruff und Kleinmann mit ihren Ausführungen während der Anhörung zitiert worden. Ich will deshalb nur noch einmal auf einen Gesichtspunkt hinweisen, der von ihr unter Bezugnahme auf eine Veröffentlichung des deutschsprachigen Muslimkreises Karlsruhe „Warum tragen muslimische Frauen ein Kopftuch?“ ausgeführt wurde. Da heißt es:
Grundlage für diese Regelungen ist die Koranstelle 24:31 sowie ein Ausspruch des Propheten Muhammad, nach dem von einer Frau nichts außer Gesicht und Händen zu sehen sein soll.
Die obigen Bekleidungsvorschriften gelten in Anwesenheit fremder Männer, das heißt Männer, mit denen die Frau theoretisch eine Ehe eingehen könnte.
Das ist die Grundlage dieses persönlich empfundenen Gebots, ein Kopftuch zu tragen, soweit es nur religiös motiviert ist.