Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

Deswegen ist unser Gesetzentwurf klar bestimmt. In einem Konfliktfall, wobei allerdings eine angemessene Verhältnismäßigkeit herrschen muss, muss die Religionsfreiheit der Lehrerin zurücktreten. Dafür machen wir einen Verfahrensvorschlag, wie das in solchen schwierigen Fällen üblich ist und wie es auch im bayerischen Kruzifixurteil und in den nachfolgenden Gesetzen bestimmt ist, der das regelt. Insofern erfüllt unser Gesetzentwurf den Bestimmtheitsgrundsatz. Jeder Lehramtsbewerber und jede Lehramtsbewerberin weiß, was ihn bzw. sie erwartet, wenn er bzw. sie in den Schuldienst geht.

Herr Professor Jestaedt hat das noch einmal verschärft und gesagt: Wir bringen beide Gesetzentwürfe zusammen und machen ein allgemeines Verbot, aber mit Erlaubnisvorbehalt im Einzelfall, wenn die Bewerberin eindeutig nachweisen kann, dass sie mit Fundamentalismus nichts am Hut hat und dass sie das Kopftuch aus rein religiösen Gründen trägt. Damit ist man, finde ich, der großen Mehrheit im Hause weit entgegengekommen. Uns ist es durchaus schwer gefallen, dieses Angebot zu machen, weil es ja dem Bewerber die Beweislast auferlegt. Aber ich frage mich: Wieso konnten Sie dem als große Mehrheit dieses Hauses nicht folgen? Das hätte die Probleme, die wir haben, gelöst. Es wäre verfassungskonform gewesen, wir hätten uns alle noch irgendwie darin wieder gefunden, und es wäre wenigstens ein Fenster der individuellen Beurteilung offen gewesen, was wir schon aus verfassungsrechtlichen Gründen für unabdingbar halten. Selbst früher war das so. Selbst den Lehramtsbewerbern, die aus kommunistischen Organisationen kamen und denen gegenüber man zu Recht den Vorbehalt hatte, dass sie nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, hat man die Chance gegeben, in einem Anhörungsverfahren nachzuweisen, dass sie doch auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Viele, darunter auch ich, haben so den Weg in den Schuldienst doch geschafft.

Ich glaube deswegen, wenn man das zusammenfasst, dass ein Gesetzentwurf, der erstens das Gleichbehandlungsgebot verletzt und zweitens völlig von einer individuellen Beurteilung absieht und damit die Grundrechtsposition der Lehramtsbewerberin völlig außen vor lässt und überhaupt nicht berücksichtigt, so, wie Sie das machen, nicht grundgesetzkonform ist.

Im zweiten Teil möchte ich noch auf die politische Bewertung der Gesetze eingehen. Da stellt sich die Frage: Sind diese Gesetze integrativ oder nicht? Die Bundesrepublik ist ja – nach vielen Jahren Streit wird das von allen politischen Richtungen anerkannt – ein Einwanderungsland, auch wenn Sie von der Union selbstverständlich nach wie vor sagen dürfen, sie sei kein klassisches Einwanderungsland. Die Bundesrepublik ist aber ein Einwanderungsland. Das wird jetzt allgemein anerkannt. Jetzt ist die Frage, welche Botschaft wir in einem solchen Konfliktfall an die Einwanderer aussenden sollen. Ich finde, wir sollten zwei wichtige Botschaften an sie aussenden.

Die erste Botschaft heißt: Alle, die nach Deutschland eingewandert sind und noch einwandern dürfen oder denen wir Asyl gewähren, sind in eine Demokratie eingewandert oder wandern in eine Demokratie ein, deren Freiheitsrechte sie ohne Ansehen der Person, der Hautfarbe, der Herkunft oder des Glaubens haben. Also stehen ihnen alle Freiheitsrechte wie jedem anderen zu. Solange sie nicht in die Freiheitsrechte anderer eingreifen, also solange sie die Freiheitsordnung bejahen, so lange sind sie hier willkommen, und wir erhoffen von ihnen oder wenigstens einem Teil von ihnen, dass sie sich für diese Freiheitsordnung engagieren, darin engagierte Bürger werden.

Die Religionsfreiheit als ein ganz grundlegendes, uneingeschränktes und im Lauf der Geschichte schwer erkämpftes Recht steht da ganz zuvorderst. Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der freie Zugang zu öffentlichen Ämtern nach Leistung, Eignung und Befähigung betrifft sie genauso wie jeden anderen. Niemand muss in irgendeiner Weise bei seiner religiösen Haltung Abstriche machen, solange er sich auf dem Boden unserer Verfassungsordnung bewegt. Der Zugang zu öffentlichen Ämtern steht jedem zu, der diese Grundbedingungen erfüllt. Dieses Signal geht ganz klar von unserem Gesetzentwurf aus.

Der erste Satz einer Freiheitserziehung an der Schule heißt deshalb: „Fälle niemals Pauschalurteile. Betrachte immer den Einzelnen.“

(Beifall bei den Grünen)

Das ist der erste und oberste Grundsatz einer Freiheitserziehung an der Schule: Niemand kann für einen anderen in Kollektivhaftung genommen werden. Das macht den Kern einer liberalen Demokratie überhaupt erst aus.

(Abg. Hauk CDU: Das erfordert aber eine Gewis- sensprüfung, die Sie nicht machen!)

Welche zweite Botschaft sollten wir aussenden? Die zweite Botschaft, die wir gegenüber den Einwanderern aussenden sollten, heißt: Die Bundesrepublik Deutschland ist eine freiheitliche und zugleich eine wehrhafte Demokratie. Jemand, der die Grundwerte unserer Verfassung nicht aktiv vertritt, kann nicht Lehrer oder Lehrerin werden, und zwar unabhängig davon, ob er Kleidungsstücke von religiöser Symbolik trägt oder nicht. Ich finde, wir sollten jetzt nicht so tun, als seien potenzielle Kopftuchträgerinnen das Hauptproblem, das wir in der Auseinandersetzung mit Islamismus und Fundamentalismus haben. Davon kann doch ernsthaft keine Rede sein.

(Beifall bei den Grünen)

Ich frage Sie: Was machen Sie eigentlich mit islamistischen Männern? Was machen Sie eigentlich mit denen? Es ist ja bekannt, dass Fanatismus doch in erster Linie und zum großen Teil eine Männerangelegenheit ist.

(Beifall bei den Grünen – Widerspruch des Abg. Stickelberger SPD)

Niemand kann bestreiten, dass politischer Extremismus immer von Männern ausgeht. Wir haben es im Landtag bei den Republikanern gesehen, bei denen es in der ganzen Fraktion keine einzige Frau gab.

(Zurufe der Abg. Wintruff SPD und Kleinmann FDP/DVP)

Das ist das zweite Signal. Unser Vorschlag einer Individualbeurteilung trägt dem Rechnung. Nur wer das Kopftuch aus religiösen Gründen trägt, hat Zugang zu öffentlichen Ämtern. Einer Frau, die es aus islamistischen Gründen trägt, bleibt dieser Zugang verwehrt.

Die Anhörung hat doch ergeben, dass wir bedenkliche Tendenzen an unseren Schulen feststellen müssen, nämlich erstens gravierende Sprachprobleme – die dritte Generation der Einwanderer spricht oft schon schlechter Deutsch als die zweite Generation. Zweitens sehen sich Schülerinnen, ob mit oder ohne Kopftuch, einem erheblichen Gruppendruck ausgesetzt, zum Beispiel durch männliche Mitschüler, die sie unter Druck setzen. Oftmals müssen sie das Kopftuch auch deshalb tragen, weil von zu Hause aus Zwang ausgeübt wird. Das sind die wirklichen Probleme und die sich daraus ergebenden Konflikte.

Außerdem haben wir das gravierende Problem, dass immer mehr islamische Kinder vom Regelunterricht abgemeldet werden, etwa vom Schwimmunterricht oder von Teilen des Biologieunterrichts, und dass sie nicht an außerunterrichtlichen Veranstaltungen teilnehmen dürfen. Das sind die wirklichen Probleme, die in der Anhörung geschildert worden sind.

Was bedeutet das? Ist die Schule mit diesen Problemen überfordert? Zum Teil trifft das offensichtlich zu. Die Schule ist also nicht mit den wenigen Kopftuchträgerinnen, die es vielleicht in Zukunft geben wird, überfordert, sondern sie ist offensichtlich etwas überfordert, wenn es darum geht, mit diesen gravierenden Problemen zurechtzukommen. Ich will damit sagen: Ihr Argument, unser Gesetz überfordere die Schulen, ist nicht besonders stichhaltig. Denn offensichtlich reagieren die Schulen ebenso wie auch wir als Gesetzgeber nicht richtig auf das, was an den Schulen in diesen Fragen wirklich los ist.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Wacker CDU: Wa- ren Sie nicht in Urbach?)

Wir müssen uns im Gegenteil ernsthaft überlegen, ob wir nicht zum Beispiel die Schulpflicht verschärfen müssten. Es kann nicht angehen, dass sich immer mehr Schüler aus irgendwelchen Gründen vom Regelunterricht abmelden. Dem müssen wir einen Riegel vorschieben. Wie soll die Schule noch integrieren, wenn wir so etwas zulassen?

(Beifall bei den Grünen)

Das ist zwar schwierig, aber ich glaube, dass wir da herausgefordert sind.

Oder: Es bilden sich doch schon Parallelgesellschaften. Wir haben doch gehört, dass in Moscheen teilweise zu Hass aufgestachelt wird, dass dort Reden gegen die freiheitliche Grundordnung gehalten werden, dass dort sogar zum „heiligen Krieg“ aufgerufen wird. Wann schließen wir endlich einmal eine Moschee, in der solche Predigten gehalten werden?

(Abg. Wieser CDU: Hört, hört! – Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Capezzuto: Jetzet! Er will beides!)

Ich frage: Was geschieht eigentlich an den Koranschulen, meine Damen und Herren? Das sind die wirklichen Probleme, die wir haben.

Was folgere ich daraus? Das, was wir vorsehen, ist richtig. Warum? Wenn wir es in einer Schule, in einem geordneten Gemeinwesen nicht schaffen, Menschen zu integrieren, wo sollen wir es dann eigentlich schaffen?

(Abg. Schmid SPD: Wenn es konkret wird, dann weichen Sie aus!)

In einem durch Regeln geordneten Raum, mit klaren gesetzlichen Regelungen, mit der sozialen Kontrolle, die an einer Schule besteht, ist Integration zu schaffen.

(Abg. Schmid SPD: Fangen wir einmal mit dem Kopftuch an!)

Ich glaube, die wirklichen Herausforderungen bestehen darin, einerseits ein klares Angebot zur Integration in unseren staatlichen Schulen zu machen, andererseits ein stärkeres Augenmerk darauf zu richten, was in den sich anbahnenden Parallelgesellschaften geschieht. Da muss sich die Demokratie wehrhaft zeigen.

(Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Ursula Haußmann: Ja was jetzt?)

In der Schule dagegen muss sie sich liberal zeigen. Ich glaube, genau das ist der Gegensatz. – Ich freue mich über die Unruhe, die meine Aussagen verursacht haben. Denn ich finde, durch die ganze Diskussion wird das Tragen eines Kopftuchs sehr hoch gehängt, und man schaut an den wirklichen Problemen vorbei.

Ich finde, dass unser Gesetzentwurf deswegen die richtigen Signale aussendet,

(Abg. Wintruff SPD: Die Katastrophe!)

nämlich die Signale von Toleranz, von Integration

(Zuruf des Abg. Schmid SPD)

und auch von Werteverteidigung, ohne die unser Gemeinwesen nicht bestehen kann. Deswegen glaube ich, dass wir den richtigen Weg gegangen sind, auch wenn es mir persönlich während der ganzen Auseinandersetzung des letzten halben Jahres etwas wehgetan hat, dass wirkliche offensive Liberalität so wenig Anhänger hat.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Schmid SPD: Dann, wenn es konkret wird, werdet ihr schwach!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Mack.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Frage, die wir gerade behandeln, besteht in diesem Haus in wichtigen Teilen große Einigkeit. Dies ist umso erfreulicher, als es um zentrale Rechtsfragen, um die Abwägung von zentralen Grundrechtspositionen und wichtigen Verfassungsgütern, geht.

Wir müssen der Verwaltung und den Gerichten eine klare Willensentscheidung des Parlaments an die Hand geben. Insbesondere sind alle Fraktionen dieses Parlaments der Überzeugung, dass im Kopftuch auch ein politisches Symbol gesehen werden muss, wie es Frau Ministerin Schavan formuliert hat.

Auch das Bundesverfassungsgericht räumt ein, im Kopftuch werde in jüngster Zeit verstärkt ein politisches Symbol des islamischen Fundamentalismus gesehen, das die Abgrenzung zu Werten der westlichen Gesellschaft wie individuelle Selbstbestimmung und insbesondere Emanzipation der Frau ausdrückt. Es hält deshalb ein Gesetz für möglich, welches das Tragen eines Kopftuchs generell verbietet. Diese Möglichkeit wollen wir nutzen.

Zur Wertung des Kopftuchs auch als politisches Symbol führte der Kollege Wintruff im Rahmen der Ersten Beratung zutreffend aus:

Der Zwang zur Verhüllung, dem Millionen muslimischer Frauen ausgesetzt sind, das Züchtigungsrecht des Ehemanns und das Recht, die Ehefrau zu verstoßen, sind für islamistische Fanatiker erstrebenswerte Ziele ihres missionarischen Tuns auch bei uns.

Diesen fundamentalistischen islamischen Kräften

so führte er weiter aus, sei das Kopftuch –

ein Symbol zur Durchsetzung eines mit unserem Grundgesetz unvereinbaren Frauenbilds.

Bekundungen von Lehrern, die unseren zentralen Verfassungswerten widersprechen, dürfen wir an unseren Schulen auf gar keinen Fall zulassen. Wenn es um die Verteidigung der Menschen- und Freiheitsrechte, der Gleichberechtigung der Frau und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geht, können und dürfen wir keine falschen Kompromisse eingehen.