Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

nicht so, wie sie Professor Jestaedt vorgeschlagen hat, weil diese nur auf die subjektive Situation der Lehrkraft abhebt; sie setzt sich dann im Übrigen auch bei Ihrem Gesetzentwurf im Konfliktfall nicht durch –, weil damit eventuelle Probleme von vorhandenen Lehrkräften aus meiner Sicht besser hätten gelöst werden können.

Ich betone aber ganz ausdrücklich: Für die Einstellung hätte das überhaupt keine Rolle gespielt. Denn eingestellt werden kann nur eine Lehrkraft, die von vornherein erklärt, sie sei bereit, auf das Tragen eines Kopftuchs zu verzichten. Das müsste die Lehrkraft auch nach Ihrem Gesetzentwurf erklären.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE schüttelt den Kopf.)

Doch, Frau Rastätter.

(Zuruf der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Gut, dann sind wir uns auch da einig. Denn auch nach Ihrem Gesetzentwurf müsste die positive Religionsfreiheit der Lehrkraft im Konfliktfall gegebenenfalls zurücktreten.

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

Also sind wir uns darüber im Klaren: Es muss eine unzweideutige Bereitschaft bestehen – dessen sind wir uns alle hier im Hause im Klaren –, das Kopftuch, jedenfalls im Konfliktfall, nicht zu tragen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja! – Abg. Rückert CDU: Richtig!)

Das ist schon ein ganz wichtiger Punkt, der festgehalten werden muss.

Nachdem Sie jetzt die Situation der Beurteilung bei der Einstellung genannt haben, will ich auf das eingehen, was Frau Ludin vor dem Bundesverfassungsgericht erklärt hat. Sie hat erklärt, sie sei bereit, in einer Grundschulklasse notfalls auf das Tragen eines Kopftuchs zu verzichten. Das entspricht ja auch der Koranstelle, die ich vorhin vorgelesen habe. Wenn sie in einer Grundschulklasse mit Kopftuch

unterrichten will, ist das nach dieser Koranstelle inkonsequent. Aber darauf will ich jetzt nicht weiter eingehen.

Aber wenn ein Mann das Klassenzimmer betrete, dann müsse sie das Kopftuch sofort wieder anlegen. Aber in der Klasse besteht ja die Möglichkeit zum Diskurs. Also stellen Sie sich einmal vor:

(Abg. Rückert CDU: Der Rektor kommt! – Abg. Sieber CDU: Der Schulrat kommt! – Abg. Drexler SPD: Hausmeister!)

Wie erklärt eine Lehrerin jetzt ihren achtjährigen Schulkindern, dass sie, wenn der Hausmeister oder der Schulleiter oder ein Schulaufsichtsbeamter, ein Schulrat – jeweils natürlich, soweit diese männlichen Geschlechts sind –, oder ein Vater das Klassenzimmer betritt, unmittelbar sofort das Kopftuch als ein Zeichen der sexuellen Nichtverfügbarkeit tragen muss?

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Was soll denn daran schwierig sein?)

Das ist schlechterdings ausgeschlossen. Es ist schlechterdings deshalb ausgeschlossen, Herr Kollege Kretschmann, weil dies ein Signal ist, das für alle Frauen – jedenfalls für alle muslimischen Frauen – gelten soll, und weil es damit unweigerlich ein ganz anderes Männerverständnis transportiert.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Wollen Sie jetzt den Frauen schon ihr Männerverständnis vorschreiben, oder was?)

Nein. – Wenn das Kopftuch ein Symbol der sexuellen Nichtverfügbarkeit ist, dann demonstriert die Lehrerin, wenn ein Mann – wie ein Vater, der Hausmeister, der Schulleiter, ein Schulrat – das Klassenzimmer betritt und sie das Tragen des Kopftuchs dann für notwendig hält, dass diese Männer offensichtlich sonst gegebenenfalls zudringlich werden könnten. Ich sage es einmal ganz zurückhaltend. Das ist aber in einer Klasse mit Kindern eine unmögliche Situation.

Bei den Nonnen ist es ganz anders. Keine Nonne fordert von christlichen Mädchen, sich dem Orden anzuschließen und Nonnentracht zu tragen. Ich will aber Ihrer Frage, Herr Kretschmann, nicht ausweichen, weil Sie sie sonst selbstverständlich noch einmal stellen würden.

(Heiterkeit der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Die Frage ist: Ist das Tragen der Nonnentracht im Unterricht nach diesem Gesetzentwurf zulässig oder nicht zulässig? Darauf wird es verschiedene Antworten geben. Ich persönlich bin mit drei der vier angehörten Verfassungsexperten der Meinung, nach diesem Gesetzentwurf ist es nicht zulässig. Wenn Sie den Satz 1 zugrunde legen und davon ausgehen, dass das Tragen des Nonnenhabits eine christliche religiöse Bekundung ist, würde nach meiner Interpretation die Neutralität des Staates gefährdet und der Eindruck erweckt, der Staat lasse dies hier zu und identifiziere sich insoweit damit. Infolgedessen ist das Tragen der Nonnentracht nach meiner Interpretation nicht zulässig.

(Abg. Mack CDU: Eine einsame Interpretation!)

Aber diese Frage ist im Gesetzentwurf nicht expressis verbis geregelt. Sie wird schließlich der Auslegung zugänglich sein.

(Abg. Wacker CDU: Das ist aber Ihre Auslegung! Es gibt auch weitere juristische Auslegungen! – Abg. Mack CDU: Da sind Sie allein!)

Wir werden alle gespannt sein, meine Damen und Herren, wie das Bundesverfassungsgericht die anstehenden Konfliktfragen entscheiden wird. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht natürlich auch die Möglichkeit, Hinweise zu geben, wie das Gesetz gegebenenfalls auszulegen ist, um es mit den Vorstellungen des Bundesverfassungsgerichts in Einklang zu bringen.

Ich will abschließend noch einmal darauf hinweisen, dass wir uns alle darüber im Klaren sind, dass wir uns hier in einem ganz schwierigen Abwägungsprozess befinden, dass wir nur teilweise völlig übereinstimmende Auffassungen haben und dass wir in anderen Fragen zu unterschiedlichen Entscheidungen gekommen sind. Meine Fraktion ist mit großer Mehrheit zu der Entscheidung gekommen, den Gesetzentwurf der Landesregierung zu unterstützen und mitzutragen. Ich halte dies auch für richtig, und zwar ungeachtet der nach wie vor bestehenden Probleme, ob wir in allen Fragen schließlich vor dem Verfassungsgericht bestehen können oder nicht.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hofer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese zweite Runde ist gewissermaßen die Runde derjenigen Abgeordnetenkollegen, die das Thema vornehmlich unter dem Gesichtspunkt juristischer Haltbarkeit betrachten. Da möchte ich einfach einmal voranstellen: Die rechtliche Qualität jeglicher Regelung besteht auch darin, dass man bei der Präzisierung der Zielvorgaben dessen, was man regeln will, und dessen, was man nicht regeln möchte, sehr genau ist. Deshalb möchte ich noch einmal ganz kurz – es ist ja schon alles ausgeführt – zusammenfassen, was nach unserer Vorstellung Regelungsinhalt sein muss und was nicht geregelt werden sollte.

Wir wollen mit dieser Regelung erreichen, dass das Tragen eines Kopftuchs Lehrkräften an öffentlichen Schulen untersagt werden kann, wenn – das muss eine zusätzliche Prüfung sein – das Neutralitätsgebot verletzt oder der Schulfrieden gestört oder gefährdet wird.

Zweitens: Wir wollen keinerlei laizistische Regelung haben – das ist mehrfach ausgeführt worden –, sondern eine offene positive religiös-weltanschauliche Neutralität des freiheitlich-demokratischen Staates wahren.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Drittens: Wir wollen aufgrund unserer Landesverfassung an der Wertevermittlung im Bereich der schulischen Erziehung festhalten und da keinerlei Abstriche machen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Viertens: Wir wollen entsprechend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die hoch komplexe Abwägung zwischen staatlicher Neutralitätspflicht und dem Grundrecht auf Religionsfreiheit – ich habe es jetzt einmal sehr verallgemeinert – nicht den Schulen überlassen und sie damit allein lassen, sondern eine klare Vorwegentscheidung der Politik im Sinne eines landesgesetzgeberischen Aktes herbeiführen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig! – Beifall der FDP/DVP)

Letzter Punkt: Wir wollen und müssen uns dabei um eine verfassungsrechtlich möglichst wasserdichte Regelung bemühen, und dies nicht nur unter dem Gesichtspunkt, dass wir natürlich zum Schluss gerne auch Recht behalten wollen, sondern weil eben nun einmal ein Mehrheitsurteil, wie immer es auch kritisiert worden ist, da ist und es rechtsstaatlicher Pflicht entspricht –

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

es sind genauso große Werte wie die anderen Werte der Freiheitsrechte –, dass wir uns an solche Vorgaben zu halten haben.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Deshalb, meine Damen und Herren, haben wir uns, was manche vielleicht gar nicht so richtig verstanden haben – es ist auch eine äußerst komplizierte Materie –, schon frühzeitig beim Satz 3, wenn er schon nicht verzichtbar ist – darüber hat man diskutiert, ob auf den Satz 3 möglicherweise verzichtet werden kann, was ja vorhin bei meinem Kollegen Birzele zur Sprache gekommen ist –, auf einen Änderungsvorschlag versteift. Deshalb haben wir gesagt: Wir wollen bei diesem Satz 3 peinlichst genau darauf achten, dass nicht mehr und nicht weniger erfolgt als ein Bezug auf den Erziehungsauftrag der Landesverfassung,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

und wir wollen darauf achten, alles, aber auch alles wegzulassen, was missverstanden werden könnte oder was möglicherweise sogar als ein Darüber-Hinausgehen zu verstehen wäre, indem man in apodiktischer Weise sagt, alles und jedes, was christlich-abendländischen Kulturvorstellungen und Traditionen entspricht, sei automatisch durch die Landesverfassung gedeckt. Das muss in jedem Fall einem Prüfverfahren überlassen bleiben. Wir sind froh, dass dies nun in den Entwurf, dem wir geschlossen zustimmen wollen, aufgenommen worden ist.

Wir sind nicht nur wegen des Inhalts froh, sondern auch, weil ich schon den Eindruck hatte, meine Damen und Herren, dass in der Öffentlichkeit anfangs ein wenig der Eindruck entstanden war, dass die beiden Koalitionsfraktionen und möglicherweise auch die Kultusministerin sowie die Justizministerin hier an zwei Enden zögen.

(Abg. Wacker CDU: Die sind sich alle einig!)

Das ist erfreulicherweise nicht der Fall. Man hat gemeinsam um eine möglichst gute, um eine optimale Regelung gerungen. Diese Regelung ist nun auch erreicht worden.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Pfister FDP/ DVP: Sehr gut! – Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Übrigens attestiere ich auch der Fraktion der Grünen, dass Sie genauso mit darum gerungen haben, auch wenn wir jetzt Ihrem Vorschlag nicht folgen können. Aber im Interesse einer breiten parlamentarischen Mehrheit sind wir von uns aus auf die SPD-Fraktion zugegangen. Herr Kollege Pfister und ich haben mit Ihnen, Herr Birzele, ein Gespräch geführt, in dem wir Sie von unserem Vorschlag überzeugen wollten. Wir haben festgestellt, dass das gar nicht nötig war.

(Abg. Wintruff SPD: Ja eben!)