Protokoll der Sitzung vom 06.05.2004

(Abg. Fischer SPD: Der hat noch Redezeit!)

Zunächst einmal fällt bei dieser Debatte auf, dass die Regierungsbank recht knapp besetzt ist. Die Justizministerin ist da. Mit meinem rechten Auge sehe ich gerade, dass jetzt immerhin auch der Europaminister zu dieser Debatte den Weg ins Parlament gefunden hat.

(Heiterkeit – Abg. Dr. Reinhart CDU: Erst bei Ih- rer Rede!)

Aber natürlich gehören zu einer solchen Debatte auch der Innenminister und andere Mitglieder des Kabinetts, weil vom Themenbereich Rechtspolitik sehr wohl auch alle anderen Themenbereiche, die im Land wichtig sind und bei denen wir Kompetenzen haben, tangiert sind. Insofern sehe ich es schon als ein Defizit an, wenn die Landesregierung selbst die europäische Rechtspolitik und die aktive Mitgestaltung offensichtlich nicht in dem Maße ernst nimmt,

(Abg. Alfred Haas CDU: Das ist eine Behauptung!)

wie es aus unserer Sicht notwendig wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Ein zweiter Gedanke: Mir geht es jetzt primär um die Möglichkeiten, die der Landtag von Baden-Württemberg hat, was die aktive Mitgestaltung anbelangt. Bisher haben Sie sich ja auf die Ministerin kapriziert. Natürlich hat sie die Möglichkeit, als Mitglied der Exekutive im Bundesrat mitzuwirken. Aber die Frage ist ja auch: Welche Möglichkeiten haben wir als Landtag? Da kann ich nur feststellen, dass Sie dieses Thema sehr, sehr defizitär behandeln. Es ist bisher nicht gelungen, in diesem Parlament einen Europaausschuss einzurichten, obwohl alle Kollegen Vorredner gerade dargestellt haben, welche Bedeutung europäische Politik schon jetzt hat und in der Zukunft haben wird. Deswegen ist das ein großes Defizit. Es wäre ein wichtiger Beitrag zur aktiven Mitgestaltung der Rechtspolitik, wenn wir Ausführungen zu rechtspolitischen Fragen nicht immer nur zur Kenntnisnahme erhielten.

(Abg. Fischer SPD: Aber wir haben da mitge- macht!)

Ja, die Sozialdemokratie hat natürlich mitgemacht; keine Frage.

(Abg. Fischer SPD: So ein Rundumschlag!)

Ich habe da auch keinen Vorwurf erhoben. Aber die Mehrheit, die die Regierung trägt, hat dieses Anliegen bisher nicht mitgetragen.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Deswegen geht es einfach darum: Wir wollen europäische Rechtspolitik nicht nur dadurch zur Kenntnis nehmen, dass wir von Ministern Berichte erhalten und dicke Schriften zugesandt bekommen, sondern wir wollen aktive Beteiligung dadurch, dass wir im Parlament die Möglichkeit bekommen, zum Beispiel über einen Europaausschuss, diese Themen im Vorfeld, bevor sie verabschiedet werden, zu diskutieren und unseren Beitrag zu leisten.

(Beifall bei den Grünen)

Ein weiteres Defizit lässt sich feststellen: Wir hatten gestern, am 5. Mai, den Europatag, meine Damen und Herren. Das ist Ihnen sicher auch bewusst. Welchen Beitrag leistet das Parlament dazu? Nun gut, wir führen zwei Debatten: gestern über die Osterweiterung, heute über die europäische Rechtspolitik.

(Abg. Alfred Haas CDU: Wer hat die Debatte be- antragt?)

Aber es wäre doch schön gewesen – wir haben davon gesprochen, dass wir jetzt die Tür zum vereinigten Europa aufgestoßen haben –, wenn das Parlament dies zum Anlass genommen hätte, dort mehr Integration zu zeigen, gerade auch für die neuen Länder, die hinzugekommen sind,

(Zuruf des Abg. Rückert CDU)

als wir das durch eine einzige Debatte, die wir am gestrigen Tag geführt haben, getan haben.

(Abg. Rückert CDU: Haben Sie gestern geschla- fen? – Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU – Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Oelmayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Reinhart?

Ja, wenn es nicht auf die Redezeit angerechnet wird, Herr Präsident.

Nein, versprochen.

Dann gestatte ich die Zwischenfrage.

Herr Kollege Oelmayer, haben Sie zur Kenntnis genommen, dass gestern nicht nur eine Debatte über die Osterweiterung im Parlament, sondern auch im Haus der Wirtschaft mit dem Staatspräsidenten Ungarns stattgefunden hat,...

Ja, natürlich.

... und insoweit eine hervorragende repräsentative Veranstaltung auch mit dem Europaminister, dem Ministerpräsidenten, auch in Anwesenheit des AdR-Präsidenten, und dem ungarischen Staatspräsidenten in Stuttgart stattfand?

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Natürlich, Kollege Reinhart, habe ich das zur Kenntnis genommen. Aber der Ort für solch eine Präsentation und für einen solchen Empfang ist meines Erachtens das Haus des Parlaments und nicht das Haus der Wirtschaft.

(Zurufe der Abg. Alfred Haas und Rückert CDU)

Insofern lasse ich meine Aussage über das Defizit auf jeden Fall so stehen, wie ich sie zum Ausdruck gebracht habe.

Zu guter Letzt, meine Damen und Herren, ein weiteres Defizit: Sie haben bisher an keiner Stelle dargetan, weder der Kollege Theurer noch der Kollege Reinhart, wie denn aus Ihrer Sicht nun die aktive Mitgestaltung des Landtags von Baden-Württemberg über die Tätigkeit seines Präsidenten hinaus – als Vorsitzender im Ausschuss der Regionen wohl geschätzt – stattfinden kann. Unsere Fraktion ist der Auffassung: Wir brauchen die Stärkung dieser politischen Aufgabe auch durch Einrichtung zum Beispiel eines Europaausschusses. Erst dann können wir von aktiver Mitgestaltung sprechen. Dass die Ministerin – das wird sie ja dann vielleicht vortragen – in diesem und jenem Punkt auch im Bundesrat tätig sein wird, unterstelle ich. Das ist ihr Job, das ist ihre Aufgabe.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Unsere Ministerin jobbt nicht, sie arbeitet!)

Ich erwarte natürlich, dass dort mit aller Vehemenz und mit aller Macht landespolitische Kompetenz vorgetragen wird.

Zum Inhalt der europäischen Rechtspolitik möchte ich in der zweiten Runde noch zwei, drei Gedanken äußern.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Frau Justizministerin Werwigk-Hertneck.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich freue mich, dass Europa nicht nur in der gestrigen Debatte vorkam, in der wir gehört haben, dass Deutschland jetzt inmitten der EU liegt und mit der Anzahl seiner Einwohnerinnen und Einwohner das größte Land im Herzen Europas darstellt.

Ich bin sehr dankbar, dass wir heute eine Debatte über die Rechtspolitik haben, weil mir das auch die Gelegenheit gibt, den Landtag zu informieren. Vielleicht gibt das Anregungen für die eine oder andere Nachfrage. Ich bin gerne bereit, sie aufzugreifen.

Meine Damen und Herren, 70 % aller Rechtsetzungsakte in Deutschland werden europäisch bestimmt, finden in Brüssel statt. Das ist den Leuten noch nicht bewusst, und es ist sicher auch im Europawahlkampf für die Vertreter aller Parteien wichtig, dies zu wissen. Das verläuft relativ unbemerkt, meint die Bevölkerung. Deswegen sagt unser Landtagspräsident, der Präsident des Ausschusses der Regionen, Herr Straub, zu Recht: Die Länder müssen sich einbringen. In der Rechtspolitik ist das außerordentlich wichtig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Ich selbst habe in der Landesvertretung in Brüssel im letzten Jahr zwei Veranstaltungen durchgeführt: die eine zum Thema EU-Finanzstaatsanwalt und die andere zum Thema Familienrecht. Bei Gesprächen im Umfeld habe ich festgestellt, dass das Bundesjustizministerium nicht ausreichend darauf achtet – das gebe ich Ihnen in der Opposition einfach auch als Bitte mit –, dass genügend Personen – deutsche Beamtinnen und Beamte – in der Verwaltung von Rat und Kommission sitzen, damit wir personell überhaupt gut genug aufgestellt sind, um dort unsere deutschen Interessen zu vertreten.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Auch Baden-Württemberg liegt noch etwas im Rückstand, was das Personal angeht. Ich habe in Brüssel viel mit Bayern gesprochen; das hat mich ganz nervös gemacht. Wir brauchen einfach mehr Personen vor Ort. Ich bin froh, dass der Staatsminister auch an dieser Stelle daran arbeitet, dass wir gute Juristinnen und Juristen nach Brüssel schicken, die die Interessen unseres Landes vertreten.

(Beifall der Abg. Dr. Inge Gräßle CDU und Theu- rer FDP/DVP)

Ich bin der festen Überzeugung, dass das nur über Menschen funktioniert, die vor Ort sind, die uns informieren und uns die Möglichkeit geben, politische Entscheidungen zu transportieren.

Ein wichtiger Punkt für die Bevölkerung in Baden-Württemberg ist natürlich die Bekämpfung der internationalen Kriminalität und des internationalen Terrorismus. Es ist ein gewisses Angstpotenzial vorhanden: Wird sich etwas än

dern in Europa? Was können wir tun, damit wir diese Terroristen dann auch als Straftäter bestrafen können? Können wir sie überhaupt fangen? Diese Fragen werden mir gestellt, wenn ich im Land unterwegs bin.

Meine Damen und Herren, Terrorismus hat für mich nichts mit dem Thema Kulturkampf oder mit einer neuen Kriegsform zu tun. Terrorismus ist für mich – wie es für die Justiz Baden-Württembergs schon vor mehr als 20 Jahren bei der RAF galt – einfach eine Straftat, ein Verbrechen. Verbrechen müssen sanktioniert werden, müssen verfolgt werden. Da gibt es noch viel zu tun, meine Damen und Herren.