Aber ich verweise auch auf Bedenkenträger in der Literatur. Schünemann fragt in der „Zeitschrift für Rechtspolitik“: „Europäischer Haftbefehl auf schiefer Ebene?“
„Ein europäischer Strafrechtsraum – ein Alptraum?“, so Professor Albrecht in der Februarausgabe dieses Jahres.
Warum sage ich das? Auch hier ist es wichtig, dass wir einerseits Harmonisierung in wichtigen Fragen erreichen, auf der anderen Seite aber auch immer unsere justizspezifischen Länderinteressen und die Freiheitsrechte des Einzelnen im Auge behalten. Das sollten wir in diesem Zusammenhang immer sehen und betonen.
Keine Frage: Im Bereich des Zivilrechts ist es sinnvoll, bei der Harmonisierung weiterzukommen. Denn bei einem grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr ist es einfach wichtig, dass im Vertragsrecht ein Rahmen besteht. Daran wird ja derzeit mit Anhörungen gearbeitet. Es ist auch gut, wenn wir beim Familienrecht weiterkommen. Derzeit gibt es etwa 2 Millionen Ehepaare, bei denen ein Partner Ausländer ist.
Bei uns in Deutschland, ja. – Insoweit ist es auch dort sinnvoll, zu wissen: Wer ist zuständig? Wie läuft das Verfahren?
Ich will auch sagen: Natürlich ist es wichtig, bei Europol und Eurojust grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten. In diesem Zusammenhang gibt es sicherlich Themen, bei denen Rahmenbeschlüsse vorliegen: im Bereich der Strafvollstreckung bisher die Auslieferung verbessern, bei der europäischen Beweisanordnung; Stichwort §§ 112 ff. StPO; Zwangsmaßnahmen, also Durchsuchungsbeschlüsse, Beschlagnahmen, um nur einige zu nennen. Es ist wichtig, dort gemeinsame Rechtsgrundlagen zu haben, nach denen vorgegangen werden muss. Auch im Bereich des europäischen Vertragsrechts müssen wir weiterkommen.
Aber die Vertragsfreiheit wird ja bleiben, und vor diesem Hintergrund denke ich – und es ist mir ein wesentliches Anliegen, dies zum Schluss zu sagen –, es gibt gute Vorschläge der Justiz in Baden-Württemberg, die federführend war. Ich nenne nur das Stichwort „europäisches Mahnverfahren“. Dazu gibt es ja zwei Vorstellungen: es entweder, wie es bei uns gehandhabt wird, im elektronischen Verfahren zu machen und den Mahnbescheid ohne große Schlüssigkeitsprüfung einfach zu erlassen, oder den Mahnbescheid noch einmal durch einen Richter prüfen zu lassen, also mit einer Schlüssigkeitsprüfung.
Frau Justizministerin, wir werden Sie nachhaltig unterstützen. Unser System hat sich bewährt. Insoweit gibt es, glaube ich, manchmal Punkte, bei denen man das Gute vertreten sollte, auch auf europäischer Ebene. Hier unterstützen wir Sie in Ihrer Aktivität.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Herr Kollege Theurer: Wenn man sich den Titel des Tagesordnungspunkts „Aktive Mitgestaltung europäischer Rechtspolitik durch das Land Baden-Württemberg“ anschaut, könnte man ja fast versucht sein, anzunehmen, Sie stellten das Ganze unter das Motto: An Baden-Württemberg soll das europäische Rechtswesen genesen.
(Abg. Theurer FDP/DVP: Das hätten Sie sich viel- leicht gewünscht, dass ich das sage! Aber ich bin Realist! Dazu brauche ich Sie nicht!)
Ich weiß ja, Sie wollen Ihre Europatauglichkeit unter Beweis stellen. Aber mit Ihrem Beitrag haben Sie das bisher nicht getan.
Denn auf die speziellen Gesichtspunkte, wie sich BadenWürttemberg denn nun in diesen Diskussions- und Entscheidungsprozess einbringen soll, sind Sie nicht näher eingegangen. Deshalb betrachte ich Ihren Beitrag eher als Steilvorlage für die Frau Ministerin, von der wir vielleicht nachher erfahren, was denn Baden-Württemberg konkret will.
Sie müssen aber auch ankommen, Herr Kollege. Steilvorlagen sind immer gut, aber sie müssen ankommen. Das werden wir dann sehen.
Herr Kollege Theurer, ich stimme Ihnen zu, und ich bin auch Ihnen, Herr Kollege Reinhart, dankbar für Ihre sehr differenzierte Betrachtungsweise in diesem Spannungsfeld zwischen landespolitischer Rechtsgestaltung einerseits und europäischer Rechtsgestaltung andererseits.
Sie, Herr Theurer, haben die Beiträge der Mitgliedsstaaten, die jetzt dazugekommen sind, angesprochen. Wir können sicher nicht unsere Rechtsvorstellungen sozusagen im Alleingang mit starken Partnern durchsetzen und unser Rechtssystem und unser Rechtsverständnis anderen vorgeben oder gar überstülpen, ohne deren gewachsene Traditionen, ihr Rechtsverständnis und ihr Rechtsbewusstsein zu berücksichtigen. Das wird die große Aufgabe sein.
Die konkreten Einzelthemen, Herr Theurer, die Sie angesprochen haben, sind schon lange in der Diskussion. Ein einheitliches europäisches Vertragsrecht steht schon lange auf der politischen Agenda.
Es wird schwierig sein, das zu erreichen. Ich stimme Ihnen darin zu, Herr Kollege Reinhart, dass wir bestimmte Grundprinzipien wie die Vertragsfreiheit oder bewährte Entwicklungen in unserem Rechtssystem sicher nicht aufgeben werden, sondern erhalten müssen.
Zum europäischen Haftbefehl, Herr Kollege Theurer, muss man natürlich sagen, dass die Bundesregierung dabei eigentlich einer der Vorreiter gewesen ist. Dass dies nunmehr stagniert, liegt – Sie haben es selbst erwähnt – am Vermittlungsausschuss.
Der Vermittlungsausschuss wurde angerufen. Man kann sich natürlich immer noch über Einzelheiten streiten. Es wird in diesem Zusammenhang auch wichtig sein, gerade die neuen Staaten einzubeziehen und nicht von vornherein davon auszugehen, dass sie unsere Rechtsvorstellungen ohne weiteres übernehmen.
An alle Verantwortlichen muss deshalb der dringende Appell ergehen: Nehmen Sie die neuen Staaten mit, nehmen Sie sie mit in Ihrem Rechtsverständnis und in Ihrem Rechtsbewusstsein!
Im Übrigen, Herr Theurer, was Europatauglichkeit angeht: Ich kann Ihnen nur empfehlen, das Angebot der badenwürttembergischen Landesvertretung in Brüssel wahrzunehmen, die dort sehr gut aufgestellt ist und das Land entsprechend repräsentiert. Nehmen Sie dort die Angebote für Gespräche und Informationen wahr. Dann werden Sie erfahren, welche positiven Entwicklungen etwa im Bereich Europol oder Eurojust ablaufen und wie weit man da schon ist. Das ist natürlich noch ausbaufähig.
Oder denken Sie an das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung, bei dem allein pro Jahr bis zu 2 Milliarden € an Geldern aufgedeckt werden, die über Subventionsbetrug verloren gehen. All das sind positive Entwicklungen, die weitergeführt werden müssen und bei denen das Land Baden-Württemberg natürlich keinen Alleingang unternehmen kann. Schon jetzt ist es schwierig, die Bundesländer unter einen Hut zu bekommen. England und Frankreich haben es da in der europäischen Entscheidungsfindung leichter.
Wichtig ist, dass man auf deutscher Seite mit einer Stimme spricht und sich im Vorfeld einigt. Das ist schwierig genug. Nichts wäre schlechter, als wenn jetzt jedes einzelne Bundesland meinte, es müsse die europäische Entwicklung mit eigenen Kreationen beeinflussen.
Natürlich unterstützen wir auch die Ministerin, wenn sie uns Vorschläge unterbreitet, wie Baden-Württemberg konstruktiv an diesem Prozess beteiligt werden kann. Wir sagen unsere Unterstützung zu. Ich denke da etwa an den Austausch von Beamten auf europäischer Ebene, der ja schon stattfindet und bei dem sich das Land Baden-Württemberg bereits positiv engagiert. Ich meine, dass wir damit insgesamt auf einem guten Weg sind. Wir sind gespannt auf Ihre weiteren Vorschläge.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Aktive Mitgestaltung europäischer Rechtspolitik durch das Land gibt zunächst einmal eine Aufgabenstellung vor, die sich aus zwei Teilen zusammensetzt. Zum einen geht es um die europäische Rechtspolitik und zum anderen um die Frage, wie das Land aktiv mitgestaltet.
Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, Ihnen zuerst einmal ein paar Fakten zum Thema „europäische Rechtspolitik“ zu nennen. Aber ich glaube, dass die Vorredner bislang die Darstellung schuldig geblieben sind, wie diese aktive Beteiligung an europäischer Rechtspolitik hier im Landtag denn gestaltet werden kann.