Es reicht nicht mehr aus, meine Damen und Herren, auf 20jährige Programme hinzuweisen, auf die Sie immer so stolz sind und in denen steht, dass Sie in Baden-Württemberg schon so viel gemacht haben.
Jetzt frage ich Sie: Was haben Sie mit Ihren Aufklärungsprogrammen, mit Ihren ungezählten Ringordnern eigentlich tatsächlich erreicht? Haben Sie die Entwicklung, über die ich gerade geredet habe, aufgehalten, oder haben Sie gar eine Trendwende erzeugt? Wenn Sie, meine Damen und Herren, ehrlich sind, können Sie darauf nur eine einfache Antwort geben: Nein, Sie haben nichts damit erreicht.
Das heißt, es reicht nicht mehr, Ringordner für das Regal im Lehrerzimmer herzustellen. Wir brauchen vielmehr ein Umdenken. Es reicht nicht mehr, dass Sie sich hinter diesen Ringordnern verstecken. Die sind gut gemacht; da steht nichts Falsches drin; nur verstauben sie in den meisten Schulen, und das ist das Problem.
Wir müssen Eltern, Schulen und Kindergärten in die Pflicht nehmen. Wir müssen für dieses Problem ein Bewusstsein schaffen; denn daran hapert es oft noch.
Ich betone immer wieder, Kollege Drautz: Eltern dürfen bei der Erziehung nicht aus der Verantwortung genommen werden. Sie dürfen auch bei der Ernährungserziehung nicht aus der Verantwortung genommen werden. Aber das reicht – das zeigt doch diese Entwicklung – bei weitem nicht mehr aus. Die Eltern kennen oft selbst nicht mehr die Zusammenhänge von gesunder Ernährung. Wir alle wissen doch: In vielen Familien in dieser Republik wird mehr im Fernsehen als am eigenen Herd gekocht. Das ist ein Problem, dem wir uns stellen müssen.
Unterhalten Sie sich doch mal mit Lehrern! Entweder kommen Schüler morgens mit Chips und Cola als Frühstück oder – immerhin ein Viertel der Schülerinnen und Schüler – überhaupt ohne Frühstück. Welche Auswirkungen das auf das Aufnahmevermögen und die Konzentrationsfähigkeit hat, muss ich Ihnen nicht weiter erläutern.
Wir haben, meine Damen und Herren, weiterhin ein soziales Problem. Auch das muss man hier offen ansprechen. Natürlich sind sehr viele aus sozial schwächer gestellten Familien von dieser Entwicklung betroffen. Aber wollen wir auch dem tatenlos zusehen? Soll es zukünftig so sein, dass man sozial Schwächere am Übergewicht erkennt? Das kann es ja wohl nicht sein.
Jetzt hat – das hat er richtig erkannt – Herr Minister Stächele verkündet: Gute Noten kann man essen. Aber wenn man das erkannt hat, dann muss man auch für die entspre
chenden Angebote sorgen. Sie führen das achtjährige Gymnasium ein, de facto eine Ganztagsschule. Wir haben in Baden-Württemberg über 7 000 Kindertagesstätten. Darauf muss man doch reagieren. Da muss man die entsprechenden Angebote machen und muss verbindlicher werden. Die Landesregierung sagt selbst: Institutionen prägen die Ess- und Trinkgewohnheiten von Kindern.
In einer Bundestagsdrucksache habe ich erst dieser Tage – ganz aktuell – folgende Aussage gefunden – ich zitiere –:
Da in Deutschland 11 Millionen Schüler allgemein bildende Schulen und 2,5 Millionen Jugendliche Berufsschulen besuchen, ist die Schule neben dem häuslichen Bereich ein zentrales Interventionsfeld für präventive Maßnahmen.
Genau darum geht es. Wir haben hier – ich sage es noch einmal – ein zentrales Interventionsfeld für präventive Maßnahmen.
Herr Kollege Hauk, stellen Sie sich vor, wer diese Sätze formuliert hat: Es war die CDU/CSU-Fraktion – ausnahmsweise nicht die Fraktion der Grünen –, und ich wünsche mir, dass diese Erkenntnisse, die es offensichtlich – –
Meine Damen und Herren, es reicht nicht mehr, nur Empfehlungen zu geben. Es reicht nicht mehr, nur Ringbücher zu verteilen. Wir brauchen mehr Verbindlichkeit. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie dem bayerischen Vorbild gefolgt wären – Bayern ist für diese Landesregierung doch oft das große Vorbild – und entsprechende Programme, beispielsweise zur Einführung von Schülercafés, aufgelegt hätten. Diese sind sehr erfolgreich; denn sie erteilen keine Verbote, sondern geben Empfehlungen, was zu einer gesunden Ernährung gehört. Dann sind die Kinder und Jugendlichen selbst in der Pflicht, sich aktiv zu beteiligen. Sie merken selbst, welchen Spaß es macht, sich gesund zu ernähren. Dann hat man halt nicht nur irgendwie mit dem pädagogischen Zeigefinger etwas getan, sondern hat ihnen tatsächlich die Möglichkeit gegeben, sich zu beteiligen.
Die Folge davon ist, dass gerade das, was man neuhochdeutsch als Junk Food bezeichnet – also Cola, Fanta, die süßen Stückle und all das andere, was es morgens immer zu kaufen gibt –, zugunsten gesunder Ernährung zurückgedrängt wird.
Das heißt, meine Damen und Herren: Kinder und Jugendliche, Schülerinnen und Schüler müssen selbst erfahren können, welchen Spaß sie dabei haben, sich gesund zu ernähren. Das ist unsere Aufgabe; dazu müssen wir etwas leisten. Da können wir uns nicht hinter der Behauptung verschanzen, dass das nur eine Aufgabe der kommunalen Träger wäre.
Ich werde in der zweiten Runde noch darauf eingehen, wo auch in Baden-Württemberg das Hauptmanko liegt. Es liegt in der fehlenden Vernetzung von alten Initiativen, die es, wohlgemerkt, auch in diesem Land schon gibt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Art, hier im Parlament aus der Zeitung vorzulesen.
Doch Ende des letzten Monats standen in vielen Zeitungen Schlagzeilen, so auch in der „Rhein-Neckar-Zeitung“ am 28. April. Die Schlagzeilen lauteten meist: „Bald ein Volk von Dicken“. Die Unterzeile war: „Bereits die Hälfte der Deutschen leidet an Übergewicht – ein Pulverfass“. Was in der „Rhein-Neckar-Zeitung“ so plakativ herausgestellt wurde, bestätigt das, was Herr Kollege Walter gesagt hat: Untersuchungen zeigen, dass fast jeder zweite Erwachsene und jedes fünfte bis siebte Kind übergewichtig sind, bei – im wahrsten Sinne des Wortes – zunehmender Tendenz. Auch haben wir gerade gehört, welche Folgen das hat. Es treten Krankheitsbilder auf, die wir eigentlich erst bei 40- bis 50Jährigen haben.
Die Ursachen dafür sind fehlerhafte Ernährung und zu wenig Bewegung. Für uns ist daher wichtig, dass wir alle Chancen nutzen, dieser Entwicklung gegenzusteuern, und zwar dort, wo wir noch am ehesten auf Vernunft und Bereitschaft zum Mitmachen stoßen. Denn wer sich als Erwachsener jahrzehntelang mit Ungesundem vollgestopft hat, dem ist kaum noch zu helfen. Kinder und Jugendliche jedoch sind und bleiben beeinflussbar,
wenn es um das geht, was Körper, Geist und Seele gut tut. Wir können und dürfen auf ihre Einsicht hoffen. Wir können in Kindergärten, Schulen und auch in Vereinen vieles von dem reparieren, was in so manchen Elternhäusern schief läuft.
Daher sind Ernährungserziehung ebenso wie Sport und Bewegungsangebote an den Schulen von so entscheidender Bedeutung.
Im letzten Herbst hat Herr Minister Stächele die Landesinitiative „BeKi – Bewusste Kinderernährung“ gestartet. Sie ist ein wichtiger Beitrag für gesundheitsorientierte Ernährungserziehung in Kindergärten, in Schulen und im Elternhaus.
Allerdings – das will ich noch einmal betonen – wird das Fundament für gesundheitsorientierte Ernährung und Lebensweise insgesamt bereits in früher Kindheit gelegt und ist daher zuerst Aufgabe der Eltern. Erziehungseinrichtungen wie Schulen und Kindergärten können in diesem Bereich begleiten und Impulse setzen. Sie können aber nicht alles auffangen, was im Elternhaus versäumt wird. Kinder essen nun einmal meist zu Hause. Daher wird das Essverhalten zu Hause geprägt.
Dennoch, meine Damen und Herren, müssen wir alles tun, um der Fehlernährung Wirksames entgegenzusetzen. Daher messen wir diesem Thema sowohl in Kindergärten als auch in Schulen große Bedeutung bei. In allen Bildungsplänen der verschiedenen Schularten ist dieses wichtige Thema verankert. Es eignet sich ganz besonders zu fächerübergreifendem Unterricht.
Darüber hinaus hat jede Schule die Möglichkeit, im Rahmen des eigenen Curriculums zusätzlich einen Schwerpunkt darauf zu setzen. Mein Appell geht daher auch an die Schulleiterinnen und Schulleiter: Nutzen Sie diese Chance! Helfen Sie mit, gegen die Fehlernährung von Kindern und Jugendlichen vorzugehen.
Was kann getan werden? Es gibt genug Material und Anleitungen. In unseren Schulen haben wir die erforderlichen Freiräume für schuleigene Projekte und praxisorientiertes Lernen
und können auch die Unterstützung von außerschulischen Partnern wahrnehmen. Die Landesinitiative unterstützt alle Erziehenden nicht nur mit Informationsmaterial und Unterrichtseinheiten, sondern auch mit den Fachfrauen für Kinderernährung, die an die Schulen kommen und bei Projekten helfen. Auch die Landfrauenverbände sind bereit, lokale und regionale Projekte mit durchzuführen. In den Kindergärten und in den Tageseinrichtungen steht die Ernährungserziehung ebenfalls auf dem Plan und wird von sehr engagierten Erzieherinnen durchgeführt.
Ich möchte zum Abschluss sagen: Helfen Sie mit, dass wir nicht ein Volk von Dicken werden. Das wäre schlecht für unser Land und noch schlechter für unsere Kinder, denen wir das Ganze aufladen würden. Denn das Übergewicht von heute ist die soziale Last von morgen.
„Immer mehr Kinder verfetten“, „Kinder und Jugendliche entwickeln sich zu moppeligen Müßiggängern“ oder „Deutschland steht vor dem Fettdesaster“ – solche und ähnliche Schlagzeilen können wir regelmäßig lesen. Uns drohen amerikanische Verhältnisse.