Protokoll der Sitzung vom 06.05.2004

Meine Damen und Herren, Herr Dr. Rudolf Schieler, Justizminister a. D. und Mitglied des Staatsgerichtshofs mit der Befähigung zum Richteramt, hat mir mit Schreiben vom 5. April 2004 mitgeteilt, dass er aus gesundheitlichen Gründen von seinem Amt als Mitglied des Staatsgerichtshofs zu

rücktritt. Diese Rücktrittserklärung wird gemäß § 5 Satz 2 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof mit Ablauf des Monats Mai 2004 wirksam.

Gemäß Artikel 68 Abs. 3 Satz 4 der Landesverfassung in Verbindung mit § 3 Abs. 2 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof muss der Landtag innerhalb von drei Monaten für den Rest der Amtszeit des ausscheidenden Herrn Dr. Rudolf Schieler einen Nachfolger bzw. eine Nachfolgerin wählen. Die Amtszeit von Herrn Dr. Schieler wäre am 20. Juli 2006 zu Ende gegangen.

Die SPD-Fraktion, auf deren Vorschlag hin Herr Dr. Schieler seinerzeit zum Mitglied des Staatsgerichtshofs gewählt worden ist, schlägt Ihnen nun Herrn Professor Dr. Joachim von Bargen zur Wahl vor. Der Wahlvorschlag liegt vervielfältigt auf Ihren Tischen (Anlage).

Gemäß § 97 a Abs. 3 der Geschäftsordnung werden die Mitglieder des Staatsgerichtshofs ohne Aussprache in geheimer Abstimmung gewählt. Bitte verwenden Sie den gelben Stimmzettel, der auf Ihren Tischen liegt. Der Vorschlag der SPD-Fraktion ist darauf vermerkt. Wenn Sie den Stimmzettel unverändert abgeben, haben Sie entsprechend dem Wahlvorschlag gewählt. Sie sind an diesen Wahlvorschlag nicht gebunden und können den Namen streichen oder durch einen anderen Namen ersetzen.

Ich bitte die Schriftführer, die Stimmzettel mit der Wahlurne einzusammeln.

(Einsammeln der Stimmzettel)

Ist noch jemand im Saal, der abzustimmen wünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich den Wahlvorgang und darf die Schriftführer bitten, das Ergebnis festzustellen.

Wir fahren in der Tagesordnung fort und werden das Ergebnis dieser Wahl später bekannt geben.

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zu dem Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland – Drucksache 13/3140

(Unruhe)

Das Präsidium hat für die Aussprache nach der Begründung durch die Regierung eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.

Das Wort erteile ich Herrn Innenminister Dr. Thomas Schäuble.

(Anhaltende Unruhe)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zur Einbringung des Gesetzentwurfs darf ich zunächst ganz kurz auf die Zielsetzung dieses Staatsvertrags eingehen. Das deutsche Glücksspielrecht ist derzeit in zahlreichen bundes- und landesrechtlichen Rechtsquellen geregelt. Deshalb ist es das vorrangige Ziel des Staatsvertrags, Herr Kollege Zimmermann, einheitliche Regelungen für alle Glücksspiele außerhalb von Spielbanken zu schaffen.

(Minister Dr. Schäuble)

Zur Entstehungsgeschichte des Staatsvertrags auch eine kurze Bemerkung. Der eigentliche Anlass für das Vorhaben ist die neuere Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, die die bisherige Monopolstellung des Staates bei der Veranstaltung von Glücksspielen zunehmend infrage gestellt hat. Mit Blick auf die durch Artikel 12 des Grundgesetzes geschützte Berufsfreiheit dürfe, so die neuere Rechtsprechung, die Veranstaltung von Glücksspiel durch gemeinnützige – nicht eigennützige – private Veranstalter nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

Diese neue Interpretation schränkt die Möglichkeiten der öffentlichen Hand ein – egal, ob uns dies passt oder nicht –, die Lotterielandschaft mit den Instrumenten des Ordnungsrechts zu gestalten und nicht gewünschte Entwicklungen zu verhindern. Da den staatlichen Aufsichtsbehörden daneben keine alternativen Steuerungsmöglichkeiten aufgezeigt worden sind, drohte letztendlich einer vollständigen Liberalisierung des Glücksspielwesens der Boden bereitet zu werden.

Der Staatsvertrag – nach dieser Entstehungsgeschichte, die ich kurz skizziert habe – versucht nun, ein rechtlich vertretbares System zu schaffen, in dem zwar einerseits der bisherige ordnungsrechtliche Ansatz, ein ausreichendes legales Glücksspielangebot durch die Länder sicherzustellen, beibehalten wird, andererseits aber auch Lotterieveranstaltungen von gemeinnützigen privaten Einrichtungen in einem engen Rahmen zugelassen sind.

Da aufgrund des natürlichen Spieltriebs Glücksspiele nie gänzlich unterbunden werden können, stellt der Staatsvertrag sicher oder – drücken wir es bescheidener aus – will sicherstellen, dass der Spielbetrieb durch geeignete Spielangebote in geordnete und überwachte Bahnen gelenkt wird. Insbesondere soll ein Ausweichen auf illegale Spielangebote verhindert werden. Glücksspiele mit einem besonderen Gefährdungspotenzial – zum Beispiel Roulette außerhalb von Spielbanken, bestimmte Wetten, Jackpot-Lotterien – bleiben weiterhin dem Staat vorbehalten.

Die mit Blick auf die oben erwähnte neuere Rechtsprechung im Bereich des Lotteriewesens begrenzt zugelassenen neuen Lotterien von privaten Veranstaltern dürfen neben dem bereits vorhandenen Glücksspielangebot nicht zu übermäßigen Spielanreizen führen.

Die dem Staatsvertrag zugrunde liegenden Einschätzungen und Prognosen sollen spätestens fünf Jahre nach dessen Inkrafttreten anhand dann vorliegender Erfahrungen überprüft werden. Entscheidend wird dabei sein, ob die Rechtsprechung die dem Vertrag zugrunde liegende auch weiterhin sehr restriktive Linie bei der Zulassung privater Veranstalter billigt.

Noch einige Bemerkungen zur aktuellen Entwicklung der Rechtsprechung: Insbesondere durch die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – Stichwort Rechtssache Gambelli; Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 6. November 2003 – und einen hierauf Bezug nehmenden Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Februar 2004 ist neuerdings die Frage aufgekommen, ob die Regelungen des Staatsvertrags nicht etwa in unzulässiger Weise in die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der

Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs eingreifen.

In Übereinstimmung mit allen anderen oberen Glücksspielaufsichtsbehörden – also auch so etwas gibt es –

(Heiterkeit des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

werden diese Bedenken nicht geteilt, und zwar deshalb: Der Europäische Gerichtshof hat die Beschränkbarkeit der oben erwähnten gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze durch nationale Regelungen nicht generell für unzulässig erklärt. Die Beschränkungen müssen nur tatsächlich dem Ziel dienen, die Anreize zum Spiel zu vermindern. Staatliche Einnahmen dürfen nicht Hauptzweck der Veranstaltung von Glücksspiel sein, sondern allenfalls, wie es so schön heißt, erwünschte Nebenfolge.

(Heiterkeit der Abg. Rech CDU und Dr. Noll FDP/ DVP)

Im konkreten Fall einer italienischen Sportwettenregelung hat der Europäische Gerichtshof ebendies bezweifelt.

Diese EuGH-Entscheidung – also die dem Fall Gambelli zugrunde liegende Sach- und Rechtslage in Italien – ist jedoch nach Auffassung des Innenministeriums Baden-Württemberg nicht mit der Situation in Deutschland vergleichbar, und zwar deshalb: Die Regelungen des Staatsvertrags sind nach unserer Auffassung gerade dazu bestimmt und geeignet, den nicht zu verhindernden Spieltrieb einzudämmen und in kanalisierte Bahnen zu lenken, ein Ausweichen auf nicht erlaubte Glücksspiele zu verhindern und übermäßige Spielanreize sowie eine Ausnutzung des Spieltriebs zu privaten oder gewerblichen Gewinnzwecken auszuschließen.

Dem erwähnten Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs stehen anders lautende Gerichtsentscheidungen entgegen, zum Beispiel ein Beschluss des Bayerischen Obersten Landgerichts vom 26. November 2003 und ein Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 19. Februar 2004. Abgesehen davon, dass die Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ohnehin keine unmittelbaren Auswirkungen auf Baden-Württemberg haben, bleibt im Übrigen die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Das ist ja erst ein Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren.

Aus all diesen Gründen – das ist, glaube ich, für unsere Entscheidung hier in diesem hohen Haus wichtig – betreiben alle 16 Länder ihre Ratifizierungsverfahren in der ursprünglich vorgesehenen Weise ungehindert weiter.

Nun noch einige wenige Bemerkungen zum weiteren Verfahren: Zunächst bin ich dankbar, dass – wie ich gehört habe – die Beratung im Innenausschuss schon in der Mittagspause der heutigen Plenarsitzung im Rahmen einer kurzen Sondersitzung stattfinden wird – weil der Innenausschuss in der kommenden Woche wichtige Aufgaben in Russland und im Baltikum wahrnehmen wird.

(Abg. Fischer und Abg. Stickelberger SPD: Muss!)

Muss, gut. Reisen bildet.

(Minister Dr. Schäuble)

Zusätzlich darf ich sagen, dass der Staatsvertrag in einigen Punkten noch ergänzender landesrechtlicher Regelungen bedarf. Deshalb erarbeiten wir, das Innenministerium, gegenwärtig ein entsprechendes Ausführungsgesetz. In dem Ausführungsgesetz wollen wir vor allem folgende Punkte regeln:

Erstens: die Sonderbestimmungen für so genannte kleine Lotterien mit einem Gesamtvolumen der Einsätze von weniger als 40 000 €.

Zweitens: die behördlichen Zuständigkeiten für die Ausführung des Staatsvertrags auf Landesebene.

Drittens: die landesrechtlichen Ordnungswidrigkeitstatbestände.

Der Staatsvertrag soll am 1. Juli 2004 in Kraft treten. Angesichts des Entgegenkommens des Innenausschusses dürfte dieser Zeitplan einzuhalten sein, denn wir könnten dann die Zweite Beratung am 9. Juni machen. Ich bitte um Ihre Unterstützung für den Gesetzentwurf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU sowie der Abg. Beate Fauser FDP/DVP, Heike Dederer GRÜNE und Stickelber- ger SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Zimmermann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den Ausführungen des Innenministers bleibt mir eigentlich nicht viel zu sagen übrig. Ich möchte mich auch ein bisschen beschränken.

Gestern haben wir dem Gesetz zu dem Staatsvertrag über die Regionalisierung von Einnahmen gewerblicher Spielevermittler des deutschen Toto- und Lottoblocks einstimmig zugestimmt und beschlossen, dass die Landesregierung bis zum 31. Dezember 2004 über die Entwicklung bei den staatlichen Lotterien und Wetten in Baden-Württemberg unter Berücksichtigung der Rechtsprechung berichten wird.

Der Innenminister hat die Entscheidungen, auch die jüngsten, schon eingehend erläutert. Das kann ich fast überspringen.

Heute, meine Damen und Herren, geht es um ein Gesetz zu dem Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland. Dieser Staatsvertrag soll das unterschiedliche Lotterierecht in den einzelnen Bundesländern vereinheitlichen und auf eine neue Rechtsgrundlage stellen. Neben dem staatlichen Glücksspiel, das ordnungsrechtlichen Vorrang besitzt, werden nun auch private gemeinnützige Lotterien unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen. Der Vertrag differenziert nach dem Gefährdungspotenzial. Das heißt, Glücksspiele mit einem besonders hohen Gefährdungspotenzial bleiben auch weiterhin den Ländern vorbehalten, und zwar ganz einfach deshalb, weil sie die entsprechenden Kontrollmöglichkeiten haben. Private benötigen eine Erlaubnis.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Diese Erlaubnis kann zum Beispiel im Hinblick auf die Anzahl der Spiele, auf die Anzahl der Ziehungen – also nicht öfter als zweimal wöchentlich – begrenzt werden. Eindeutig geregelt ist auch, dass Private eine Gewinnchance von nicht mehr als 1 Million € ausloben dürfen. Wenn Private diese Voraussetzungen nicht einhalten, kann ihnen der Glücksspielbetrieb untersagt werden.