Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 72. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.
Urlaub für heute habe ich erteilt Frau Abg. Dederer, Frau Abg. Lösch sowie den Herren Abg. Heinz, Kretschmann, Schneider und Weiß.
Meine Damen und Herren, auf Ihren Tischen finden Sie einen Vorschlag der Fraktion der FDP/DVP für eine Umbesetzung im Präsidium (Anlage). – Sie nehmen von diesem Vorschlag Kenntnis und stimmen zu. Gegen diese Feststellung erhebt sich kein Widerspruch.
Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Finanzministeriums – Verbesserung der Ausbildungsplatzsituation in der Landesverwaltung sowie den Unternehmen und Betrieben des Landes – Drucksache 13/2721
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung des Antrags Drucksache 13/2721 fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Thema unserer heutigen Debatte ist der baden-württembergische Ausbildungspakt. Dieser Pakt wurde geschlossen als Folge des von der Bundesregierung abgeschlossenen nationalen Pakts für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland. Unser Änderungsantrag liegt Ihnen vor.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist wirklich erfreulich, dass auch Baden-Württemberg nach Nordrhein-Westfalen einen Ausbildungspakt abgeschlossen hat. Aber nachdem ich gestern solche Elogen gehört habe, frage ich mich schon: Warum muss erst die rot-grüne Bundesregierung einen nationalen Pakt schließen, damit die baden-württembergische Landesregierung einen Handlungszwang erkennt?
(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter GRÜNE – Zuruf von der SPD: Das muss ja weh tun am frühen Morgen!)
Ich meine, lieber spät als gar nicht. Aber die Frage, die noch viel wichtiger ist und die wir heute klären sollten, ist folgende: Warum trifft die Landesregierung keine Vereinbarungen, die über die Berliner Vereinbarung hinausgehen, und warum unternimmt sie nichts, was speziell den Problemen in unserem Land Rechnung trägt?
Immerhin: Der Ministerpräsident stellt sich erstmals der Tatsache, dass wir in Baden-Württemberg ein Ausbildungsplatzproblem haben. Aber ich denke, in der Ausbildung ist es wie bei den Ganztagsschulen: Ohne Druck aus Berlin nimmt diese Landesregierung wichtige gesellschaftliche Probleme nicht wahr.
(Zuruf des Abg. Drexler SPD – Gegenruf des Abg. Seimetz CDU: „Druck aus Berlin“, aber Sie lachen! – Unruhe)
Mit dem Abschluss dieses Pakts zeigt sich auch, dass die Spitzengespräche im Land zur Ausbildungssituation, die immer stattgefunden haben, gescheitert sind und erfolglos waren, und zwar deshalb, weil die Vereinbarungen, die man getroffen hat, nicht fest waren und die Landesregierung sich an ihren Teil nie gehalten hat.
Das Problem in Baden-Württemberg liegt doch offen zutage: Wir haben zu wenig Ausbildungsplätze, und wir haben
eine wachsende Zahl von Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen. Wir haben – die Kultusministerin ist ja erfreulicherweise da – Jahr für Jahr fast 20 000 Jugendliche, die im BVJ oder in Maßnahmen des Arbeitsamts vielfach eine Warteschleife drehen. Das hat übrigens Herr Heil aus dem Kultusministerium im letzten „Magazin Schule“ genauso gesagt.
Diesen Tatbestand haben wir seit Jahren im Land, ohne dass Sie irgendetwas Zählbares unternommen hätten. Die SPD-Fraktion hat in der gesamten Legislaturperiode Forderungen gestellt. Aber ich denke, es spricht schon für das Problembewusstsein der Landesregierung, wenn auch im jetzigen Pakt formuliert ist, im letzten Jahr sei es zu einem Ausgleich zwischen Lehrstellenangebot und Nachfrage gekommen.
Tausend Jugendliche, die sich ohne Erfolg um einen Ausbildungsplatz bemüht haben, stempeln Sie einfach ab.
Am 8. September 2003, eine Woche vor Ferienende, hatten wir noch fast 16 000 Lehrstellensuchende gegenüber 7 500 offenen Stellen bei den Arbeitsämtern. Es fehlten also rund 8 000 Stellen. Bis zum 1. Oktober 2003 haben Sie statistisch ein Plus von fast 1 000 Stellen daraus gemacht. Da Sie gestern Abend ja alle die Fußball-EM verfolgt haben, kann ich doch die Frage stellen: Wie hat diese Landesregierung das „Wunder von Reitzenstein“ vollbracht, aus minus plus zu machen?
Sie bauen Potemkin’sche Dörfer auf, und Sie versündigen sich an den Jugendlichen, denen nach Warteschleifen im BVJ und in Vollzeitschulen vom Arbeitsamt keine Lehrstelle angeboten wird, die keine Hoffnung und damit auch keine Perspektive entwickeln können.
Was mir unverständlich ist, aber für den Geist des Landes spricht, ist, dass Sie die Gewerkschaften nicht einbezogen haben.
Wir brauchen, um die notwendige Zahl von Ausbildungsstellen sicherzustellen, alle, die in den Betrieben Verantwortung tragen. Oder wollen Sie den Betriebsräten jetzt ihre Verantwortung für die Ausbildung absprechen? Dann melden Sie sich hierzu einmal.
(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Vor allem die SPD braucht die Gewerkschaft! – Gegenruf des Abg. Stickelberger SPD: Und Sie würden sie am liebsten verbieten! Oder privatisieren! – Widerspruch des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)
Vereinbarungen können wir nur gemeinsam abschließen. Wenn wir diesen Teil nicht berücksichtigen, wird der Landespakt nicht erfolgreich bleiben.
Die Wirtschaft beklagt im Ausbildungspakt wieder einmal die mangelnde Ausbildungsreife der Jugendlichen.
Chefsache im Kultusministerium müsste es sein, die Schwächsten besser als bisher zu fördern – im Pakt mit den Lehrern.
Chefsache im Kultusministerium aber ist es, die Schwächsten zu ignorieren, die Lehrer vor den Kopf zu stoßen und Berufsschullehrer mit Deputatserhöhungen zu belasten.