Protokoll der Sitzung vom 01.07.2004

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 72. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.

Urlaub für heute habe ich erteilt Frau Abg. Dederer, Frau Abg. Lösch sowie den Herren Abg. Heinz, Kretschmann, Schneider und Weiß.

(Abg. Drexler SPD: Wieso Kretschmann?)

Dienstlich verhindert sind Herr Ministerpräsident Teufel, Herr Minister Professor Dr. Frankenberg,

(Abg. Drexler SPD: Ja wer ist denn noch da?)

Herr Minister Köberle und – heute Vormittag – Herr Minister Dr. Repnik.

(Abg. Drexler SPD: Ja wer ist denn da?)

Meine Damen und Herren, auf Ihren Tischen finden Sie einen Vorschlag der Fraktion der FDP/DVP für eine Umbesetzung im Präsidium (Anlage). – Sie nehmen von diesem Vorschlag Kenntnis und stimmen zu. Gegen diese Feststellung erhebt sich kein Widerspruch.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Finanzministeriums – Verbesserung der Ausbildungsplatzsituation in der Landesverwaltung sowie den Unternehmen und Betrieben des Landes – Drucksache 13/2721

Zu diesem Antrag rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucksache 13/3326, auf.

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung des Antrags Drucksache 13/2721 fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Das Wort erteile ich Frau Abg. Weckenmann.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Thema unserer heutigen Debatte ist der baden-württembergische Ausbildungspakt. Dieser Pakt wurde geschlossen als Folge des von der Bundesregierung abgeschlossenen nationalen Pakts für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland. Unser Änderungsantrag liegt Ihnen vor.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist wirklich erfreulich, dass auch Baden-Württemberg nach Nordrhein-Westfalen einen Ausbildungspakt abgeschlossen hat. Aber nachdem ich gestern solche Elogen gehört habe, frage ich mich schon: Warum muss erst die rot-grüne Bundesregierung einen nationalen Pakt schließen, damit die baden-württembergische Landesregierung einen Handlungszwang erkennt?

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter GRÜNE – Zuruf von der SPD: Das muss ja weh tun am frühen Morgen!)

Ich meine, lieber spät als gar nicht. Aber die Frage, die noch viel wichtiger ist und die wir heute klären sollten, ist folgende: Warum trifft die Landesregierung keine Vereinbarungen, die über die Berliner Vereinbarung hinausgehen, und warum unternimmt sie nichts, was speziell den Problemen in unserem Land Rechnung trägt?

(Beifall bei der SPD und der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE)

Immerhin: Der Ministerpräsident stellt sich erstmals der Tatsache, dass wir in Baden-Württemberg ein Ausbildungsplatzproblem haben. Aber ich denke, in der Ausbildung ist es wie bei den Ganztagsschulen: Ohne Druck aus Berlin nimmt diese Landesregierung wichtige gesellschaftliche Probleme nicht wahr.

(Abg. Seimetz CDU zur SPD: Da müsst ihr selber lachen! – Gegenruf des Abg. Drexler SPD)

Ja, ihr hättet ohne uns keine Ganztagsschulen gemacht.

(Zuruf des Abg. Drexler SPD – Gegenruf des Abg. Seimetz CDU: „Druck aus Berlin“, aber Sie lachen! – Unruhe)

Ohne Druck aus Berlin, Herr Seimetz, wäre nichts gekommen.

Mit dem Abschluss dieses Pakts zeigt sich auch, dass die Spitzengespräche im Land zur Ausbildungssituation, die immer stattgefunden haben, gescheitert sind und erfolglos waren, und zwar deshalb, weil die Vereinbarungen, die man getroffen hat, nicht fest waren und die Landesregierung sich an ihren Teil nie gehalten hat.

(Beifall bei der SPD – Abg. Fischer SPD: So ist es!)

Das Problem in Baden-Württemberg liegt doch offen zutage: Wir haben zu wenig Ausbildungsplätze, und wir haben

eine wachsende Zahl von Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen. Wir haben – die Kultusministerin ist ja erfreulicherweise da – Jahr für Jahr fast 20 000 Jugendliche, die im BVJ oder in Maßnahmen des Arbeitsamts vielfach eine Warteschleife drehen. Das hat übrigens Herr Heil aus dem Kultusministerium im letzten „Magazin Schule“ genauso gesagt.

(Zurufe von der SPD: Aha! – Abg. Drexler SPD: Da sagt er es, aber nicht im Landtag!)

Diesen Tatbestand haben wir seit Jahren im Land, ohne dass Sie irgendetwas Zählbares unternommen hätten. Die SPD-Fraktion hat in der gesamten Legislaturperiode Forderungen gestellt. Aber ich denke, es spricht schon für das Problembewusstsein der Landesregierung, wenn auch im jetzigen Pakt formuliert ist, im letzten Jahr sei es zu einem Ausgleich zwischen Lehrstellenangebot und Nachfrage gekommen.

(Lachen des Abg. Drexler SPD – Zuruf von der SPD: Heuchlerisch ist das!)

Ob Sie sich mit diesen zynischen Äußerungen nach außen wagen, frage ich mich schon.

(Abg. Drexler SPD zur CDU: Wo leben Sie?)

Tausend Jugendliche, die sich ohne Erfolg um einen Ausbildungsplatz bemüht haben, stempeln Sie einfach ab.

Am 8. September 2003, eine Woche vor Ferienende, hatten wir noch fast 16 000 Lehrstellensuchende gegenüber 7 500 offenen Stellen bei den Arbeitsämtern. Es fehlten also rund 8 000 Stellen. Bis zum 1. Oktober 2003 haben Sie statistisch ein Plus von fast 1 000 Stellen daraus gemacht. Da Sie gestern Abend ja alle die Fußball-EM verfolgt haben, kann ich doch die Frage stellen: Wie hat diese Landesregierung das „Wunder von Reitzenstein“ vollbracht, aus minus plus zu machen?

(Beifall bei der SPD)

Sie bauen Potemkin’sche Dörfer auf, und Sie versündigen sich an den Jugendlichen, denen nach Warteschleifen im BVJ und in Vollzeitschulen vom Arbeitsamt keine Lehrstelle angeboten wird, die keine Hoffnung und damit auch keine Perspektive entwickeln können.

Was mir unverständlich ist, aber für den Geist des Landes spricht, ist, dass Sie die Gewerkschaften nicht einbezogen haben.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das ist doch klar! – Abg. Blenke CDU: Und der Schmiedel tritt aus!)

Wir brauchen, um die notwendige Zahl von Ausbildungsstellen sicherzustellen, alle, die in den Betrieben Verantwortung tragen. Oder wollen Sie den Betriebsräten jetzt ihre Verantwortung für die Ausbildung absprechen? Dann melden Sie sich hierzu einmal.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Vor allem die SPD braucht die Gewerkschaft! – Gegenruf des Abg. Stickelberger SPD: Und Sie würden sie am liebsten verbieten! Oder privatisieren! – Widerspruch des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Vereinbarungen können wir nur gemeinsam abschließen. Wenn wir diesen Teil nicht berücksichtigen, wird der Landespakt nicht erfolgreich bleiben.

Die Wirtschaft beklagt im Ausbildungspakt wieder einmal die mangelnde Ausbildungsreife der Jugendlichen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja, richtig!)

TIMSS, PISA, OECD-Gutachten belegen diesen Tatbestand. Und was machen Sie?

(Abg. Drexler SPD: Nichts!)

Die „Schwäbische Zeitung“ schreibt gestern den absolut zutreffenden Satz:

Chefsache im Kultusministerium müsste es sein, die Schwächsten besser als bisher zu fördern – im Pakt mit den Lehrern.

(Beifall bei der SPD)

Chefsache im Kultusministerium aber ist es, die Schwächsten zu ignorieren, die Lehrer vor den Kopf zu stoßen und Berufsschullehrer mit Deputatserhöhungen zu belasten.

In der nächsten Runde komme ich im Detail zum Ausbildungspakt.