Protokoll der Sitzung vom 14.07.2004

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Jeder weiß, dass das gesamte Projekt der künftigen Europäischen Union in den Augen der Bevölkerung diskreditiert würde, wenn die Stabilität des Euro in ernsthafte Gefahr geriete.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Wohl wahr!)

Dritte Frage: Wie steht es um die Transparenz, um die Verständlichkeit des Verfassungstextes und um die demokratische Legitimation?

Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Der Umfang von 460 Artikeln scheint zunächst auf das Gegenteil hinzuweisen. Dabei muss man aber sehen, dass auf den Teil III mit seinen umfangreichen Fachpolitiken über 340

(Ministerpräsident Teufel)

Artikel entfallen. Der eigentliche Kern der Verfassung, also die Teile I, II und IV, ist mit seinen etwa 130 Artikeln kürzer als unser Grundgesetz.

Die Verständlichkeit des Vertrags ist dank des Teils I, der die grundlegenden Fragen regelt, vor allem gegenüber dem Vertrag von Nizza deutlich verbessert.

Im Teil III ist pflichtgemäß zusammengeschrieben, was verstreut in zahlreichen europäischen Verträgen geltendes Recht ist. Das war die Vorgabe der Staats- und Regierungschefs an den Konvent.

Die bisher unübersichtlichen und vielfältigen Rechtsakte der Europäischen Union werden wesentlich vereinfacht. Künftig wird es nur noch sechs statt der bestehenden 15 unterschiedlichen Rechtsakte geben, und diese unterliegen einer klaren Normenhierarchie.

Meine Damen und Herren, das Europäische Parlament ist unter den EU-Institutionen der eigentliche Gewinner des Verfassungsprozesses, und das halte ich für gut.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der SPD und der Grünen)

Das Europäische Parlament als das von den Bürgern direkt gewählte Organ arbeitet nach dem Verfassungsentwurf nun auf gleicher Augenhöhe mit dem Ministerrat. Beide sind künftig durchgehend als Tandem zur europäischen Gesetzgebung berufen: das Europäische Parlament als „Bürgerkammer“, der Europäische Rat als „Staatenkammer“.

Der Zugewinn an Transparenz, an Verständlichkeit des Verfassungstextes und an demokratischer Legitimation kann sich sehen lassen.

Vierte Frage: Werden die Zukunft der Regionen und ihre Gestaltungsspielräume im Verfassungstext hinreichend abgesichert?

Meine Damen und Herren, hier ist die Aussage wichtig: Die innere Ordnung eines Mitgliedsstaats ist Sache der nationalen Verfassung und nicht Sache der Europäischen Verfassung. Die Europäische Verfassung befasst sich also nicht mit den innerstaatlichen Kompetenzen der Länder in Deutschland oder der Regionen, der Städte und Gemeinden in Europa, sondern achtet sie.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Die Anerkennung der nationalen Identität mit der regionalen und kommunalen Dimension und besonders die Verankerung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts sind erstmals Bestandteil eines europäischen Vertrags, nämlich dieses Verfassungsentwurfs.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Auch künftig besteht die Möglichkeit, dass Länderminister Deutschland im Ministerrat vertreten, wenn dort Ländermaterien verhandelt werden. Das ist natürlich ein Novum für alle anderen Staaten, außer Belgien; aber es ist für Belgien und Deutschland eine ganz wichtige Sache.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Das Frühwarnsystem ist, wie ich dargestellt habe, auch ein wichtiger Beitrag zur Stärkung des regionalen Gedankens.

Fünftens: Ein Versäumnis sind der fehlende Gottesbezug und die fehlende Verankerung des christlichen Erbes Europas.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

In der Präambel der Verfassung findet sich weder ein Gottesbezug, wie ihn etwa unsere Landesverfassung oder unser Grundgesetz enthält, noch eine Verankerung der jüdischchristlichen Wurzeln Europas. Ich halte es für einen Fehler, dass die Europäische Verfassung die Wurzeln einer 2 000jährigen Kultur- und Religionsgeschichte abschneidet.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Die Bundesregierung hat sich trotz aller Lippenbekenntnisse nicht wirklich für dieses Thema eingesetzt.

(Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Sonst hätte sie zumindest den Brief von sieben Außenministern an die Präsidentschaft mit unterzeichnet, die sich für die Verankerung des christlichen Erbes ausgesprochen haben.

Die Frage einer Verankerung dieser Werte in der Präambel hat wie keine andere Frage im gesamten Verfassungsprozess die Bürgerinnen und Bürger umgetrieben. Allein zu diesem Thema habe ich mehr Briefe bekommen als zu allen anderen Fragen der Verfassung. Wer also mehr Bürgernähe will, sollte die Themen aufgreifen, die die Bürger besonders bewegen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Deswegen bleibt dieser Punkt für mich auf der Agenda. Schon wenn die Europäische Union über die Frage eines Beitritts zur Europäischen Menschenrechtskonvention befindet, muss diese Frage wieder auf den Tisch kommen.

Meine Damen und Herren, ich habe eingangs gesagt, dass wir noch nicht am Ende des Weges angekommen sind. Die Verfassung muss noch 25 Hürden nehmen. Sie muss nun in allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. In Irland und Dänemark ist hierfür zwingend ein Referendum erforderlich. Aber auch andere Staaten wie Spanien, Frankreich und Großbritannien werden sich vermutlich für ein Referendum entscheiden.

Die entscheidende Frage, meine Damen und Herren, ist für mich nicht, ob der Bürger seine Stimme im Rahmen eines Referendums abgibt; die entscheidende Frage ist, ob wir die Inhalte und Ziele dieser Verfassung den Bürgerinnen und Bürgern in Europa und in Deutschland vermitteln können.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ich sehe hier eine wichtige Aufgabe für alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments, aber auch für die Abgeordne

(Ministerpräsident Teufel)

ten des Bundestags und dieses Landtags. Das ist eine Bringschuld der Politik und keine Holschuld der Bürger.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der SPD und der Grünen)

Eine Verfassung politisch zu verabschieden ist eine Sache, sie den Menschen verständlich zu machen und in den Bürgern zu verankern, eine zweite. Die geringe Wahlbeteiligung in vielen Ländern bei der Europawahl hat gezeigt, wie fern Europa vielen Bürgern ist. Die Europawahl hat aber auch gezeigt, dass man in den kommenden Jahren mit Erweiterungen und dem inneren Ausbau sehr behutsam vorgehen muss. Es ist nicht zu übersehen, dass in vielen Ländern die Europaskepsis zugenommen hat.

Ich begrüße deshalb die Initiative des früheren griechischen Ministerpräsidenten Kostas Simitis, mit anderen ehemaligen Staatsmännern in den kommenden Monaten für die Verfassung zu werben. Europa – und wofür Europa steht – muss noch stärker mit Gesichtern und Persönlichkeiten verbunden werden, die für Europa stehen. Verdiente Europäer aus allen Ländern, wie etwa der einzige Ehrenbürger Europas, Bundeskanzler a. D. Helmut Kohl, und andere sollten diese Initiative mit begleiten.

Meine Damen und Herren, wir haben in der Bilanz des Verfassungstextes deutlich gesehen, dass die neue Europäische Verfassung die regionale Dimension deutlich stärkt. Darüber hinaus bringt sie auch eine Stärkung der nationalen Parlamente mit sich. Diesen klaren Befund müssen wir nun auch bei unserer innerstaatlichen Debatte im Auge behalten, und wir müssen die neuen Rechte auch tatsächlich nutzen. In der deutschen Föderalismuskommission ist davon wenig die Rede, sondern mehr von einer Schwächung der Länderrechte nach Artikel 23 des Grundgesetzes.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Der Bundesrat und der Bundestag sowie die Länderparlamente müssen weiter gestärkt werden. Der auf europäischer Ebene gespielte Ball muss nun innerstaatlich aufgenommen und weiter offensiv nach vorn gespielt werden. Das heißt, wir müssen die auf der EU-Ebene gewährten Rechte auch innerstaatlich so umsetzen, dass sie ihre „volle Wirkung“ erreichen. Darüber hinaus müssen wir bei den bisherigen Länderrechten gemäß dem Europaartikel des Grundgesetzes, dem Artikel 23, zu einer Stärkung und nicht zu einer Schwächung der Länderrechte kommen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Aus meiner Sicht gibt es drei zentrale Bereiche, in denen die Länder in der Verfassung Rechte erstritten haben, die nun auch innerstaatlich umgesetzt werden müssen.

Das Frühwarnsystem gibt jeder Kammer eines nationalen Parlaments das Recht, bei einer EU-Vorlage einen Subsidiaritätsverstoß zu rügen. Hierfür sind enge Fristen von sechs Wochen vorgesehen. Nun haben wir die Organisation dieses Verfahrens im Bundesrat noch nicht „durchdekliniert“, aber wir behandeln schon jetzt alle Vorlagen der EU im Bundesrat. Es sind also bereits Strukturen vorhanden. Aber wir müssen diese Strukturen im Hinblick auf die kurzen Fristen deutlich optimieren, und wir müssen stärker poli

tisch gewichten, um bei wirklich spürbaren Subsidiaritätsverletzungen auch schlagkräftig zu sein. Das heißt, das Instrument ist umso wirksamer, wenn wir nicht inflationär mit unseren Rechten umgehen, sondern sie gut dosieren und gezielt einsetzen.

Dabei will ich auch den Landtag ansprechen. Ich will, dass EU-Vorlagen unmittelbar auch dem Landtag übermittelt werden, damit Sie rechtzeitig informiert sind und damit Sie auch innerhalb der Fristen an die Adresse der Landesregierung reagieren können.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Zweite ist das Klagerecht des Bundesrats. Das Frühwarnsystem ist zunächst ein Warnsignal an die Kommission. Seine Effektivität hängt auch davon ab, dass der Bundesrat als Damoklesschwert das Druckmittel hat, vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen, wenn die Kommission dem Subsidiaritätsverstoß nicht abhilft. Das war Monate strittig, und es hat ungeheurer Anstrengungen bedurft, es durchzusetzen.