Protokoll der Sitzung vom 06.10.2004

Für die FDP/DVP-Fraktion bedeutet dies aber nicht, dass wir einen Schutzzaun um das Notariat ziehen wollen oder ziehen können. Gerade weil das Notariat immer stärker als Dienstleistungsunternehmen betrachtet wird, müssen wir es an der freiberuflichen Konkurrenz messen lassen und muss es mit der Qualität des Angebots Schritt halten. Immerhin stellen wir ja in Gesprächen fest, dass doch einige Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in Nachbarländer oder sogar ins benachbarte schweizerische Ausland ausweichen, um dort Beurkundungen vornehmen zu lassen.

Wir werden einige Bereiche der Justiz in Zukunft anders organisieren müssen als heute. Nach Überzeugung der FDP/ DVP-Landtagsfraktion gehört hierzu auch das Notariatswesen in Baden und Württemberg. Sie wissen, dass die Diskussion um die Freiberuflichkeit der Notare weiter auf der Tagesordnung steht. In der gesamten Europäischen Union gibt es nur noch bei uns in Baden-Württemberg verbeamtete Notare. Portugal hat sich ja entschlossen, zum freiberuflichen Notariatswesen überzugehen.

(Zuruf des Abg. Moser SPD)

Möglicherweise wird auch die anstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs neuen Schwung in diese Debatte bringen.

Wir jedenfalls möchten, dass die baden-württembergischen Notare in die Freiberuflichkeit überführt werden. Wir hatten auch Sympathie für den Wunsch, im Rahmen der Verwaltungsreform für das gesamte Land eine einheitliche Regelung hierzu zu treffen. Sie wissen, dass dies wie auch andere Personalforderungen – zum Beispiel die Ausbringung von 85 Neustellen für die Amtsnotariate im Staatshaushaltsplan 2000/2001 – allein aus finanzpolitischen Gründen – Kollege Günther-Martin Pauli hat das angesprochen – vom Koalitionspartner nicht gewünscht war.

Jahre der Diskussion über die Strukturreform des Notariatswesens sind ins Land gegangen, Jahre, in denen man nach unserer Auffassung besser früher gehandelt hätte, um die finanzpolitischen Folgen abzufedern. Die Bundesratsinitiative zur Zulassung von 25 Notaren im badischen Rechtsgebiet ist nun eingebracht. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die Unterversorgung mit Notariaten im badischen Rechtsgebiet zu beseitigen. Das Gesetz wurde ja nach Beratung im Bundestag an den Vermittlungsausschuss verwiesen, der am 22. September 2004 die Beratung vertagt hat.

Ich darf an dieser Stelle die Kollegen von der SPD daran erinnern, dass sie ebenfalls in diese Richtung vorgegangen sind. Kollege Gustav-Adolf Haas

(Abg. Dr. Caroli SPD: Aha!)

hat am 17. Dezember 1992

(Abg. Fischer SPD: 1992!)

in einem Brief an den damaligen Justizminister Dr. Thomas Schäuble ausgeführt – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

Ich frage an, ob die Landesregierung mit mir der Meinung ist,

so der Abgeordnete Gustav-Adolf Haas von der SPD –

dass die freiberufliche Ausgestaltung des Notariats in der Form eines Nurnotariats bayerischer Prägung geeignet ist, den Ansprüchen an einen modernen Dienstleistungsbetrieb besser zu genügen, oder ob die Landesregierung andere Wege sieht und aufzeigen kann, wie den vorhandenen virulenten Missständen abzuhelfen ist.

(Abg. Capezzuto SPD: Wo haben Sie den Brief her?)

Insofern frage ich mich, warum Sie hier Kritik üben. Denn Kollege Gustav-Adolf Haas hat hier völlig Recht,

(Abg. Fischer SPD: Er hat doch nur gefragt, Kolle- ge Theurer!)

und er hat auch die Meinung der FDP/DVP Baden-Württemberg wiedergegeben.

(Abg. Junginger SPD: Lesen Sie einmal die Ant- wort vor! – Abg. Fischer SPD: Sie wissen doch nicht, warum er gefragt hat! – Abg. Junginger SPD: Kennen Sie die Antwort?)

Ich kenne die Antwort nicht.

(Lachen bei der SPD – Abg. Junginger SPD: Rohr- krepierer! – Abg. Capezzuto SPD: Lächerlich!)

Sie wissen, dass Kollege Dr. Thomas Schäuble eine andere Meinung hatte, als sie der jetzige Justizminister hat. Richtig ist, dass Kollege Gustav-Adolf Haas von der SPD fragte, ob die Landesregierung m i t i h m der Meinung sei, dass das freiberufliche Notariat, das ja in anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland sehr gut arbeitet, auch für uns der richtige Weg sein könnte.

(Zuruf des Abg. Stickelberger SPD)

Nun komme ich zu den Gerichtsvollziehern, meine Damen und Herren. Auch die Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher müssen nicht zwingend verbeamtet sein. Wie in vielen anderen europäischen Ländern könnten sie auch bei uns als Freiberufler arbeiten.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Theurer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des von Ihnen angesprochenen Abg. Gustav-Adolf Haas?

Ja. Bitte schön. Dann möchte ich aber zu den Gerichtsvollziehern kommen.

Zunächst bedanke ich mich, dass Sie meinen Worten von 1992 so viel Gewicht beigemessen haben.

(Heiterkeit)

Ich könnte Ihnen auch sagen, in welchem Zusammenhang diese Anfrage gestellt wurde. Dies darzulegen würde aber wahrscheinlich länger dauern, als es das Parlament zuließe. Ich biete mich aber zur Nachhilfe an.

Ich beantworte die Frage, ob ich bereit sei, mit Ihnen zu sprechen, mit Ja. Wir sprechen ja auch gerne.

(Heiterkeit)

Jetzt komme ich zu den Gerichtsvollziehern zurück. In der Vergangenheit konnten wir durch den Neuzugang von Stellen die Durchschnittsbelastung der Gerichtsvollzieher senken. Immerhin haben wir seit 1996 in diesem Bereich 16 % mehr Stellen geschaffen. Insgesamt sind dies 85 neue Stellen, die auch durch Umschichtung geschaffen worden sind.

Trotzdem neigen Gläubiger zunehmend dazu, sich unseriöser Eintreibungsdienste zu bedienen, weil sie der Auffassung sind, dass das bestehende Vollstreckungssystem in Deutschland ihren Bedürfnissen nicht mehr gerecht wird. Ich sage ganz deutlich, dass ich diese Entwicklung für sehr bedenklich halte, gerade wenn man hört, mit welchen Praktiken, die auch in die Richtung mafiöser Strukturen gehen, hier zum Teil gearbeitet wird.

Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation, meine Damen und Herren, sind Unternehmen und Gewerbetreibende sowie Freiberufler darauf angewiesen, dass ihre Forderungen schnell und effektiv eingezogen werden können, da sie ansonsten selbst zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten.

Die steigenden Insolvenzraten sind auch ein Beweis dafür, dass im Vollstreckungswesen zurzeit erhebliche systembedingte Defizite vorliegen. Insbesondere der Mittelstand ist von einem ineffektiven Vollstreckungssystem in besonderer Weise betroffen, da Forderungsausfälle sehr schnell zur eigenen Zahlungsunfähigkeit kleiner und mittelständischer Betriebe führen können.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Das machen die Privaten besser? Das will ich zuerst einmal sehen!)

Die Zahlungsmoral der Deutschen ist leider auf einem neuen Tiefstand angelangt. Erstmals mussten Gerichtsvollzieher, Herr Kollege Oelmayer, in mehr als einer Million Fälle offene Forderungen eintreiben. Besonders besorgniserregend ist, dass die Zahl der Fälle, in denen Menschen nicht bezahlen, ihre Forderungen nicht begleichen, vor allem in Baden-Württemberg sehr stark zugenommen hat. Die Spitzenreiterposition in Sachen mangelnde Zahlungsmoral nah

men dabei die Einwohner von Baden-Württemberg und Niedersachsen ein. In diesen Ländern ist die Zahl der Zwangsmaßnahmen gegenüber 2002 um 41 bzw. 40,2 % gestiegen.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Zahlen die schlechter als die Niedersachsen, oder was?)

Deshalb hat auch der Deutsche Gerichtsvollzieherbund völlig Recht, wenn er beschlossen hat, dass wir in Deutschland das freie Gerichtsvollziehersystem einführen sollten. Wir von der FDP/DVP wollen dies im Auge behalten. Der Hintergrund dafür ist, dass es in anderen europäischen Ländern wie Belgien, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden besser funktionierende Gerichtsvollziehersysteme gibt.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Sind die besser, weil sie privatisiert sind?)

Deshalb sind wir der Meinung: Wenn die Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher in Deutschland im europäischen Raum auch in Zukunft eine Existenzberechtigung als Dienstleistungsunternehmen in der Zwangsvollstreckung haben wollen, so müssen sie sich zwangsläufig an den Systemen orientieren, die sich in Europa bereits als erfolgreich für die jeweiligen Auftraggeber erweisen und die in Europa schnellere Vollstreckungen und Zustellungen garantieren.

(Abg. Stickelberger SPD: Sind Sie sicher?)

Die SPD ist dagegen. So hat Kollege Drexler am 17. Dezember 2003 bei der Ersten Beratung des Staatshaushaltsplanentwurfs 2004 gesagt:

Jetzt wollen Sie die Gerichtsvollzieher privatisieren! Lassen Sie das bleiben. Da sehen Sie ganz schlecht aus. Das sagen alle Fachleute.

Ich sage: Es gibt auch Fachleute, die das besser begriffen haben als Kollege Drexler. Zum Beispiel sagte der Justizminister von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, SPD, gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“, die Aufgaben, die nicht zwingend von der Justiz erledigt werden müssten, sollten Dritten übertragen werden. Er plädierte für eine Privatisierung der Gerichtsvollziehertätigkeit.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Das ist ja ein merkwür- diges Rechtsstaatsverständnis, Herr Kollege!)

Da hat er auch völlig Recht. Das ist auch das Ziel der FDP/ DVP. Wir hoffen, dass wir im Landtag auch hierfür eine Mehrheit bekommen,

(Zuruf des Abg. Moser SPD)

damit wir über entsprechende Bundesratsinitiativen in diese Richtung gehen können und das Gerichtsvollzieherwesen privatisieren können, um es effizienter und effektiver zu gestalten, wie es viele andere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bereits erfolgreich praktizieren.