Protokoll der Sitzung vom 07.10.2004

(Abg. Zeller SPD: Fangen sie von vorne an!)

fangen sie noch einmal komplett neu an. Das halte ich für einen unverantwortlichen Umgang mit der Lebenszeit junger Menschen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU – Abg. Schmiedel SPD: Sehr gut! – Abg. Wintruff SPD: Noch einmal drei Jahre! Noch einmal densel- ben Stoff!)

Es sind viele; ich habe eine genaue Statistik. Das können wir alles ganz sachlich austauschen. Ich will nur dafür werben. Das sind nicht ein paar, sondern immer mehr.

Wir kommen in der beruflichen Bildung auf 13, 14 und 15 Schuljahre. Deshalb ist mein Vorschlag, der auch ins neue Berufsbildungsgesetz der Bundesregierung aufgenommen werden soll, dass wir zu Vereinbarungen auf der Ebene der Länder kommen, unter welcher Voraussetzung die Zulassung zu einer Kammerprüfung möglich ist. Zum Beispiel kann man sagen: Wer ein Jahr oder eineinhalb Jahre ein Praktikum in einer Bank macht, also fünf Tage in der Woche in der Bank ist, der wird dann zur Kammerprüfung zugelassen. Ich will keinen Tag weniger Praxis, aber ich möchte nicht, dass bis zum endgültigen Abschluss fünf Jahre berufliche Schule liegen. Das ist mein Anliegen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU – Abg. Schmiedel SPD: Sehr gut! Wo bleibt der Bei- fall der CDU? Wie kann man die eigene Ministerin so im Regen stehen lassen? – Gegenruf des Abg. Dr. Birk CDU: Wir sind doch keine Ideologen, Herr Kollege! Beruhigen Sie sich ein wenig! Bei Ihnen tritt ja schon die Halsschlagader hervor!)

Da möchte ich einfach um Ihre Unterstützung bitten.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Hofer?

Ja, bitte schön.

Frau Ministerin, ich bin sehr dankbar, dass man das Thema erörtern kann. Ihnen ist sicherlich bekannt, dass seitens der Unternehmer große Klagen und viele Briefe kommen, in denen größte Bedenken geäußert werden, eine duale Ausbildung, die wir ja haben, ohne einen praktischen betrieblichen Teil durchzuführen.

(Abg. Wintruff SPD: Was hat denn das damit zu tun?)

Meine Frage ist – das muss ja nicht die ganze Zeit sein –: Kann ich Ihren Worten entnehmen, dass Sie auf die Klage der Unternehmer eingehen und dass ein betrieblicher Teil

(Abg. Ruth Weckenmann SPD: Herr Hofer, die sind doch im Betrieb!)

immer mit dabei sein wird, oder geht die Klage der Unternehmer an Ihnen vorbei?

(Abg. Wintruff SPD: Herr Hofer, Sie haben es noch nicht begriffen! Einmal ganz langsam für Herrn Hofer! – Weitere Zurufe – Unruhe)

Seien Sie doch ruhig, dann kann ich anfangen. Sie sind gerade die Lautesten.

(Abg. Dr. Birk CDU: Wie in der Schule, liebe Freunde! – Abg. Fleischer CDU: Sie bekommen bald eine Strafarbeit!)

Es ist doch alles nicht so schwierig. Ich habe nie den Standpunkt vertreten, dass der Schulbesuch allein für die Kammerprüfung reicht. Das ist ein schlichtes Missverständnis. Übrigens haben wir ausführlich mit den Präsidenten und den Hauptgeschäftsführern der Handwerkskammern und der Industrie- und Handelskammern in Brüssel darüber gesprochen. Natürlich kann man sagen: Eine Gefahr könnte sein, dass es für Schüler und ihre Eltern attraktiv ist, erst einmal ein Berufskolleg zu absolvieren und dann über die zusätzliche Praxiszeit zur Kammerprüfung zugelassen zu werden. Nur müssen wir abwägen.

Damit komme ich zum zweiten Punkt. Wir haben in diesem Schuljahr in den beruflichen Vollzeitschulen eine Zunahme der Schülerzahlen um 5 200 und in den Berufsschulen einen Rückgang um 3 500 Schüler.

(Abg. Wintruff SPD: Jetzt kommen wir zu Zahlen, Herr Hofer!)

Ich habe mich deshalb gemeldet, weil ich sagen muss, dass ich der Wirtschaft für jede Lehrstelle dankbar bin, die sie zur Verfügung stellt. Ich sage das bei jeder Gelegenheit. Ich bin aber auch den Schulen dafür dankbar, dass sie das alles wieder verkraften. Die verkraften jetzt wieder sehr viel mehr Schüler, sehr viel größere Klassen, und dieser Prozess führt zu sehr viel mehr Verstaatlichung der beruflichen Bildung als alles, was wir zur Verzahnung tun können. Deswegen werbe ich für Verzahnung. Es darf keinen Verlust an Praxiszeit geben, und praktische Erfahrung ist die Stärke der dualen Ausbildung. Ich stelle aber nach neun Jahren Amtszeit fest, dass jedes Jahr der Anteil derer zunimmt, die in beruflichen Vollzeitschulen sind, und dass das Angebot an Lehrstellen auch in einer so guten Situation, wie wir sie an sich haben, abnimmt. Das ist unser Problem. Da müssen wir Gegenstrategien entwickeln.

Dritter und letzter Punkt. Dann bin auch ich fertig.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Ministerin, gestatten Sie vorher zwei Zwischenfragen, nämlich von Frau Abg. Netzhammer und von Herrn Abg. Winkler?

Bitte schön.

Frau Ministerin, ich habe nur eine ergänzende Frage. Sie haben vorhin gesagt, die in der Berufsschule absolvierte Unterrichtszeit sei eine Verschwendung von Lebenszeit dieser jungen Menschen.

(Abg. Zeller SPD: Sie hat es nicht kapiert! – Abg. Wintruff SPD: Bisher müssen wir es doch ma- chen!)

Ist es nicht auch eine Verschwendung von teuer bezahlter Unterrichtszeit, wenn diese jungen Erwachsenen doppelt und dreifach die gleichen Ausbildungsinhalte absolvieren müssen?

(Abg. Fischer SPD: Das ist doch kein Wider- spruch! – Abg. Wintruff SPD: Wo ist denn da ein Widerspruch?)

Unbestritten. Es ist im Hinblick auf die Ökonomie des Lebens und des öffentlichen Haushalts in jeder Hinsicht eine Entwicklung, die nicht gut ist und die wir stoppen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Win- truff SPD: Die Wirtschaft ist aber immer noch da- gegen!)

Frau Ministerin, zum Stichwort „berufliche Vollzeitschule“, wie von Ihnen bereits mehrfach erwähnt: Ist Ihnen bekannt, dass ein Chemiebetrieb für die Ausbildung zum Prozessleitelektriker bei einem sehr guten Realschulabschluss ein Jahr Vollzeitschule voraussetzt, damit der Betreffende dann eine Lehre machen kann, die dreieinhalb Jahre dauert? Das bedeutet viereinhalb Jahre Ausbildungszeit für einen Facharbeiterberuf – bei einem erstklassigen Realschulabschluss.

Ja. Auch das ist mir bekannt. Ich habe eben nur das eine Beispiel exemplarisch genannt. Ich könnte eine Menge weiterer Beispiele nennen, die allesamt darauf hinweisen: Wir müssen alle diese Bildungsgänge einmal durchgehen und auch überlegen, was man Schülern zumutet. Es ist ja keine Frage: Die Anforderungen sind gestiegen. Der Ausbildungsbetrieb und die Schule müssen den gestiegenen Anforderungen gerecht werden. Aber das kann nicht zu einer immer weiter ausufernden Bildungszeit führen. Da sind wir uns einig.

Ich sage einmal: Im Bundesrat ist das jetzt durch alle Ausschüsse gegangen. Wir müssen an dieser Stelle weiterkommen. Man muss da überhaupt keinen Gegensatz zwischen Wirtschaft und Schule aufbauen, sondern da müssen gemeinsame Konzepte entwickelt werden.

Dritter und letzter Punkt: Ich bitte aber auch, ein bisschen behutsamer zu sein. Wenn Sie hier das dreigliedrige Schulsystem kritisieren, weil dabei zum Beispiel eine Selektion stattfinde, dann wissen Sie doch: Baden-Württemberg hat europaweit die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit. Nirgends in Europa gelingt der Übergang von Bildung und Ausbildung in Beschäftigung so gut wie bei uns.

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das liegt aber nicht am dreigliedrigen Schulsystem!)

Wenn es jetzt wirklich 20 % sind –

(Abg. Wintruff SPD: PISA, OECD! – Zuruf des Abg. Zeller SPD)

Sie reden von der Risikogruppe –, dann muss man doch sagen: Unser differenziertes Bildungswesen mit dem Zusammenspiel von allgemein bildenden und beruflichen Schulen – denken Sie an die Kooperationsklassen – ist, bislang jedenfalls, europaweit der wirksamste Weg, um den Anteil der Risikogruppe von 20 % auf einen am Ende noch übrigen Restanteil von 4 % zu bringen. Die 4 % sind mir auch noch zu viel. Aber nirgends gelingt dieser Übergang so gut. Deshalb sollten Sie die Leistungsfähigkeit unseres Bildungswesens nicht dauernd infrage stellen, zumal es kein Nachfolgemodell in Europa gibt, das zu einer solch hohen Wirksamkeit und Nachhaltigkeit mit Blick auf Beschäftigung und berufliche Biografien kommt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Wintruff SPD: Ich habe aber gefragt, wie Sie den Hauptschülern helfen wollen!)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Beim Antrag Drucksache 13/2327 handelt es sich um einen Berichtsantrag. Er ist mit dieser Aussprache erledigt. – Gegen diese Feststellung erhebt sich kein Widerspruch.

Damit ist Tagesordnungspunkt 7 abgeschlossen.

Ich rufe noch einmal Tagesordnungspunkt 4 auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Neuregelung des Gebührenrechts – Drucksache 13/3477

Hier wird von den Fraktionen beantragt, dass dieser Gesetzentwurf zur Mitberatung auch an den Ausschuss Ländlicher Raum und Landwirtschaft überwiesen werden soll. – Sie stimmen der Überweisung zu.

Damit ist Punkt 4 der Tagesordnung endgültig abgeschlossen.

Ich rufe nunmehr Punkt 8 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der CDU und Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums – Wirtschaftliche Beziehungen zwischen Baden-Württemberg und den Vereinigten Staaten von Amerika – Drucksache 13/2269