Protokoll der Sitzung vom 10.11.2004

Wir hatten erst kürzlich im Finanzausschuss nicht wenige Punkte, die gezeigt haben, dass uns mit dem Artikel 33 Abs. 5 des Grundgesetzes zu enge Grenzen in der Gestaltung unseres eigenen Dienstrechts gesetzt sind. Deswegen

wiederhole ich noch mal meinen dringenden Appell. Andere unionsregierte Länder, zum Beispiel Sachsen, sind ja zu einer solchen Auflockerung bereit. Denken Sie noch einmal darüber nach, dass wir – wenn wir ihn schon nicht abschaffen können – wenigstens zu einer Auflockerung des Artikels 33 Abs. 5 kommen. Das Berufsbeamtentum bleibt ja auch dann, wenn wir den Artikel 33 Abs. 4 belassen; in ihm ist ja schon ein besonderes öffentlich-rechtliches Treueverhältnis konstituiert. Aber ich bitte noch einmal darüber nachzudenken, den Artikel 33 Abs. 5 wenn schon nicht ganz abzuschaffen, so doch wenigstens zu modernisieren.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Der dritte Kernbereich der Reform sind natürlich die Sachverhalte mit regionalem Bezug.

Das sind die drei großen Pakete.

Der Bund sollte sich noch einen kleinen Ruck geben, möchte ich einmal sagen. Bei den Hochschulen hat er sowieso nur noch wenige Kompetenzen. Dass die Studiengebühren nicht mehr darunter fallen, darüber gibt es ja Konsens in der Kommission. Also verblieben nur noch wenige Materien, und ich finde, die kann der Bund doch voll an die Länder abgeben.

Ich komme jetzt noch einmal zu einem wichtigen Punkt, Herr Ministerpräsident. Wir haben hier ja einen Antrag zur Reform der Kultusministerkonferenz eingebracht. Ich glaube, Herr Ministerpräsident, in diesem Prozess ist es entscheidend wichtig, dass die Ministerpräsidenten für eine zukünftige KMK ein Modell vorlegen, das alle überzeugt: ein Modell, in dem die noch verbliebenen überregionalen Fragen, die anstehen – Qualitätssicherung, Zugangsberechtigung, Anerkennung von Abschlüssen – so gelöst sind, dass alle überzeugt werden. Das muss ja in den nächsten Wochen passieren.

Es kann nicht wie bisher so gehen, dass der Langsamste das Tempo bestimmt. Es geht nur mit einer schlanken KMK, die sich auf diese wenigen Kernkompetenzen reduziert, ihre Detailbesessenheit endlich ablegt, sich auf Grundsätze beschränkt und auch das Hamburger Abkommen abschafft. Dann kommen wir in der öffentlichen Debatte sicherlich weiter, und dann werden unsere Bundespolitiker eher bereit sein, das vollständig an die Länder zu geben.

Wir haben dazu Agenturlösungen vorgeschlagen. Mit dem Wissenschaftsrat hätten wir eigentlich schon eine Institution, die man in eine solche Agentur überführen könnte und die eben die Qualitätsstandards festsetzt. Darin wären dann unabhängige Wissenschaftler. Wir kämen dann zu einer überzeugenden Lösung, wenn wir in Staatsverträgen solche Agenturen einsetzten. Daran wären dann die Parlamente beteiligt. Dann würde relativ partei- und staatsfern geregelt, was noch überregional zu regeln ist. Damit würden wir im Kern den Weg beschreiten, über den wir uns hoffentlich einig sind, nämlich den Weg zu einer weiteren Autonomie von Hochschulen und Schulen. Das ist, glaube ich, das Programm, das dahinter steckt. Ich bin überzeugt, dass wir dann, wenn wir uns auf diese Agenturlösung einlassen, zu einem überzeugenden Modell kommen, wie auch die Länder schnell und effektiv überregionale Fragen regeln können.

Das Zweite, was ich noch ansprechen muss, ist die Europatauglichkeit. Man muss doch einmal sehen, Herr Ministerpräsident, dass das dem Bund ein ganz großes Anliegen ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es zu einer Lösung kommt, wenn wir da nicht auch kompromissbereit sind. Es scheint mir wichtig, dass auch die Ministerpräsidenten noch einmal überzeugende Vorschläge hierzu machen, wie die Länder in den Bereichen, in denen sie eine eigene Gesetzgebungskompetenz haben, eine Kontinuität wahren und eine klare Vertretung in Brüssel gewährleisten.

Dafür geeignet scheint mir ein Modell zu sein, mit dem die Europakammer des Bundesrats gestärkt wird, bei dem aber auch in der Ständigen Vertretung von Berlin in Brüssel ein Beauftragter der Länder tätig ist und wir nicht nur in unseren eigenen Landesvertretungen direkt mit Europa verhandeln, sondern bei dem auch die Zusammenarbeit verbessert wird. Die Bertelsmann-Stiftung hat dazu gute Vorschläge gemacht. Ich bin sicher, wenn die Länder in den nächsten 14 Tagen selbst noch einmal überzeugende Vorschläge hierzu aufs Tapet bringen, wie wir und unser Föderalismus europatauglicher werden, dann könnte sich auch da noch etwas bewegen.

Herr Ministerpräsident, es geht ja nicht nur darum, dass man sich abstimmt, wenn bereits Vorlagen der Kommission da sind, sondern es geht darum, dass wir schon im Vorfeld, wenn die Grün- und Weißbücher aufgelegt werden, koordiniert in diesem Prozess intervenieren können und dort einheitlich auftreten.

Ich darf zum Schluss kommen. Ich wollte hier nicht all das wiederholen, was andere schon gesagt haben und worüber man sich einig ist. Deswegen habe ich die Differenzpunkte und die Punkte, bei denen ich noch Handlungsbedarf sehe, hervorgehoben. Das soll nicht bedeuten, dass wir nicht im weit überwiegenden Teil völlig einig sind. Wir werden das auch weiterhin sein, und wir werden auch zusammenarbeiten, damit unsere Arbeit zum Erfolg führt.

Lassen Sie mich aber zum Schluss noch Folgendes sagen: Ich höre von Bundespolitikern immer wieder das Argument, mit mehr Dezentralisierung hätten wir ja 16 verschiedene Regelungen in 16 verschiedenen Ländern. Ich meine: Wenn man das nicht will, dann braucht man keinen Föderalismus.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Wenn man will, dass zum Schluss alles gleich und einheitlich ist, dann muss man sich für einen Zentralstaat entscheiden. Das ist also ein völlig unsinniges Argument.

Wir wollen Vielfalt. Vielfalt bedeutet Freiheit, und beides zusammen gibt Gestaltungsfreiheit. Ich bin überzeugt: Wenn wir den Mut haben, auch in Differenz zu anderen eigene Wege zu gehen und uns dem Wettbewerb mit anderen Bundesländern zu stellen, dann wird unser Föderalismus wieder Vitalität bekommen. Er wird diesem Gemeinwesen die vitale Kraft geben, die wir in alten föderalen Traditionen wie der Schweiz oder den USA, die solche föderalen Gemeinwesen haben, sehen können. Da bezieht die Gesellschaft richtiggehend Kraft aus dem föderalen Prinzip. Das ist bei uns leider verschüttet worden, weil wir über den fö

deralen Weg oft nur Einheitlichkeit gesucht haben. Da fragt sich natürlich jeder gleich: Warum macht man es dann nicht gleich von oben her? Davon sollten wir Abstand nehmen.

Die Europäische Union setzt heute in vielen Bereichen Mindeststandards für ganz Europa. Wir brauchen also keine Angst zu haben, dass es einen Dumping-Wettbewerb gibt. Das sehe ich nicht. Das wird auch durch andere Staaten mit noch stärker ausgeprägten föderalen Strukturen nicht bestätigt.

Mit mehr Freiheit für alle ist das wesentliche Ziel der Reform erfüllt. Wir brauchen keine Angst davor zu haben und können uns deswegen mit gutem Gewissen und Optimismus zusammen mit den anderen Landtagsfraktionen und den anderen Ländern dafür einsetzen, dass wir in einem neu komponierten Föderalismus zu mehr Gestaltungsfreiheit kommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, auf der Zuhörertribüne haben zwischenzeitlich hochrangige Vertreter der katholischen Kirche unseres Landes Platz genommen. Stellvertretend begrüße ich den Erzbischof von Freiburg, Herrn Dr. Robert Zollitsch, und den Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Herrn Dr. Gebhard Fürst.

(Beifall im ganzen Haus)

Sie sind heute aus Anlass der Verabschiedung von Herrn Prälat Kopf und der Einführung von Monsignore Bernd Kaut als Leiter des Katholischen Büros Stuttgart in den Landtag gekommen.

Ihre Anwesenheit freut und ehrt uns. Wir freuen uns auf die anschließende persönliche Begegnung.

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich weiß um Ihre zeitliche Bedrängnis wegen des anschließenden Empfangs. Genauso groß ist meine eigene zeitliche Bedrängnis, weil ich nach Berlin zur Föderalismuskommission muss. Ich will deshalb versuchen, es kurz zu machen. Trotzdem sollten wir wissen, was unsere gegenseitigen Standpunkte sind.

Ich stelle wie Sie ein ganz hohes Maß an Übereinstimmung in den Zielen fest, die die Föderalismuskommission aus der Sicht des Landes Baden-Württemberg erreichen sollte – eine vollständige mit Herrn Dr. Schüle und Herrn Dr. Noll, eine ganz weitgehende mit dem, was die Kollegen Kretschmann und Drexler gesagt haben. Aber es gibt einige Abweichungen, bei denen ich auch um meine Meinung gefragt worden bin. Deswegen möchte ich dazu klar Stellung nehmen.

Herr Kollege Drexler, Sie sagten, der Ministerpräsident und die Ministerpräsidenten sollten über den Vorschlag des Bundes nachdenken, dass die Länder die Bundesstraßen übernehmen sollten – also nicht die Bundesautobahnen –

(Ministerpräsident Teufel)

die will der Bund behalten –, sondern die Bundesstraßen. Jetzt muss man sich einmal vorstellen, welch genialer Finanzierungsvorschlag vom Bund unterbreitet worden ist. Ich habe ihn für so unmöglich gehalten, dass ich inzwischen noch einmal das Protokoll angefordert habe. Der Finanzierungsvorschlag lautet: Die Gelder, die die Länder bisher nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz bekommen,

(Lachen der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

und – das steht jetzt im Protokoll, das habe ich gar nicht wahrgenommen gehabt – die Mittel, die für die Wohnungsbauförderung gegeben werden, sollen für den Bundesstraßenbau eingesetzt werden.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das ist ja ein Witz!)

Das muss man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen. „Rosstäuschertrick“ ist als Bezeichnung hierfür noch bescheiden. Das muss ich Ihnen sagen.

(Beifall des Abg. Kurz CDU)

Herr Kollege Drexler, wenn der Bund bereit ist, nicht nur die Mittel, die er im Augenblick für den Bundesstraßenbau einsetzt – mit denen können wir gar nichts machen, keinen Neubau betreiben –, sondern in angemessener Weise originäre Bundesmittel zu geben, die er bisher aufwendet und für die er eine unglaubliche Finanzierungsquelle hat, nämlich die Mineralölsteuer, die ständig erhöht worden ist

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Und die Maut!)

und für andere Zwecke als für den Straßenbau verwandt wird, obwohl sie die Autofahrer bezahlen,

(Abg. Hoffmann CDU: Maut!)

wenn er dazu bereit ist, wie er das beim Regionalverkehr war, dann sind wir bereit, die Bundesstraßen zu übernehmen. Ich glaube, wir würden das abgestimmt in einem Generalverkehrsplan, den der Landtag beschlossen hat, nicht nur gut, sondern sogar besser machen. Aber es ist doch ein Ding der Unmöglichkeit, dafür die Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zu verwenden – eine ganz segensreiche Sache, zuerst 3, dann 6 Pfennig aus der Mineralölsteuer für wichtigste Verkehrsprojekte unserer Kommunen, die sie aus eigener Kraft nie hätten leisten können, eine ganz andere Sache, auf die man im Interesse der Kommunen auf keinen Fall verzichten kann.

(Beifall der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Und das Gleiche gilt natürlich für die Wohnungsbaumittel. Das ist also wirklich kein Angebot. Wenn es dabei bleibt, scheitert der Vorschlag. Wenn der Bund bereit ist, wie früher beim Regionalverkehr in Verhandlungen einzutreten, sind wir selbstverständlich dazu bereit. Aber das bedeutet: Wir brauchen einen Anteil an der Mineralölsteuer oder eine verlässliche andere – und zwar qualitativ wie quantitativ verlässliche – Finanzierungsmöglichkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Zum Thema Steuerautonomie möchte ich noch einmal ausdrücklich sagen, Kollege Drexler, dass ich dafür bin und auch Ihre Argumentation teile, dass die Ostländer keinen Grund haben, dies abzulehnen. Sie sind übrigens dagegen, egal, welche Farbe sie politisch haben. Sie haben dargelegt, warum die ostdeutschen Länder keinen Grund dazu haben. Deswegen brauche ich das hier nicht erneut zu sagen.

Dann sagten Sie, Herr Kollege Drexler, Sie empföhlen Landesministern, sich mit der Forderung nach Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer zurückzuhalten.

(Abg. Drexler SPD: Ja!)

Die Kraftfahrzeugsteuer abzuschaffen wäre eine höchst vernünftige Sache.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)

Deswegen kann ich keinen Minister auffordern, sich mit derartigen Forderungen zurückzuhalten. In dem Anliegen der Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer bestand, wie ich meine, in früheren Jahren in diesem Haus auch einmal Übereinstimmung. Mit der Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer würde erreicht werden, dass die Arbeit von 4 000 bis 6 000 Bediensteten des öffentlichen Dienstes wegfällt. Dadurch könnten wir wirklich eine Einsparung erzielen, eine Verwaltungsreform machen, wie man sie sich nur wünschen kann.