Protokoll der Sitzung vom 15.12.2004

Ich sage Ihnen: Da stimmen die Strukturen nicht. Warum stimmen sie nicht? Sie kürzen bei Institutionen und Projek

ten immer mehr mit dem Rasenmäher. Das heißt, die Regelförderung wird immer stärker abgesenkt. Dagegen werden in der Landesstiftung ständig neue Projekte generiert,

(Abg. Drexler SPD: Ehrenamtspreis!)

die in drei Jahren natürlich vor demselben Problem stehen, wenn Sie das da auch machen. Das ist eine völlig verfehlte Politik.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Scheffold CDU)

Jetzt komme ich zu den Kommunen.

(Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Alle Politik ist am Ende lokal, wie wir wissen, weil die Probleme nun einmal örtlich verschieden sind. Herr Finanzminister, Sie sanieren Ihren Haushalt auf Kosten der Kommunen. Haben Sie sich eigentlich einmal die Frage gestellt, was es bedeutet, wenn Mittel für die Kommunen von Ihnen als Steinbruch benutzt werden?

(Widerspruch des Abg. Dr. Scheffold CDU – Abg. Hauk CDU: Das ist doch gar nicht wahr! Verglei- chen Sie mal brutto und netto! – Abg. Schneider CDU: Krokodilstränen!)

Haben Sie einmal erläutert, was das bedeutet?

(Unruhe)

Reden Sie einmal mit den Kommunen, was das bedeutet. Es bedeutet dasselbe wie das vorhin Genannte: Sie müssen Institutionen schließen, die zum Beispiel auch für die Bildung sehr wichtig sind. Ich nenne einmal die Musikschulen. Wir wissen heute aus der Hirnforschung – Frau Kollegin Schavan wird das bestätigen –, dass frühkindliche Musikerziehung das Beste ist, was man zum Wecken von Begabungen machen kann.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Klein- mann FDP/DVP: In der Tat! – Abg. Dr. Scheffold CDU: Sehr einverstanden!)

Bei Gemeindebüchereien ist es genau dasselbe. Wie wollen Sie es hinbekommen, dass unsere Kinder wieder mehr lesen, wenn Sie das bei den Gemeinden auflaufen lassen?

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Singen! – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Und sich bewegen!)

Wenn diese Sachen auflaufen und zweitens die Initiativen, die die Gemeinden durchführen und an die das bürgerschaftliche Engagement angedockt ist, eingestellt werden, dann kommt das nicht mehr wieder. Wissen Sie, was das bedeutet? Mit kleinen Eingriffen viel kaputtmachen. Das ist genau das, was es bedeutet. Deswegen, finde ich, geht das, was Sie da mit den Kommunen tun, überhaupt nicht. Sie lassen die Kommunen gerade in dem Bereich, der für das kommunale Selbstverständnis wichtig ist, an die Wand fahren.

(Beifall der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE – Wider- spruch des Abg. Dr. Scheffold CDU)

Ich sage Ihnen: Wir sind nicht bereit, mit die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass Sie 30 Jahre lang eine solche Finanzpolitik machen und die Kommunen jetzt an die Wand fahren lassen.

(Abg. Hauk CDU: Das ist doch gar nicht wahr!)

Allerdings können wir natürlich in der jetzigen Situation auch keinen vollständigen Ausgleich vornehmen. Wir schlagen deswegen vor, dass die 90 bis 100 Millionen € aus der Kürzung der 13. Monatspension dazu benützt werden, um die Eingriffe in die FAG-Masse, die Sie planen, zu reduzieren. Wir schlagen vor, das Landeserziehungsgeld in Stufen von jetzt 30 Millionen € ansteigend auf 80 Millionen € umzuwidmen, damit wir die Ziele der Kleinkindbetreuung erreichen können, die die Kommunen vornehmen müssen. Denn auch das gehört zur strategischen Aufstellung des Landes: endlich etwas dafür zu tun, dass wir die Frauen wieder ermutigen, Kinder zu bekommen.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Und die Männer! – Abg. Hauk CDU: Auch die Männer! – Abg. Sti- ckelberger SPD: Gerade die Männer!)

Das ist das A und O. Wir müssen Prioritäten setzen. Diese müssen wir in der Betreuung setzen. Aber über Prioritäten zu reden ist immer leicht. Schwierig wird es bei den Posterioritäten. Das heißt, das geht nur, wenn wir das Landeserziehungsgeld umwidmen. Anders ist das nicht zu finanzieren.

(Beifall bei den Grünen)

Auch die Mittel, die durch Streichung der Eigenheimzulage gewonnen würden, könnten wir den Kommunen zuschlagen. Wir wollen die Förderung der Schulsozialarbeit beibehalten. Wir werden zur Gegenfinanzierung Anträge zum Haushalt einbringen.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Wir wollen die Kommunen insbesondere von weiteren Aufgaben entlasten.

(Zuruf des Abg. Dr. Scheffold CDU)

Jetzt komme ich noch einmal zur Schulpolitik. Auch die Schulpolitik hat nicht nur einen pädagogischen, sondern auch einen fiskalischen Aspekt. Das Großartige ist: Beides fällt zusammen. Wenn wir jetzt eine neue Schulpolitik machen, nach der wir unsere Kinder länger gemeinsam unterrichten, dann tun wir das Beste, was wir für sie tun können, nämlich alle Kinder nach ihrer individuellen Fähigkeit auszubilden und damit aufzuhören, sie auszusortieren. Wenn wir zum Beispiel das Sitzenbleiben abschaffen, bedeutet das schon einmal die Einsparung von 1 000 Lehrerstellen.

Wir haben aber schon heute 300 Minihauptschulen mit weniger als 60 Schülern. Das können wir uns nicht leisten. Sie werden sich bei der demografischen Entwicklung – bis 2020 verlieren wir 250 000 Schüler – dieses dreigliedrige Schulsystem überhaupt nicht mehr leisten können.

(Abg. Hauk CDU: Wollen Sie die Schulen im länd- lichen Raum gänzlich aufgeben?)

Deswegen gehört das zu den ganz zentralen Strukturen, die geändert werden müssen, damit wir für unsere Kinder das Beste machen – und daneben auch für unseren Haushalt.

(Beifall bei den Grünen)

Dasselbe gilt für den Ausbau der Ganztagsschulen, für eine Kinderbetreuung im Kindergarten, die einem Bildungsauftrag folgt, letztlich mit dem Ziel, das Herr Oettinger ja auch genannt hat, das letzte Kindergartenjahr unter Umständen verpflichtend zu machen. Aber auch das ist nur ein Luftballon. Es wird nicht gesagt, welche Konzeption dem zugrunde liegen soll.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Und vor allen Dingen, welche Finanzierung!)

Es wird nicht gesagt, wie es finanziert werden soll. So geht es nicht weiter, Herr Oettinger.

(Beifall bei den Grünen)

Wir können, was die Bundespolitik betrifft, aber auch Vorschläge machen, wie wir sehr viele Stellen einsparen. Jetzt machen wir den Tausch zwischen der Versicherungsteuer und der Kfz-Steuer. Wenn die Kfz-Steuer wegfällt bzw. auf die Mineralölsteuer umgelegt wird, können wir mindestens 600 Stellen einsparen, haben aber denselben ökologischen Effekt. Es hat doch keinen Sinn, wieder Luftballons über eine Pkw-Maut steigen zu lassen, ohne zu sagen, was das bedeutet. Davon haben wir nichts. Erst einmal heißt es Abschaffung nach Tausch, Umlegung auf die Mineralölsteuer, dann sammeln wir damit Erfahrung und können uns schließlich auch seriös über eine Pkw-Maut unterhalten. Vorher ist das ein Luftballon.

(Beifall bei den Grünen)

Lassen Sie mich zum Schluss, Herr Finanzminister, noch Folgendes sagen. Wir müssen auch auf der Einnahmeseite etwas machen. Sie haben in Ihrer Rede in Bezug auf die Steuerhinterziehung von der „Abwanderung in illegale Verhaltensweisen“ gesprochen. Das klingt so, als sei Steuerhinterziehung etwas Ähnliches wie ein Grundrecht auf Freizügigkeit. Ich würde doch etwas klarere und deutlichere Worte von Ihnen erwarten, ähnlich hart wie die, die Sie auf anderen Gebieten gern benutzen.

Es ist klar: Bei den massiven Steuerausfällen, die wir haben – bei den Umsatzsteuern schätzungsweise 20 Milliarden € –,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Aber den Steuerrahmen machen Sie im Bund!)

aber auch mit Blick auf die Kapitalerträge geht es nicht anders, als dass Sie neue Leute in den Finanzämtern einstellen. Wenn Sie 500 Leute einstellen, bringt das 500 Millionen €.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Wie rechnen Sie das? – Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Jeder bringt ei- ne Million! – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Machen Sie lieber einfachere Steuergesetze!)

Wie können wir das rechnen? Wenn wir auf eine Steuererklärung umstellen, die nur alle zwei Jahre abgegeben werden muss, können wir etwa 2 900 Stellen einsparen. Das ist erstens eine Dienstleistung für den Bürger, und zweitens können wir von diesen 2 900 Stellen 500 Stellen für Betriebsprüfungen einsetzen. Dann kommen wir zu den 500 Millionen und tun etwas für die Kasse. Wir tun aber auch etwas für das Gerechtigkeitsempfinden in diesem Land, wenn erkennbar wird, dass auch die, die viel Steuern zahlen müssten, diese Steuern tatsächlich auch bezahlen, und man nicht nur den kleinen Leuten das Geld wegnimmt, während man die anderen laufen lässt. Das geht so nicht weiter, und da sind Sie gefragt.

(Beifall bei den Grünen)

Ich habe unsere Strukturmaßnahmen, die wir schon nach unserer Sommerklausur vorgeschlagen haben, heute noch einmal erläutert. Alle konnte ich nicht nennen, zum Beispiel die ganzen Umstrukturierungen in der Landwirtschaftsverwaltung. Nur ein Beispiel: Unternehmensflurbereinigungen 30 %, Flurneuordnung 70 %. Es ist nicht Kernaufgabe des Staates, den Bauern ihre Äcker zu sortieren. Das können wir in Zukunft nicht mehr machen. Wenn wir das lassen, bedeutet das eine Einsparung in der Größenordnung von 700 Stellen. Das sind die Strukturvorschläge, die wir brauchen, wenn wir das Verhältnis von Staat, Markt und Bürgergesellschaft neu ordnen. Wir sind mutig an die Strukturen herangegangen, haben Vorschläge gemacht.

(Abg. Hauk CDU: Nur zulasten der Kleinen!)

Wir warten darauf, was Sie dazu sagen, und wir warten darauf, dass der künftige Regierungschef in dieser Richtung einen Neuanfang für dieses Land macht,

(Abg. Drexler SPD: Auch im Haushalt!)

weil wir sonst politikunfähig werden, weil sonst nur die Tatsachen regieren und nicht mehr die Politik regiert.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Tatsachen regieren immer!)