Protokoll der Sitzung vom 17.03.2005

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das ist richtig!)

Die Gleichstellung behinderter Menschen und die Förderung der Teilhabe ist uns schon lange ein wichtiges Anliegen. So haben wir in den letzten Jahren bei der Überarbeitung von Gesetzen immer mit überlegt, wie wir die Situation von behinderten Menschen verbessern können. Ich finde, wir haben dabei bereits Beachtliches erreicht.

Denken Sie zum Beispiel an den Bereich des barrierefreien Bauens. Als das Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes 2002 in Kraft trat, waren wir in Baden-Württemberg mit unserer Landesbauordnung von 1996 schon weiter. Seit der letzten Novellierung der Landesbauordnung sind nun auch einschlägige Bestimmungen zum allgemeinen Wohnungsbau enthalten.

Nehmen Sie das Landtagswahlrecht. Hier haben wir die Stimmzettelschablonen für blinde Menschen bereits vorge

sehen, sodass diese Regelung nicht mehr ins Landes-Behindertengleichstellungsgesetz aufgenommen werden muss.

Nehmen Sie integrative Kindergärten und integrative Beschulung. Auch hier sind wir auf einem guten Weg. Auch das Hochschulrecht wurde bereits gesondert überarbeitet.

Meine Damen und Herren, mit dem neuen Landes-Behindertengleichstellungsgesetz wollen wir einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung verstärkter Teilhabe und Selbstbestimmung behinderter Menschen gehen, um die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Wir wollen damit ein Signal setzen und zeigen, dass uns die Belange behinderter Menschen und ihre gleichberechtigte Teilhabe am Leben in unserer Gesellschaft wichtig sind.

Bedenken Sie, bevor Sie an die Bewertung des Gesetzentwurfs herangehen, bitte auch das bisher Erreichte. Bedenken Sie dabei auch, dass die Infrastruktur unseres Landes in der Vergangenheit zugunsten der behinderten Menschen optimal ausgebaut wurde – seien es Werkstätten oder Wohnheime, sei es die Unterstützung des Landes bei ambulanten Diensten wie der Frühförderung oder familienentlastenden Diensten, um nur einiges zu nennen.

Bedenken Sie ferner, dass immer weniger Erwerbstätige immer mehr Leistungsempfänger finanzieren müssen. Deshalb ist es, bei allem Verständnis für die Situation, unsere Aufgabe, das Notwendige von Wünschenswertem abzugrenzen. Aber ich denke, dass es uns mit dem Engagement zugunsten behinderter Menschen gelungen ist, mit diesem Gesetz einen weiteren Schritt zugunsten behinderter Menschen zu gehen. So ist es meine feste Überzeugung, dass der vorliegende Gesetzentwurf zusätzliche, reale Verbesserungen für die Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft bringen wird. Das Benachteiligungsverbot in der Landesverfassung erfährt damit eine stärkere praktische Wirksamkeit.

Das Kernstück des Gesetzentwurfs ist die Herstellung von Barrierefreiheit in wichtigen Bereichen des öffentlichen Lebens, zum Beispiel in Dienststellen und Einrichtungen der Landesverwaltung. Mit „Barrierefreiheit“ ist nicht nur die Beseitigung räumlicher Barrieren für Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte gemeint. Sie umfasst zum Beispiel auch die Verwendung der Gebärdensprache durch hör- oder sprachbehinderte Menschen, und sie bedeutet auch die Möglichkeit der Teilhabe an der Kommunikation über elektronische Medien.

Das Internet wird gerade für Menschen mit Behinderungen ein immer bedeutenderes Informations- und Kommunikationsmedium. Eine uneingeschränkte Nutzungsmöglichkeit für sehbehinderte und blinde Menschen erscheint mir deshalb außerordentlich wichtig. Das Gesetz regelt daher den barrierefreien Zugang zu behördlichen Internetangeboten sowie das Recht auf die Verwendung und Finanzierung eines Gebärdensprachdolmetschers.

Um die Kommunen nicht zu überlasten, haben wir die Bestellung von kommunalen Behindertenbeauftragten – die gefordert wurde – nicht gesetzlich vorgeschrieben. Ich bin aber dennoch sehr zuversichtlich, dass in vielen Kommunen auf freiwilliger Basis Behindertenbeauftragte bestellt werden. Sie wissen, dass Freiwilligkeit häufig auch die Akzep

(Ministerin Tanja Gönner)

tanz erleichtert. Eine solche Koordinierungsstelle wäre sicherlich ein Gewinn.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nichts ist so gut, dass es nicht verbessert werden könnte. Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine Fortsetzung unserer schon bisher guten Politik zugunsten behinderter Menschen im Lande und ein weiterer wichtiger Schritt, um bestehende Benachteiligungen für Menschen mit Behinderungen abzubauen und ihre gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu fördern. Mit dem Landes-Behindertengleichstellungsgesetz wird der rechtliche Rahmen für die Integration und Teilhabe von behinderten Menschen am gesellschaftlichen Leben verbessert.

Jede Einrichtung, jede Organisation und jeder Einzelne ist jetzt aufgefordert, einen Beitrag zu leisten und noch bestehende Hürden abzubauen. Die Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die uns alle angeht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Klenk.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Nicht nur die Landesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte Baden-Württemberg, sondern auch wir haben mit Erleichterung Ende Juli 2004 die Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs durch das Kabinett zur Kenntnis genommen. Auch wenn das Gesetz in seiner jetzigen Fassung weniger beinhaltet, als der eine oder andere vielleicht erwartet hatte, sind wir nach dem vorausgegangenen, durchaus zähen Ringen dankbar dafür, dass zumindest dieser erste Schritt getan werden kann. Dabei dürfen wir nicht vergessen – die Frau Ministerin hat auch darauf hingewiesen –, dass bereits im Jahr 1995 in die Landesverfassung – und höherwertig geht es eigentlich nicht – aufgenommen wurde, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.

(Abg. Braun SPD: Große Koalition!)

Diesem Benachteiligungsverbot wurde in Baden-Württemberg schon in vielen Bereichen auch vonseiten des Landes Rechnung getragen. Ich denke – das wurde auch erwähnt – an die Novellierung der Landesbauordnung, aber auch an die Bestellung eines Beauftragten der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, welcher bislang schon ohne gesetzliche Verpflichtung installiert wurde und der nun für seine Tätigkeit eine gesetzliche Grundlage erhält.

Ein ganz wesentlicher Baustein zur Gleichberechtigung behinderter Menschen auch im gesamten Bereich der Erziehung und der Bildung war die Verankerung der integrativen Förderung 1997 im Schulgesetz sowie im Kindergartengesetz – das war der letzte Schritt –, das seit April 2003 entsprechende gesetzliche Regelungen vorgibt.

Leider – und das muss ich in diesem Zusammenhang auch sagen – war, wie die Erfahrungen zeigen, die Aufnahme des

Benachteiligungsverbots in die Landesverfassung nicht ausreichend, um eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Dies, meine Damen und Herren, stimmt mich bedenklich. Denn alle Gesetze, und seien sie noch so gut und noch so umfangreich, können nur einen Rahmen vorgeben. Wir brauchen einen Abbau von Barrieren in den Köpfen.

(Beifall bei der CDU)

Die zwischenmenschlichen Begegnungen sind der erste Schritt, um einen offenen und unverkrampften Umgang im Miteinander zu entwickeln.

An die Adresse der Behinderten selbst kann ich nur sagen, dass wir – und ich glaube, da werden auch die Kollegen von der Opposition nicht widersprechen – alle an ihrer Seite stehen. Wir werden unser Bestmögliches tun, um nicht nur im baulichen Bereich, sondern in erster Linie in den Köpfen eine Barrierefreiheit umzusetzen. Sie selbst sind dazu aufgefordert, wie dies unser Fraktionsvorsitzender Günther Oettinger beim Jubiläum des VdK ausgedrückt hat,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Wo ist der denn? – Abg. Braun SPD: Der ist gar nicht da!)

weiterhin unbequem – dagegen haben wir gar nichts – und konstruktiv mit der Politik umzugehen.

(Abg. Fischer SPD: Da kann man viel sagen! Ob man es macht, ist ein Unterschied!)

Dreh- und Angelpunkt einer behindertengerechten Politik ist die Innovation, die insbesondere von den Verbänden ausgeht. Sie, die Verbände, sind das Sprachrohr für alle behinderten Menschen im Land und wichtiger und notwendiger Impulsgeber für uns in der Politik für die Schwächeren in unserem Land.

Baden-Württemberg soll und will Zukunftsland für alle Bürgerinnen und Bürger sein. Sollte auch dieser weitere Schritt einer gesetzlichen Regelung im Umgang mit Behinderten nicht zu dem gewünschten Erfolg führen, sind wir deshalb gerne bereit, zu einem späteren Zeitpunkt gegebenenfalls weitere Maßnahmen zu ergreifen, um den Erwartungen der Behinderten gerecht zu werden. Haben Sie aber bitte zum heutigen Zeitpunkt Verständnis dafür, dass wir in einer Zeit – und darüber müssen wir offen sprechen –, in der wir versuchen, Bürokratie abzubauen, und in der die öffentlichen Kassen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stoßen, keine weiteren Zugeständnisse machen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Die Ministerin hat in diesem Zusammenhang bereits auf das derzeit bestehende Spannungsfeld hingewiesen. Dies hindert aber insbesondere die Verbände nicht daran, zum Beispiel in einer Rankingliste öffentliche Einrichtungen anhand ihres Engagements für Behinderte aufzulisten. Dies käme der von uns allen gewünschten Selbstverpflichtung entgegen, und wir haben auch nichts dagegen, wenn sie schwarze Schafe an den Pranger stellen, und verleihen deshalb dem Aufruf der Landesarbeitsgemeinschaft aus dem letzten Jahr „Gleichstellung, aber richtig, auch bei uns“ entsprechenden Nachdruck.

Als sehr positives Signal sehe ich in dem vorliegenden Entwurf, dass ein Passus speziell für Frauen mit Behinderungen enthalten ist, da diese oft in zweifacher Hinsicht benachteiligt sind.

Die Behindertenverbände bitten wir um Verständnis dafür, dass wir eine öffentliche Anhörung zum jetzigen Zeitpunkt für nicht notwendig erachten.

(Abg. Fischer SPD: Warum denn nicht?)

Wir sind uns ihrer Anliegen sehr wohl bewusst, müssen ihnen aber auch hier offen und ehrlich kundtun, dass wir keine Verzögerungen mehr wollen.

(Beifall des Abg. Hillebrand CDU)

Vorhin kam schon der Zwischenruf, dass es lange genug gedauert habe.

(Abg. Fischer SPD: Wie lange haben Sie denn Zeit gehabt? Seit zwei Jahren sagen Sie, Sie würden es vorlegen! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Eine fau- le Ausrede! – Weitere Zu- und Gegenrufe von der SPD und der CDU, u. a. Abg. Braun SPD: Zwei Jahre gepennt und dann keine Zeit, die Betroffenen anzuhören!)

Lieber Kollege Fischer, Sie haben kritisiert, dass alles zu lange gedauert habe. Ich kann Ihnen sagen: Die Anliegen der Verbände sind uns allen doch bewusst und bekannt. Deshalb müssen wir sagen: Wir wollen keine Verzögerungen mehr in Kauf nehmen und jetzt eine Grundlage schaffen, in der die bisherigen Erkenntnisse eingearbeitet sind, und einen ersten Schritt in die richtige Richtung tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Ursula Haußmann SPD: Aber ein ganz, ganz kleiner Schritt, Herr Kollege!)

Das Wort erhält Herr Abg. Staiger.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eigentlich bezeichnend für die Stellungnahmen der Landesregierung und meines Vorredners, der gerade erklärt hat, wir könnten uns jetzt keine Verzögerungen mehr erlauben, dass man dies vor dem Hintergrund einer dreijährigen Diskussionsphase, eines dreijährigen Prozesses tut,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das war schon pein- lich!)

bis man endlich zur Vorlage dieses Gesetzentwurfs gekommen ist. Damit befindet man sich im Ländervergleich an 14. Stelle.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das ist die Wahr- heit!)

Neben uns hat nur noch Thüringen sozusagen die Hausaufgaben zu machen, um ein solches Gesetz vorzulegen.