Trotzdem dürfen wir – das möchte ich abschließend bemerken – in der Tat das Problem nicht zuvörderst unter Kostengesichtspunkten sehen. Wir müssen es insbesondere unter dem Aspekt sehen, dass die Frage, wie wir mit Menschen mit Behinderungen hier in unserem Land umgehen, kein Orchideenthema für ein paar wenige Menschen ist, die von Geburt an behindert sind, sondern – die Ministerin hat die Zahl ja genannt – dass die ganz überwiegende Mehrzahl der Menschen mit Behinderungen in diesem Land ihre Behinderungen leider im Laufe ihres Lebens – aufgrund der demografischen Situation wird das immer häufiger zutreffen – erleben und erleiden müssen. Genau das ist das Thema, das in die Köpfe hineinkommen muss. Es ist nicht etwa ein Spezialthema, sondern es geht uns alle an.
Letztendlich ist das soziale Klima in unserem Land immer dadurch bestimmt, wie wir mit den Schwächeren in unserer
Gesellschaft umgehen. Ich glaube, wir setzen mit diesem Gesetzentwurf ein Signal der Solidarität, da, wo wir es können, für eine bessere Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben in unserem Land.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Braun SPD: Wie gehen wir mit den Menschen um, wenn wir sie nicht einmal anhören! Das ist ja eine Haltung wie vor 100 Jahren! Teilha- be, das ist der Punkt! Aber nicht an ihnen vorbei! Das sind doch bloß Luftblasen! Das kann doch wohl gar nicht sein! Was wir brauchen, ist eine An- hörung!)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte anfangs ein paar Worte zur Entstehung des Gesetzes und zum Umgang mit Menschen mit Behinderungen sagen.
Es wurde ja schon ausgeführt, dass 1994 im Grundgesetz das Benachteiligungsverbot eingeführt wurde. 1995 geschah dies in der Landesverfassung von Baden-Württemberg. Diese zwei Gesetzesänderungen markieren nur den Anfang eines Richtungswechsels in der Behindertenpolitik.
Um Benachteiligungen und Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen im Alltag wirksam zu verhindern und ihnen Anspruch auf umfassende und gleichberechtigte Teilhabe – nicht nur verbal, sondern tatsächlich – am gesellschaftlichen Leben zu geben, sind weiter gehende rechtliche Maßnahmen auf Bundesebene ergriffen worden und auf Landesebene noch zu ergreifen.
Seit 1. Mai 2002 ist das Bundesgesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze in Kraft. Damit ist zum ersten Mal ein Paradigmenwechsel in der Politik für Menschen mit Behinderungen erfolgt. Sie wurden lange Zeit als Objekt wohlfahrtsstaatlicher Fürsorge gesehen und können jetzt eigentlich zum ersten Mal ihr Leben selbstständig in die Hand nehmen und ihre eigene Lebensplanung und -gestaltung verantworten. Ich sage das immer unter der Überschrift: Es ist normal, verschieden zu sein.
Gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen setzt aber natürlich auch eine offene und aufgeklärte Umwelt voraus. Barrierefreiheit kann man einerseits gesetzlich verankern. Barrierefreiheit fängt aber auch in den Köpfen an. Das heißt, wir brauchen sowohl Gesetze als auch einen Diskurs innerhalb unserer Gesellschaft. Das verfassungsrechtliche Benachteiligungsverbot ist deshalb an die gesamte Gesellschaft gerichtet, lässt sich aber nur über gesetzliche Konkretisierungen verankern. Man braucht das überhaupt nicht gegeneinander auszuspielen: Wir brauchen Gesetze, wir brauchen aber auch den Diskurs in der Gesellschaft, um die Barrieren in den Köpfen abzubauen.
Jetzt noch ein Blick zurück in die Vergangenheit: Der damalige Sozialminister und Behindertenbeauftragte Friedhelm Repnik hat die Notwendigkeit eines Landesgleichstellungsgesetzes schon im Mai 2002 bestätigt. Ich habe mir extra noch einmal die Pressemitteilung herausgesucht, in der er geschrieben hat, dass erste Eckpunkte zu einem Landesgesetz in der Feinabstimmung in den Ressorts seien.
Das war im Mai 2002. Beim Tag der behinderten Menschen im Parlament im Oktober 2003 – der Kollege Noll hat es fairerweise schon selber erwähnt – haben sowohl die Landesregierung als auch der Kollege Noll erklärt, dass sie im Jahr 2003, im europäischen Jahr der Behinderten, noch ein Gesetz auf den Weg bringen würden.
Jetzt weiß ich ja, Sie sind kein Mann der Schnellschüsse; das habe ich jetzt schon oft genug gehört.
(Heiterkeit – Abg. Marianne Wonnay SPD: Das kann man wirklich sagen! – Abg. Dr. Noll FDP/ DVP: Das ist immer richtig!)
Aber Pfeifendeckel! Sie haben lange Zeit zum Nachdenken gehabt, aber es ist leider nichts Gescheites dabei herausgekommen.
Dieser Gesetzentwurf bleibt nicht nur hinter den Vorstellungen und Forderungen der behinderten Menschen zurück, sondern auch weit hinter den Regelungen des Gesetzes auf Bundesebene und weit hinter den Regelungen anderer Bundesländer. Sogar Hessen hat im Jahr 2004 ein weiter gehendes Gesetz als Baden-Württemberg verabschiedet.
Deshalb entspricht der Entwurf nicht dem eigentlichen Ziel, die Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen zu verhindern und zu beseitigen und ihnen die gleichberechtigte Teilhabe und eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen.
Bei dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf kann man sich leider des Eindrucks nicht erwehren, dass es vor allem um Kostenneutralität geht. Man kann die Kosten nicht negieren, aber man darf das Ganze nicht nur unter dem Argument der Kosten sehen.
Wenn ich mir diesen Gesetzentwurf durchlese, habe ich den Eindruck: Das Wichtigste war immer Kostenneutralität. Was überhaupt nicht praktiziert wurde, war, dass man die behinderten Menschen beteiligt hat. Diese Teilhabe, die man in Sonntagsreden immer gern vor sich herträgt, wo ist
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Punkte, die nachgebessert werden müssen, hat mein Kollege Staiger vorhin schon aufgezählt. Aber auf eines möchte ich noch hinweisen. Kollege Klenk, Sie haben vorhin gesagt, Sie stünden an der Seite der Menschen mit Behinderungen und Teilhabe und Mitgestaltung seien für Sie wichtig. Deshalb verstehe ich überhaupt nicht die Argumentation, mit der Sie sich einer öffentlichen Anhörung im Sozialausschuss verweigern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Argument, Sie wollten das Inkrafttreten nicht noch länger verzögern, zieht nicht. Denn wenn ich jetzt schon fast drei Jahre darauf gewartet habe, kann ich auch noch vier Wochen zusätzlich darauf warten.
Vor allem: Sie sollten nicht den Eindruck hinterlassen, Sie nähmen die Anliegen der Menschen mit Behinderung nicht ernst. Denn dieser Eindruck besteht im Augenblick.
Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Änderung des Architekten- und des Ingenieurgesetzes und zur Ausführung des Baugesetzbuchs – Drucksache 13/4115
Für die Aussprache nach der Begründung durch die Regierung hat das Präsidium eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.
(Heiterkeit – Abg. Hauk CDU: Der spricht für sich! – Abg. Braun SPD: Wo sind sie denn? Ist der so schlecht? – Unruhe – Abg. Stickelberger SPD: Ich kann es auch machen; wir stimmen eh zu!)
Ich schlage vor, den Tagesordnungspunkt 7, den ich gerade aufgerufen habe, zurückzustellen, bis der zuständige Vertreter der Landesregierung eintrifft,
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu der Mitteilung des Rechnungshofs vom 1. Oktober 2004 – Beratende Äußerung zur kostenorientierten Optimierung der Wirtschaftsförderung in Baden-Württemberg – Drucksachen 13/3641, 13/4106