Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine beiden Vorredner haben bereits auf die Besonderheit der deutsch-französischen Beziehungen hingewiesen und die privilegierten Beziehungen zwischen Baden-Württemberg und Frankreich gekennzeich
net. Es ist, denke ich, in diesem Jahr, 60 Jahre nach Kriegsende, wichtig, daran zu erinnern, dass das nicht selbstverständlich ist und dass wir auf eine Geschichte zurückblicken, die ja viele tragische Momente hatte. Ich empfinde es immer noch als eines der tragischsten Fakten in der deutschen Geschichte, dass es den Politikern in der Weimarer Republik nicht gelungen ist, die Wunden, die im Ersten Weltkrieg zwischen den Nachbarn Frankreich und Deutschland aufgerissen worden waren, zu überwinden und die gegenseitigen Ressentiments zu beseitigen.
Es gab Politiker wie beispielsweise Gustav Stresemann, der mit seinem französischen Amtskollegen Briand versucht hat, das Schlimmste abzuwenden. Den weiteren Verlauf der Geschichte kennen wir.
Umso glücklicher, meine Damen und Herren, können wir uns schätzen, dass es nach dem Krieg, nach 1945 gelungen ist, dieses europäische Einigungswerk voranzubringen, dass es gelungen ist, die Aussöhnung mit unseren französischen Nachbarn zu erreichen, und dass aus ehemaligen Kriegsgegnern Freunde geworden sind.
Baden-Württemberger haben an diesem Projekt aktiv mitgewirkt. Ich erinnere nur an Theodor Heuss, aber auch an Karl Moersch und an Klaus Kinkel, die neben anderen Personen, deren Namen bereits genannt wurden, an diesem Friedens- und Aussöhnungsprozess in Europa maßgeblich beteiligt waren und in ihn gestaltend eingegriffen haben.
Das Land Baden-Württemberg hat unter anderem, natürlich bedingt durch seine Grenzlage, zu Frankreich besonders enge und gute Beziehungen, und zwar sowohl zu den unmittelbaren Nachbarregionen Elsass und Lothringen als auch zu Frankreich insgesamt.
Mittlerweile können wir sagen: Wir haben eine gute Freundschaft. Aber das Wichtigste ist, dass aus dieser Normalität kein grauer Alltag wird.
Wenn wir die Entwicklung in beiden Ländern anschauen, dann, denke ich, müssen wir uns aufgerufen fühlen, größere Anstrengungen zu unternehmen, um zum Beispiel die Sprachkenntnisse in den Schulen zu verbessern. Wir lesen und hören, dass in Frankreich die Bereitschaft, Deutsch zu lernen, abnimmt. Aber wir erleben ja in unseren Schulen auch, dass sich immer mehr junge Menschen nicht für Französisch als zweite Fremdsprache entscheiden, sondern andere Sprachen lernen wollen.
Insofern, denke ich, ist es herausragend und muss an dieser Stelle betont werden, dass Baden-Württemberg mit der Einführung von Französisch in der Grundschule in der Rheinregion, also in der unmittelbaren Nachbarschaft zu Frankreich, einen wichtigen Schritt unter dem Motto „Lerne die Sprache des Nachbarn!“ getan hat. Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass wir das sogar im ganzen Land eingeführt
hätten, weil ich der Meinung bin, dass Kinder eine Sprache am besten dadurch lernen, dass sie in das betreffende Land fahren.
Durch die gemeinsame Erklärung ist ein ganz besonders ehrgeiziges deutsch-französisches Projekt auf den Weg gebracht worden – der Kollege Fleischer hat es bereits angesprochen –: der Eurodistrikt Straßburg – Kehl. Die FDP/ DVP-Landtagsfraktion steht voll hinter diesem Projekt. Wir sind ja in allen Bereichen der Kulturzusammenarbeit, der Bildungszusammenarbeit und der Hochschulzusammenarbeit federführend betroffen. Dieses Projekt ist gleichermaßen einmalig wie ehrgeizig, und wenn es gelingen sollte, den Eurodistrikt in der angedachten Form zu verwirklichen, dann wird auf regionaler Ebene ein europäisches Integrationsprojekt geschaffen, welches eine nicht zu unterschätzende Dynamik für den gesamten Einigungsprozess in Europa entfalten wird. Im Falle des Gelingens ist der Nachweis erbracht, dass über nationale Grenzen hinweg ein gemeinsamer zweisprachig geprägter Lebens- und Wirtschaftsraum entstehen kann.
Allerdings ist es noch nicht so weit. Deshalb gilt es, sich in Geduld zu üben, sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen und gleichzeitig in der praktischen Arbeit nach Lösungen zu suchen. Die Schaffung eines derartigen Modells setzt aber auf beiden Seiten der Grenze die Bereitschaft zum gegenseitigen Geben und Nehmen voraus.
Deshalb wird es auf französischer Seite erforderlich sein, vor allem durch die politisch Verantwortlichen in der Communauté Urbaine de Strasbourg, also dem Stadtverband Straßburg, die Voraussetzungen für ein Geben und Nehmen zu schaffen. Zum Beispiel brauchen wir für den Sitz des Zweckverbands in Straßburg das deutsche Recht oder im Eurodistrikt mit Sitz auf deutscher Seite das französische Recht. Diese Fragen sind derzeit noch nicht gelöst.
Wir erhoffen uns vom Eurodistrikt auch eine Stabilisierung der europäischen Institutionen in Straßburg, und wir als FDP/DVP-Fraktion fordern auch, dass die in der gemeinsamen Erklärung niedergelegte verbesserte Verkehrsanbindung durch die schnellstmögliche Realisierung der europäischen Magistrale Paris–Straßburg–Stuttgart–Budapest eingerichtet wird.
Denn diese ist dringend erforderlich, um Baden-Württemberg besser in das europäische Schienennetz einzubinden.
Meine Damen und Herren, als Reiseland ist Baden-Württemberg ein Ziel für viele französische Touristen. Gerade im Schwarzwald sehen wir, dass unsere französischen Freunde sehr gern in unser Land kommen. Unser Wirt
schaftsminister, der für seine frankophile Haltung bekannt ist, ist ja dabei, durch eine Tourismusoffensive noch mehr Gäste aus Frankreich in das Land Baden-Württemberg zu bekommen.
Schließlich möchte ich noch die große Zahl der Partnerschaften – insgesamt 400 – zwischen baden-württembergischen Städten und Gemeinden mit französischen Partnerstädten hervorheben. Es gibt auch zahlreiche Partnerschaften zwischen Schulen und Hochschulen aus Baden-Württemberg und Frankreich. Allerdings gibt es auch noch eine ganze Reihe von Institutionen in Baden-Württemberg, die noch nicht in ein solches Partnerschaftsnetzwerk mit unserem europäischen Nachbarn eingebunden sind. Deshalb fordern wir als FDP/DVP-Fraktion die Landesregierung auf, ein Konzept zu entwickeln, welches ein partnerschaftliches Netzwerk auch in anderen gesellschaftlich bedeutsamen Sektoren schafft und zunächst die dortigen Meinungsführer einbezieht.
Ich möchte der Landesregierung im Namen der FDP/DVPFraktion an dieser Stelle für ihr Engagement bei der Aussöhnung mit Frankreich und der Pflege der deutsch-französischen Freundschaft und insbesondere Ihnen, Herr Ministerpräsident Erwin Teufel, für Ihren Einsatz im Konvent danken. Auch aus unserer Sicht hat die Landesregierung hier Richtungweisendes geleistet. Das ist gerade auch Ihr persönliches Verdienst.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wie erwartet haben sich alle Fraktionen hier im Landtag sehr positiv über die engen Beziehungen zwischen Frankreich und Baden-Württemberg bzw. der Bundesrepublik ausgesprochen. In den letzten 50 Jahren ist gemeinsam viel erreicht worden. Wir haben alte Feindschaften überwunden, und die Vision eines friedlichen und vereinten Europas ist Wirklichkeit geworden. Gerade in den Grenzregionen sind das Leben und der Alltag über die Grenzen hinweg zur Selbstverständlichkeit geworden, und als südbadische Abgeordnete bekomme ich natürlich hautnah mit, was für eine zusätzliche Lebensqualität das bedeutet.
Wir stehen aber auch vor neuen Herausforderungen aufgrund der Globalisierung, der demografischen Entwicklung, des Wertewandels und der wissenschaftlichen und technologischen Neuerungen. Dies alles verlangt, dass wir beim Blick in die Zukunft auch neue Impulse setzen.
Das haben Präsident Chirac und Bundeskanzler Schröder in der gemeinsamen Erklärung zum 40. Jahrestag des ElyséeVertrags getan. Sie haben mit dieser Erklärung eine neue Etappe der Zusammenarbeit eröffnet, die gerade für BadenWürttemberg herausragende Chancen in der grenzüber
schreitenden Kooperation bietet und Impulse für grenzüberschreitende Zusammenarbeit in anderen Regionen geben kann. Sie wissen, es geht mir um die Errichtung von Eurodistrikten. Mit diesen Eurodistrikten kommen wir unserer Vision eines Europas der Regionen ein gutes Stück näher. Das heißt aber natürlich auch, dass wir die vielfältigen Initiativen und Kooperationsformen, die es jetzt schon gibt und die die Vorredner dargestellt haben, fortsetzen und mit neuem Schwung weiterentwickeln müssen.
Die Eurodistrikt-Vision, diese Idee, ist aber mehr. Es ist angesprochen worden, dass beabsichtigt ist, drei Eurodistrikte zu gründen: Straßburg – Kehl/Ortenau, Freiburg – Colmar – Mulhouse und Saarbrücken – Moselle-Est sollen neue Akzente setzen. Hier wird es ganz entscheidend darum gehen, dass in ausgewählten Bereichen der Alltag der Bürgerinnen und Bürger weiter erleichtert wird, Arbeitsplätze geschaffen werden und es zu einem verstärkten Austausch kommt.
Diese einzigartige Möglichkeit, die wir in den Grenzregionen Baden-Württembergs haben, muss aber auch zu einer neuen Qualität der Zusammenarbeit führen. Auch wenn hier schon viele gute Ansätze und Initiativen vorhanden sind, brauchen wir diese neue Qualität der Zusammenarbeit. Es gab in der Vergangenheit leider allzu viele Hürden, die jetzt mit diesen Eurodistrikten überwunden werden müssen.
Ein heikler Punkt dabei ist die Finanzierung der angedachten Projekte. Ein weiteres Problem ist die Rechtsform, die das Ganze bekommen soll. Wir sind der Überzeugung, dass diese Eurodistrikte langfristig über eigene unabhängige rechtliche und politische Strukturen und über ein autonomes Budget verfügen müssen. Denn nur so kann gewährleistet werden, dass nationale Instanzen nicht zu sehr in die Ausgestaltung dieser neuen regionalen Zusammenarbeit hineinregieren können.
Es darf nicht nur eine Angelegenheit der Verwaltungen und der Exekutiven sein, sondern alle Bürgerinnen und Bürger, meine Damen und Herren, müssen von Anfang an Teil dieser Idee sein und sie aktiv mitgestalten. Dazu gehört auch, Bürgerinitiativen, Verbände, zivilgesellschaftliche Akteure, kommunale Parlamente in die Konzipierung einzubinden und langfristig ein von den Einwohnern des Distrikts gewähltes Parlament zu haben, das die Verwaltung kontrolliert und die Agenda des Eurodistrikts mitgestaltet.
Aber leider ist es natürlich so – der Kollege Fleischer hat es angesprochen –: Das alles ist nicht zum Nulltarif zu haben. Die Finanznöte der Kommunen und des Landes und das Ende der ESF- und Strukturpolitik-Förderperiode mit dem Jahr 2006 führen dazu, dass die Finanzierung ungewiss ist. Derzeit laufen die Verhandlungen, welchen Beitrag die Nationalstaaten zukünftig an Europa leisten sollen. In diesen Verhandlungen – dazu stehen wir – wird es darauf ankommen, zu berücksichtigen, dass es diese Eurodistrikte und die INTERREG-Programme weiter in Baden-Württemberg geben soll.
Die Mittel sind bislang sinnvoll eingesetzt worden. Es ist viel Positives erreicht worden. Es bedarf einer Flankierung der Eurodistrikte durch die bisherigen Aktivitäten und INTERREG-Programme. Sicherlich sollten wir evaluieren,
beurteilen, wie die bisherigen Projekte gelaufen sind, wo es Schwachstellen gab, wo es etwas zu verbessern gibt, auch wo Projekte nach einer Anschubfinanzierung auf eigenen Beinen stehen können. Wenn das aber gewährleistet ist, sollten wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass diese INTERREG-Projekte weitergeführt werden können und die Eurodistrikte eine neue Qualität der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ermöglichen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich darüber, dass das Präsidium des Landtags diesen Punkt auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gesetzt hat, weil mir das die Möglichkeit gibt, zu einem Bereich Stellung zu nehmen, der mir in meiner politischen Arbeit ganz besonders wichtig war. Ich finde es beglückend, dass man nicht nur eine hohe Übereinstimmung, sondern eine fast vollständige Übereinstimmung aller Fraktionssprecher zu diesem Thema feststellen kann. Ich möchte mich dafür ausdrücklich bedanken.
Die Landesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU-Fraktion umfassend über die vielfältigen und privilegierten Beziehungen Baden-Württembergs zu Frankreich berichtet. Ich verweise darauf, weil mir das die Möglichkeit gibt, mich auf einige wichtige Punkte zu konzentrieren.
Meine Damen und Herren, wer über die Gegenwart und über die Zukunft der Beziehungen zwischen Baden-Württemberg und Deutschland auf der einen Seite und Frankreich auf der anderen Seite spricht, kommt nicht an der Vergangenheit vorbei. Kollege Rust hat auch damit begonnen.
Heute vor 60 Jahren, am 20. April 1945, sind französische Streitkräfte, französische Panzer, von Freudenstadt kommend in meine Heimatgemeinde gekommen. Das ist meine allerälteste, präzise Kindheitserinnerung. Ich habe den Tag vor mir vom Morgen bis zum Abend: französische Panzer, brennende Häuser, herumirrendes Vieh, Menschen, die in großer Not am Löschen waren, mehr als 15 Gebäude in Flammen.