Protokoll der Sitzung vom 27.04.2005

Die Vorschläge der CDU und der FDP liegen auf dem Tisch.

(Lachen und Widerspruch bei der SPD und den Grünen)

(Ministerpräsident Oettinger)

Es ist Aufgabe der Bundesregierung, zu handeln. Wir brauchen baldmöglichst – vor oder nach der Bundestagswahl – den Mut einer Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat, dies endlich zu tun.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe der Abg. Kretschmann GRÜNE und Carla Bregen- zer SPD)

Für diese große Steuerreform, für dieses neue Steuerrecht, aber auch nur dafür, sind wir bereit, Steuervergünstigungen jeder Art zur Disposition zu stellen, zur Gegenfinanzierung anzubieten, wenn die Steuerreform diesen großen Namen auch verdient.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Dringlichen Handlungsbedarf sehen wir vor allem bei der steuerlichen Belastung von Wirtschaft und Mittelstand. Vor allem bei den Kapitalgesellschaften sind die Steuersätze im Vergleich zu hoch. Dies führt zur Verlagerung von Standorten ins Ausland und hält ausländische Unternehmer von Investitionen in Deutschland ab. Deshalb müssen die Steuersätze abgesenkt werden.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Wenn die Konzentration auf Wachstumschancen wieder Vorrang vor dem Bemühen um Steuervermeidung hat und wenn wieder mehr in Deutschland versteuert statt verlagert wird, dann wird das Steueraufkommen mittelfristig sogar steigen. Dadurch macht sich die Steuersenkung zum Teil selbst bezahlt.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Die anderen Kosten der Steuersenkung – ich denke an etwa zwei Drittel – müssen solide gegenfinanziert sein. Denn bei allen Überlegungen für eine umfassende Reform des Steuerrechts muss uns klar sein: Die öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen können in der aktuellen Lage keine Geschenke vergeben. Sie brauchen jeden Euro, den der Staat derzeit bekommt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie des Abg. Kretschmann GRÜNE)

Bei einer Modernisierung der Unternehmensbesteuerung müssen wir besonders auf die Interessen des Mittelstands Rücksicht nehmen. Das muss gerade ein Anliegen BadenWürttembergs sein. Ein wesentlicher Teil der Unternehmen in Deutschland und in Baden-Württemberg werden als Einzelbetrieb und Personengesellschaft, als Familienunternehmen geführt. Diese Unternehmen können bislang von einer Absenkung der Körperschaftsteuer nur in geringen Teilen profitieren. Mein Ziel ist es, ökonomisch Gleiches auch steuerlich gleich zu behandeln.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Wir müssen den Personengesellschaften, den freien Berufen, den kleinen Betrieben, dem Handwerk, dem Fachhandel den Zugang zu vergleichbar geringeren Steuern eröffnen, beispielsweise in einem Optionsmodell.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Besonders wichtig für den Mittelstand ist eine Reform der Erbschaftsteuer, damit der Generationenwechsel nicht zur Aushöhlung des Eigenkapitals führt. Wenn ein Familienbetrieb an die nächste Generation weitergegeben wird, muss sichergestellt werden, dass Steuerforderungen nicht zum Verlust von Arbeitsplätzen oder sogar zur Schließung des Betriebs führen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wer den Generationenwechsel ermöglichen und Arbeitsplätze erhalten will, muss die Erbschaftsteuer absenken. Hier sage ich der Bundesregierung im Bundesrat ausdrücklich unsere Unterstützung für ein konsequentes Modell zu.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Drexler SPD: Wenn Sie keine Gegenfinanzierung haben!)

Die Landesregierung tritt für eine Senkung der Lohnnebenkosten ein. Wir müssen dafür sorgen, dass der Faktor Arbeit nicht mit noch mehr Sozialbeiträgen belastet wird. Gleichzeitig müssen wir unser System der sozialen Sicherung demografiefest machen.

Lassen Sie mich dies am Beispiel der Pflegeversicherung darstellen. Heute haben wir in Baden-Württemberg etwa 180 000 Pflegebedürftige im Alter von über 60 Jahren. Innerhalb der nächsten 35 Jahre wird sich diese Zahl auf 390 000 Menschen mehr als verdoppeln. Wir werden diesen Umbruch nur bewältigen, wenn die Pflegeversicherung schrittweise auf ein Kapitaldeckungsverfahren umgestellt wird. Junge Menschen, die ins Erwerbsleben treten, sollen sich selbst versichern. Für ältere Arbeitnehmer, die schon lange in das System eingezahlt haben, muss ein Vertrauensschutz gelten. Beides ist zielführend und gerecht.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Was die gesetzliche Krankenversicherung angeht, kann ich nur eines wiederholen: Wir stehen nicht für die rot-grüne Bürgerzwangsversicherung ein,

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

sondern wir wollen ein gerechtes, marktwirtschaftliches, zukunftsfähiges Gesundheitsprämienmodell. Dieses Modell ist gerechter und effizienter als rot-grüne Staatsmedizin, und es setzt auf die Eigenverantwortung der Menschen, die eine Zukunft haben müssen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Baden-Württemberg ist das Land des Mittelstands. Der Mittelstand stellt zwei Drittel unserer Arbeitsplätze und 80 % der Ausbildungsplätze. Aus dem Mittelstand kommen 50 % der Wertschöpfung und insgesamt 80 % des gewerblichen Steueraufkommens. Ganz klar: Es sind nach wie vor die kleinen und mittleren Betriebe, die den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg prägen. Viele dieser mittelständischen Betriebe sind Familienunternehmen, die oft schon seit Generationen im Land verankert sind. Sie verstehen sich nicht als Wirtschaftsunternehmen, sondern sie übernehmen Verantwortung in einer aktiven Bürgergesellschaft.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

(Ministerpräsident Oettinger)

Die Landesregierung bekennt sich auch in Zukunft zur Förderung von Mittelstand, Handwerk und Fachhandel.

(Abg. Drexler SPD: Wir auch!)

Dies ist ein entscheidendes Fundament unserer Politik.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir unterstützen alle unsere Unternehmer, gleichgültig, ob sie Existenzgründer oder Nachfolger sind. Die L-Bank, die Bürgschaftsbank und die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft bieten Menschen, die den Weg in die unternehmerische Selbstständigkeit wagen, unbürokratische Finanzierungsmöglichkeiten an. Die Regierung will die Mittelstandsförderung über diese erfolgreichen Institute hinaus weiter verstärken. Dazu gehört auch eine bedarfsgerechte Kapitalausstattung der MBG.

Zur Stärkung kleiner und mittlerer Betriebe in der Expansionsphase wollen die MBG, die Sparkassen und die Landesbank Baden-Württemberg kurzfristig einen Mittelstandsfonds für Beteiligungen auflegen. Er wird ein Volumen von 50 Millionen € haben. Ein weiterer Fonds dieser Art soll auch mit den Genossenschaftsbanken im Land eingerichtet werden. Damit führen wir unsere bewährte Mittelstandspolitik fort.

Wir dürfen aber auf der anderen Seite nicht zulassen, dass öffentliche Unternehmen dem Mittelstand verstärkt Konkurrenz machen. Wenn man dem Mittelstand in den nächsten Jahren eine faire Partnerschaft anbieten will, dann ist die Austarierung zwischen öffentlichen Betrieben und Mittelstand eine Aufgabe, die im Landtag von Baden-Württemberg aktuell beraten werden muss.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Kretschmann GRÜNE: FDP-Quatsch ist das!)

Deshalb brauchen wir eine Reform des Gemeindewirtschaftsrechts mit einer Verschärfung der Subsidiaritätsklausel, für die alsbald ein ganz konkreter Vorschlag gemacht werden wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Die Regierung und die Regierungsfraktionen stimmen darin überein, dass die Gemeinden außerhalb der öffentlichen Daseinsvorsorge in Zukunft nur dann neu wirtschaftlich tätig werden sollen, wenn sie nachweisbar besser als private Anbieter sind. Ausnahmen von dieser künftig geltenden Regel soll es dann geben, wenn ein kommunales Unternehmen bestimmte Tätigkeiten schon in der Gegenwart ausübt und in der Vergangenheit ausgeübt hat. Für die Zukunft und neue Tätigkeiten gilt: Vorrang für den örtlichen Mittelstand.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Unser Arbeitsmarkt braucht wieder mehr Marktqualität. Um es vorweg zu sagen: Auch in Zukunft brauchen wir soziale Absicherungen. Aber wir können uns kein Schutzniveau mehr leisten, das inzwischen so hoch ist, dass in Deutschland täglich über 1 000 Arbeitsplätze durch Verlagerung

und Insolvenz verloren gehen. Deshalb gehören alle Regelungen auf den Prüfstand: das Tarifvertragsrecht, das Betriebsverfassungsrecht ebenso wie Mitbestimmung und Kündigungsschutz. Wir bieten hier allen Partnern – den Arbeitnehmern und Gewerkschaften, den Unternehmern und Verbänden – sowie auch der Öffentlichkeit insgesamt Offenheit unserer Regierung für eine zeitgerechte Veränderung und Deregulierung bei all diesen Themen auf Bundesebene an.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Mancher junge Arbeitslose oder Berufseinsteiger, der heute auf der Straße steht, hätte längst eine Anstellung gefunden, wenn die Arbeitgeber nicht den strengen Kündigungsschutz fürchten müssten.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Widerspruch bei der SPD – Abg. Fleischer CDU: So ist es! – Abg. Drexler SPD: Sie können doch schon jetzt jeden auf zwei Jahre befristet ein- stellen!)

Deswegen schlagen wir auf Bundesebene einen zeitlich befristeten Modellversuch vor. Lassen Sie uns drei Jahre lang für Berufsanfänger und Berufseinsteiger den Kündigungsschutz streichen!

(Abg. Drexler SPD: Sie können doch schon jetzt jeden auf zwei Jahre befristet einstellen! – Unruhe bei der SPD)

Wenn diese drei Jahre abgelaufen sind, ziehen wir gemeinsam Bilanz und zählen nach, ob in dieser Zeit mehr oder weniger Menschen neu in Beschäftigung gekommen sind.