Protokoll der Sitzung vom 27.04.2005

Wenn diese drei Jahre abgelaufen sind, ziehen wir gemeinsam Bilanz und zählen nach, ob in dieser Zeit mehr oder weniger Menschen neu in Beschäftigung gekommen sind.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Damit haben auch die Arbeitgeber einen Auftrag. Geben wir dem Arbeitsmarkt und den Arbeitgebern die Chance im Interesse derjenigen, die derzeit arbeitslos und ohne Perspektive sind und neu in den Arbeitsmarkt drängen.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Der Kündigungs- schutz ist doch gerade erst liberalisiert worden!)

Man kann es nicht oft genug sagen: Sozial ist, was Arbeit und Arbeitsplätze schafft.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Von Rechtsansprüchen allein ist noch niemand satt geworden,

(Abg. Drexler SPD: Ja, sehr schön!)

vor allem nicht, wenn man Rechtsansprüche bestehen lässt und damit immer mehr Menschen den Zutritt zum Arbeitsmarkt verwehrt.

Wir alle sind uns einig, dass Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen erste Priorität haben. Wenn das so ist, muss uns die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Zukunft wichtiger sein, als Prinzipien in jedem Fall beharrlich zu erhalten. Marktfremde Instrumente wie Kombilöhne kommen für mich übergangsweise

(Ministerpräsident Oettinger)

in Frage, aber ich setze generell auf mehr Markt und auf mehr Anreize, damit Arbeitsplätze in Deutschland attraktiv sind und rechnerisch zu einem positiven Ergebnis führen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Hauptproblemgruppen des Arbeitsmarkts sind die wenig Qualifizierten und Personen aus dem so genannten Niedriglohnsektor. Um diese Menschen in Arbeit zu halten oder erneut in Arbeit zu bringen, müssen wir zur Not und als Übergangslösung das Experiment einer staatlichen Unterstützung von Arbeitsplätzen im Niedriglohnbereich wagen, wie es etwa das „Magdeburger Modell“ vorsieht. Dafür biete ich ausdrücklich die Mitwirkung Baden-Württembergs an.

Bei diesem Modell erstattet der Bund denjenigen Arbeitgebern, die Arbeitslosengeld-II-Empfänger in der untersten Lohngruppe einstellen, die gesamten Sozialversicherungsbeiträge, das heißt Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge. Für diese Unternehmen sinken dadurch die Arbeitskosten um 35 %; der Nettolohn des Beschäftigten bleibt davon unberührt. Damit erreichen wir, dass der Staat weniger Arbeitslose versorgen muss, dass die Zahl der Arbeitsplätze gehalten werden kann und die Person als Arbeitnehmer Entschädigung für Arbeit und nicht als Arbeitsloser Sozialhilfe bekommt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ich schlage einen großflächigen Regionalversuch mit unserem Land im Westen und einem ostdeutschen Land vor. Wir fordern den Bund auf, den Weg hierfür freizumachen. Es ist allemal besser, Arbeit zu fördern, als Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit auf Dauer zu finanzieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Die Situation im Niedriglohnbereich wird auch dadurch erschwert, dass Arbeitnehmer aus den neuen EU-Ländern zu dort üblichen Niedriglöhnen in Deutschland beschäftigt werden. Einheimische Arbeitskräfte werden so in die Arbeitslosigkeit abgedrängt. Ich halte aber nichts davon, die EU-Dienstleistungsrichtlinie komplett zu kippen, wie dies die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament vorgeschlagen haben. Stattdessen sollten wir durch zeitlich befristete Schutzbestimmungen die Arbeitsmärkte der alten und der neuen EU-Staaten behutsam aneinander bringen, ohne dass es zu Lohndumping kommt und dadurch noch mehr Arbeitslosigkeit bei uns entsteht.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Drexler SPD: Das wird doch gerade gemacht!)

Vielleicht haben wir alle gemeinsam – gerade wir in Deutschland mit dem Nachbarland Polen – vor zwei, drei Jahren bei der europäischen Erweiterung die Auswirkungen auf den Standort und den Arbeitsmarkt unterschätzt. Hier nachzubessern ist besser als zu negieren, was falsch gelaufen ist.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Fleischer CDU: Sehr richtig!)

Die Menschen in Deutschland sind zu Reformen bereit. Sie wissen, dass wir nicht weitermachen können wie bisher. Sie

wissen auch, dass sie Einschnitte bei sich selbst hinnehmen müssen. Aber sie wollen, dass es bei Reformen gerecht zugeht. Zu diesem Ziel will ich mich bekennen: Jeder muss nach seinen Möglichkeiten einen Beitrag dazu leisten, dass unser Land wieder Rückenwind bekommt. Dazu gehört auch, dass wir nicht mit zweierlei Maß messen: Steuerhinterziehung ist für mich keinen Deut besser als Sozialmissbrauch. Wir werden beides energisch bekämpfen. Dies ist ein Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

In den letzten Monaten waren Vorstandsgehälter in öffentlich-rechtlichen Einrichtungen Gegenstand einer strittigen Debatte. Vor allem in Gremien mit Zwangsmitgliedschaft haben die Vorstände eine ganz besondere Verantwortung gegenüber Mitgliedern, Beitragszahlern und der Öffentlichkeit. Wenn die Selbstverwaltungsorgane das nötige Verantwortungsbewusstsein nicht von sich aus aufbringen,

(Abg. Drexler SPD: Wer hat es genehmigt?)

werden wir uns dafür stark machen, dass die Vorstandsgehälter per Gesetz in eine gute Relation zur Besoldung von Spitzenbeamten gebracht werden. Noch setze ich auf Selbstverantwortung und Vernunft.

Wir wollen den Dialog mit allen Akteuren des Arbeitsmarkts: mit den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, die als Tarifpartner in besonderer Verantwortung stehen; mit den Unternehmern und Betriebsräten, die vor Ort für die Sicherheit und Sicherung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen verantwortlich sind; und schließlich mit den Verbänden und Kammern, die ebenso Rahmenbedingungen setzen wie wir, der Staat. Mit allen Beteiligten möchte ich einen engen, fortlaufenden Gesprächskontakt führen, damit wir gemeinsam Strategien für mehr Arbeit und Beschäftigung in Baden-Württemberg entwickeln. Ich lade schon bald Gewerkschaften, Arbeitgeber und Kirchen zu einem ersten Gespräch dazu ein.

Wir können unseren hohen Lebensstandard nur dann halten, wenn wir innovative Produkte für den Weltmarkt entwickeln. Der Nährboden, auf dem Innovation gedeiht, ist die Wissensgesellschaft. In keinem anderen deutschen Land ist die Öffnung der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft so weit fortgeschritten wie in Baden-Württemberg.

Damit aus guten Ideen noch mehr marktfähige Produkte entstehen, ist eine noch engere Verzahnung zwischen Forschung und Wirtschaft erforderlich. Um diese Aufgabe kümmert sich die Steinbeis-Stiftung. Mit über 600 Transferzentren in der ganzen Welt bringt diese Stiftung Forschungsergebnisse aus den Hochschulen in die Betriebe. Diese Vernetzung zahlt sich aus: Wir weisen deutschlandweit die meisten Patentanmeldungen auf, unsere Hochschulen werben deutschlandweit die meisten öffentlichen und privaten Fördermittel – Drittmittel genannt – ein, und auch bei den Existenzgründungen liegt Baden-Württemberg auf einem Spitzenplatz.

Neue Technologieunternehmen sind entscheidend für unsere künftige Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb wird die Landesregierung an den Programmen zur Förderung von Exis

(Ministerpräsident Oettinger)

tenzgründungen aus dem Hochschulbereich heraus festhalten und sie zielgerichtet weiterentwickeln.

Wir werden die Vernetzung zwischen öffentlicher und industrieller Forschung weiter vorantreiben und der Wirtschaft einen direkten Zugang zum Forschungspotenzial des Landes eröffnen. Im Rahmen eines neuen „Innovationsprogramms Mittelstand“ wollen wir mittelständische Betriebe bei der Beschäftigung von Hochschulabsolventen für Forschungs- und Entwicklungsprojekte unterstützen.

Wir treiben die Bildung von Forschungsschwerpunkten voran, die gemeinsam von Hochschulen und von der Wirtschaft in Baden-Württemberg getragen werden. Wir werden Forschungseinrichtungen der Industrie die Möglichkeit geben, sich auf dem Campus der Hochschulen einzubringen und sich anzudienen.

Wir forcieren regionale Branchenschwerpunkte, so genannte Cluster. Noch in diesem Jahr werde ich die Regionen und Kreise des Landes bereisen

(Zuruf des Abg. Göschel SPD)

und sie bitten, ihre Stärken und ihre Möglichkeiten gezielt zu identifizieren und mit Unterstützung des Landes fortzuentwickeln. Lieber Kollege Schmiedel, keine Sorge: Der Verband Region Stuttgart ist zeitgemäß, hat meine Partnerschaft und wird im Dialog mit mir auch in den nächsten Jahren bei der Aufgabenerfüllung zukunftsfähig sein.

(Vereinzelt Beifall)

Baden-Württemberg hat eine Spitzenstellung im Gesundheitsbereich einschließlich der Biowissenschaften und der Medizintechnik, in der Umwelt- und Energietechnik, bei den optischen Technologien sowie auf dem Sektor „Informationstechnologie, Software und Medien“. Im Mittelpunkt der künftigen Förderung werden auch die neuen Materialien sowie die Lebenswissenschaften als Querschnittsdisziplin stehen.

Wir brauchen einen verantwortlichen Umgang mit der Biotechnologie und mit der grünen Gentechnik. Wir werden die Risiken, aber auch die Chancen und Möglichkeiten dieser Techniken unvoreingenommen und ohne Ideologie sorgfältig abwägen und daraus Folgerungen für den Wirtschafts- und Arbeitsmarkt Baden-Württemberg ziehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Mit der Zukunftsoffensive IV wird das Land noch in diesem Jahr mehr als 150 Millionen € in den Grundlagenbereich, in die anwendungsnahe Forschung, in den Ausbau eines Forschungsnetzwerks zwischen Unternehmen, Hochschulen und Instituten im Land investieren.

Baden-Württemberg verfügt über hervorragende Hochschulen und Berufsakademien. In allen deutschlandweiten Leistungsvergleichen belegen sie vordere Plätze.

Mit der Hochschulreform haben wir in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern das modernste Hochschulrecht. Die Leitbilder unserer Hochschule von morgen heißen: mehr Autonomie, mehr Eigenverantwortung, mehr Wettbewerb, mehr Leistungsorientierung. Maßstab für unsere Hochschulen ist der internationale Wettbewerb.

Hochschulen, die diesem Anspruch genügen wollen, brauchen eine angemessene Ausstattung. Ergänzend zur Grundfinanzierung und zu den Drittmitteln brauchen sie auch das Recht, Studiengebühren zu erheben. Die Landesregierung wird noch im September eine umfassende Konzeption für die Einführung von Studiengebühren vorlegen und dem Landtag die Möglichkeit geben, darüber sachgerecht zu debattieren.

Pro Semester wollen wir Studiengebühren von 500 € ermöglichen. Die Einnahmen aus diesen Gebühren gehen unmittelbar und zweckgebunden an die Hochschulen im Land.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Sie sind ausschließlich für die Verbesserung von Lehre und Studium bestimmt.

Niemand darf durch Studiengebühren von einem Studium abgehalten werden.