Günther Oettinger
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Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! In Baden-Württemberg und auch darüber hinaus ist in den letzten Tagen und Wochen viel über die Integration von Zuwanderern diskutiert und auch gestritten worden. Auch wenn ich nicht jedes Argument in der Debatte teile, die Debatte selbst begrüße ich sehr; denn sie zeigt, dass uns die Grundlagen unseres Zusammenlebens nicht gleichgültig sind.
Ausgangspunkt dieser Diskussion war der Gesprächsleitfaden, der seit Anfang Januar bei den Einbürgerungsbehörden in Baden-Württemberg zum Einsatz kommt. Erlauben Sie mir jedoch zunächst einige grundsätzliche Ausführungen zum Thema Integration.
Die Landesregierung von Baden-Württemberg bekennt sich zum Leitbild einer integrativen Gesellschaft. Wir wollen eine Gesellschaft, in der niemand ausgegrenzt wird, in der alle ihren Platz finden und in der sich jeder mit seinen Fähigkeiten einbringen kann: Jung und Alt, Behinderte und Nichtbehinderte, Schwache und Starke, Einheimische und Zuwanderer. Jeder Einzelne von ihnen leistet einen unverzichtbaren Beitrag zu den Eigenschaften, die unser Land zu dem gemacht haben, was es heute ist: fleißig und erfindungsreich, nachdenklich und zupackend, modern und traditionsbewusst, weltoffen und bodenständig. Wir sind stolz auf diese Vielfalt und wollen sie bewahren.
Aber ich füge auch hinzu: Vielfalt und Offenheit sind nicht gleichbedeutend mit Beliebigkeit. Wir stehen für eine welt
offene und plurale Gesellschaft. Aber auch Pluralität braucht ein festes Fundament. Zu den Eckpunkten dieses Fundaments gehören erstens die uneingeschränkte Anerkennung der Grund- und Menschenrechte, zweitens die Achtung unserer verbindenden Traditionen und Werte, drittens ein gutes und solidarisches Miteinander, viertens das Wissen, dass jeder von uns auf den anderen angewiesen ist, dann der gemeinsame Wille zum Erfolg und auch der Wunsch, den eigenen Kindern und der jungen Generation möglichst gute Startbedingungen zu geben. Diese Werte und Ziele verbinden uns. Sie sind der Kitt, der unsere plurale Gesellschaft zusammenhält.
Es gibt vermutlich nur wenige Worte, die so vieldeutig sind wie der Begriff der Integration. Integration heißt für mich nicht die völlige Aufgabe der eigenen Identität, aber sie bedeutet auch nicht ein berührungsfreies Nebeneinander unterschiedlicher Standpunkte. Integration bedeutet für uns Teilhabe am Ganzen. Teilhabe hat nicht nur sprachlich etwas mit Teilen zu tun. Wenn Integration gelingen soll, muss die Mehrheitsgesellschaft bereit sein, sich für Neues zu öffnen und ihren Platz mit Minderheiten zu teilen.
Die Minderheiten müssen bereit sein, die Grundwerte der Mehrheitsgesellschaft zu teilen. Und beide, Mehrheit und Minderheit, müssen in der Lage sein, sich gegenseitig mitzuteilen. Das setzt zum Beispiel eine gemeinsame Sprache voraus.
Die Geschichte Baden-Württembergs ist eine Geschichte von erfolgreichen Integrationsprozessen. Das gilt nicht nur für die Vereinigung der drei Landesteile in Baden-Württemberg vor über 50 Jahren. Im Laufe unserer Geschichte haben viele unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, Kulturen und Religionsgemeinschaften ihren Beitrag zur Entwicklung unseres Landes geleistet.
Nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs hat unser Land Hunderttausende von Flüchtlingen aus dem Osten aufgenommen, die das schwere Schicksal der Flucht, der Vertreibung, der Aussiedlung, der Umsiedlung erlitten haben. Ähnlich wie die Spätaussiedler, die später aus Osteuropa zu uns kamen, haben die Aussiedler einen enormen Beitrag zum Aufbau Baden-Württembergs geleistet. Dafür sind wir ausdrücklich dankbar.
Mitte der Fünfzigerjahre kamen die ersten Gastarbeiter mit ihren Familien nach Baden-Württemberg. Über eine Million Menschen aus Italien, Spanien, dem ehemaligen Jugoslawien, aus Griechenland und Portugal und vor allem aus der Türkei ließen sich in Baden-Württemberg nieder. Aus Gastarbeitern wurden Einwohner, wurden Bürger. Sie haben sich dauerhaft integriert. Die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes wäre ohne sie undenkbar.
Seit der deutschen Wiedervereinigung ist Baden-Württemberg das Land mit der stärksten Binnenzuwanderung. Vor
allem junge Menschen aus den neuen Bundesländern kommen zu uns. Sie finden hier Arbeitsplätze und eine gute Ausbildung. Viele von ihnen gründen hier eine Familie. Gemeinsam mit den Zuwanderern aus dem Ausland tragen sie dazu bei, dass Baden-Württemberg ein Wachstumsland bleibt, einen Geburtenüberschuss hat und das Land mit dem geringsten Altersdurchschnitt in Deutschland ist.
Heute leben in Baden-Württemberg 1,2 Millionen Menschen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Das sind etwa 12 % unserer Bevölkerung. In den Ballungsräumen sind es bis zu 20 %, in Stuttgart sogar fast 25 %.
Jedes zehnte Kind, das in Baden-Württemberg geboren wird, hat muslimische Eltern. Allein diese Zahlen zeigen, wie groß die Herausforderung der Integration für alle geworden ist. Dieser Aufgabe müssen sich nicht nur die Zuwanderer, sondern auch wir, die Mehrheitsgesellschaft, stellen.
Wir alle sind dankbar für die vielen Beispiele gelungener Integration, die es in Baden-Württemberg gab und gibt. Die große Mehrheit der Zuwanderer hat sich erfolgreich in unsere Gesellschaft eingegliedert, ist integriert. Sie pflegen gute Kontakte zur Nachbarschaft und am Arbeitsplatz. Einige haben erfolgreich Unternehmen gegründet. Viele haben Anschluss an das örtliche Vereinsleben gefunden. Trotz mancher Schwierigkeiten und Spannungen ist es ihnen im Alltagsleben gelungen, die Kultur ihrer Heimat mit der unseren zu verbinden. Das ist eine Leistung, die Respekt verdient und für die ich heute danken möchte: den Betroffenen, den Zuwanderern selbst und ihren Familien, aber auch den Nachbarn und den Kirchengemeinden, den Lehrerinnen und Lehrern, den Vereinen und Verbänden, die sich um diese Menschen kümmern und ihnen die Aufnahme in die Gesellschaft ermöglichen und erleichtern.
Aber es gibt auch Fälle, in denen Integration scheitert. Und manchmal ereignet sich dieses Scheitern erst in der zweiten oder dritten Generation. Ich denke etwa an Sprachprobleme. Ich denke an Kinder, die an Ausflügen und bestimmten Schulveranstaltungen nicht teilnehmen können. Ich denke an Trends und Tendenzen des religiösen Fundamentalismus. Und ich denke auch an die Debatte über das islamische Kopftuch. Dieses Kopftuch ist eben nicht nur ein religiös oder traditionell geprägtes Kleidungsstück. Mit ihm werden oft auch politische Signale ausgesandt. Und eines dieser Signale lautet: Als Frauen dürft ihr nicht eigenständig und selbstbewusst auftreten. Ihr müsst euch dem Willen eurer Väter und Männer unterwerfen. Ihr müsst euch vor der Welt verstecken. – Genau das aber, die Trennung zwischen einem „guten“ Innenraum und einer vermeintlich „bösen“ Außenwelt, gegen die man sich abgrenzen muss, ist das Gegenteil von Integration.
Wenn Integrationsprozesse scheitern, dann liegt das oft daran, dass sich die betroffenen Menschen von der Gesell
schaft des Einwanderungslandes abgeschottet haben. Dafür gibt es Gründe, die ich nennen will. Aber unabhängig von den Ursachen gilt es festzuhalten: Wenn ausländische Zuwanderer völlig unter sich bleiben, wenn es zwischen ihnen und der Mehrheitsgesellschaft keine Berührungspunkte und oft auch keine gemeinsame Sprache gibt, dann findet auch kein Austausch statt. Aber dieser Austausch ist für das Gelingen von Integration existenziell notwendig. Wir brauchen in unserem Land kein Nebeneinander, sondern ein Miteinander; wir brauchen kein Gegeneinander, sondern ein Füreinander. Dies ist unser erklärtes Ziel.
Deswegen wendet sich die Landesregierung mit aller Entschiedenheit gegen die Entstehung von Parallelgesellschaften. Wir haben großen Respekt vor den religiösen Überzeugungen und vor der Kultur der Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen, hier leben, wohnen und arbeiten. Ich erwarte von niemandem, dass er seine religiösen und kulturellen Wurzeln leugnet, solange sie nicht im Widerspruch zu Recht und Gesetz bei uns stehen.
Eines aber können wir sehr wohl von allen Zuwanderern in unserem Land Baden-Württemberg erwarten: Wir können erwarten, dass sie sich in zentralen Punkten für unsere Grundwerte und für die Rechtsordnung der Mehrheitsgesellschaft öffnen und dass sie sich hier auch innerlich mit dem verbünden, was bei uns an Werten und Tradition aufgebaut ist.
Wer bei uns leben will, muss auch bereit sein, mit uns zu leben. Und wer mit uns leben will, muss auch bereit sein, unsere Grundwerte zu akzeptieren. Der Maßstab für diese Werte ist das Grundgesetz. Das Grundgesetz steckt einen weiten Rahmen ab: Es schreibt niemandem vor, was er zu glauben und wie er zu leben hat. Aber es formuliert Mindeststandards für die zwischenmenschliche Toleranz und für den Umgang miteinander. Es begrenzt den Machtbereich des Staates und bekräftigt Grund- und Menschenrechte. Es formuliert Regeln für den Gebrauch der Freiheit. Damit jeder so viel Freiheit wie möglich erhält und damit der Stärkere seine Freiheit nicht auf Kosten der Schwächeren ausbaut, ist diese Leitlinie des Grundgesetzes für jeden wichtig; sie steht für uns keineswegs zur Disposition.
Baden-Württemberg ist ein weltoffenes Land. Aber wir erwarten, dass jeder, der zu uns kommt und auf Dauer bei uns leben möchte, sich zu unserer Rechtsordnung und zu unseren Grundwerten bekennt und dass er die deutsche Sprache erlernt.
Das ist keine unzumutbare Hürde und schon gar keine Diskriminierung, sondern eine schlichte Selbstverständlichkeit.
Im Übrigen glauben wir, dass dies die große Mehrheit der Zuwanderer genauso sieht. Deswegen warnen wir davor,
die Existenz von Parallelgesellschaften kulturell zu beschönigen. Anders als uns die linke Multikulti-Ideologie glauben machen will, sind Parallelgesellschaften keineswegs gleichbedeutend mit kultureller Vielfalt. Das Gegenteil ist der Fall:
Wer sich in seiner eigenen Welt isoliert, erlebt nicht Vielfalt, sondern Enge. Wer nur unter seinesgleichen bleibt, erfährt nicht Pluralismus, sondern Uniformität. Wer die Begegnung mit anderen scheut, gewinnt nicht an Selbstbewusstsein, sondern wird für Vorurteile und Feindbilder empfänglich. Deswegen ist die Integration für uns der wichtigste Auftrag der Landespolitik, wenn es um Schule, Bildung, Arbeitswelt, wenn es um Gesellschaftspolitik von morgen geht.
Wir lösen diese Probleme nicht, indem wir die Augen vor ihnen verschließen.
Die Grünen-Kollegin Claudia Roth hat Recht, wenn sie selbstkritisch darauf hinweist, dass man Toleranz nicht mit Gleichgültigkeit verwechseln darf.
Parallelgesellschaften können sich zum Nährboden für Gewalt und Extremismus entwickeln. Und sie bergen einen enormen sozialen Sprengstoff: Wenn junge Menschen mitten in Deutschland nur die Traditionen ihrer Herkunftsländer und ihrer Eltern kennen lernen, dann tun sie sich später mit der Anerkennung unserer Kultur und unserer Rechtsordnung schwer. Wenn sie in einer Struktur der patriarchalischen Gesellschaft aufwachsen, dann werden sie später nur schwer Verständnis für die Gleichberechtigung von Frau und Mann entwickeln können.
Wenn Kinder und Jugendliche in jungen Jahren keine ausreichenden deutschen Sprachkenntnisse erwerben, ist die Gefahr des schulischen Scheiterns sehr groß. Ohne Schulabschluss sinken die Chancen im Beruf, und damit wäre dann der soziale Abstieg vorgezeichnet. Deswegen sind Integration und die Beherrschung der deutschen Sprache zuallererst die Voraussetzung dafür, dass junge Menschen bei uns auch in Zukunft erfolgreich sind.
Deswegen habe ich die eindringliche Bitte an die Migrantenfamilien in Baden-Württemberg: Geben Sie sich und Ihren Kindern die Möglichkeit, unsere Gesellschaft kennen zu lernen! Unterstützen Sie sich gegenseitig beim Erlernen der deutschen Sprache! Die deutsche Sprache ist das größte Geschenk, das Migranten ihren Kindern machen können, damit sie auf Dauer integriert und erfolgreich in BadenWürttemberg sind.
Es gehört zu den naiven Lebenslügen einer Multikulti-Ideologie und auch von Rot-Grün, dass man geglaubt hat, es genüge, den Menschen, die zu uns kommen, einen deutschen Pass zu geben, und schon seien sie integriert.
Dass dies ein gefährlicher Trugschluss ist, haben spätestens die Ereignisse vom Herbst letzten Jahres in Frankreich gezeigt.
Integration darf nicht nur auf dem Papier stehen. Integration muss gelebt und erarbeitet werden.
Integration ist ein langer Prozess mit vielen Einzelaspekten: Es geht um soziale Fragen, um kulturelle Fragen, um rechtliche Fragen, um religiöse Fragen. Es geht um Mentalitäten und Traditionen, über die eine Unterschrift alleine nicht Aufschluss geben kann.
Deswegen ist für uns die Einbürgerung nicht der Anfang der Integration, sondern sie kann nur das Ziel der Integration sein.
Wenn Integration gelingen soll, dann ist es erforderlich, dass Menschen, die auf Dauer bei uns leben wollen, sich zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zu den Grundwerten und Rechten unserer Verfassung bekennen. Dies halte ich für eine Selbstverständlichkeit, und dass dies geprüft wird, ist nicht nur unser Recht, sondern unsere logische Pflicht aus dem geltenden Bundesgesetz.
Die Einbürgerung ist keine Eintrittskarte und kein Freifahrschein, sondern ein Akt, der insbesondere für den Staat eine langfristige, dauerhafte Bindung darstellt. Diese Bindung kann nur im Ausnahmefall wieder rückgängig gemacht werden. Von daher ist es doch nicht mehr als legitim, wenn wir bei den so genannten Anspruchseinbürgerungen genauer hinschauen, ob die Betroffenen unsere Werte auch wirklich teilen und ob dies nachweisbar ist.
In diesem Punkt weiß ich mich mit dem Gesetzgeber einig; denn im Staatsangehörigkeitsgesetz aus dem Jahr 2000 ist geregelt, ein Ausländer sei dann einzubürgern, „wenn er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt“. So steht es in § 10 dieses Gesetzes.
In der Gesetzesbegründung heißt es weiter: Es geht um – wörtlich – „innere Hinwendung“ zu unserem Land. Darüber
hinaus fordert auch der Bundesgesetzgeber die Beherrschung der deutschen Sprache als Grundvoraussetzung für Integration und Einbürgerung.
In den Fällen aber, in denen es Zweifel an der inneren Hinwendung gibt, führen die Einbürgerungsbehörden ein Gespräch mit dem Bewerber. Um dieses Gespräch zu ermöglichen, zu erleichtern, hat der Innenminister am 1. Januar 2006 einen Gesprächsleitfaden herausgegeben, der seit den letzten Wochen angewandt wird, der für Diskussionen sorgt, der meines Erachtens aber logisch und richtig ist und deswegen auch hier offensiv zu vertreten ist.
Anders als behauptet ist dieser Leitfaden kein Fragebogen, der Punkt für Punkt abgearbeitet werden muss. Es handelt sich um eine Handreichung mit Anknüpfungspunkten zu verschiedenen Themenbereichen, die von besonderer Bedeutung für die Grundwerte unserer Gesellschaft sind: zum Beispiel die Religionsfreiheit, die Gleichberechtigung von Frau und Mann, die Toleranz gegenüber Andersdenkenden und der Rechtsstaat, der von jedem zu achten ist.
In einem Gespräch über diese Grundlagen unseres Zusammenlebens kann ich beim besten Willen keine „Gesinnungsschnüffelei“ und auch keine Diskriminierung erkennen. Im Übrigen: Kein Zuwanderer wird bei uns gezwungen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen oder anzunehmen.
Wenn sich jemand aber dafür entschieden hat, dass er eingebürgert werden möchte, muss er auch das Recht unserer Gesellschaft achten und dies in einem Gespräch entsprechend bekunden. Ich glaube, dass hier eine legitime Prüfung seitens des Staates stattfindet, bevor er einem Antragsteller das hohe Gut der Einbürgerung gibt.
Wenn dies bei uns schon früher und konsequenter geschehen wäre, hätten wir manche Probleme nicht. So sind etwa im Verfahren gegen Metin Kaplan, den Kalifen von Köln, wie er genannt wird, eine Reihe von Personen ausländischer Herkunft bekannt geworden, die sogar vor Gericht ganz unverblümt erklärt haben, dass für sie nicht das Grundgesetz, sondern die Scharia maßgeblich sei. Unter normalen Umständen müsste man diese Personen sofort abschieben. Aber da sie zu diesem Zeitpunkt schon eingebürgert waren, war eine Abschiebung nicht mehr möglich. Deswegen, mehr als jemals zuvor: Augen auf bei der Einbürgerung!
Der Gesprächsleitfaden soll immer dann – und nur dann – zur Anwendung kommen, wenn Zweifel an der Bejahung der Werteordnung unserer Verfassung bestehen,
und zwar unabhängig von der Religion des Bewerbers.
Von einer Stigmatisierung von Muslimen kann keine Rede sein.
Allerdings müssen wir auch sehen, dass ein beträchtlicher Teil der Einbürgerungswilligen aus islamisch geprägten Ländern stammt. Etwa 60 % stammen aus Ländern, die islamisch geprägt sind.
Nach einer Umfrage des Islam-Archivs, also einer völlig unverdächtigen Quelle, vertreten über 20 % der in Deutschland lebenden Muslime die Auffassung, dass unser Grundgesetz mit dem Koran nicht vereinbar sei.
Das Zentrum für Türkeistudien hat ermittelt, dass 47 % der türkischstämmigen Migranten die Sorge haben, sie würden sich zu stark an Deutschland und die Deutschen anpassen.
Diese Zahlen machen doch deutlich, dass hier ein Prüfungsauftrag vor der Einbürgerung berechtigt und notwendig ist.
Vor diesen Ergebnissen kann man nicht einfach die Augen verschließen, nur weil sie nicht in das eigene multikulturelle Weltbild passen.
Wir wollen und werden nicht dulden, dass mitten in Deutschland Zwangsheiraten stattfinden. Wir nehmen nicht hin, dass „Ehrenmorde“ verübt werden,
dass Frauen und Mädchen entmündigt und ihrer Zukunftschancen beraubt werden. Genau dort, wo dies Praxis ist, hat dies eine strafrechtliche Relevanz, und genau in solchen Fällen wird eine beantragte Einbürgerung in Baden-Württemberg nach einem Gespräch versagt.
Einzelne Fragestellungen und Formulierungen aus dem Gesprächsleitfaden haben in den letzten Tagen zu Debatten geführt. Die Regierung geht dieser Debatte nicht aus dem Weg. Wir sind offen für Vorschläge, die zu einer Weiterentwicklung des Leitfadens beitragen können.
Allerdings sollte für alle demokratischen Kräfte in unserem Land klar sein, dass wir auf das Einbürgerungsgespräch,
eine Handreichung, den Leitfaden, nicht verzichten. Er wird bei allen Ausländerbehörden in Baden-Württemberg, nachdem er mit ihnen abgestimmt ist, auch angewandt.
Die Anwendung dieses Gesprächsleitfadens gilt auch für die Stadt Heidelberg. Wir werden es nicht hinnehmen, wenn die Stadt meint, einen Sonderweg gehen zu können.
Die Einbürgerung von Ausländern ist keine Selbstverwaltungsangelegenheit der Stadt. Sie ist eine staatliche Pflichtaufgabe mit Weisungsrecht, und dieses Weisungsrecht wenden wir im konkreten Einzelfall auch an.
Dass der Gesprächsleitfaden angewandt wird und dass die Gespräche geführt werden, gilt auch in Ulm und Freiburg. Wir sind ausdrücklich dankbar dafür, dass die große Mehrzahl der gewählten kommunalen Mandatsträger mit diesem Gesprächsleitfaden die entsprechenden Einbürgerungsgespräche führen und damit die Regierung und die Partnerschaft mit der Regierung ausdrücklich akzeptieren.
Erlauben Sie mir dabei auch den Hinweis, dass ein Verfahren vergleichbarer Art auch in anderen Ländern praktiziert wird. Kanada, ein Einwanderungsland, verlangt als Voraussetzung für den Erwerb der Staatsbürgerschaft unter anderem den Nachweis von Sprachkenntnissen und einen obligatorischen „Citizenship Test“. Es kommt auch zur mündlichen Befragung durch entsprechende Einbürgerungsgerichte. Kurzum: Wir machen in Baden-Württemberg nicht mehr und nicht weniger, als auch in anderen demokratischen Ländern beim Antrag auf Einwanderungsgenehmigung und Einbürgerung seit vielen Jahren erfolgreich praktiziert wird.
Oder nehmen Sie Holland, von den Grünen und den Sozialdemokraten immer als Vorbild für Offenheit und Liberalität gepriesen. Dort wird zum 1. März dieses Jahres ein Sprachtest vorbereitet und ein Gesellschaftskundeexamen eingeführt.
Die Teilnahme an diesem Examen kostet einen hohen Eurobetrag. Selbst wenn man keine Einbürgerung anstrebt, ist man verpflichtet, Examen und Sprachtest zu absolvieren, wenn man als Ausländer längere Zeit dort leben will.
Beispiele anderer Länder zeigen: Wir sind mit unserem Gesprächsleitfaden auf dem richtigen Weg. Wir machen genau das, was das Bundesrecht vorgibt.
Deswegen wird der Gesprächsleitfaden in Baden-Württemberg auch in Zukunft angewandt.
Integration ist für uns aber nicht nur eine Bringschuld der ausländischen Mitbürger, sondern eine Gemeinschaftsaufgabe für die gesamte Gesellschaft. Es heißt für uns „fördern und fordern“, und dieser Aufgabe stellen wir uns. Das Land gibt im laufenden Jahr über 40 Millionen € für spezielle Integrationsmaßnahmen aus.
Dabei ist die Vermittlung von Sprachkenntnissen besonders bedeutsam. Sprache ist der Schlüssel zu einem Leben in der Gemeinschaft. Sie eröffnet Bildungschancen und Berufschancen, baut Brücken zu Nachbarn und Freunden. Deswegen unterstützen wir Kinder aus Migrantenfamilien bereits im Vorschulalter bei der Spracherlernung. Mit unseren Programmen für den Orientierungsplan für unsere Kindergärten nehmen wir mit der Sprachförderung eine wichtige Entwicklungschance wahr. Sie nimmt für uns einen zentralen Stellenwert bei der Kinder- und Jugendpolitik ein.
Mit dem gleichen Ziel hat die Landesstiftung die Sprachförderung für Fünfjährige aufgenommen. 11 000 Kinder werden dabei jährlich gefördert. Das Konzept „Schulreifes Kind“ erprobt Modelle für die pädagogische Förderung von Kindergartenkindern, deren Schulfähigkeit, auch aufgrund von Sprachproblemen, gefährdet ist. Kurzum: Wir fangen früh an. Für die Kleinen und Kleinsten schaffen wir Angebote, damit jedes Kind, egal welcher Herkunft, die Sprache erlernt und dadurch die Integration in den Schulprozess erleichtert und ermöglicht wird.
Leider sind viele Migrantenfamilien nicht bereit, ihre Kinder in den Kindergarten zu schicken. Deswegen erreichen wir sie nur schwer. Mein Appell an die Eltern und ihre Verantwortung: Verzichten Sie nicht auf die Integrationschancen, die der Kindergarten jedem Kind, auch Kindern mit Migrationshintergrund, bietet. Wenn man mit der Spracherlernung bis zum Einschulungsalter wartet, wird kostbare Zeit verschenkt.
Die Sprachförderung für Kinder mit Migrationshintergrund zieht sich wie ein roter Faden durch die Bildungspläne für die Grundschule und die Hauptschule.
Deswegen werden wir auch alles dafür tun, dass dort, wo die Eltern mitmachen, jedes Kind frühzeitig die deutsche Sprache erlernt und damit die Integration und die Vorbereitung für Schule und Beruf erfolgreich gestaltet werden können.
Aber Schule ist mehr als Unterricht. Auch die Gespräche zwischen Schülern haben eine wichtige Funktion. Deswegen sehen wir mit Interesse, wie zum Beispiel in Berlin eine Realschule im Bezirk Wedding, nämlich die HerbertHoover-Realschule, eine Hausordnung erlassen hat, wonach auch auf dem Schulhof die deutsche Sprache zu sprechen ist, obwohl in dieser Schule 90 % ausländische Kinder sind. Ich halte dieses Projekt für interessant und lade uns alle zu einem offenen Dialog darüber ein. Ich kann mir vorstellen, dass wir in den nächsten Wochen im Rahmen eines runden Tisches mit Schüler- und Elternvertretern, Lehrerverbänden, den kommunalen Partnern, den Kirchen, mit Migrantenvertretern und den Fraktionen des Landtags die Frage besprechen,
ob eine entsprechende Hausordnung, nach der die deutsche Sprache auch außerhalb des Unterrichts in der Pause auf dem Schulhof gesprochen werden soll, auch bei uns richtig wäre. Ich biete dazu allen Fraktionen und auch den Partnern außerhalb des Landtags das Gespräch darüber an.
Die Regierung stellt sich ihrer Verantwortung für das Gelingen von Integration. Als erstes Land haben wir vor fünf Jahren Integrationskurse für bleibeberechtigte Ausländer eingeführt. Wir haben in langwierigen Verhandlungen ein Modell für den islamischen Religionsunterricht an unseren Schulen entwickelt. Damit bieten wir den muslimischen Familien in unserem Land bei der religiösen Unterweisung ihrer Kinder eine Alternative zu den oft obskuren Angeboten mancher Koranschulen.
Das Land unterstützt die Bestrebungen der islamischen Verbände, zukünftig auch Imame in Deutschland auszubilden. Gerade die Prediger sind wichtige Multiplikatoren. Wenn es gelingt, sie mit der deutschen Sprache und Kultur vertraut zu machen, können sie eine zentrale Vermittlerfunktion im Integrationsprozess wahrnehmen. Auch dies zeigt, dass Baden-Württemberg hier vorbildlich ist.
Eine wichtige Integrationsinstanz ist neben der Schule die Arbeitswelt. Wir alle wissen, dass Migranten sehr stark von Arbeitslosigkeit mit all ihren Folgen für ihre Familien betroffen sind. Deshalb ist eine Politik für mehr Arbeit auch eine Politik für gute Integration. Baden-Württemberg hat auf dem Arbeitsmarkt die beste Ausgangslage. Mit unserer
niedrigen Arbeitslosigkeit und unserer hohen Zahl von Ausbildungsplätzen leisten wir einen entscheidenden Beitrag dafür, dass auch über Ausbildung und Arbeit die Integration von ausländischen Mitbürgern in unsere Gesellschaft erfolgreich gelingen kann.
Verehrte Kolleginnen und liebe Kollegen, diese Aufzählung unserer Maßnahmen könnte noch fortgesetzt werden. Ich denke aber, dass die genannten Schwerpunktprojekte genügen, um zu zeigen, dass wir unsere Aufgaben im Bereich der Integrationspolitik sehr ernst nehmen.
Bei der Förderung der Integration steht die Regierung aber nicht allein. Integration geht uns alle an. Sie vollzieht sich in der Nachbarschaft, in der Schule, am Arbeitsplatz, in den Kirchengemeinden und in den Vereinen. Sie vollzieht sich im gesamten sozialen Bereich. Gerade der Sport leistet hier Vorbildliches. Ihm gilt mein Dank.
Ich danke allen, die einen Beitrag dazu leisten, dass in unserem Land aus Fremden Freunde werden. Allen, die sich für eine „Willkommenskultur“ einsetzen, möchte ich hiermit Respekt und Dank zollen. Ich danke auch den Zuwanderern, die bereit sind, sich mit den Werten und der Kultur unseres Landes auseinander zu setzen und sie im Grunde genommen zu verinnerlichen, was ja der Auftrag der Einbürgerung ist.
Im Sinne einer solchen „Willkommenskultur“ stehe ich auch dem Gedanken, die Einbürgerung als einen feierlichen Akt zu gestalten, offen gegenüber. Derzeit findet Einbürgerung eher lieblos statt. Die Urkunde wird unterschrieben und überreicht. Ein Gelöbnis, ein Bekenntnis zu unserer Grundordnung, ein feierlicher Akt, wie er auch vom Kollegen Goll vorgeschlagen worden ist, wäre sowohl eine Aufwertung –
damit derjenige, der Deutscher wird, die Bedeutung dessen erkennt – als auch eine Möglichkeit, auch bei uns in allen Kreisen der Gesellschaft das Bewusstsein für die Einbürgerung entsprechend zu stärken.
Aber nochmals: Neben all diesen guten Beispielen dürfen wir nicht übersehen, dass es Fälle gibt, in denen Integration nicht gelingt: wegen bestehender Parallelgesellschaften und der damit verbundenen Abschottung, mangels deutscher Sprachkenntnisse oder mangels Akzeptanz der Grundwerte unserer Rechtsordnung. Diese Fälle wollen wir so früh wie möglich erkennen, und dafür brauchen wir den Gesprächsleitfaden.
Wo es zu Gesetzesverstößen kommt, wo die Entstehung rechtsfreier Räume droht, da werden wir auch in Zukunft mit polizeilichen Mitteln hart durchgreifen.
Wenn es erforderlich ist, werden wir handeln. Wir sind zur Anwendung von Recht und Gesetz in Baden-Württemberg ohne Einschränkung bereit.
Integration ist nichts, was einmal erreicht und dann ein für allemal fertig ist. Integration will und muss immer neu erarbeitet werden,
von Generation zu Generation, mit jeder Zuwanderung, mit jeder Frau, mit jedem Mann, mit jedem Kind.
Die klassische Umschreibung für das, was wir heute Patriotismus nennen, stammt von dem Historiker Ernest Renan. Auf die Frage, was eine Nation ist, hat er vor über 100 Jahren sinngemäß definiert: „Die Nation ist eine Angelegenheit, der man jeden Tag neu zustimmen muss.“
Dieser Auftrag gilt für jeden von uns. Wir alle – Einheimische wie Zuwanderer – müssen uns immer wieder aufs Neue auf die Grundwerte unserer Gesellschaft und die Grundlagen unseres gemeinsamen Lebens besinnen. Nur so kann Integration gelingen.
Deswegen sage ich: Die Regierung handelt richtig.
Ich bin dankbar, dass die Mehrheit im Landtag dies genauso sieht.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Aufgrund von Artikel 46 Abs. 2 der Landesverfassung habe ich Frau Abg. Dr. Monika Stolz zur neuen Ministerin für Arbeit und Soziales berufen. Ich darf den Landtag bitten, der Berufung von Frau Dr. Stolz als neuem Regierungsmitglied gemäß Artikel 46 Abs. 4 der Landesverfassung zuzustimmen.
Ferner gebe ich dem hohen Haus bekannt, dass ich Frau Dr. Stolz zur Kinderbeauftragten der Landesregierung und zur Behindertenbeauftragten der Regierung bestellen werde.
Im Einvernehmen mit der neuen Ministerin für Arbeit und Soziales werde ich Frau Abg. Johanna Lichy zur politischen Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit und Soziales ernennen. Sie wird künftig die Aufgaben der Beauftragten für Chancengleichheit der Regierung wahrnehmen.
Herrn Abg. Georg Wacker werde ich im Einvernehmen mit dem Minister für Kultus, Jugend und Sport zum politischen Staatssekretär im Ministerium für Kultus, Jugend und Sport ernennen. Er wird von mir zudem zum Ehrenamts- und Weiterbildungsbeauftragten der Regierung bestellt werden.
Ich danke Ihnen, und ich bitte Sie um eine gute Zusammenarbeit mit der neuen Sozialministerin.
Ich danke an dieser Stelle auch dem ausgeschiedenen Arbeits- und Sozialminister Andreas Renner für die vertrau
ensvolle und konstruktive Zusammenarbeit. Ich spreche ihm meinen Dank und meine Anerkennung für die dem Land Baden-Württemberg geleisteten Dienste aus.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben gerade ein breites Spektrum von Zustimmung, Mitgefühl und Unterstützung für den ausscheidenden Sozialminister bis hin zu stilverletzender Ablehnung erlebt. Rot-Grün war bei diesem Thema letztendlich im Angriff gegen uns einig. Aber die Richtungen haben überhaupt nicht gepasst.
Zweitens, Kollege Kretschmann: Ich gebe ja zu, dass in der Christlich-Demokratischen Union ein durchaus breites Meinungsspektrum zu vielen Sachfragen besteht.
Ich schaue mir nun Ihre Partei an, die bei der Wählerschaft gerade einmal 8 % oder 10 % erreicht und dann mit Oswald Metzger auf der einen Seite von Planwirtschaft zu Marktwirtschaft kommt und mit Joschka Fischer und Ströbele zu anderen Themen kommt, und sehe: Sie erzielen ein Fünftel
oder ein Sechstel unseres Stimmenanteils, haben aber weit mehr Debattenstreit als wir, wenn es um Sachfragen geht.
Das Ganze hier ist doch eine scheinheilige Veranstaltung,
da Sie im Grunde genommen nicht bei der Tagesordnung sind, sondern eine Generaldebatte zu allen Fragen der Landespolitik anzetteln wollen.
Ich gehe nur auf drei Punkte ganz kurz ein:
Erstens: Ganztagsschule. Wer heute die Zeitung liest – das ist mein Rat an Sie –, wird dort sehen, dass es Kommentare zu der Tatsache gab, dass wir in der gesamten nächsten Legislaturperiode die Zahl der Lehrerstellen halten wollen und dadurch bei sinkender Schülerzahl der Aufbau von Ganztagsbetreuung auch mit hauptamtlichen Lehrkräften möglich wird.
Ich sage das deswegen, weil Kollege Kretschmann, der normalerweise ein ernsthafter Kollege ist, mit seinem Vorwurf, wir würden die Ganztagsschule ankündigen und es folge nichts nach, schlichtweg die Unwahrheit sagt.
Wir wollen die Wahlfreiheit der Eltern, von Mutter und Vater, und keinen Zwang, und wir bauen unser Angebot im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten aus. Dazu gehört für jede Unterrichtsstunde das Hauptamt – der Lehrer –, und dafür wird der Spielraum in den nächsten fünf Jahren sichtbar und wird der Beschluss der Regierung noch im Februar dieses Jahres erfolgt sein.
Zweitens: Auch die Debatte zum Schuljahresbeginn gehen wir sehr differenziert an. Wenn Sie beim Neujahrsempfang im Rathaus dabei gewesen wären
kein Vorhalt – oder wenn Sie Ihre anwesenden Parteifreunde gefragt hätten, hätten Sie erfahren, dass ich von denen am selben Abend zu meiner differenzierten Darstellung Zustimmung bekommen habe.
Kollege Walter, ich bin doch gerade nicht bei Ihnen. Kretschmann ist doch gerade dran.
Deswegen wird der Kultusminister zu dem Thema „Ganztagsschule und anderer Rhythmus“ dem Kabinett am nächsten Dienstag berichten, und auch dazu werden Sie innerhalb sehr kurzer Zeit sehen, dass die Regierung eine Politik aus einem Guss macht.
Drittens: Lahr, Baden-Baden, Karlsruhe. Wissen Sie: Was die Kollegin aus Karlsruhe macht, ist ihr Recht. Aber meine Aufgabe ist es, zu handeln, wenn Anträge vorgelegt wurden. Der Antrag auf Erteilung einer begrenzten Sonderflugerlaubnis für Lahr trägt nicht den Briefkopf der Landesregierung, sondern lag vor zwölf Tagen in unserem Briefkasten. Deshalb kann ich diese Angelegenheit erst seit diesem Zeitpunkt bearbeiten. Die Bearbeitung durch das Regierungspräsidium geschieht. An diesem Freitag werden wir eine Anhörung haben, und wir werden bei diesem Thema genau so gründlich und rasch vorgehen, wie Administration und Regierung handeln müssen.
Die Opposition kann schnell fordern. Das ist ihr Recht. Abgehakt. Sie kann dagegen sein. Das ist ihr Recht. Abgehakt. Aber wenn die Ablehnung von Lahr, Kollege Caroli, wenn sie durch uns erfolgen sollte, nicht hieb- und stichfest begründet ist, dann haben wir ein Problem vor Gericht – wir als Regierung, die das Land vertritt. Sie vertreten das Land vor Gericht nicht. Dies ist auch gut so.
Deswegen sage ich: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit.
Unsere Arbeit wird dabei von der Gesamtverantwortung, von Gründlichkeit und Zielstrebigkeit geprägt sein.
Dass die CDU Baden-Württemberg wie die Union generell seit ihrer Gründung drei großen Säulen hat – eine eher christlich-soziale, eine konservative und eine liberale Säule –, war und ist bekannt. Ich bin froh darüber, dass diese drei Säulen – nicht Flügel – seit Jahrzehnten das stabile Fundament unserer Partei und unserer Mehrheit bei den Bürgern sind. Sie sind es in der Gegenwart und werden es in der Zukunft sein. Dafür werben wir, und darauf sind wir auch ein bisschen stolz.
Dass es in der CDU-Fraktion bei Wahlen auch mehrere Bewerber gibt, ist doch kein Nachteil, sondern eher ein Vorteil für uns.
Übrigens haben auch Sie bei diesem Thema keinen Nachholbedarf; denn auch bei Ihnen sind Posten umkämpft. Dass bei uns für die Nachfolge im Fraktionsvorsitz zwei herausragende Köpfe antraten – der eine macht seinen Job hervorragend, und der andere macht seinen Job hervorragend –, zeigt doch, dass die CDU-Fraktion für alle Aufgaben in Baden-Württemberg über starke Frauen und Männer verfügt.
Damit genügend Schmutz im Kübel liegt, haben Sie noch einmal die alten Kübel von Rothaus und Toto-Lotto mitgebracht. Glückauf! Alle Achtung! Doch eines muss auch klar sein: Dass Thomas Schäuble seine Aufgabe hervorragend wahrnimmt und Herr Dr. Repnik ebenso, hat sich in den letzten Monaten gezeigt.
Deswegen ist meine Bitte: Messen Sie sie an ihren Leistungen und nicht an den alten Schlagzeilen, die im Grunde genommen verjährt und veraltet sind.
Andreas Renner hat in einem privaten Gespräch unter drei Personen Äußerungen getätigt, die nicht akzeptabel sind. Sie sind inhaltlich und im Stil nicht akzeptabel. Diese Äußerungen zu verteidigen fällt mir deswegen nicht ein. Verständnis, Verstehen: ja. Sie aber zu übernehmen, zu teilen oder zu akzeptieren: in keinem Fall.
Diese Äußerungen wurden in einem vertraulichen Gespräch im Herbst 2005 dem Tübinger Presseclub bekannt,
erst später dann einigen von uns. Richtig ist, dass sich Kollege Renner an dem Datum entschuldigt hat, das von Ihnen, Kollege Drexler, genannt worden ist. Es gehört aber der Hinweis dazu, dass ich, lange bevor die Öffentlichkeit davon erfuhr, am 3. Januar 2006 mit dem Bischof nochmals abschließend über das letzte Jahr sprach. Ich darf das Kommuniqué verlesen – unterschrieben von der Diözese und der Regierung –:
Bischof Dr. Fürst erklärte, dass die Angelegenheit durch die Entschuldigung des Ministers für ihn bereinigt sei.
Er habe dies auch gegenüber dem Regierungschef bei einem Zusammentreffen vor einigen Wochen erklärt.
Beides ist eindeutig. Dann folgt:
Die Irritationen seien ausgeräumt, und die Offenheit und das Vertrauen bestünden fort.
Jetzt sage ich Ihnen zum Kollegen Renner Folgendes: Die weitestgehende Folgerung, die jemand in der Politik nach einem Fehler ziehen kann, ist es, Bedauern auszudrücken – und er bedauert die Äußerung vermutlich seit diesem Abend im Juli 2005 – und sich dann in aller Form zu entschuldigen. Damit war die Angelegenheit ausgeräumt.
Wir haben die Begegnung im Bischofshaus nicht „inszeniert“. Die wurde der Presse nicht mitgeteilt. Mir war aber wichtig, dass zunächst die Angelegenheit zwischen dem Bischof und ihm ausgeräumt wird, bevor dann – –
Ich bin doch gerade dabei, Frau Kollegin. Nicht so unruhig!
Die Aussprache wollten doch Sie! Dann geben Sie mir bitte auch Gelegenheit dazu.
Danke.
Ich wollte, dass zuerst die Angelegenheit zwischen dem Bischof und dem Kollegen Renner ausgeräumt wird und durch Entschuldigung und Annahme derselben erledigt ist.
Die Angelegenheit für die Regierung hat mit der Kirche nichts zu tun. Das war unsere Angelegenheit – danach. Das erste Treffen wurde der Presse nicht mitgeteilt, weil es ein nichtöffentliches Treffen war. Später die Presse über unsere Folgerungen zu informieren war an diesem Tag doch richtig und logisch; deswegen wurde die Presse um 17:30 Uhr hinzugebeten. In der Zwischenzeit hat mir der Kollege Renner erklärt, dass er trotz der Ausräumung der Angelegenheit und der Entschuldigung für sein Amt und seine Person Sorge hat, in die alte Autorität zurückzukehren.
Ich habe ihn nicht entlassen – Sie haben gesagt: „fallen gelassen“. Die Verfassung sieht zwei Wege des Ausscheidens von Regierungsmitgliedern vor. Der eine ist die Entlassung durch den Regierungschef – das wäre ein „Fallenlassen“ gewesen –, der andere Weg ist der, dass ein Rücktritt durch den Minister selbst angeboten und vom Regierungschef angenommen wird. Er hat seinen Rücktritt angeboten und ihn schließlich erklärt. Ich kam mit ihm gemeinsam zu dem Ergebnis, dass möglicherweise die Rückkehr in die alte Amtsautorität für ihn und seine Person in diesen Wochen des Wahlkampfs schwer möglich ist – das sieht man heute.
Deswegen lautet meine Bitte: Wenn ein Kollege für sich die weitestgehende Konsequenz zieht, davor aber eine untadelige Arbeit geleistet hat und bei vielen Kollegen Respekt genießt, dann sollte man – wenn er sich entschuldigt hat, Bedauern ausdrückt und die Sache ausgeräumt ist, wenn er zurücktritt und ausscheidet – danach nicht noch so verunglimpfend arbeiten, wie es vom Kollegen Drexler hier im Landtag in unwürdiger Weise getan worden ist.
Jetzt noch ein letzter Satz, Kollege Drexler, zu dem, was von Ihnen mir gegenüber erklärt worden ist.
Ich war bei einem privaten Geburtstag meines besten Freundes.
Sie haben es zitiert und damit hier zum Gegenstand Ihrer Politik, Ihrer unflätigen Rede gemacht.
Kollege Drexler, Sie haben dies als eine Waffe in Ihrer Rede gebraucht, und deswegen gehe ich darauf ein.
Ich war mit meiner Frau und unserem Kind beim 50. Geburtstag unseres besten Freundes.
Da waren Kollegen aus dem Parlament und da waren Sozialdemokraten dabei. Ich nenne Ihnen gerne Sozialdemokraten, die als Oberbürgermeister dort dabei gewesen sind.
Dies war keine Veranstaltung des Regierungschefs. Da war Günther Oettinger dort.
Entschuldigung, ich war nicht Einladender, ich war als privater, engster Freund beim 50. Geburtstag und habe auf Bitten des Freundeskreises eine launige Rede gegen den, der gerne austeilt und deswegen auch einstecken soll, gehalten.
Meine Bitte ist: Geben Sie, egal wem in welchem Amt – dies sage ich an das Parlament und die Opposition und auch an die Medien –, die Chance, dass neben einer Arbeit, bei der Stil, Anstand und Pflichten im Mittelpunkt stehen, auch noch eine freie Zeit, eine Privatsphäre für jeden von uns bestehen mag. Ich kann nur sagen: Der, der an diesem Abend da gewesen war, hat jedes Wort richtig verstanden.
Deswegen ist meine Bitte: Halten Sie die Privatsphäre von jedem – von Ihnen, von mir – aus unserem Wettstreit um gute Politik auch im Vorwahlkampf heraus. Diese Bitte habe ich ausdrücklich.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Wir alle wissen: Kinder sind die Summe der Möglichkeiten einer Gesellschaft, der Inbegriff von Zukunft. Wenn zwei Menschen sich für ein Kind entscheiden, dann setzen sie ein Zeichen des Optimismus, aber auch der eigenen Verantwortungsbereitschaft.
Baden-Württemberg ist ein Land voller Möglichkeiten, offen für die Zukunft, geprägt von einem positiven Realismus und von Verantwortung seiner Bürgerinnen und Bürger. Die Zuversicht und die Bereitschaft zur Verantwortung sind keine leeren Worthülsen; sie machen aus, was unser Land für viele so lebenswert macht.
Die große Online-Umfrage „Perspektive Deutschland“ hat ergeben, dass 79 % der Menschen in Baden-Württemberg mit der Lebensqualität an ihrem Wohnort und in ihrem Umfeld zufrieden sind – ein besserer Wert als in jedem anderen deutschen Land.
Sicher hängt es auch mit der hohen Lebensqualität zusammen, dass Baden-Württemberg in den letzten Jahren das einzige Land in Deutschland geblieben ist, in dem die Zahl der Geburten die der Sterbefälle übersteigt.
Baden-Württemberg ist ein Wachstumsland. Dies liegt daran, dass wir einen attraktiven Arbeitsmarkt haben, dass wir Hochschulen haben, die von den Menschen aus ganz Deutschland begehrt werden. Wir haben junge und leis
tungsfähige Zuwanderer aus dem Inland und dem Ausland und begrüßen sie. Baden-Württemberg hat seit der Wiedervereinigung den stärksten Bevölkerungszuwachs im Bundesvergleich zu verzeichnen. Wir bleiben ein Wachstumsland und werden alles tun, dass auch in den nächsten Jahren die Zahl der Menschen bei uns nicht sinkt, sondern steigt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Baden-Württemberg ist, demografisch gesehen, das jüngste aller Bundesländer. Unser Altersdurchschnitt liegt bei 40,8 Jahren. Im Bundesvergleich liegt er ein Jahr höher als bei uns.
In einer Zeit, in der überall die Folgen einer Überalterung beklagt werden, ist dies eine verhältnismäßig sehr gute Ausgangssituation. Mit diesen günstigen demografischen Eckdaten und einer ungebrochenen Attraktivität des Landes für junge Menschen ist Baden-Württemberg auf einem guten Weg, zum Kinderland Nummer 1 in Deutschland zu werden.
Der Begriff Kinderland steht nicht nur für eine kinderfreundliche Gesellschaft. Kinderland steht für ein neues Verständnis von Kindheit, von Jugend und Familie. Kinderland steht für eine Politik, die sich an den Kindern und Jugendlichen, ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten orientiert und in der verschiedene Felder der Politik miteinander verschmelzen: Familien- und Bildungspolitik, Betreuung und Jugendarbeit, Demografie und Sozialpolitik. Wer diese Themenfelder nur sektoral betrachtet, läuft leicht Gefahr, das Wesentliche aus dem Blick zu verlieren. Nicht die einzelnen Politikfelder dürfen unseren Blick auf das Kind bestimmen, sondern die Kinder bestimmen selbst die Erfordernisse der Politik.
Deshalb betone ich heute eindeutig: Eine Politik für Kinder und Familien, eine Politik, die Familien die Entscheidung für ein Kind ermöglicht und erleichtert, braucht einen ganzheitlichen Ansatz. Bildung und Betreuung sind zwei Seiten derselben Medaille. Ein Land, das sich als Kinderland versteht, setzt auf die Zukunft. Ein Land, das sich als Kinderland versteht, gibt Kindern und Jugendlichen den Raum und die Unterstützung, die für eine gute Entwicklung und einen erfolgreichen Start ins Leben notwendig sind. Ein Land, das sich als Kinderland versteht, nimmt Kinder und Jugendliche ernst, mit ihren Stärken, ihren Schwächen, ihrer Fantasie und ihren Möglichkeiten. Ein Land, das sich als Kinderland versteht, nimmt sich auch selbst in die Pflicht. Kinderland ist nicht einfach eine bunte Spielwiese. Es geht um Gerechtigkeit, es geht um Verantwortung zwischen Alten und Jungen, zwischen Starken und Schwachen, zwischen Kinderlosen und Eltern.
Wir arbeiten am Leitbild auf dem Weg zum Kinderland Baden-Württemberg. Die Landesregierung und die Regierungsfraktionen von CDU und FDP/DVP haben das Ziel, dieses Leitbild Schritt für Schritt umzusetzen, gemeinsam mit Eltern, Schulen, Kommunen, Kirchen, Vereinen und den Verbänden der Jugendarbeit, gemeinsam mit allen Kräften unserer Gesellschaft. Ich lade Sie alle ein: Lassen Sie uns Baden-Württemberg zu einem Kinderland machen,
das auf Zukunft ausgerichtet ist und in dem es sich für alle, Alt und Jung, zu leben lohnt.
Unsere Ausgangslage ist dabei chancenreich. Dazu haben viele einen Beitrag zu leisten. Ich danke allen, die schon in der Vergangenheit daran mitgewirkt haben, dass BadenWürttemberg kinder- und familienfreundlich ist. Ich nenne zuallererst die Eltern selbst, die die Verantwortung für ihre Kinder ernst nehmen und ihnen eine gute Zukunft eröffnen wollen.
Die Eltern bleiben im Kinderland im Mittelpunkt.
Ich nenne familiäre Netzwerke zwischen Nachbarn, Angehörigen und Freunden, zwischen Alt und Jung.
Ich nenne die jungen Familien mit ihrem oft bewundernswerten Talent zur eigenen Leistung, zum Organisieren dessen, was zu Hause gemacht werden kann.
Ich nenne hoch motivierte Erzieherinnen und Erzieher in Kindergärten und Betreuungseinrichtungen.
Ich nenne Lehrerinnen und Lehrer, die die Neugier und Lernbereitschaft der Kinder wecken und ihnen das richtige Rüstzeug auf ihren Lebens- und Bildungsweg mitgeben.
Ich nenne Kirchen und Verbände, die zur Elternbildung beitragen und entlastende Strukturen bereitstellen.
Und ich nenne Arbeitgeber und Gewerkschaften, die Arbeitswelt – die Arbeitgeber, weil sie zukunftssichere Jobs schaffen und ein offenes Ohr für die Belange der Familien haben, und die Gewerkschaften, weil sie nicht nur die beruflichen Interessen der Arbeitnehmer vertreten, sondern sich in Baden-Württemberg auch immer mehr zum Anwalt der Familie machen. Beiden, den Arbeitgebern und den Gewerkschaften, gilt unser Dank.
Ich danke allen, die auf vielfältige Weise dazu beitragen, dass sich unsere Gesellschaft zum Kinderland entwickelt. Mein Ziel ist es, diese Kräfte zusammenzuführen, zu integrieren und weiter zu stärken.
Auf dem Weg zum Kinderland gibt es keine Patentrezepte. Es gibt unterschiedliche Ansätze, die sich aus der konkreten Lebenssituation der betroffenen Menschen ergeben können. Wir werden diese unterschiedlichen Ansätze und Wege nicht gegeneinander ausspielen, sondern wir nehmen die Wahlfreiheit der Eltern und Familien ernst.
Unser Konzept wird den Eltern gerecht, die ihre Kinder selbst betreuen, und auch den Eltern, die auf eine externe Betreuungsmöglichkeit angewiesen sind. Das gilt für die Kleinkindbetreuung genauso wie für die Ganztagsschule flächendeckend in Baden-Württemberg.
Wir nehmen den Eltern die Verantwortung nicht ab. Aber wir unterstützen sie, wenn und wo sie dies wünschen, wenn und wo sie Unterstützung des Staates und der Kommune benötigen.
Wir verstaatlichen nicht die freie Zeit von Kindern und Jugendlichen, sondern wir bieten freien Trägern die Möglichkeit, diese Zeit gemeinsam mit jungen Menschen sinnvoll zu gestalten.
Die Zukunft unserer Kinder ist eine Aufgabe, der sich alle gleichermaßen stellen müssen: die Eltern, der Staat, die Schulen und die Betreuungseinrichtungen, die Kommunen, die Kirchen, die freien Träger, die Vereine und Verbände, die Wirtschaft, die Gesellschaft insgesamt. Das Konzept „Kinderland Baden-Württemberg“ gibt dieser ganzheitlichen Gesamtverantwortung neuen Raum.
Seit dem Amtsantritt der neuen Landesregierung vor einem halben Jahr haben wir eine Vielzahl von Gesprächen geführt,
und wir haben eine Reihe von Projekten und Maßnahmen vorbereitet, die die Situation von Kindern, von Jugendlichen, von Müttern und Vätern, von Familien in BadenWürttemberg umfassend verbessern werden, über die ich Ihnen jetzt berichten will.
Am letzten Freitag haben wir dazu eine entsprechende Vereinbarung mit den Präsidenten von Landkreistag, Städtetag und Gemeindetag geschlossen. Ich danke den kommunalen Verbänden, den Kommunen in Baden-Württemberg generell für eine faire Partnerschaft, für eine faire Aufgabenteilung, für eine faire Finanzverteilung.
Das Fundament von Land und Kommunen wird die Grundlage sein, auf der die Ganztagsbetreuung in Baden-Württemberg sinnvoll und maßvoll ausgebaut werden kann.
Ein wesentliches Element aller Maßnahmen und Projekte, die wir mit den kommunalen Verbänden vereinbart haben, ist das Bewusstsein, dass Bildung und Betreuung zusammengehören, und zwar in allen Altersstufen. Dabei versteht es sich von selbst, dass Kleinkinder andere Bildungsinhalte und ein anderes Maß an Betreuung benötigen als Schüler und Jugendliche.
Wenn wir über das Thema Betreuung reden, müssen wir uns bewusst sein, dass immer mehr Familien auf ein zweites Einkommen angewiesen sind. Der Arbeitsmarkt in BadenWürttemberg ist intakt. Gut ausgebildete Frauen werden von der Wirtschaft gebraucht. Immer mehr Frauen wollen arbeiten, haben die Qualifikation dafür, und immer mehr Frauen müssen arbeiten, weil das Einkommen sonst nicht ausreichend ist. Deswegen wollen wir, dass Frauen in Ba
den-Württemberg ihre eigene berufliche Karriere, ihre Erwerbstätigkeit wahrnehmen können und dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert wird. Ich halte es für nicht akzeptabel, wenn Frauen sich noch immer rechtfertigen müssen, dass sie nach der Elternzeit die Rückkehr in den Beruf wünschen.
Genauso falsch wäre es aber, wenn Frauen sich dafür rechtfertigen müssten, dass sie zu Hause bleiben und ihre Kinder selbst erziehen wollen.
Beide Wege sind richtig. Beide Wege verdienen Anerkennung und Unterstützung der Gesellschaft, materiell, finanziell und ideell.
Wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und zwar für Frauen und für Männer. Wir brauchen ausreichende Betreuungsangebote für Kinder. Nur so wird es Familien ermöglicht, trotz Berufstätigkeit beider Elternteile eigene Kinder aufzuziehen. Es liegt auf der Hand, dass jungen Paaren auf diese Weise die Entscheidung für ein Kind, für Kinder erleichtert wird.
Die grundsätzliche Zuständigkeit für die Kleinkindbetreuung in altersgemischten Kindergartengruppen, in Kinderkrippen und durch Tagesmütter und Tagesväter liegt bei den Kommunen, so wie dies am letzten Freitag vereinbart wurde.
Die Verantwortung für Kinder im Alter bis sechs Jahre liegt zuallererst bei den Kommunen.
Die Landesregierung wird jedoch am Ziel eines qualitativen und quantitativen Ausbaus der Angebote mitarbeiten, indem wir die bisherige Mitfinanzierung von 10 % bei den Kinderkrippen beibehalten und diese Förderung auch bei steigender Nachfrage in Baden-Württemberg finanziell ermöglichen.
Auch in finanziell schwierigen Zeiten bekennen wir uns zu unserer Mitverantwortung für die junge Generation im Land. Wir ziehen uns aus gemeinsam vereinbarten Aufgaben nicht zurück. Wir bleiben ein Partner für Kommunen und Kirchen, wenn es um Kleinkindbetreuung in BadenWürttemberg geht.
In Deutschland und auch in Baden-Württemberg besteht ein Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg. Kinder aus der Oberschicht haben deutlich höhere Chancen, das Gymnasium zu besuchen, als Kinder aus Arbeiter- und Migrantenfamilien.
Dieses Ergebnis des neuen Ländervergleichs, PISA-E 2003, hat in den letzten Tagen zu Recht die Öffentlichkeit stark beschäftigt. Ich will diese Problematik nicht beschönigen und versichere Ihnen, dass wir diesen Sachverhalt besonders ernst nehmen. Ich weise trotzdem darauf hin, dass das Ergebnis Baden-Württembergs in dieser Studie zumindest eines aussagt: Ein Drittel aller Abiturienten legt eine Reifeprüfung an den beruflichen Gymnasien ab, eine Besonderheit Baden-Württembergs. Diese Besonderheit wird in der Studie nicht dargestellt. Deshalb ist diese Studie ergänzungsbedürftig. Der Kollege Rau geht nachher darauf ein.
Auch wenn man dies berücksichtigt, wird man in BadenWürttemberg – wie in allen Bundesländern – einen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen trotzdem nicht bestreiten können. Unser Ehrgeiz muss sein, die Ungleichheit dieser Chancenverteilung weiter zu verringern. Dies ist eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber Kindern und Familien. Aber es geht auch um die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Wir können es uns nicht leisten, dass Talente und Begabungen brachliegen oder verschüttet werden. Gerade die Förderung junger Menschen aus sozial schwachen Familien muss ein Schwerpunkt der nächsten Jahre sein.
Der jüngste PISA-Ländervergleich hat aber auch ausgesprochen erfreuliche Ergebnisse für unser Land gezeigt. Die Schülerinnen und Schüler aus Baden-Württemberg konnten sich bei der Bewertung ihrer Kompetenzen auch in diesem Jahr auf vorderen Plätzen behaupten. Im internationalen Maßstab hat sich Baden-Württemberg auf praktisch allen Feldern weiter verbessert. Dies spricht für die gute Ausgangslage und die Qualität unserer Bildungspolitik, der Arbeit unserer Schulen und unserer Lehrerinnen und Lehrer vor Ort.
Am Beispiel von Nordrhein-Westfalen hat PISA gezeigt, dass Gesamtschulen kein Mittel für mehr Chancengerechtigkeit sind.
Obwohl diese Schulform dort seit Jahrzehnten propagiert wird, liegen die Bildungschancen von Arbeiterkindern dort im bundesweiten Vergleich deutlich hinten. NordrheinWestfalen zeigt, dass die Gesamtschule nicht der Weg der nächsten Jahre sein kann.
Wir sind davon überzeugt, dass der Schlüssel zu noch mehr Chancengerechtigkeit nicht in Gleichmacherei, sondern in der intensiven frühkindlichen Bildung liegt. Die intensive Förderung in Kindergarten und Grundschule ist mir deshalb ein wichtiges Anliegen. Diese Schwerpunktsetzung erfolgt in Übereinstimmung mit den kommunalen und den freien Trägern in Baden-Württemberg, mit denen auch in den nächsten Jahren ein gutes Miteinander, eine gewinnbringende Kooperation fortgesetzt wird.
Dass wir uns in Baden-Württemberg bereits auf einem guten Weg befinden, hat die IGLU-Studie gezeigt. Mit dem „Schulanfang auf neuen Wegen“ haben wir an unseren Grundschulen in Baden-Württemberg ein bundesweit anerkanntes Programm etabliert. Dieses Programm hat bereits zu einer deutlich ablesbaren Reduzierung der Zahl der Zurückstellungen vom Schulbesuch geführt und die Zahl der frühen Einschulungen erkennbar gesteigert. Der „Schulanfang auf neuen Wegen“ hat variable Einschulungsmöglichkeiten eröffnet und die flexible Ausgestaltung des Anfangsunterrichts in den Klassen 1 und 2 ermöglicht. Damit werden wir der Begabung von Fünf-, Sechs- und Siebenjährigen gerecht.
Die flächendeckende Einführung der Grundschulfremdsprache ab Klasse 1 hat sich ebenfalls positiv bewährt. Auch hier sind wir in Einklang mit den Erkenntnissen der frühkindlichen Pädagogik, die zu einem frühzeitigen Erlernen von Fremdsprachen raten. Wir führen dies in Baden-Württemberg flächendeckend durch.
Die Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule hat bei uns eine gute Tradition. Diese Kooperation soll in Zukunft vor dem Hintergrund des Orientierungsplans für vorschulische Bildung und mit dem Konzept „Schulreifes Kind“ weiter ausgebaut werden. Unser Ziel ist es dabei, jedem Kind die Förderung zu geben, die es braucht, um seine Begabungen optimal zu entfalten.
Wir wollen Kindergarten und Grundschule vernetzen. Wir wollen, dass jedes Kind, das in Baden-Württemberg die Schule besucht, ab dem ersten Tag schulreif ist. Das ist eine ehrgeizige Zielsetzung. Daran arbeiten wir. Bitte unterstützen Sie uns dabei.