Der Religionsunterricht in der Verantwortung der Religionsgemeinschaften ist der richtige Weg. Nur jemand, der den Glauben, um den es geht, selbst glaubt, kann in den Kindern – um Habermas zu zitieren – „religiöse Musikalität“ entwickeln. Das hat nichts mit Konfessionalismus zu tun. Ich freue mich deswegen über erste Ansätze eines ökumenischen Religionsunterrichts durch die Kirchen.
Es war auch längst überfällig, dass endlich mit islamischem Religionsunterricht in deutscher Sprache begonnen wird. Wenn er Zukunft haben soll – das muss ich allerdings deutlich dazusagen, Frau Schavan, Herr Frankenberg, Herr Oettinger –, brauchen wir eine islamische Fakultät, die Geistliche und Religionslehrer ausbildet.
Es ist natürlich richtig, was Sie zu den Hasspredigern sagen: Wir dulden das nicht und nehmen das nicht hin. Aber zugleich müssen wir dafür sorgen, dass auch für die islamische Religionsgemeinschaft Menschen hier ausgebildet werden, an unseren Universitäten, in unserer Sprache und mit unserem Wertefundament.
Aber auch den Kindern, die nicht religiös gebunden sind – und es werden mehr –, müssen unsere humanistischen Werte und Kenntnisse von Religion vermittelt werden. Es ist deshalb absurd, dass es Ethikunterricht erst ab Klasse 8 gibt. Wir brauchen ihn ab Klasse 1.
Wir wollen mehr Kinder, sagen wir immer im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung. Aber wir müssen uns zunächst einmal auch um die kümmern, die da sind, und dies tun wir nicht in ausreichendem Maß. Wenn keine Motivation besteht, Kinder zu kriegen, wird dies natürlich verstärkt, wenn die Ausbildung der Kinder den Eltern als mühseliger Weg erscheint, der zu Sorgen Anlass gibt und bei dem sie sich fragen müssen: Wird mein Kind einmal in der Schule scheitern? Schafft es den Abschluss? Kann ich ihm bei den Hausaufgaben helfen? Kann ich Nachhilfe finanzieren? Bekommt das Kind nach der Schule einen Arbeitsplatz?
Deswegen, Herr Oettinger, sind Chancengleichheit und Zugangsgerechtigkeit der zentrale Ausgangspunkt der Bildungspolitik, weil wir diese Chancengleichheit und Zugangsgerechtigkeit in Baden-Württemberg eben nicht haben.
Sie wollen nun zum wiederholten Mal die Hauptschule stärken. Die Sorge um die Hauptschule ist richtig. Aber seit 30 Jahren redet die CDU davon, dass sie die Hauptschule stärken wolle. Wenn man dies seit 30 Jahren immer wieder be
schwört, sollte man sich doch einmal überlegen, warum es mit der Stärkung nicht klappt. Das ist deshalb der Fall, weil natürlich die, die für die Stärkung der Hauptschule sind, ihre Kinder immer auf die Gymnasien schicken wollen. So einfach ist das.
Es muss Sie doch nachdenklich stimmen, dass sich der Baden-Württembergische Handwerkstag für ein neues Schulkonzept ausspricht. Handwerker, die traditionell Jugendliche aus Hauptschulen ausbilden und weiterhin Jugendliche ausbilden wollen, wollen einen anderen Weg einschlagen. Sie fordern wie wir die neunjährige Basisschule als Schule gemeinsamen Lernens und individueller Förderung. Wir teilen diese Auffassung. Das ist der richtige Weg, Herr Oettinger, auch angesichts der demografischen Entwicklung mit sinkenden Schülerzahlen auch im ländlichen Raum.
Bei 400 Minihauptschulen mit je 60 Schülern wird die Entwicklung zu der Frage führen: Schließen wir Standorte, oder bauen wir Schulen zu integrativen Schulen aus, Schulen, die alle Abschlüsse anbieten, alle Kinder eines Ortes fördern und so erhalten bleiben?
Warum, Herr Oettinger, fehlt Ihnen der Mut, um erste Schritte zu veranlassen, aus der Dreigliedrigkeit des Schulsystems herauszugehen und einfach neue, integrative Modelle zuzulassen?
Ihre Initiative zu Schulassistenten begrüßen wir sehr. Die Einführung von Schulassistenten ist der richtige Schritt für eine selbstständige Schule.
Die berufliche Bildung und das duale System werden mit einem Satz erwähnt. Das ist lediglich ein dürres Bekenntnis zum dualen System. Doch wir haben in den nächsten Jahren eine steigende Zahl von Schulabgängern, für die nicht genügend Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Viele sind nicht ausbildungsreif und können die Ausbildung nicht bestehen. Unser Ziel muss es aber sein, alle Jugendlichen in Ausbildung zu bringen.
Wir müssen ein regionales Ausbildungsmanagement mit neuen Formen der Zusammenarbeit von Schulen und Betrieben fördern, und wir müssen die Attraktivität des dualen Systems auch dadurch erhöhen, indem die Perspektiven verbessert werden. Deshalb schließen wir uns dem gestrigen Appell vonseiten der IHKs an, den Hochschulzugang für Meister und qualifizierte Berufstätige, wie zum Beispiel für einen ehemaligen Ministerpräsidenten, zu erleichtern.
Wir haben bei den Beschäftigten in Baden-Württemberg den höchsten Anteil Un- und Angelernter im Vergleich der Bundesländer. Es ist die größte arbeitsmarktpolitische Herausforderung für das Land und die neue Landesregierung, die drohende Arbeitslosigkeit dieser Menschen zu verhindern. Die Politik kann letzten Endes nicht verhindern, dass die Produktion dahin verlagert wird, wo die Lohnkosten deutlich geringer sind als bei uns. Aber wir müssen dafür
sorgen, dass in die Menschen investiert wird, die danach nur noch in einem technologisch anspruchsvollen Bereich oder im Dienstleistungsbereich die Chance auf einen Job haben. Wir brauchen eine vorsorgende Qualifizierungs- und Arbeitsmarktpolitik des Landes, und wir wollen deswegen – das ist unsere zentrale Forderung in diesem Bereich –, dass Weiterbildung und Qualifizierung zu einer Gewährleistungsaufgabe des Landes werden.
Jetzt komme ich zur Ganztagsschule. Hierzu ist das meiste ja schon gesagt worden. Ich möchte aber noch einmal betonen: Sie, Herr Oettinger, sprachen von der „flächendeckenden Einführung der Ganztagsschule“, Mappus sammelt dies einen Tag später jedoch wieder ein und spricht von „Ganztagsschulen nach Bedarf“. Sie haben es in Ihrer Erklärung natürlich schon angedeutet.
(Abg. Mappus CDU: Ja, das hat er doch auch ge- sagt! Lesen Sie es doch nach! – Weitere Zurufe von der CDU)
Ja, genau das ist es. Er sagt beides, und dann gibt es hier eine Arbeitsteilung, bei der sich jeder das heraussuchen kann, was er will.
Ich glaube, so kommt man wirklich nicht weiter. Ihre Ankündigung, ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen anzustreben, war für uns wirklich ein klarer Bruch mit der bisherigen Politik, Ganztagsschulen nur in Brennpunktbereichen vorzusehen. Es ist völlig klar, warum das so sein muss: Nur, wenn wir Ganztagsschulen angebotsorientiert einführen, hat das die Wirkung, die wir erwarten. Denn nur dann, wenn das Angebot da ist, kann dies in diesem Bereich zu einer Entscheidung junger Eltern für Kinder beitragen, weil sie die Möglichkeit der Kinderbetreuung im Rahmen des Ganztagsunterrichts haben. Wenn dieses Angebot nicht da ist und man Ganztagsschulen nur nachfrageorientiert einführt, rennt man sozusagen dem, was man beklagt, nämlich dass es zu wenige Kinder gibt, nur hinterher. Deswegen ist es eine ganz richtige Weichenstellung, zu sagen: Wir brauchen ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen.
Das, was Sie über den Bund gesagt haben, ist wirklich abenteuerlich. Der Bund hat hier eine Anschubfinanzierung gegeben, weil vor allem die unionsregierten Länder geschlafen und den Bedarf nicht rechtzeitig erkannt haben – Sie haben die Ganztagsschule ja vor kurzem selbst noch als „Freiheitsberaubung“ bezeichnet. Mehr Geld konnte es natürlich nicht sein, denn auch der Bund steht unter dem Diktat knapper Kassen. An sich handelt es sich in diesem Zusammenhang aber um eine originäre landespolitische Aufgabe, und wir fordern Sie dazu auf, sich dieser Aufgabe zu stellen.
Die sozialdemokratische Landtagsfraktion hat Finanzierungsvorschläge gemacht, und wir haben vorgeschlagen, aus dem Zukunftsprogramm „Erwin 4“ 100 Millionen € herauszunehmen und damit die Ganztagsschulen zu finanzieren. Sie müssten dann nicht das machen, was Ihr Vorgänger Ihnen noch als Ei ins Nest gelegt hat. Hier haben Sie die Möglichkeit, das umzusetzen, was Sie angekündigt haben.
(Abg. Schmid SPD: Das geht rechtlich gar nicht! Das ist gemeinnützig in der Landesstiftung gebun- den!)
Zu den Schulen in freier Trägerschaft kann ich nur sagen: Jedes Jahr machen Sie Versprechungen, die Sie nicht einhalten, Herr Kollege Mappus. Jedes Jahr hören wir das Gleiche. Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht, dem Sie nicht zugestimmt haben.
Jetzt machen Sie wieder Versprechungen. Da haben Sie sich schon ganz zentral widersprochen. Sie haben die Versprechungen bisher nicht eingehalten, und wir reden immer nur darüber. Wir wissen, dass die Schulen in freier Trägerschaft teilweise unter schwerstem ökonomischem Druck stehen oder sogar in ihrer Existenz gefährdet sind. Es geht nicht, dass wir es auch nur noch ein halbes Jahr weiter hinausschieben, sie besser zu fördern. Wir haben bei den Haushaltsberatungen klare Anträge dazu gestellt: 5 Millionen € mehr im Jahr 2005 und 10 Millionen € mehr im Jahr 2006 als Stufenplan. Das haben Sie natürlich wieder klipp und klar abgelehnt. Das geht nicht!
Hochschulen: Der Ministerpräsident hebt die Qualität des Hochschulsystems hervor. Zustimmung! Das ist das Entscheidende für den Standort Baden-Württemberg. Den Weg zu mehr Autonomie und Eigenverantwortung haben wir Grüne mit angestoßen. Wir haben gefordert, dass die landesweite Hochschulentwicklung nun als neue Aufgabe der Politik ansteht. Deshalb begrüßen wir Ihre Ankündigung in dieser Hinsicht. Lassen Sie ihr auch Taten folgen! Wir brauchen einen neuen Solidarpakt II; das ist das Gebot der Stunde im Interesse der Planungssicherheit an den Hochschulen.
Wir haben ein Studien-Credit-Modell vorgelegt, das übrigens nach und nach auch von anderen kopiert wird. Wir sagen: Das Studium sollte bis zum Bachelorabschluss für Studierende kostenfrei sein, denn wir wollen niemand abschrecken. Wir wollen die Hochschulen ja für mehr Studierende öffnen, gerade auch für Studierende aus sozial schwächeren Schichten. Allerdings wollen wir die Studierenden im Masterstudiengang finanziell beteiligen: in einer Weise, die es dem Studierenden ermöglicht, flexibel zu studieren und die Beiträge nach dem Studium zurückzuzahlen.
Das Wichtigste aber ist: Wir verstehen die Beteiligung im doppelten Sinn. Die Studierenden müssen einen Beitrag leisten, aber sie haben nach unserem Modell eben auch Einfluss auf den Gang der Dinge. Der Fachbereich, in dem der Studierende Lehrveranstaltungen besucht, erhält auch Einnahmen aus Studiengebühren. Das heißt, nach unserem Modell entscheiden die Studierenden durch die Wahl der Lehrveranstaltungen mit, wohin das Geld kommt. Das ist der Anreiz für die Verbesserung der Lehre an den Hochschulen.
Ich komme zum Thema „Kinderland Baden-Württemberg“. Es ist sehr schön, dass Sie diesen Begriff von uns abkupfern.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der CDU, u. a.: Hören Sie doch auf! – Abg. Drex- ler SPD: Ja, das haben die Grünen einmal verteilt!)
Es gibt eine Broschüre der grünen Landtagsfraktion aus dem Jahr 2000 mit dem Titel: „Kinderland – unser Land wird Zukunftsland“.
(Abg. Dr. Birk CDU: Herr Kretschmann, Sie sind unsere neue Agentur! – Abg. Fleischer CDU: Sie können sich bei Dr. Birk bewerben!)
dann wird die Politik richtig. Für die Zukunft unseres Landes ist die Kinder- und Familienpolitik besonders wichtig, und daher ist es erfreulich, dass der Ministerpräsident die gewandelten Familienrealitäten in den Blick nimmt, auch wenn Herr Mappus sie gleich wieder eingesammelt hat.
Herr Ministerpräsident, Sie wollen Familienleistungen bündeln und die Familien entlasten. Konkret kündigen Sie den Ausbau von Betreuungsstrukturen vor allem für Kinder unter drei Jahren an. Das fordern wir nun seit Jahren. Aber das Entscheidende ist, Herr Oettinger: Wie wird diese Kleinkindbetreuung finanziert? Dafür haben Sie kein Konzept.
Unserer Ansicht nach gibt es dafür ein klares und – auch nach dem, was Sie sagen – logisches Konzept: Wir müssen das Landeserziehungsgeld für die Kleinkindbetreuung umwidmen, anders ist dieser Bereich nicht zu finanzieren. Auch da zeigen Sie wieder nicht den Mut, klare und verbindliche Aussagen zu treffen und sich zu entscheiden, damit dieser Wunsch auch seriös finanziert wird. Handeln Sie nun endlich! Wir müssen das Landeserziehungsgeld aufgeben. Dazu haben wir einen Ausstiegsvorschlag gemacht. Damit können wir die Betreuung der Kinder unter drei Jahren finanzieren.