Protokoll der Sitzung vom 29.06.2005

Ich werde dies noch begründen. Ich habe gesagt: Dort, wo die Tarifparteien dies wollen, machen wir mit, aber wir brauchen es nicht für alle Bereiche gesetzlich zu regeln.

(Abg. Drexler SPD: Aber dann müssen Sie das Ge- setz erweitern! Sonst geht es gar nicht! – Gegenruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Die Tariffreiheit ist für mich ein außerordentlich hohes Rechtsgut. Es kommt nicht von ungefähr, dass sie im Grundgesetz verankert ist. Deshalb wäre eine Einführung von flächendeckenden Mindestlöhnen durch den Staat ein rechtlich zweifelhaftes Instrument.

(Beifall des Abg. Kurz CDU)

Ich denke, das ist die richtige Antwort darauf.

Die Einführung von flächendeckenden Mindestlöhnen durch den Staat wäre aber auch ein ökonomischer Irrweg, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wir brauchen mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und weniger staatliche Vorgaben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Unser Ziel muss es sein, auch Arbeitskräfte mit niedriger Produktivität in den Arbeitsmarkt zu integrieren, anstatt sie auf Dauer auszuschließen. Das ist doch das Ergebnis der letzten sieben Jahre rot-grüner Arbeitsmarktpolitik, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Aber doch nicht für 3 € die Stunde! Das ist doch keine Inte- gration!)

Denn eines ist doch sicher: Wenn in Deutschland Mindestlöhne oberhalb der Produktivität gezahlt werden müssen, wandern die Arbeitsplätze in das kostengünstigere Ausland ab.

(Abg. Ruth Weckenmann SPD: Wo ist die Produk- tivität im Reinigungsgewerbe? Wo ist die?)

Gerade im Niedriglohnbereich, in dem wir angesichts der Struktur der Arbeitslosigkeit dringend Arbeitsplätze brau

(Minister Renner)

chen, käme es zu einer Verdrängung von Arbeitsplätzen. Das wollen wir nicht.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, klar ist auch, dass die Befürworter von Mindestlöhnen immer wieder anführen, dieses Instrument werde in 18 von 25 EU-Staaten angewandt. Hierzu möchte ich zwei Aspekte nennen:

Erstens heißt Anwenden nicht, dass damit auch Erfolg verbunden ist. Wir kennen das Problem auch aus der Baubranche. Es gibt massenhaft Umgehungsmöglichkeiten. Ich nenne hier beispielsweise nur Schwarzarbeit, Scheinselbstständigkeit und überlange Arbeitszeiten. Vielleicht hat sich bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit etwas getan. Aber Sie müssen auch hinzufügen, dass das Ausmaß der Schwarzarbeit erheblich gestiegen ist. Das ist auch ein Ergebnis einer schlechten Arbeitsmarktpolitik.

Missbrauch und Lohndumping sollten daher unter Einsatz der bestehenden Instrumente bekämpft werden. Ein wichtiger Beitrag hierzu ist die neu geregelte Zusammenarbeit zwischen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit und den Steuerfahndungsstellen bei den Finanzämtern des Landes. Hier wurde ein Dreistufenmodell über die Zusammenarbeit erstellt. Hierzu gehören ein laufender Informationsaustausch, die Information über die Ergebnisse regionaler Prüfungen und die einzelfallbezogene Zusammenarbeit.

Durch die öffentliche Diskussion über den Missbrauch der Dienstleistungsfreiheit, wie im Fleischereigewerbe, ist in den zuständigen staatlichen Aufsichtsbehörden – hierzu zählen die Finanzämter, die Regierungspräsidien und die unteren Verwaltungsbehörden; auch nach der Verwaltungsreform funktioniert das hervorragend –

(Abg. Drexler SPD: Ah ja!)

wieder verdeutlicht worden, wie wichtig ihre Überwachungsarbeit und die effiziente Zusammenarbeit sind. Das funktioniert auf der unteren Ebene jetzt wesentlich besser als zuvor.

(Abg. Drexler SPD: Gucken Sie sich die Zahlen an! Das stimmt doch gar nicht!)

Die medienwirksame Berichterstattung über aufgedeckte Missbräuche wird auch hier einen positiven Einfluss auf die Prävention vor illegaler Beschäftigung haben.

Zweitens muss man sehen, dass es in vielen Ländern deutliche Defizite bei der sozialen Absicherung gibt.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Eben!)

Wir haben in Deutschland das Arbeitslosengeld II, und das wirkt nun einmal wie ein Mindestlohn. Von daher brauchen wir, denke ich, auch nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Genau! – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Aber Polen mit Tschechen!)

Deshalb krankt der Gesetzentwurf an einem zentralen politischen Fehler, und zwar im Zusammenhang mit der Kombination von Niedriglohn und staatlicher Sozialabsicherung.

Ich frage mich: Wozu hat die Bundesregierung parallel ein Gesetz auf den Weg gebracht, mit dem die Hinzuverdienstmöglichkeiten beim Bezug von ALG II verbessert werden sollen? Das passt doch nicht zusammen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Zickzack! – Abg. Ruth Weckenmann SPD: Das haben Sie doch unter- stützt! – Weitere Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Drexler: Ich glaube, das haben Sie unterstützt!)

Das haben wir unterstützt.

Ich frage: Warum macht man das eine und das andere noch zusätzlich, obwohl das gegenseitig entgegengesetzt wirkt?

(Abg. Ruth Weckenmann SPD: Weil wir beides brauchen!)

Dementsprechend, meine Damen und Herren, macht es keinen Sinn, auf der einen Seite die erforderliche Öffnung für einen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt vorzunehmen, aber auf der anderen Seite diesem Markt das Fundament wegzubrechen. Das ist doch ein politischer Zickzackkurs, den keiner mehr verstehen kann. Deshalb ist für mich das Fazit: Dieses Gesetz gehört in den Schredder.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Ihr Manuskript auch!)

Da passt nichts zusammen. Die Probleme auf dem Arbeitsmarkt würden nur noch größer werden. Aus diesem Grund haben wir dieses Gesetz abgelehnt. Wir haben stattdessen deutlich gemacht, dass allenfalls in hochsensiblen Bereichen eine maßvolle, befristete Erweiterung des Anwendungsbereichs des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes erwogen werden kann.

(Abg. Drexler SPD: In welchen denn? Nennen Sie doch erst mal Ross und Reiter!)

Der Bundesrat hat die Bundesregierung aufgefordert, als Grundlage dafür den Lohndumpingbericht mit einer belastbaren Datengrundlage vorzulegen. Dies ist die Voraussetzung für weitere Überlegungen.

Herr Kollege Palmer, jetzt kann mein Manuskript in den Schredder. Sie bekommen meine Ausführungen nachher als Protokoll.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Weckenmann.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Renner, ich fand es schon toll, dass Sie Ihr Manuskript noch einmal ablesen konnten. Aber besser ist es deswegen auch nicht geworden.

Sie sind zwar jetzt neu im Amt, aber Sie müssten doch den Unterschied zwischen dem Entsendegesetz und einem Mindestlohn begriffen haben. Beim Entsendegesetz entscheiden die Tarifvertragsparteien, ob sie eine Lohnuntergrenze ein

ziehen wollen, und sie entscheiden, ob diese allgemein verbindlich sein soll. Ein Mindestlohn ist dagegen etwas, was der Staat und die Regierung festlegen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Aber in der Auswirkung das Gleiche, oder?)

Aber Sie können bei mir gern Aufklärung holen.

Ich dachte, wir sind uns einig, dass wir in Deutschland und in Baden-Württemberg menschenwürdige Arbeits- und Entlohnungsbedingungen wollen.

(Abg. Alfred Haas CDU: Deswegen brauchen wir eine andere Bundesregierung!)

Wie viele Berichte, Herr Renner – der Wirtschaftsminister taucht eh ab –, brauchen Sie noch? Ich habe hier einen Arbeitsvertrag von Joey’s Pizza Service: 150 Stunden, Entlohnung 400 € brutto im Monat. Für 150 Stunden! Wie weit wollen Sie denn noch hinunter, Herr Renner? Ist Ihnen das noch immer zu viel? Reichen Ihnen all die Beispiele zum Lohndumping in der Bundesrepublik nicht?

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das ist doch illegal!)