Protokoll der Sitzung vom 30.06.2005

Wenn wir die Verkehrsprognosen nehmen, die der Bund selber für den Bundesverkehrswegeplan zugrunde gelegt hat,

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Die alle überholt sind!)

dann haben wir bis 2015 Zuwachsraten von über 40 % im Straßenverkehr

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Aber das wissen Sie, dass das alles überholt ist?)

ich komme zu allem –

(Abg. Drexler SPD: Oje! Das wird aber lang!)

und 15 % im Personenverkehr zu erwarten. Der Fernverkehr – weil wir immer wieder auch über Landesstraßenbau diskutieren – wächst wesentlich schneller als der Nahverkehr. Die höchsten Zuwachsraten sind beim grenzüberschreitenden Verkehr und beim Transitverkehr zu verzeichnen.

Der Bund hat im Bundesverkehrswegeplan des Jahres 2003 bundesweit zur Erhaltung und für vordringliche Aus- und Neubaumaßnahmen von Bundesschienenwegen, Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen für den Zeitraum bis 2015 einen Investitionsbedarf von 173 Milliarden € ermittelt. Das ist nur der Vordringliche Bedarf. Fast jeder von uns kennt Projekte aus seinem Wahlkreis, die nicht im Vordringlichen Bedarf sind, aber trotzdem als äußerst dringend empfunden werden, deren Realisierung gefordert wird, die aber erst in 20 Jahren oder später eine Realisierungschance haben.

Um den festgestellten vordringlichen Bedarf zeitgerecht abarbeiten zu können, würden jährlich knapp 12 Milliarden € benötigt. Der vom Bund vorgesehene Finanzierungsrahmen liegt allerdings nicht bei 12 Milliarden €, sondern bei knapp 10 Milliarden €. Der tatsächliche Haushaltsansatz des Jahres 2005 liegt bei 9 Milliarden €. Er ist dennoch so gering, obwohl zum ersten Mal über 2 Milliarden €, vielleicht bis zu 3 Milliarden € Einnahmen aus der Maut in die Bundeskasse fließen.

Jetzt schauen wir einmal, wie es nach dem Jahr 2005 in der mittelfristigen Finanzplanung bis 2008 weitergeht: Dann sind nur noch 8,2 Milliarden € pro Jahr vorgesehen.

Das Fazit lautet: Es besteht eine Unterfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur, die bedrohliche Ausmaße annimmt. Grundsätzlich kann daran auch das Investitionsprogramm von 2 Milliarden € für die Jahre 2005 bis 2008, sosehr wir es begrüßen, nichts ändern.

Nach der mittelfristigen Finanzplanung sinkt das Finanztableau unter den Betrag, der nach dem Bundesverkehrswegeplan 2003 zur Erhaltung und für laufende Vorhaben benötigt würde. Wenn dieses Zukunftsszenario Realität wird, können in absehbarer Zeit keine neuen Baumaßnahmen begonnen werden.

Während auf der einen Seite die Verkehrsprognosen steigen, meine Damen und Herren, läuft die Kurve bei der Mittelausstattung in eine andere Richtung, und die Schere geht

(Staatssekretär Köberle)

immer weiter auseinander. Die Auswirkungen auf BadenWürttemberg in den Bereichen Bundesfernstraßen, Bundesschienenwege und Bundeswasserstraßen sind außerordentlich problematisch. Der neue Bundesverkehrswegeplan gilt für die Jahre 2001 bis 2015. Der Bund hat in diesem Zeitraum einen Bedarf von rund 3,8 Milliarden € für Neu- und Ausbaumaßnahmen für Bundesfernstraßen in Baden-Württemberg ausgewiesen. Somit ergeben sich notwendige Jahresraten zum Bau des Vordringlichen Bedarfs von 300 Millionen €. Diese Zahl sollten wir uns als Orientierungszahl gemeinsam merken. Wenn wir die Ziele des Bundesverkehrswegeplans in Baden-Württemberg nur einigermaßen erreichen wollen, brauchen wir mindesten 300 Millionen € pro Jahr.

(Abg. Müller CDU: Meine Wette mit dem Herrn Drexler!)

Richtig ist, dass der Bund das ebenfalls im Bundesverkehrswegeplan 2003 festgelegte Ziel, die Mittelansätze – Herr Palmer, das war vorhin Ihr Thema – für die Erhaltung des bestehenden Netzes deutlich zu erhöhen, weiterverfolgt. Das begrüßen wir sehr. Da steigen die Zahlen von Jahr zu Jahr bis zum Jahr 2008 auf 280/290 Millionen €. In einem Transitland, in dem die vorhandenen, zu wenigen Fernstraßen massiv vom Lkw-Verkehr belastet sind, ist die Verschleißquote außerordentlich hoch, und deshalb sind die Erneuerungsmittel besonders notwendig und wichtig.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Ich erkenne an, dass das die völlig richtige Richtung ist. Wir brauchen das Geld und brauchen es ganz dringend.

Zurück zum Thema Neu- und Ausbau. Die Schwerpunkte im Bundesfernstraßenbau liegen in unserem Land bei notwendigen Kapazitätserweiterungen. Nehmen wir uns eine aktuelle Landkarte vor: Da sehen wir, wie die Hauptverkehrsströme fließen, wie die Straßen liegen und wie viele Lücken wir in Baden-Württemberg haben – über viele Jahre hinweg, das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber 1998 ist die Bundesregierung doch auch mit dem Anspruch angetreten, vieles besser zu machen.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Sie hat nachweislich vieles besser gemacht! – Abg. Heiderose Berroth FDP/ DVP: Das ist gewaltig misslungen!)

Deswegen sollte man sie an dem messen, was sie in ihrem eigenen Bundesverkehrswegeplan aufstellt. Wir brauchen Kapazitätserweiterungen an der A 5, der A 6, der A 8 und der A 81, und wir brauchen weitere Baumaßnahmen, Lückenschlüsse an der A 96 und der A 98, vierstreifige Ausbaumaßnahmen überregionaler Verkehrsachsen und den Bau von Ortsumgehungen. Meine Damen und Herren, der Ausbaubedarf ist groß. Die Mittel reichen nicht aus. Die Folgen sind uns allen bekannt: Staus, Verspätungen, Stopand-go-Verkehr und letztendlich auch eine Minderung der Attraktivität von Investitionsstandorten, von Wirtschaftsstandorten in Baden-Württemberg.

Wir brauchen uns gar nichts gegenseitig vorzuhalten. Hören wir auf unseren Bundesverkehrsminister, der gerade in den

letzten Tagen wieder gesagt hat, dass Baden-Württemberg einen außerordentlich großen Nachholbedarf hat. Arbeiten wir doch gemeinsam an dieser Ausgangslage. Es darf nicht nur bei der Situationsbeschreibung bleiben, dass ein großer Nachholbedarf besteht, sondern dieser richtigen Erkenntnis müssen jetzt auch Taten folgen. Deshalb kann man heute bei einer Aktuellen Debatte nicht nur in Friede, Freude und Dankbarkeit machen, sondern wir müssen gemeinsam darüber informieren, in welche Richtung es gehen muss, wenn schon ein Signal vom Bund kommt, dass wir einen Nachholbedarf haben.

Wir müssen längerfristig wieder dorthin kommen, dass Bundesverkehrswege in den Brennpunkten des Verkehrs gebaut werden und nicht dort – da stimme ich Ihnen völlig zu –, wo man mit großer Euphorie im Projekt Deutsche Einheit Straßen gebaut hat in der Hoffnung, dass dem wirtschaftliche Aktivitäten folgen. Das war nicht der Fall. Jetzt hat man angenehm freie Straßen in Bereichen, wo wir sie nicht brauchen. Deshalb müssen wir schnell wieder zurück und dort investieren, wo die Engpässe besonders massiv sind, wo das Verkehrsaufkommen besonders stark ist. Da gehört Baden-Württemberg mit seiner hohen Bevölkerungsdichte, mit seiner Wirtschaftsleistung, mit seinem hohen Anteil am Transitverkehr und seinen vielen Straßenlücken zweifelsohne ins Blickfeld.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Sie wissen, dass der Bundesrat ein Exekutivorgan ist, auf das wir gar keinen Einfluss haben!)

Meine Damen und Herren, zahlreiche bereits seit Jahren planfestgestellte Trassen liegen auf Eis, Wert 0,8 Milliarden €, 25 Projekte insgesamt. Ich verzichte darauf, all diese Straßen aufzuzählen, die Sie ja auch selber in Ihren Wünschen, wenn sie regional bedingt sind, vortragen.

Jetzt aber, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, in aller Sachlichkeit noch ein paar Sätze zu dem angeblichen, vielleicht auch wirklichen Spitzenjahr 2005, wie immer man es auch sieht und interpretiert.

Erfreulicherweise erhielt Baden-Württemberg 2005 eine verbesserte Finanzausstattung, und zwar für Neubaumaßnahmen insgesamt 238 Millionen €.

(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Diese Mittel teilen sich auf in 188 Millionen € aus dem Bundesverkehrswegeplan und 50 Millionen € aus dem 2-Milliarden-€-Programm

(Zuruf des Abg. Dr. Caroli SPD)

für die Ihnen bekannten fünf Projekte.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Gibt wie viel?)

Wie viel das Land aus diesem 2-Milliarden-€-Programm letztlich bekommen wird – über die erste Rate von 50 Millionen € im Jahr 2005 hinaus –, meine Damen und Herren, ist noch offen. Es wurde mündlich angekündigt, dass sich diese Mittel in den nächsten Jahren in der Summe auf 138 Millionen € belaufen werden. Wir begrüßen diese zusätzlichen Mittel natürlich.

(Staatssekretär Köberle)

Was wir im Bundesfernstraßenbau aber vermissen – das wird gerade jetzt deutlich, wenn wir zusätzlich 50 Millionen € aus einem Sonderprogramm bekommen –, sind Stetigkeit und somit Planungssicherheit. Wir brauchen mehr Verlässlichkeit bei der Bereitstellung von Haushaltsmitteln durch den Bund.

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

So erhalten wir einerseits im Juni dieses Jahres eine kurzfristige Mittelerhöhung. Andererseits sollen nach dem aktuellen Finanzierungsplan des Bundes die Mittel für die Bedarfsplanmaßnahmen für Baden-Württemberg in den nächsten Jahren wieder rasant fallen. Dann wird das Spitzenjahr 2005 schon zu einer Spitze, wenn wir sehen, wie es sich aufgebaut hat, und wenn wir vor allem sehen, wie rasant die Mittel wieder fallen.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Solche Grafiken ha- ben Sie seit dem Jahr 2000 jedes Jahr veröffent- licht! Das war nie wahr! – Glocke des Präsidenten)

So sind es 2006 nur noch 121 Millionen €, 2007 70 Millionen €, 2008 60 Millionen €. Wir alle haben noch in Erinnerung, dass wir gesagt haben: Wenn wir die Ziele des Bundesverkehrswegeplans erreichen wollen, brauchen wir im Durchschnitt 300 Millionen € im Jahr. Nach der mittelfristigen Finanzplanung sind wir im Jahr 2008 bei 60 Millionen €.

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Gustav-Adolf Haas?

Bitte, Herr Kollege Haas.

Bitte, Herr Haas.

Herr Staatssekretär, Sie rechnen es doch sicherlich nicht Rot-Grün in Berlin zu, dass es im Markgräflerland – ich spreche das extra an, weil Herr Scheuermann und Frau Berroth darauf eingegangen sind – eine Initiative, angeführt von CDU-Bürgermeistern, gibt, die gesamte Trasse dort in Tieflage, in Tunnel zu legen. Das hat der ehemalige Verkehrsminister Müller damals als unrichtig und finanziell nicht machbar bezeichnet. Jetzt gibt es eine neue Trassenplanung, angeführt von CDU-Bürgermeistern, die weit von dem Raumordnungsbeschluss von 1994 abweicht. Sind Sie mit mir einig, dass diese Alternativplanungen, die auf gültigen Raumordnungsbeschlüssen aufbauen, jetzt im Grunde Bremsen bei der Verwirklichung von Verkehrsmaßnahmen sind?

Lieber Herr Kollege Haas, ich komme gleich auf das Thema Bundesschienenwege. Das, was Sie sagen, wonach es örtlich Alternativvorschläge gibt, wonach sich Bürgerinitiativen, kommunale Vertreter und politische Vertreter zusammentun und Alternativvorschläge machen, gilt für viele, viele Großbaumaßnahmen. Das gehört bei der Realisierung eines Verkehrsgroßprojekts zum Alltag. Das ist überhaupt nichts Besonderes.

Das Problem wäre aber dann groß, lieber Kollege, wenn der Bund in seinen Jahresraten eine konkrete Zahl für diesen Streckenabschnitt eingeplant hätte und die Realisierung

durch Gegenvorschläge aufgeschoben oder verhindert würde. Aber in dieser Situation sind wir gar nicht.

(Zuruf des Abg. Schebesta CDU)

Ich werde Ihnen gleich sagen, wie es beim Thema Bundesschienenwege aussieht.

Meine Damen und Herren, als bedeutende Wirtschaftsregion und als Drehscheibe des internationalen Transitverkehrs muss Baden-Württemberg in den Ausbau der nationalen und der transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsnetze eingebunden werden. Die wichtigsten Bauvorhaben sind teilweise genannt worden. Im Zentrum unserer Bemühungen stehen natürlich die Neubaustrecke Stuttgart–Ulm und in diesem Zusammenhang der Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs vom Kopfbahnhof zum Durchgangsbahnhof, die Anbindung der Landesmesse und des Landesflughafens.