Protokoll der Sitzung vom 05.10.2005

Sie haben auch zu Recht darauf hingewiesen, dass Strukturen und Strategien des internationalen Terrorismus nicht statisch sind. Aber genau deshalb war eine schnelle Umsetzung des G-10-Gesetzes und des Terrorismusbekämpfungsgesetzes notwendig. Sie haben dafür dreieinhalb Jahre gebraucht. Andere Bundesländer waren da schneller. Die Umsetzung hier in Baden-Württemberg kommt spät, sehr spät.

(Abg. Blenke CDU: Das haben Sie schon oft genug gesagt!)

Nun zum Änderungsantrag der Grünen, Herr Kollege Oelmayer. Ich kann ja verstehen, dass der eine oder andere Bedenken hat, wenn Behörden neue Möglichkeiten gegeben werden, Daten zu sammeln, zu speichern, auszutauschen. Wir nehmen diese Bedenken ernst. Ich denke, wir sind uns auch völlig einig, dass wir als Politikerinnen und Politiker die Aufgabe, ja die Pflicht haben, äußerst vorsichtig zu sein, wenn es um Eingriffe in die Rechte der Menschen und in ihre Privatsphäre geht. Das muss auch in Zeiten der Gefahr gelten; das ist völlig unstrittig. Aber wenn Sie argumentieren, dass der Rechtsstaat nicht auf Kosten der Freiheit geschützt werden dürfe, die ihn ausmache, dann klingt das beeindruckender, als es in Wahrheit ist.

Denn was heißt das? Ich will einmal Ihre Beispiele aufgreifen. Sie kritisieren, das Gesetz räume zu weit reichende Möglichkeiten ein, Daten weiterzugeben und auszutauschen – zum Beispiel zwischen Behörden und anderen zentralen Stellen –, die zum Gegenstand terroristischer und extremistischer Bestrebungen werden können. Sie meinen, es sei unnötig, Sicherheitsdienste, Banken und Universitäten vor einer möglichen terroristischen Unterwanderung zu schützen. Aber Universitäten bieten Zugang zu terroristisch relevantem Know-how. Mohammed Atta studierte in Hamburg, ebenso Motassadeq. Ich glaube nicht, dass dies ein Zufall war.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Die hätte man mit diesen Gesetzen aber auch nicht rausbekommen, Kollege Braun!)

Dass Banken für die Finanzströme des internationalen Terrorismus Schlüsselfunktionen haben können, haben wir inzwischen gelernt. Selbstverständlich können auch Sicherheitsdienste Zugang zu potenziellen Anschlagszielen bieten.

Sie kritisieren, dass die Altersgrenze zur Speicherung personenbezogener Daten in Dateien von 16 Jahren auf 14 Jahre herabgesetzt werden soll, wobei die Speicherung in Akten bei Personen ab 14 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen schon jetzt möglich ist. Wir meinen, wir müssen die Realitäten anerkennen. Wenn der Rechtsextremismus, wenn der militante Islamismus die Jugend entdeckt haben – und das haben sie –, wenn sich der Kreis der Tatverdächtigen und der Täter verjüngt – und das ist der Fall –, können wir nicht einfach zusehen. Dann müssen wir auch darauf reagieren – nicht nur, aber auch in dem Rahmen, den dieses Gesetz vorgibt. Das ist das eine, den Behörden bessere Instrumente in die Hand zu geben. Das tun wir mit diesem Gesetz.

Das andere aber ist, was flankierend zu geschehen hat. Ich sage es noch einmal, auch wenn es schon in der ersten Lesung manche nicht so gerne gehört haben: Wir springen mit

all unseren Anstrengungen für die innere Sicherheit zu kurz, wenn wir bei diesem Thema immer nur an die direkte Gefahrenabwehr denken, immer nur daran, neue Gesetze zu schaffen und Polizei und/oder Verfassungsschutz zu stärken.

(Beifall bei der SPD)

Dies allein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird nicht reichen, um den Extremismus und den Terrorismus langfristig an der Wurzel zu packen. Ich spreche weniger Sie an, Kollege Rech, sondern vielmehr die Gesamtheit Ihrer Koalition. All das, was wir tun, auch hier zusammen tun, bleibt ein geradezu hilfloser Versuch, wenn es nicht gelingt, die Aufklärungsarbeit zu verstärken, die geistige Auseinandersetzung mit der anderen Seite zu suchen und die Demokratieerziehung in unseren Schulen voranzubringen, wenn es nicht gelingt, den Austausch zwischen den Religionen und Kulturen in unserem Land weiter voranzutreiben, jungen Menschen wirklich Lebensperspektiven zu bieten und die Integration wirklich voranzubringen.

Ich sage Ihnen in diesem Zusammenhang: Der Ausstieg des Landes aus der Förderung der Schulsozialarbeit war ein schwerer Fehler,

(Beifall bei der SPD)

und was sich in der Sprachförderung tut, ist ein Trauerspiel.

Mit Ihrem Hinweis aus der ersten Lesung, Terroristen seien unerwünscht und wollten sich nicht integrieren, machen Sie es sich zu leicht. Richtig ist: Integrationsangebote können Terroristen nicht bekehren – das ist völlig klar –, aber sie leisten einen wesentlichen, einen nicht zu unterschätzenden Beitrag, wenn es darum geht, die Entstehung von Extremismus als Nährboden von Terrorismus anzugehen und ihr zu begegnen.

Die Linie der SPD-Fraktion ist klar. Wir wollen ein Höchstmaß an Sicherheit bei der Wahrung der rechtsstaatlichen Grundsätze. Deshalb stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu. Wir fordern Sie aber auf, es nicht dabei zu belassen, sondern endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept vorzulegen, das konsequent das einschließt, was ich Ihnen an flankierenden Maßnahmen zumindest skizziert habe. Und dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten Sie nicht noch einmal dreieinhalb Jahre brauchen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Theurer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Terrorismus hat durch die Anschläge am 11. September 2001 eine andere Qualität erhalten. Deshalb war es richtig, dass auf Bundes- und Landesebene Maßnahmen ergriffen wurden, um die Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden, Terroristen effizienter und effektiver zu bekämpfen, zu stärken.

Dem trägt nun auch dieser Gesetzentwurf Rechnung, der im Kern vor allem sicherstellt, dass das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg die nötigen gesetzlichen Befugnisse erhält, um seine Aufgaben, insbesondere

die Bekämpfung des Terrorismus, erfüllen zu können. Die Erweiterung der mit diesem Artikelgesetz vorgesehenen Befugnisse ist durchgängig mit der Festlegung von Kontrollrechten der einschlägigen parlamentarischen Gremien sowie der Beachtung der Rechte der Betroffenen verknüpft. Dies ist ein Punkt, der für die FDP/DVP-Fraktion große Bedeutung hat.

Wir wissen, dass Telefonüberwachung und die Überwachung von Wohnungen ein staatlicher Akt sind, der zur Aufklärung von Straftaten und zur Abwehr terroristischer Anschläge unabdingbar notwendig ist, der aber auch einen tiefen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Menschen darstellt, insbesondere dann, wenn Menschen verdächtigt werden, die unschuldig sind. Insofern hat der demokratische Rechtsstaat die schwierige Aufgabe, in einer solchen Bedrohungssituation, in der wir uns befinden, einerseits sicherzustellen, dass die Strafverfolgungsbehörden – Polizei, Staatsanwaltschaft, aber eben auch der Staatsschutz, das Landesamt für Verfassungsschutz – alle notwendigen Mittel in die Hand bekommen, um Terroristen, die konspirativ im Verborgenen arbeiten, aufzuspüren und dann auch dingfest zu machen, um möglichst im Vorhinein Warnungen zu erhalten, wo Anschläge stattfinden könnten, also praktisch präventiv tätig zu werden, und andererseits die hohen Rechte, das hohe Gut der Freiheit der Bürger vor Überwachung durch den Staat aufrechtzuerhalten. Dieser schwierige Grat muss beschritten werden.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Er wird überschritten!)

Wir meinen, dass dies in diesem Gesetzentwurf gelungen ist.

Im Einzelnen wird in diesem Gesetz geregelt, dass das Landesamt für Verfassungsschutz für das Bundesamt für Verfassungsschutz das Recht erhalten soll, auch solche Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten.

Außerdem soll das Landesamt die Befugnis erhalten, bestimmte Auskünfte bei Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten, Finanzunternehmen, Luftfahrtunternehmen sowie Erbringern von Postdienstleistungen, Telekommunikationsdiensten und Telediensten einzuholen. Das betrifft also auch die Speicherung und die Überprüfung von Telekommunikationsdaten.

Ferner wird das Landesamt für Verfassungsschutz mitwirken bei der Zuverlässigkeitsprüfung von Personen nach dem Waffen-, Sprengstoff- oder Jagdrecht – hier geht es um die Frage, wer eine Jagdwaffe oder Sportwaffe erhalten darf – sowie bei ausländerrechtlichen Verfahren.

Außerdem soll die Altersgrenze – was ja im Innenausschuss von Einzelnen kritisiert wurde – für die Speicherung von Erkenntnissen über Jugendliche in Dateien von 16 auf 14 Jahre gesenkt werden. Wir halten diese Absenkung für erforderlich. Wir halten sie für geboten, nachdem uns die Berichte unserer Verfassungsschützer belegen, dass insbesondere im Bereich der rechtsextremistischen Straftaten der Anteil der Tatverdächtigen im Alter von 14 bis 17 Jahren mittlerweile schon etwas über 18 % beträgt. Das heißt also, wir haben in dieser Gruppe von Jugendlichen leider einen

Zuwachs an rechtsextremistischem Gedankengut. Wir sollten natürlich gleichzeitig auch im Bereich des islamistischen Terrorismus nicht die Augen verschließen und sehen, dass auch hier Tatverdächtige aus jüngeren Bevölkerungsschichten stammen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Meine Damen und Herren, des Weiteren soll das Sicherheitsüberprüfungsgesetz des Landes in Anlehnung an die durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz geschaffene Rechtslage im Bundesbereich um den vorbeugenden personellen Sabotageschutz erweitert werden. Auch das ist unabwendbar notwendig.

Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich für die Fraktion der FDP/DVP feststellen: Der Kompromiss, der hier gefunden wurde, ist gut. Die Gratwanderung ist gelungen. Es bleibt auch in Zeiten des Terrorismus unsere Aufgabe, entsprechend einem Zitat zu handeln, das Benjamin Franklin, dem US-amerikanischen Präsidenten, zugeschrieben wird:

Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.

Wir, meine Damen und Herren, wollen die Freiheit erhalten, aber auch die Sicherheit vor terroristischen Anschlägen in unserem Land gewährleisten. Deshalb wird die Fraktion der FDP/DVP den notwendigen Änderungen im Landesverfassungsschutzgesetz und den anderen einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften zustimmen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erhält Herr Abg. Oelmayer.

(Zuruf des Abg. Zimmermann CDU)

Hör mir gut zu! – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bereits während der Ersten Beratung, aber auch in den Beratungen des Innenausschusses habe ich für unsere Fraktion dargetan, dass die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit und die Grenzen für die Einschränkung von Grundrechten im hier vorliegenden Gesetzentwurf aus unserer Sicht eindeutig überschritten sind. Ich darf das kurz begründen. Ich habe das bereits in der Ersten Beratung getan, und meine Fraktion hat das auch im Innenausschuss anhand eines Änderungsantrags gemacht.

Kollege Braun, wenn Sie hier zitieren und Regelungen aufgreifen, die wir kritisiert haben und die wir gern geändert hätten, dann hätte ich gern eines klargestellt:

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Nämlich?)

Unsere Fraktion im Bundestag hat dem Terrorismusbekämpfungsgesetz und den dort vorgesehenen Regelungen zugestimmt. Wo wir nicht zugestimmt haben, wo wir nicht zustimmen wollen und können, weil die Grenzen des freiheitlichen und des demokratischen Rechtsstaats aus unserer Sicht überschritten sind, ist bei den Regelungen, die das Land hier trifft, die über die bundesrechtlichen Regelungen

hinausgehen. An den vier Stellen, die ich hier noch einmal exemplarisch benennen möchte, ist unseres Erachtens die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt, vielleicht auch die Verfassungsmäßigkeit und die Rechtmäßigkeit nicht.

Ein erster Punkt: Es soll dem Landesverfassungsschutz ermöglicht werden, zukünftig über die Polizei Halterabfragen beim Kraftfahrtbundesamt zu machen.

(Abg. Zimmermann CDU: Was ist daran schlecht?)

Kollege Zimmermann, hören Sie gut zu! Ich habe das noch einmal nachgelesen. – Im Innenausschuss hat man gesagt, das sei ja kein Problem, das sei ja schon heute so. Wenn ich mir § 36 des Straßenverkehrsgesetzes – das ist ein Bundesgesetz – anschaue, sehe ich: Dort sind die Verfassungsschutzbehörden als Zugriffsberechtigte auf das Kraftfahrt-Bundesamt und auf die dortigen Daten gerade nicht genannt. Deswegen: Wenn das geändert werden soll, dann muss der Bund das tun, nicht aber das Land. Insofern halte ich die Regelungen schon an dieser Stelle nicht für gesetzmäßig, und deshalb können wir schon allein deshalb nicht zustimmen.

Ein zweiter Punkt: Die Möglichkeit für das Landesamt für Verfassungsschutz, Daten schon von 14-Jährigen in zentralen Dateien, die dann bundesweit geführt werden, zu erfassen, halten wir ebenfalls für nicht zulässig und auch nicht für vereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der in einem Rechtsstaat ein ganz hohes verfassungsrechtliches Gut darstellt. Man muss einfach sehen, dass es schon jetzt möglich ist, Daten von 14-Jährigen in den Akten zu speichern. Das ist aus unserer Sicht völlig ausreichend, um die Zahl der Fälle – sofern es in dieser Altersgruppe überhaupt entsprechende Fälle gibt –, bei denen es um Personen geht, die angeblich bereits in einem terroristischen Umfeld tätig sind, zu erfassen. Auch aus diesem Grund sehen wir hier keine Notwendigkeit, Grundrechtseingriffe bei Kindern oder Jugendlichen im Alter von 14 Jahren vorzunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Zim- mermann CDU: Wollen Sie die Strafbarkeit ab14 Jahre auch verändern?)

Ein weiterer Punkt betrifft die Übermittlung personenbezogener Daten – Kollege Zimmermann, das haben Sie ja gerade noch einmal ausgeführt – auch an nichtöffentliche Stellen. Es geht nicht um Behörden, und es geht nicht um die Übermittlung an Einrichtungen des Landes, sondern es geht um die Übermittlung – und dieses Recht wollen Sie ja sogar noch der Exekutive zuordnen – personenbezogener Daten ohne Kenntnis der Betroffenen zum Beispiel an Stadtwerke

(Abg. Zimmermann CDU: Ja!)

und an sonstige private Unternehmen. Wer weiß denn jetzt schon, was in dieser Rechtsverordnung noch alles drinsteht? Wir dürfen gespannt sein. Wir können die grundsätzliche Weitergabe dieser Daten von Privaten, auf die wir unter datenschutzrechtlichen Aspekten noch nicht einmal einen Zugriff haben, so nicht akzeptieren. Auch deswegen lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.

(Abg. Zimmermann CDU: Ministervorbehalt!)