Protokoll der Sitzung vom 12.10.2006

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Karl Zimmermann CDU: Oh weh, OB, jetz’ bisch he! – Heiterkeit)

Wir kommen nun zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung der Anträge.

Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion GRÜNE, Drucksache 14/409, abstimmen. Wer für diesen Änderungsantrag ist, der möge bitte seine Hand erheben. –

(Abg. Dr. Christoph Palmer CDU: Wenige!)

Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.

(Abg. Theresia Bauer GRÜNE meldet sich zu Wort.)

Ja, bitte.

Ich beantrage namentliche Abstimmung über den Antrag Drucksache 14/381.

(Oh-Rufe von der CDU und der SPD – Abg. Win- fried Scheuermann CDU: Alle dafür mit Ausnahme der Grünen!)

Findet der Antrag auf namentliche Abstimmung die notwendige Unterstützung? – Das ist der Fall.

Wir kommen zur namentlichen Abstimmung über den Antrag Drucksache 14/381. Den Namensaufruf nimmt Frau Schriftführerin Haller-Haid vor. Der Namensaufruf beginnt mit dem Buchstaben B.

(Namensaufruf)

Ist noch jemand im Saal, der noch nicht abgestimmt hat? – Dies ist nicht der Fall. Damit ist die Abstimmung geschlossen.

Ich bitte die Schriftführer, das Abstimmungsergebnis festzustellen. (Auszählen der Stimmen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt:

An der Abstimmung haben sich 130 Abgeordnete beteiligt.

Mit Ja haben 115 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 15 Abgeordnete gestimmt, enthalten hat sich niemand.

Damit ist der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD und der Fraktion der FDP/DVP zu Stuttgart 21, Drucksache 14/381, mit überwältigender Mehrheit angenommen worden.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Mit J a haben gestimmt:

CDU: Ernst Behringer, Dr. Dietrich Birk, Dr. Carmina Brenner, Elke Brunnemer, Jörg Döpper, Gundolf Fleischer, Michael Föll, Manfred Groh, Friedlinde Gurr-Hirsch, Peter Hauk, Hans Heinz, Klaus Herrmann, Bernd Hitzler, Andreas Hoffmann, Manfred Hollenbach, KarlWolfgang Jägel, Karl Klein, Wilfried Klenk, Rudolf Köberle, Joachim Kößler, Andrea Krueger, Jochen Karl Kübler, Sabine Kurtz, Dr. Bernhard Lasotta, Ursula Lazarus, Johanna Lichy, Paul Locherer, Dr. Reinhard Löffler, Ulrich Lusche, Stefan Mappus, Ulrich Müller, Paul Nemeth, Veronika Netzhammer, Günther Oettinger, Christoph Palm, Dr. Christoph Palmer, Günther-Martin Pauli, Werner Pfisterer, Werner Raab, Helmut Rau, Nicole Razavi, Heribert Rech, Klaus Dieter Reichardt, Karl-Wilhelm Röhm, Karl Rombach, Helmut Walter Rüeck, Bernhard Schätzle, Volker Schebesta, Dr. Stefan Scheffold, Winfried Scheuermann, Peter Schneider, Dr. Klaus Schüle, Katrin Schütz, Marcel Schwehr, Willi Stächele, Dr. Monika Stolz, Gerhard Stratthaus, Peter Straub, Klaus Tappeser, Stefan Teufel, Karl Traub, Christa Vossschulte, Georg Wacker, Guido Wolf, Karl Zimmermann.

SPD: Christoph Bayer, Stephan Braun, Fritz Buschle, Wolfgang Drexler, Reinhold Gall, Rosa Grünstein, Gustav-Adolf Haas, HansMartin Haller, Rita Haller-Haid, Rudolf Hausmann, Ursula Haußmann, Helen Heberer, Walter Heiler, Peter Hofelich, Karl-Heinz Joseph, Hans Georg Junginger, Gunter Kaufmann, Birgit Kipfer, Thomas Knapp, Dr. Frank Mentrup, Dr. Rainer Prewo, Margot Queitsch, Martin Rivoir, Christine Rudolf, Ingo Rust, Nikolaos Sakellariou, Dr. Nils Schmid, Claus Schmiedel, Wolfgang Staiger, Wolfgang Stehmer, Rainer Stickelberger, Johannes Stober, Ute Vogt, Alfred Winkler, Marianne Wonnay, Norbert Zeller.

FDP/DVP: Dr. Birgit Arnold, Dietmar Bachmann, Heiderose Berroth, Dr. Friedrich Bullinger, Monika Chef, Dieter Ehret, Beate Fauser, Dr. Ulrich Goll, Dieter Kleinmann, Hagen Kluck, Dr. Ulrich Noll, Ernst Pfister, Dr. Hans-Ulrich Rülke, Dr. Hans-Peter Wetzel.

Mit N e i n haben gestimmt:

GRÜNE: Theresia Bauer, Siegfried Lehmann, Brigitte Lösch, Oswald Metzger, Bärbl Mielich, Dr. Bernd Murschel, Thomas Oelmayer, Boris Palmer, Reinhold Pix, Renate Rastätter, Hans-Ulrich Sckerl, Dr. Gisela Splett, Franz Untersteller, Jürgen Walter, Werner Wölfle.

Damit ist Punkt 3 der Tagesordnung abgeschlossen.

(Stellv. Präsident Wolfgang Drexler)

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion GRÜNE – Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes – Drucksache 14/226

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Bitte, Herr Kollege.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben seit dem 4. April 2006 eine verfassungswidrige Regelung der Rasterfahndung in unserem Polizeigesetz. Für uns leitet sich aus dem Beschluss des Verfassungsgerichts – das hat nämlich an diesem Tag entschieden – das Gebot einer zügigen Rechtsanpassung ab.

Im Kern, meine Damen und Herren, geht es darum, das Verhältnis zwischen den Sicherheitsaufgaben des Staates und dem Recht der Bürger auf Selbstbestimmung, also die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit, an diesem Punkt neu zu justieren. Das ist der Grund für unseren Gesetzentwurf, der jetzt zur Beratung vorliegt. Ein Grund dafür ist auch, dass die Landesregierung selbst einräumt, dass Handlungsbedarf besteht, aber dennoch die Novellierung des Polizeigesetzes auf irgendwann im Jahr 2007 verschieben will – so der Innenminister im Juli dieses Jahres in der Stellungnahme der Landesregierung zu einem Antrag der SPD.

Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden? Eine vorbeugende oder auch präventiv-polizeiliche Rasterfahndung ist in Zukunft nur noch bei Vorliegen einer ganz konkreten Gefahr für hochrangige Rechtsgüter, z. B. Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes, eines Bundeslandes oder Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person anzuordnen. Und nur unter diesen deutlich engeren Voraussetzungen als bisher ist die Rasterfahndung mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in Zukunft noch vereinbar.

Wir begrüßen dabei ganz ausdrücklich, dass das Verfassungsgericht in einer Zeit, die oft von hektischem Sicherheitsaktionismus gegen Gefahren des Terrorismus geprägt ist und in der Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger immer wieder zurückgedrängt werden, in bemerkenswerter Weise, meine Damen und Herren, die entscheidenden Grundlagen für das Funktionieren unseres demokratischen Gemeinwesens betont, nämlich immer und in jeder Situation eine angemessene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen.

Unser Polizeigesetz in Baden-Württemberg hat im Ergebnis viel zu niedrige Hürden für die Anordnung einer Rasterfahndung. Sie ist bis heute auch ohne Festlegung oder Feststellung einer konkreten Gefahr möglich. Es reicht hierzulande bereits aus, dass es um die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten geht, die gewohnheitsmäßig begangen werden, wie z. B. Waffendelikte oder Verstöße gegen das Betäubungsmittelrecht.

An diesen beiden Punkten, meine Damen und Herren – erstens Erfordernis einer konkreten Gefahr als Einschreit

schwelle der Rasterfahndung und zweitens Vorliegen der Gefährdung von hochrangigen Rechtsgütern –, entspricht unser Gesetz den Vorgaben des Verfassungsgerichts nicht. Das müsste in diesem Hause eigentlich völlig unstreitig sein.

Meine Damen und Herren, die Frage ist also nicht, ob wir das Gesetz ändern, sondern wann und, in Detailfragen, wie wir das Gesetz ändern. Wir sagen: Ein verfassungswidriges Polizeirecht sollte nicht vor sich hindümpeln, nicht irgendwann im kommenden Jahr novelliert werden, sondern jetzt, ohne zeitliches Zögern.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Der Innenminister verweist auf eine Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz, in der schon seit Monaten geprüft werde, welche Konsequenzen aus dem Beschluss des Gerichts zu ziehen seien. Wir halten das für ein Verzögerungsmanöver. Viele Bundesländer haben verfassungsrechtlich unbedenkliche Regelungen und überhaupt keinen Anpassungsbedarf. Die Sach- und Rechtslage ist, wie dargestellt, völlig unstreitig. Diese Hausaufgabe, meine Damen und Herren und Herr Minister, müssen wir hier in Baden-Württemberg machen. Denn unser Polizeirecht ist verfassungswidrig.

Wir haben in unserem Gesetzentwurf zu den erwähnten Hauptpunkten Vorschläge vorgelegt, die den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Verhältnis 1 : 1 umsetzen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir formulieren damit Minimalanforderungen an die Novellierung.

In diesem Zusammenhang – damit auch kein falscher Verdacht aufkommt – will ich unmissverständlich feststellen: Der internationale Terrorismus stellt bis heute selbstverständlich immer noch eine Bedrohung für Sicherheit und Freiheit auch in unserem Land dar.

(Abg. Hans Heinz CDU: Tatsächlich?)

Die Aufgabe des Staates ist es, die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten und die Freiheitsrechte zu schützen. Dazu stehen auch wir Grünen.

(Abg. Hans Heinz CDU: Immerhin!)

Die staatlichen Maßnahmen dürfen aber nicht mit dem stetigen Abbau bürgerrechtlicher Standards bezahlt werden. Unsere Verfassung und immer wieder, wie im Fall der Rasterfahndung, auch das Bundesverfassungsgericht setzen Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen.

Wir wollen mit der Novellierung gleichzeitig effektiven und verfassungsgemäßen Rechtsschutz, um das Recht der Bürger auf Selbstbestimmung zu wahren. Deshalb haben wir, meine Damen und Herren, in den Gesetzentwurf eine Pflicht zur Dokumentation der getroffenen Maßnahmen und eine Aufbewahrungsfrist für diese Niederschrift bis zum Ende des folgenden Kalenderjahrs aufgenommen.

An diesem Punkt – das räume ich gern ein – gehen wir über die verfassungsrechtlich zwingend erforderlichen Änderungen bewusst hinaus. Wir halten die Dokumentationspflicht für erforderlich, damit die Betroffenen und der Landesbeauftragte für den Datenschutz die Möglichkeiten haben, die

Maßnahmen der Polizei effektiv zu kontrollieren. Das behindert weder die Arbeit der Polizei, noch kostet es viel Geld. Diese Regelung hat sich übrigens – wir betreten hier kein Neuland – in anderen Bundesländern bestens bewährt.

Wir brauchen eine solche Dokumentation nicht zuletzt auch deshalb, um ganz nüchtern evaluieren zu können, ob wir die Rasterfahndung wirklich brauchen. Machen wir uns an diesem Punkt nichts vor: Bisher hat die Rasterfahndung viel Geld gekostet, aber im Ergebnis nichts gebracht. Es gibt nun einmal bis heute keinen Beleg dafür, dass sie vor allem im Kampf gegen den internationalen Terrorismus so unverzichtbar ist, wie es die Landesregierung immer wieder betont. Weder die Kofferbombenleger vom Sommer dieses Jahres noch die aus Deutschland stammenden Beteiligten am Attentat des 11. September 2001 hätten mit der Rasterfahndung entdeckt und an ihren Terrorakten gehindert werden können.