Protokoll der Sitzung vom 12.10.2006

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Karl Zimmermann CDU – Abg. Karl Zimmermann CDU: Ich habe nur geklatscht, weil sein Beitrag zu Ende war!)

Das Wort erhält Herr Kollege Kluck von der FDP/DVP.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion GRÜNE, ich muss Sie jetzt gleich einmal ein bisschen enttäuschen: Die FDP/DVP-Fraktion wird Ihrem Gesetzentwurf bei den weiteren Beratungen wahrscheinlich nicht zustimmen können.

(Heiterkeit – Abg. Hans Georg Junginger SPD: Wahrscheinlich? Warum „wahrscheinlich“? – Wei- tere Zurufe – Unruhe)

Einmal Jamaika reicht ja erst einmal. – Ich möchte aber noch einmal betonen, dass wir die Zielsetzung Ihres Gesetzentwurfs natürlich teilen. Aber wir müssen eben prüfen, ob all die Dinge, die Sie da nicht systemimmanent vorschlagen, machbar sind. Wir verlassen uns lieber darauf, dass uns die Koalitionsfraktionen oder die Landesregierung dann einen sachgerechteren Novellierungsvorschlag machen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Das müssen Sie ei- ner Rasterprüfung unterziehen! – Weitere Zurufe)

Wie Sie wissen und wie Sie alle sich erinnern können, haben die Liberalen schon bei der Einfügung der Rasterfahndung in das Polizeigesetz ein wenig Bauchweh verspürt. Das ist für uns als Rechtsstaats- und Bürgerrechtspartei logisch. Immerhin wurden im Zuge dieser Rasterfahndung in unserem Land – das muss man sich einmal vorstellen – 1,8 Millionen Datensätze in Meldeämtern, Sozialkassen, Bildungseinrichtungen, Fahrerlaubnisbehörden, bei Arbeitgebern und aus dem Ausländerzentralregister erhoben. Genützt hat es nichts.

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Jetzt machen Sie trotzdem so weiter!)

Bekanntlich – der Kollege hat es schon gesagt – kam man damit keinem Terroristen auf die Spur.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rasterfahndung nun dankenswerterweise eingeschränkt.

(Zuruf des Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE – Ge- genruf des Abg. Hans Heinz CDU: Keine Ahnung, Herr Oelmayer! – Glocke des Präsidenten)

Könnt ihr eure Privatgespräche vielleicht nach draußen verlegen? Jetzt rede ich!

(Zurufe und Unruhe – Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut! – Beifall des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP)

Die FDP/DVP teilt die Meinung des Datenschutzbeauftragten Peter Zimmermann zu dieser Entscheidung. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:

Das Bundesverfassungsgericht hat in bemerkenswerter Weise die elementaren Funktionsbedingungen unseres freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens, nämlich die Selbstbestimmung seiner Bürger und die Einhaltung der Regeln des Rechtsstaats, herausgestellt. Es hat daran erinnert, dass der Staat sich auch im Umgang mit seinen Gegnern an die allgemein geltenden Grundsätze halten müsse und gerade hieraus seine Kraft erwachse. Für die Sicherheitsbehörden sind die Grenzen für Vorfeldermittlungen ohne konkreten Anlass deutlich aufgezeigt worden.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Punkt!)

Dem muss man nicht mehr viel hinzufügen. Wir Liberalen sind für einen wehrhaften Staat; wir sind für eine kompromisslose Abwehr von Terror, für unnachgiebige Verfolgung von Gewalttätern, für konsequente Aufklärung und für umfassende Prävention.

(Zuruf von den Grünen: Wow! – Abg. Stephan Braun SPD: Das hast du abgelesen! Jetzt sag mal, was das heißt! Werde mal konkret!)

All dies hat mit rechtsstaatlichen Mitteln zu erfolgen. Wenn der Rechtsstaat seine eigenen Grundsätze missachtet, macht er sich unglaubwürdig. Wir erwarten deshalb von der Landesregierung, dass sie dem Parlament einen Entwurf zur Änderung des Polizeigesetzes vorlegen wird, der diesen Grundsatz beachtet. In Artikel 23 der Landesverfassung steht, dass Baden-Württemberg ein republikanischer, demokratischer und sozialer Rechtsstaat ist.

(Abg. Stephan Braun SPD: Das ist auch nicht neu!)

Das wird unser Land auch bleiben, solange Liberale in diesem Hause Sitz und Stimme haben.

(Beifall bei der FDP/DVP – Oh-Rufe von der SPD und den Grünen)

Das Wort für die Landesregierung hat Herr Innenminister Rech.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Sckerl, die Schnittmengen an Übereinstimmungen sind größer, als Sie vielleicht vermuten. Ich stimme Ihnen in einer zentralen Feststellung von vornherein schon einmal zu: Wir müssen unter allen Umständen die Balance zwischen den rechtsstaatlichen Instrumentarien, die wir einsetzen, und dem, was wir schützen wollen, nämlich die freiheitlich-demokratische Rechtsstaatlichkeit, halten.

Herr Kollege Kluck, auch Ihnen stimme ich zu – Sie haben es zitiert, aber das gilt, glaube ich, für uns alle in diesem Hause übereinstimmend –: Gerade im Umgang mit seinen Gegnern – mit denjenigen, die den Rechtsstaat aus den Angeln heben wollen – zeigt sich die Stärke und muss sich die Stärke eines demokratischen Rechtsstaats beweisen. Aber sie beweist sich auf der einen Seite durch Entschlossenheit – Stichwort „wehrhafte Demokratie“ – und auf der anderen Seite eben dadurch, dass er sich selbst an die Regeln bindet, die er auch den übrigen Staatsbürgern auferlegt.

Jetzt komme ich konkret zu dem, was uns hier beschäftigt. Ich glaube, ich kann eine befriedigende Antwort auf die Frage geben, wie und wann wir ändern, sowie auf die Fragen, die Sie, Herr Kollege Junginger, vorhin angesprochen haben.

Zunächst einmal als Feststellung: Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Beschluss vom 4. April 2006 die Anforderungen an die präventiv-polizeiliche Rasterfahndung erhöht. Die Kernaussage lautet, dass das Instrument der Rasterfahndung mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur dann vereinbar ist, wenn eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie z. B. Leben, Gesundheit und Freiheit vorliegt. Damit darf die Rasterfahndung zukünftig nicht schon im Vorfeld einer konkreten Gefahr ermöglicht werden. Dies stelle ich hier zunächst einmal fest, damit die Ausgangsbasis für jeden klar ist.

Auch § 40 des baden-württembergischen Polizeigesetzes entspricht damit nicht mehr den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Die Landesregierung hat deshalb in ihrer Stellungnahme zum Antrag der SPD-Fraktion – Kollege Junginger hat es zitiert – angekündigt, dass das Polizeigesetz angepasst wird. Aber, meine Damen und Herren, wir können an dieser Stelle keine halben Sachen machen. Bei der Novellierung des Polizeigesetzes müssen wir – und das werden wir auch – die aktuelle Rechtsprechung umfassend einbeziehen, also nicht nur bei der Rasterfahndung, sondern auch bei der Wohnraumüberwachung.

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Das steht ja schon lange an!)

Auch diese Frage muss hier eine Rolle spielen.

Wir werden aber auch die notwendigen Konsequenzen aus der veränderten Sicherheitslage ziehen. Diese hat sich verändert, wie wir alle wissen. Ich muss auf Einzelheiten nicht eingehen. Wir müssen da geeignete Instrumente für eine effektivere Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus vorschlagen. Wir dürfen die Realität nicht außer Acht lassen. Wir dürfen die Augen nicht verschließen vor dem, was

sich hier tut und vollzogen hat und wie sich die Sicherheitslage in den letzten Monaten und Jahren geändert hat. Die Anschlagsversuche Ende Juli auf zwei deutsche Regionalzüge sind in Erinnerung; aber auch die Festnahme des mutmaßlichen Al-Kaida-Unterstützers an diesem Dienstag in Osnabrück zeigt doch die Bedeutung entsprechender Maßnahmen, etwa der Ausweitung der Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen,

(Zuruf des Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE)

und die Bedeutung einer präventiven Telekommunikationsüberwachung. Über diese Dinge müssen wir reden.

Der vorliegende Gesetzentwurf der Fraktion GRÜNE greift mit seiner Beschränkung auf das Thema Rasterfahndung meines Erachtens zu kurz. Auch inhaltlich ist die vorgeschlagene Regelung nicht sachgerecht. Die Regelungen schaffen keinen angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz der Individualsphäre und den Interessen der Allgemeinheit an einer effektiven Gefahrenabwehr.

Lassen Sie mich dies – Herr Kollege Junginger hat die Fragen gestellt – anhand von zwei Punkten in aller Kürze erläutern.

Die Grünen wollen den Einsatz der Rasterfahndung vom Vorliegen einer „gegenwärtigen Gefahr“ abhängig machen. „Gegenwärtig“ – ich kann Ihnen diese Definition im Wortlaut nicht ersparen; so reden wir Juristen nun einmal – ist eine Gefahr, bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses entweder bereits begonnen hat oder bei der diese Entwicklung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht.

Die Grünen schießen damit deutlich über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinaus. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom April 2006 ausdrücklich festgehalten, dass das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr nicht von Verfassungs wegen geboten ist. Diese Voraussetzung, diese Hürde stellt das Bundesverfassungsgericht gerade nicht auf. Ich sage dazu: zu Recht nicht; denn mit einer so hohen Eintrittsschwelle wäre aus meiner Sicht auch der praktische Nutzen der Rasterfahndung völlig infrage gestellt.

(Zuruf des Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE)

In Anbetracht des erheblichen Aufwands – das müssen Sie sich einmal vorstellen –, der mit der Durchführung einer Rasterfahndung verbunden ist, kämen die Ergebnisse dieser Fahndung in aller Regel auch zu spät, um der Gefahr überhaupt noch wirksam begegnen zu können.

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Aber letztes Mal war es doch so! Da hat es doch auch nichts ge- bracht!)

Die Grünen dürften konsequenterweise, Herr Oelmayer, keinen solchen Gesetzentwurf einbringen, wie sie es getan haben, sondern müssten konsequenterweise die Abschaffung der Rasterfahndung generell vorschlagen.

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Jetzt haben wir halt versucht, die CDU mit ins Boot zu nehmen! Aber nicht einmal dazu seid ihr bereit!)

(Minister Heribert Rech)

Es handelt sich hier, wie oft, um einen untauglichen Versuch, der auch nicht zielführend sein kann.

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: So wie die Ras- terfahndung! Die ist auch untauglich! – Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Versuch fehlgeschlagen!)

Meine Damen und Herren, auch die vorgesehene Verfallsautomatik – auch diese Frage wurde ja gestellt – bis zum 31. Dezember 2008 halte ich nicht für geboten. Es gibt natürlich die Befristung als ein Mittel des Gesetzgebers, um nach einer gewissen Erprobungsphase zu überprüfen, ob neue Befugnisse geeignet waren, ob sie erforderlich waren. Aber hier bei der Rasterfahndung handelt es sich ja nicht um ein neues Instrument. In den Siebzigerjahren – der Kollege Heinz hat darauf hingewiesen; ich nehme an, dass er dieses Beispiel gemeint hat – wurde die Rasterfahndung für den Bereich Terrorismusbekämpfung entwickelt, und Ende der Siebzigerjahre wurde in Frankfurt am Main aufgrund der Rasterfahndung eine konspirative Wohnung der Rote Armee Fraktion entdeckt und ein Mitglied der RAF darin angetroffen und auch festgenommen.

(Abg. Karl Klein CDU: Sehr gut! Toll! Super! Das hat sich gelohnt! Schon das allein hat sich gelohnt!)

Also der Hinweis, dass noch niemand gefasst worden wäre, ist nicht richtig.