Protokoll der Sitzung vom 12.10.2006

Frau Abgeordnete, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Ich komme zu meinem Schlusssatz, Frau Präsidentin. – Ich appelliere eindringlich an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Schauen Sie sich diese Verwaltungsvorschriften an, und reden Sie mit Ihren Initiativen vor Ort. Verhindern Sie Verschlechterungen gegenüber der bisherigen Förderung, und lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass zumindest im Bereich der Kleinkindbetreuung nicht nur „Kinderland“ draufsteht, sondern wirklich auch „Kinderland“ drinsteckt.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass wir uns in vielem einig sind, macht die Debatte jedesmal, wenn wir sie führen, wieder deutlich.

Auf einen Punkt ist noch nicht hingewiesen worden. Ich glaube, der Bedarf an Kleinkindbetreuung wird nicht zuletzt durch die Beschlüsse auf Bundesebene – die Umgestaltung des Bundeserziehungsgelds in Bundeselterngeld – dramatisch ansteigen. Das ist einfach Fakt. Deswegen glaube ich, dass der Ausbau der Kleinkindbetreuung aller Anstrengungen bedarf.

Auf Bundesebene wird Familienförderung mit einem etwas anderen Ziel gemacht, und zwar sowohl mit Zustimmung der CDU – Frau von der Leyen – als auch der SPD. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird ganz stark in den Vordergrund gestellt. Deshalb befürwortet man eine Förderung nur noch für die Dauer eines Jahres, quasi als Lohnersatzleistung. Man geht davon aus, dass damit gerade diejenigen, die Familie und Beruf vereinbaren wollen, mehr Anreize und Förderung erhalten, als es bisher der Fall war. Infolgedessen müssen auch wir im Land uns in ganz praktischer Hinsicht, nämlich beim schönen Thema Landeserziehungsgeld, Gedanken machen.

Wir sind uns alle einig, dass es keinen Sinn mehr macht, im dritten Lebensjahr des Kindes Landeserziehungsgeld zu zahlen, wenn dazwischen – im zweiten Lebensjahr – eben kein Bundeserziehungsgeld mehr gezahlt wird, sondern es nur noch das Bundeselterngeld im ersten Lebensjahr gibt. Sie dürfen es mir abnehmen, Frau Kollegin Wonnay, und auch Sie, Frau Lösch, von den Grünen – wir haben ohnehin gemeinsam darum gekämpft –: Bei allen familienpolitischen Förderprogrammen, wozu das Landeserziehungsgeld nun einmal gehört, sollte auf Realitäten, die sich verändern, reagiert werden. Ich bleibe dabei: Im Grunde genommen besteht die Aufgabe des Landes und der Kommunen nicht in einer Transferleistung, sondern in der Bereitstellung von Angeboten, die eine echte Vereinbarkeit von Familie und

Beruf gewährleisten und damit eine wirkliche Wahlfreiheit schaffen und ein Ja zum Kind begünstigen. Das ist doch das Entscheidende.

(Beifall bei der FDP/DVP und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Ich darf noch darauf hinweisen, dass es uns in der Koalitionsvereinbarung gelungen ist, uns dieser Herausforderung zu stellen. Wir werden zumindest einen Teil des Landeserziehungsgelds umschichten. Man kann zwar sagen, diese mindestens 8 bis 10 Millionen € seien nicht gerade das Gelbe vom Ei, aber ich finde, das wäre bei den Beträgen, über die wir gerade reden, ein Riesenfortschritt.

Man muss aber auch klar sehen – das muss jeder sehen –: Es gibt noch bestehende Verpflichtungen, die wir erfüllen müssen. Deshalb wäre das zum Beispiel im nächsten Haushalt überhaupt noch nicht wirksam. Aber Sie dürfen sicher sein, dass wir auf dieser Zusage bestehen werden.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: 30 Millionen €! So wie die letzten fünf Jahre auch schon!)

Es geht um eine Umschichtung finanzieller Mittel insbesondere zugunsten der Kleinkindbetreuung, die jedoch nicht ausschließlich für Krippen- und Kleingruppenförderung, sondern natürlich auch für die Tagespflege eingesetzt werden können. Das ist ein klares Signal. Wir reden nicht nur, sondern sagen konkret, wie wir das finanzieren wollen. Diese 10 Millionen € werden dann zur Verfügung stehen.

Zweiter Punkt: Wir haben eine zehnprozentige Förderung für Krippen- und Kleinkindgruppen beschlossen. Man hat uns unterstellt, dass wir, wenn die vorgesehenen 7 Millionen € nicht ausreichen, wahrscheinlich die Förderung kappen würden. Nein, wir haben das Gegenteil bewiesen: Der Bedarf ist erfreulicherweise stark gewachsen, und wir sind selbstverständlich unserer Verpflichtung nachgekommen. Das ist überhaupt keine Frage.

Wenn wir jetzt schon bei dem Thema „Staffelung der Zuschüsse für die verschiedenen Betreuungsmaßnahmen“ sind: Man kann über die Höhe immer diskutieren. Sie haben recht damit, dass der ursprüngliche Plan, die sogenannten betreuten Spielgruppen ganz aus der Förderung herauszunehmen, insbesondere dem ländlichen Raum ganz massiv geschadet hätte. Andererseits: Wenn wir das Ziel der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei zunächst einmal begrenzten Mitteln – die wir ja erhöhen wollen – erreichen wollen, dann müssen wir danach schauen, wer im Sinne der Vereinbarkeit von Familie und Beruf rein zeitlich ein bisschen mehr Möglichkeiten bietet. Dieser Anbieter sollte dann auch mehr von der Förderung profitieren. Das ist doch der Hintergrund. Es geht nicht darum, irgendjemanden zu ärgern, sondern das ist angesichts der begrenzten Mittel durchaus der Hintergrund. Wir müssen darüber diskutieren, wie hoch die jeweiligen Zuschüsse dann konkret sein sollen.

Aber lassen Sie mich abschließend sagen: Je öfter ich diese Debatten hier führen muss, umso mehr gefällt mir der Vorschlag von Ivo Gönner – er ist bereits lobend erwähnt worden –, der für den Städtetag mit am Tisch saß, als wir die gemeinsamen Programme, die sich nicht nur auf Kleinkind

förderung, sondern allgemein auf den Bereich Kinderland, von besserer Betreuung bis hin zu Ganztagsschulen, erstrecken, im Rahmen des 1-Milliarde-€-Programms besprochen haben. Alle, die am Tisch saßen, haben übereinstimmend gesagt: Wir sollten uns trotz allem – auch, wenn wir jetzt als Land wieder in eine Aufgabe mit einsteigen, die in diesem Bereich nicht unsere Pflichtaufgabe ist, sondern laut Kinder- und Jugendhilfegesetz eigentlich kommunale Aufgabe ist – hieran beteiligen.

Meiner Meinung nach wäre es sinnvoll, sich einmal Folgendes zu überlegen: Statt dass wir uns als Land bei der Kleinkindbetreuung wieder mit ein bisschen Landesgeld betätigen und die Kommunen, zum Beispiel bei der Ganztagsbetreuung, auch wieder mit einem Teil des Geldes selbst einsteigen müssen, könnten wir das ja einfach einmal vergleichen und sagen: Vielleicht hält sich das gegenseitig die Waage. Ich schlage vor: Macht einmal einen klaren Schnitt und formuliert klare Zuständigkeitsregelungen: Alles, was nicht Schule ist, ist Sache der Kommunen, und alles, was Schule ist, ist Sache des Landes. Dann hätten wir diese ewigen Verteilungsdiskussionen hinter uns gebracht.

So weit sind wir noch nicht, und deshalb wollen wir ganz vernünftig miteinander schauen, wie man das, was wir bereits miteinander verabredet haben, nämlich, durch Umschichtung mehr Geld in den Ausbau der Betreuung zu stecken, haushaltstechnisch sauber umsetzen kann. Jetzt ist ja eine Neufassung der Verwaltungsvorschrift geplant.

Übrigens hat sich Folgendes als Vorteil erwiesen: Sie hatten damals ja schrecklich dagegen geschimpft, dass das nicht alles in ein Gesetz kommt. Wir jedoch haben immer gesagt: Lasst uns lieber über diesen Weg solche Regelungen treffen, weil wir dann die Erfahrungen aus den letzten drei Jahren heranziehen können und daher flexibler als bei einem Gesetzgebungsverfahren zu reagieren vermögen.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Aber wenn, wollen wir darüber beraten und das nicht nur dem Ministe- rium überlassen!)

Man mag jetzt im Detail unterschiedlicher Meinung sein; das wird auch noch einmal besprochen werden. Gerade dabei jedoch, was die betreuten Spielgruppen betrifft, haben alle hier im Landtag unisono gesagt: Nein, die ursprünglich einmal bestehenden Pläne – die übrigens nie wirklich die Pläne der Regierung waren, die aber einmal in einem Vorentwurf steckten – könnt ihr so nicht umsetzen. Von daher dürfen wir uns alle gemeinsam einen kleinen Erfolg zugunsten unserer Kinder und unserer Familien ans Revers heften.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erhält Frau Ministerin Dr. Stolz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Politik für Kinder und Familien ist ein Kernstück der Gesellschaftspolitik der Landesregierung. Es freut mich, dass auch das Hohe Haus das Thema Kinderbetreuung mit Regelmäßigkeit aufgreift. Ich freue mich auch – auch das ist hier schon angeklungen –, dass über den notwendigen Ausbau von Be

(Ministerin Dr. Monika Stolz)

treuungseinrichtungen hier ein fraktionsübergreifender Konsens besteht.

Unser Anspruch, Baden-Württemberg zum Kinderland zu machen, bedeutet, dass ein zentraler Baustein dieser Politik ein Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten ist, um auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Wir fangen hier nicht bei null an; das muss man immer wieder sagen. Wir haben immerhin als erstes Bundesland den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz erfüllt. Wir werden auch den Ausbau der Kleinkindbetreuung bedarfsgerecht weiterentwickeln. Ich sage hier ganz bewusst: bedarfsgerecht. Wir überlassen es den Verantwortlichen vor Ort, den Kommunen, hier ganz klar zu sagen, wo ihr Bedarf liegt. Das heißt für uns „bedarfsgerecht“.

Die Weichen für den bedarfsgerechten Ausbau haben wir schon 2002 mit dem Konzept „Kinderfreundliches BadenWürttemberg“ gestellt. Wir haben im Rahmen dieses Konzepts zusätzlich 15 Millionen € für den Ausbau der Kleinund Schulkinderbetreuung bereitgestellt. Mit dieser Förderung sind wir in die Krippenförderung und in den Ausbau der Strukturen der Tagespflege eingestiegen. Die Erfolge können sich sehen lassen. Ich habe bereits in der Plenarsitzung am 27. Juli 2006 ausführlich dargelegt, wie die Entwicklung ist. Vor Beginn der Krippenförderung verfügte Baden-Württemberg nach der letzten amtlichen Jugendhilfestatistik über rund 1 800 Krippenplätze. Bereits im ersten Förderjahr 2003 konnten rund 3 300 Krippenplätze Landeszuschüsse erhalten. Im März dieses Jahres haben wir bei den Stadt- und Landkreisen eine neue Erhebung durchgeführt. Ergebnis ist, dass nunmehr über 9 000 Betreuungsplätze in Kinderkrippen und betreuten Spielgruppen bestehen. In dieser kurzen Zeitspanne konnte also das Platzangebot in Zusammenarbeit mit den Kommunen und den freien Einrichtungsträgern mehr als verfünffacht werden.

Zusammen mit den rund 7 600 Plätzen, insbesondere für Zweijährige, in den altersgemischten Gruppen der Kindergärten und den rund 8 500 Betreuungsplätzen für Kleinkinder in der Tagespflege verfügen wir derzeit über 25 100 Betreuungsplätze. Das entspricht – das ist hier schon gesagt worden – einem Versorgungsgrad von knapp 9 %. Da muss man feststellen: In der Tat gibt es eine Diskrepanz zwischen den neuen und den alten Bundesländern, und da liegen wir in der Mitte, fernab vom Schlusslicht. Das ist die Zahl, die auch in den anderen Ländern zurzeit erreicht ist.

Ich weiß, dass wir damit noch ein gutes Stück von einer bedarfsgerechten Betreuungssituation entfernt sind. Die Bedarfsanalyse der Stadt- und Landkreise hält derzeit einen Versorgungsgrad von 16 % für ausreichend. Dies deckt sich auch mit der unteren Variante der Bedarfsberechnung des Statistischen Landesamts. Es hat aufgrund des Erwerbsverhaltens von Eltern mit Kleinkindern errechnet, dass der Betreuungsbedarf zwischen 16 und 23 % liegt. Bei dieser Höchstvariante mit 23 % wird unterstellt, dass bereits bei einer Erwerbstätigkeit ab fünf Stunden wöchentlich eine Fremdbetreuung notwendig ist. Vor diesem Hintergrund halte ich eine Versorgungsquote von 25 %, wie die Fraktion GRÜNE das in ihrer Pressekonferenz gefordert hat, in der momentanen Lage für überzogen und etwas über das Ziel hinausschießend. Auch berücksichtigt keine der bisherigen Bedarfsanalysen die Einführung des Elterngelds ab 2007.

Ich bin mir sicher, dass dieses Elterngeld insbesondere den Bedarf an Betreuung von Kindern im ersten Lebensjahr wesentlich beeinflussen wird.

Ich kann Ihnen versichern, dass wir trotz eines äußerst angespannten Landeshaushalts in unseren fachlichen und finanziellen Anstrengungen nicht nachlassen werden, damit die Dynamik beim Ausbau der Kleinkindbetreuung fortgesetzt werden kann. Darin sind wir uns mit den Verbänden, den Kirchen und den Trägerverbänden einig. Das können Sie auch in der Koalitionsvereinbarung nachlesen.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Bauer?

Später, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass meistens die Fragen beantwortet sind, wenn man einfach einmal gesagt hat, was man zum Thema sagen will. Später gerne.

Dass wir hier weiter ausbauen wollen, können Sie auch in der Koalitionsvereinbarung nachlesen. Wir haben dort vereinbart, dass das Land sich weiterhin mit durchschnittlich 10 % an den Betriebskosten der Kinderkrippen und am Ausbau der Strukturen in der Tagespflege beteiligen will. Auch werden wir im Rahmen der Anpassung des Landeserziehungsgelds an das Elterngeld des Bundes frei werdende Mittel – das ist auch schon angesprochen worden – dem Ausbau der Kleinkindbetreuung zur Verfügung stellen. Damit unterstützen wir die Kommunen des Landes bei einer Aufgabe, die ihnen originär zukommt und für die sie zuständig sind.

Wie Sie wissen, überarbeiten wir derzeit die Förderrichtlinien für die Kinderkrippen und die Tagespflege. Eines unserer Ziele dabei ist, die Mittel, die uns zur Verfügung stehen, noch zielgerichteter einzusetzen. Wir wollen dies durch eine noch stärker an den Öffnungszeiten orientierte Förderung der Kinderkrippen erreichen. Der, der viel anbietet, bekommt mehr als der, der weniger anbietet. Wer mehr für die Kleinkindbetreuung tut, wird künftig auch mehr Landesförderung erhalten. Mit der neuen Staffelung dieser Zuschüsse entsprechen wir außerdem – das muss man auch berücksichtigen – den Anregungen des Rechnungshofs.

Auch mit den Trägerverbänden sind wir uns über die Ziele der Neugestaltung der Förderung einig.

63 % der bisherigen Gruppen bekommen gleich viel oder mehr. Da muss ich Sie, liebe Frau Kollegin Lösch, korrigieren, so ungern ich Ihnen widerspreche.

Wir haben großzügige Übergangsregelungen eingepasst. Damit wollen wir Umstellungshärten vermeiden.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr gut! – Abg. Marianne Wonnay SPD: Das stimmt schlichtweg nicht!)

Wir wollen auch die Förderung der Spielgruppen beibehalten. Hier sind Sie einfach falschen Einflüsterungen aufgesessen, dass wir das streichen wollten. Aber Sie wiederho

(Ministerin Dr. Monika Stolz)

len es bei jeder Rede. Nehmen Sie einfach zur Kenntnis: Spielgruppen werden weiter gefördert, und das wollen wir auch so.

(Beifall bei der CDU – Abg. Elke Brunnemer CDU: Genau!)

Es ist auch die Situation in Heidelberg angesprochen worden. Da darf ich Ihnen ganz aktuell sagen, dass die Belastungszahl, die von Heidelberg genannt wurde, heute von der Stadt Heidelberg in keiner Weise begründet werden konnte. Wir gehen diesen Belastungen natürlich nach. Aber ich gehe einfach davon aus, wenn eine Stadt eine solche Größe in den Raum stellt, dass sie dann in der Lage ist, bei einer Nachfrage diese Zahl auch seriös zu begründen.

Lassen Sie mich abschließend noch einmal unsere beiden Maximen nennen, die wir bei allen Bemühungen stets im Auge haben: Wir wollen den Ausbau der Kleinkindbetreuung am örtlichen tatsächlichen Bedarf orientieren, und im Interesse unserer Kinder muss die Qualität in der Kleinkindbetreuung noch stärker akzentuiert werden. Das gilt besonders für die Tagespflege. Deshalb wird neben der Anzahl der Kleinkinder künftig auch die Anzahl der qualifizierten Tagesmütter Bemessungsgrundlage für die Landesförderung sein.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr gut!)

Dort, wo qualifizierte Tagesmütter arbeiten, fließt also mehr Geld als dort, wo diese Qualifikation nicht vorhanden ist.