Protokoll der Sitzung vom 07.10.2010

vor allem nicht wegen tagesaktueller Aufgeregtheiten.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Jür gen Walter GRÜNE: Hat Bayern die Demokratie auf gegeben?)

Auf das Beispiel Bayern, lieber Jürgen Walter, komme ich noch zurück. Da war es ganz einfach: Rauchen oder nicht rau chen? Saufen oder nicht saufen? Diese Fragen kann man mit Ja oder Nein beantworten.

(Abg. Thomas Blenke CDU: So ist es!)

Aber vieles kann nicht mit Ja oder Nein beantwortet werden. Und vieles, was dann mit Ja oder Nein beantwortet werden würde, käme in der Diskussion, in dem Ringen um Kompro misse, in dem genauen Betrachten der Frage, was gesell schaftskonform ist, schlichtweg unter die Räder.

(Beifall bei der CDU – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Leider geht es im Parlament oft genau so zu! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Geht Bayern jetzt unter? Das ist lächerlich! – Abg. Dr. Frank Mentrup SPD: Wer so viel Angst hat, sollte nicht regieren!)

Ach, wissen Sie: Wenn Sie keine Angst vor meinen Argu menten hätten, würden Sie mich nicht im Fünfsekundentakt unterbrechen. Lassen Sie mich jetzt einmal den Gedanken dar legen.

Noch einmal, damit es klar ist: Eine Verfassung ist nicht sak rosankt. Aber es müssen schon gewichtige Gründe vorliegen, wenn man eine Verfassung ändern will. Jede Verfassung lebt von ihrer Beständigkeit, und sie verliert ihre Funktion, wenn ihre Verlässlichkeit unkritisch den Bestrebungen des Zeitgeists geopfert wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, unsere Landesverfassung – wir waren übrigens die Ersten in der Bundesrepublik, die diese direkte Bürgerbeteiligung kommunalverfassungsrechtlich er möglicht haben – ist in der Tat eine durchaus moderne Ver fassung und ist den gesellschaftspolitischen Herausforderun gen gewachsen. Deswegen müssen wir an jegliche künftige Verfassungsänderung sehr strenge Maßstäbe anlegen.

Ich komme noch einmal auf den Wortbeitrag des Kollegen Stickelberger zurück, denn ihm geht es wirklich darum – so habe ich ihn verstanden –, die demokratischen Mitwirkungen zu verstärken. Aber man soll dabei nicht vorschnell den leich ten Weg gehen und einmal mehr eine Gesetzesänderung ein fordern. Vielmehr sind wir alle als Parlamentarier und Politi ker gefordert, die Bürger zu motivieren, durch persönliches Engagement aktiv und dauerhaft auf die politische Willens bildung einzuwirken, und zwar nicht nur punktuell, weil ge rade irgendetwas stört und man irgendetwas anders haben will.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl Zimmermann CDU: Sehr gut!)

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben sich aus gu tem Grund wegen der Erfahrungen in der Weimarer Zeit – Herr Kollege Mack hat Beispiele genannt; es gibt noch viele andere mehr; ich erspare Ihnen das – für eine repräsentative und nicht für eine plebiszitäre Demokratie entschieden. Wir alle sollten uns – ich sage es noch einmal – dem Sog der Stim mungsdemokratie entziehen und diese nicht – auch nicht aus noch so guten Absichten heraus – verstärken.

Wir brauchen vorrangig nicht das punktuelle Engagement der Bürgerinnen und Bürger, sondern eine wache Zivilgesell schaft, die sich kontinuierlich – und zwar in allen Bereichen und auch gesamtverantwortlich – um Politik und Gesellschaft und nicht nur um Partikularinteressen kümmert.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ein Vorletztes: Ich bin überzeugt: Die Verfassung würde er heblich an Wert verlieren, wenn letztlich Zufallsmehrheiten, die sich bei Volksbegehren und Volksabstimmungen ergeben könnten, über die Geschicke des Landes entscheiden würden. Durch Volksbegehren eingebrachte Gesetzesvorlagen können vom Landtag nur unverändert angenommen oder abgelehnt werden.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir wirklich in vielen Sachbereichen auf eine einge hende politische Diskussion verzichten? Wollen wir auf die Abwägung im Landtag, auf die Feinziselierung in den Aus schüssen verzichten? Gerade die parlamentarische Behand lung mit entsprechenden Änderungs- und Kompromissmög lichkeiten ist doch der Garant dafür, dass unsere Gesetze schließlich auch von der breiten Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert werden.

Die Diskussion der Details von Gesetzentwürfen in den Frak tionen, in den Ausschüssen und im Landtagsplenum ist ja wirklich kein Selbstzweck. Sie dient dazu, auch verfassungs rechtliche, europarechtliche – Stichwort Schweiz –, finanzi elle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte auszuleuch ten und – jetzt kommt’s – den Entwurf dann in Einklang mit der übrigen Rechtsordnung zu bringen. Dabei geht es um die

Komplexität der Sachprobleme. Sollen wir wirklich auf eine solch eingehende Beratung verzichten? Ich meine, nein.

Durch eine Volksabstimmung zustande gekommene Gesetze sind nicht die besseren Gesetze. Das will ich eindeutig fest halten. Durch eine Volksabstimmung zustande gekommene Gesetze sind nicht per se die besseren Gesetze; auch dabei werden nie alle Beteiligten zufriedengestellt. Zum Schluss gibt es immer auch Verlierer. Oft sind sie in der Mehrheit. Da her werden mehr Volksabstimmungen die Gefahr der Politik verdrossenheit nicht mindern. Es wird immer einen Grund ge ben, die Legitimität einer Volksabstimmung hinterher in Zwei fel zu ziehen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)

Die Einführung gelockerter plebiszitärer Elemente kann je denfalls auch zu einer Desintegration des politischen Systems und zu einer Emotionalisierung der Politik führen. Ich kann nur davor warnen, vorschnell Wege zu beschreiten, die schein bar nichts kosten, aber unserer Demokratie großen Schaden zufügen würden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut!)

Herr Abg. Stickel berger, Sie haben noch 33 Sekunden Redezeit.

(Heiterkeit – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Schnell redner!)

Frau Präsidentin, meine Da men und Herren! Herr Minister, nur eine kleine Anmerkung: Sie haben zahlreiche Argumente angeführt, über die sich treff lich streiten lässt. Aber es waren zum Teil auch Argumente gegen die bestehende Verfassung. Denn auch jetzt haben wir die Situation, dass ein zur Volksabstimmung gebrachtes Ge setz bei entsprechender Mehrheit beschlossen ist, auch wenn es solche hohen Hürden gibt, wie sie derzeit in der Verfassung stehen. Auch dann müssten Sie eigentlich, wie bei Ihren vo rigen Aussagen, beklagen, dass nicht hinreichend Zeit bestan den hätte, das Gesetz zu beraten.

Wir haben deshalb in unserem Gesetzentwurf für das Volks begehren eine sechsmonatige Phase für eine intensive Diskus sion und Auseinandersetzung vorgesehen, die es allen Betei ligten ermöglicht, sich sachkundig zu machen und auf einer guten Grundlage eine Gesetzesentscheidung zu treffen.

(Zuruf von der CDU)

Deshalb wird unser Gesetzentwurf, glaube ich, nicht zu einer leichtfertigen Handhabe des Instruments des Volksbegehrens und des Instruments des Volksentscheids führen, aber wir ma chen ein Angebot an die Bürger. Wir sollten ihnen vertrauen und ihnen auch zutrauen, dass sie hier mitwirken. Wir sollten sie auch auffordern, sich entsprechend engagiert einzubrin gen. Insoweit ist unser Vertrauen auch mit einer Zumutung gegenüber der Bevölkerung verbunden.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Mack für eine kurze persönliche Erklärung.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Ich habe gemäß § 88 der Geschäftsord nung um eine persönliche Erklärung zur Berichtigung einer unrichtigen Wiedergabe meiner Ausführungen gebeten. Der Kollege Stickelberger hat mich offensichtlich gründlich miss verstanden. Ich habe den Vorstoß von SPD und Grünen in kei ner Art und Weise mit Volksabstimmungen in der Weimarer Zeit verglichen, die von Nazis und anderen in Gang gebracht wurden. Vielmehr habe ich ausschließlich – ich glaube, von dieser Seite des Hauses ist das auch allgemein so verstanden worden, auch vom Herrn Innenminister – auf historische Vor gänge hingewiesen und sonst gar nichts.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schlage die Überweisung dieses Gesetzentwurfs an den Stän digen Ausschuss vor. – Sie stimmen dem zu. Es ist so be schlossen.

Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:

a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschus

ses zu der Mitteilung des Rechnungshofs vom 7. April 2010 – Beratende Äußerung zur Finanzierung des In tegrierten Rheinprogramms und der EG-Wasserrah menrichtlinie – Drucksachen 14/6160, 14/6348

Berichterstatterin: Abg. Dr. Gisela Splett

b) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des

Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr – Hochwasserschutz am Rhein endlich voranbringen – Drucksache 14/6210

Das Präsidium hat für die Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Wem darf ich das Wort erteilen? – Herr Abg. Müller, bitte schön.

Frau Präsidentin, meine sehr ver ehrten Damen und Herren! Das ist der letzte Tagesordnungs punkt, zu dem gesprochen wird. Bevor sich der Saal leert, möchte ich ankündigen, dass ich im zweiten Teil meiner Re de an einem konkreten Beispiel, nämlich dem Integrierten Rheinprogramm, genau auf den soeben abgehandelten Tages ordnungspunkt noch einmal exemplarisch eingehe. Zwischen diesen Punkten gibt es nämlich einen Zusammenhang. Viel leicht interessiert Sie dadurch das, was ich jetzt sagen will, noch etwas stärker.

(Beifall und Lachen bei der SPD – Vereinzelt Beifall bei den Grünen – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Zunächst, meine Damen und Herren, konzentriere ich mich auf das Integrierte Rheinprogramm und verzichte auf Ausfüh rungen zur Wasserrahmenrichtlinie. Es ist ein bemerkenswer

ter Tatbestand, dass der Rechnungshof bei einer nicht unwe sentlichen Ausgabe des Landes nicht für Sparsamkeit plädiert, sondern uns vorrechnet, wie viel Geld wir in der Zukunft aus zugeben hätten. Das kommt nicht alle Tage vor. Er plädiert hier für ein bestimmtes Maß von Ausgaben; ich komme dar auf zu sprechen. Das spricht aus seiner Sicht und, wie ich weiß, aus der Sicht des ganzen Hauses für die Dringlichkeit und die Unabweisbarkeit der Ausgaben zugunsten des Integ rierten Rheinprogramms, eines gigantischen Hochwasser schutzprojekts in Milliarden-Größenordnung.

Wir mussten dann in den Vorberatungen, bis die Unterlage jetzt ins Plenum gekommen ist, etwas einfügen, was eigent lich eine Selbstverständlichkeit ist; wir mussten diese Aufga be nämlich bei aller Unabweisbarkeit der Ausgaben unter den Finanzierungsvorbehalt und den Vorbehalt der Einbettung in den Gesamthaushalt stellen. Wir können keine Ausgabe abso lut setzen, und auch bei einer Aufgabe, die wir als sehr wich tig ansehen, können wir nicht sagen: Unbedingt und unter al len Umständen wird es dafür so und so viel Geld geben.

Wir streben aber an – vermutlich auch das in Übereinstim mung mit allen Fraktionen –, die Ausgaben in der vom Rech nungshof vorgeschlagenen Höhe tatsächlich in den nächsten Doppelhaushalt einzustellen. Insofern sind wir dem Rech nungshof, der normalerweise darauf angelegt ist, auf die Sen kung der Ausgaben hinzuwirken, dankbar für das, was er uns ins Stammbuch geschrieben hat.