Ähnliches setzt sich fort, was die entsprechenden Quoren bei einer Volksabstimmung – sofern es überhaupt zu ihr kommt – angeht. Diese sind ebenfalls zu hoch.
Unser Vorschlag sieht deshalb vor, für Volksbegehren das Quorum auf 5 % der Wahlberechtigten zu senken. Das sind immerhin noch 375 000 Bürgerinnen und Bürger dieses Lan des, also sehr viele.
Für die Volksabstimmung wollen wir das Quorum entfallen lassen. Lediglich dann, wenn es um eine Änderung der Ver fassung geht, soll natürlich noch ein Quorum von 25 % auf rechterhalten bleiben. Bei Volksentscheiden über Gesetze soll es kein Quorum mehr geben. Wir glauben, dass auch bei un serer Regelung die Hürden für ein Volksbegehren noch immer so hoch sind, dass man dann beim Volksentscheid auf die ent sprechenden Quoren – jedenfalls beim Entscheiden über Ge setze – verzichten kann.
Neu in unserem Gesetzentwurf ist die Volksinitiative, die es ermöglicht, dass Gegenstände der politischen Willensbildung, sofern sie das Land betreffen, durch mehr als 10 000 Mitwir kende in den Landtag getragen werden und diese Themen dann, wenn die parlamentarischen Verfahren nicht zum Erfolg führen, auch über ein Volksbegehren weitergeführt werden.
Wir glauben, in Baden-Württemberg ist es an der Zeit, die Vor schriften für mehr Bürgerbeteiligung und -mitwirkung auf Landesebene entsprechend zu liberalisieren. Baden-Württem berg gehört, was die Beteiligung von Bürgern angeht, leider zu den Schlusslichtern in Deutschland. In Bayern haben wir andere Verhältnisse. Sie erinnern sich an das jüngste Volksbe gehren und den Volksentscheid zum Rauchverbot. Allein in Bayern haben wir in den letzten Jahren bei 19 Volksbegehren sechs Volksentscheide gehabt – in Baden-Württemberg nicht einen. Andere Bundesländer sind uns da voraus. Wir plädie ren dafür, die Mitwirkungsmöglichkeiten für unsere Bürger zu verbessern.
Derzeit findet im Durchschnitt, legt man einmal die Statistik, die es bisher gibt, zugrunde, pro Bundesland nur alle 35 Jah re ein Volksentscheid statt. Das wollen wir abstellen.
Ich kenne natürlich die Einwände, die es gibt. Das ist zum ei nen der Einwand, hier würden an der repräsentativen Demo kratie Abstriche gemacht, sie würde beschädigt. Es gibt aber auch Einwände bezüglich der Wahlbeteiligung. All diese Ein wände sind so alt wie unsere Vorstöße, die Vorstöße der Grü nen und auch unsere Vorstöße in den letzten Jahren. Wir ha ben hier schon Gesetzentwürfe gleichen Inhalts eingebracht. Sie wurden von Ihnen leider immer abgelehnt.
Ich möchte mich aber trotzdem zu einem Gesichtspunkt äußern, nämlich dem der repräsentativen Demokratie. Dieser Gesichtspunkt wird unseren Aktivitäten immer entgegenge
halten. Wir halten die Liberalisierung und die Erweiterung der bürgerlichen Mitwirkungsmöglichkeiten für eine notwendige Ergänzung des repräsentativen Mitwirkungssystems, des re präsentativen Entscheidungssystems, das wir in Deutschland und insbesondere in Baden-Württemberg haben. Wir gehen nicht davon aus, dass die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern unserer repräsentativen Demokratie schadet. Wir glauben eher, sie nützt ihr, sie unterstützt die repräsentative Demokratie.
Wir haben in den letzten Tagen und Wochen viel über die Be teiligung des Volkes gesprochen. Repräsentative Demokratie lebt davon – das ist auch hier in diesem Haus gesagt worden –, dass die Vertreter dieses Systems glaubwürdig sind. Hier muss mehr Überzeugungsarbeit als früher geleistet werden. Es reicht nicht aus, allein auf formale Verfahren – selbst wenn sie rechtsstaatlich sind; das ziehe ich gar nicht in Zweifel – zu verweisen. Es ist wichtig, den Bürger frühzeitig zu beteiligen und ihm auch eine Mitentscheidungsmöglichkeit zu geben.
Sie werden doch nicht ernsthaft behaupten wollen, dass die repräsentative Demokratie in Bayern durch die vermehrte Zu lassung von Volksentscheiden gelitten hätte – im Gegenteil. Wir halten das für notwendig, und ich glaube, Beispiele aus anderen Bundesländern, aber auch aus Nachbarländern geben uns recht, insbesondere das Schweizer Modell, auf das wir vielleicht noch kommen.
Es ist in Baden-Württemberg an der Zeit, den Bürgern im Land die Chance zu geben, aktiv mitzuwirken und vor allem mitzuentscheiden – im Interesse unserer repräsentativen De mokratie.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl Zimmermann CDU: Ihr Gesetzentwurf hat aber nichts mit Stuttgart 21 zu tun?)
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bürgerinnen und Bür ger in unserem Land wollen mehr Mitsprache: Sie wollen ge hört werden, sie wollen ernst genommen werden, und sie wol len zumindest bei wichtigen Grundsatzentscheidungen über die Zukunft unseres Landes mitreden. Das ist das Gebot die ser Tage, dieser Monate; das machen viele Umfragen deut lich. Deshalb passt der gemeinsame Gesetzentwurf von SPD und Grünen in diese Zeit; er gibt genau die richtige Antwort.
Wir müssen, auch wenn wir fast schon am Ende dieser 14. Wahlperiode sind, endlich zu einer vernünftigen Reform beim Thema Volksbegehren und bezüglich der Mitwirkungs möglichkeiten auch auf Landesebene kommen. Dazu ist un ser gemeinsamer Gesetzentwurf ein Angebot. Er ist ein An gebot an die Regierungsfraktionen, in Gespräche einzutreten, um dem Landtag in einer zweiten Lesung – selbstverständlich noch in diesem Jahr – ein gutes und überzeugendes Angebot vorlegen zu können.
Wir haben kein Interesse daran, das übliche Ritual abzuspu len: Ausschuss, Pflichtberatung: abgelehnt; zweite Lesung:
abgelehnt. Wir wollen, dass die Zeichen der Zeit erkannt wer den, meine Damen und Herren, und wir wollen endlich für substanzielle Änderungen bei den Mitsprachemöglichkeiten unserer Bürgerinnen und Bürger sorgen.
Dazu brauchen wir, Herr Innenminister, eine Reform, die die sen Namen auch wirklich verdient. Was Sie Anfang dieses Jahres vorgelegt haben, verdient den Namen „Reform“ nicht. Denn es reicht eben nicht aus, am Ende, bei der eigentlichen Volksabstimmung selbst, das Quorum abzusenken, die hohen Hürden am Anfang aber unverändert zu lassen. Was nützt es, wenn man von dem Berg, auf den man erst gar nicht hinauf kommt, etwas sanfter hinabrutschen kann? Die Steilwand wird etwas sanfter für das Hinabsteigen gestaltet, aber sie bleibt beim Hochklettern unverändert steil.
(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Sind Sie Bergsteiger? – Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP/ DVP)
Die Hürden für ein Volksbegehren auf Landesebene sind er kennbar unüberwindlich. Deswegen gab es seit 1974 auch kei nen einzigen ernsthaften Versuch eines Volksbegehrens. Selbst Großorganisationen wie der Deutsche Gewerkschaftsbund sa gen: „Das schaffen wir nicht. Das ist eine Zumutung. 1,25 Millionen Bürgerinnen und Bürger binnen 14 Tagen ohne amt liche Bekanntmachung, ohne offizielle Aufforderung, dass es um eine Volksabstimmung geht, zu mobilisieren, auf die Amtsstuben zu gehen, ist nicht möglich.“ Deshalb müssen hier Reformen her.
Der Kollege Stickelberger hat zu Recht gesagt: Im Ranking schneiden wir verdammt schlecht ab. Das muss doch jeden anständigen CDU-Abgeordneten verdammt jucken.
Baden-Württemberg ist doch nach Ihrer Lesart immer spitze. Aber beim Volksbegehren, bei der Bürgermitwirkung sind wir im Vergleich der Bundesländer aktuell auf Platz 15.
(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Abstiegsplatz! – Abg. Karl Zimmermann CDU: Weil die Leute mit uns zufrieden sind!)
Im aktuellen Ranking von „Mehr Demokratie“, einer wichti gen Vereinigung auf Bundesebene, erhält Baden-Württemberg hinsichtlich der direkten Mitwirkung von Bürgerinnen und Bürgern die Note „mangelhaft“.
Unsere Landesverfassung und die Ausführungsgesetze sind in diesem Punkt Volksbegehrenverhinderungsgesetze, aber keine bürgerfreundlichen Mitwirkungsgesetze. Das müssen wir ändern, meine Damen und Herren.
Es hat keinen Sinn, zu glauben, die repräsentative Demokra tie, die man mit der Gründung der Bundesrepublik oder des Landes Baden-Württemberg geschaffen hat, könne einfach immer völlig unverändert in die nächsten Jahre und Jahrzehn te überführt werden. Wir erleben es doch aktuell: Dieses De mokratiemodell hat sich restlos verbraucht.
(Lebhafter Widerspruch bei der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Monika Chef FDP/DVP: Was? – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Frechheit! – Abg. Dr. Hans- Ulrich Rülke FDP/DVP: Jetzt hat er die Katze aus dem Sack gelassen!)
und aus ihrem verstaubten Dasein herauszuholen. Nicht an al ten Ritualen festhalten, sondern die Bürgerinnen und Bürger auf die Reise in die Zukunft mitnehmen; das wird letztendlich auch dem Landtag selbst nutzen.
Es wird die repräsentative Demokratie wieder attraktiv ma chen, wenn der Bürger mehr mitgestalten kann.
Deshalb will unser Gesetzentwurf keine Ablösung der reprä sentativen Demokratie, sondern ein notwendiges Korrektiv, meine Damen und Herren. Darum geht es.
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Albrecht Fischer CDU: Dafür haben wir Wah len: als Korrektiv!)
Deswegen muss eine Politik, die immer nur die Verhinderung von Bürgermitwirkung parat hat, aufhören.
Ich habe hohen Respekt vor den Gutachten, die die Landes regierung gestern präsentiert hat. Wir werden sie uns auch noch ausführlich anschauen. Hier haben sich zwei renommier te Verfassungsrechtler geäußert. Aber ihre politische Botschaft lautet dennoch: „Es gibt nichts, liebe Bürgerinnen und Bür ger. Wir haben nicht den politischen Willen dazu, dass ihr künftig mitwirken könnt.“ Diese Botschaft kommt draußen verheerend an. Wir müssen das ändern.
Zu Einzelheiten hat Kollege Stickelberger schon einiges ge sagt. Wir können das gern in der zweiten Runde vertiefen.