(Beifall bei den Grünen und der FDP/DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: „Haltet den Dieb!“, schreit der Dieb! – Zuruf des Abg. Dr. Dietrich Birk CDU)
Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Der Ministerpräsident hat einen Fakten check gefordert. Ich möchte nur auf einen Fakt eingehen, der mir wichtig ist, weil wir den Menschen nicht vormachen kön nen, was nicht geht.
Herr Kollege Kretschmann, wenn man vorschlägt, die Mittel für Stuttgart 21 zu sparen und die Gelder des Bundes im Rheintal zur Verwirklichung des dritten und vierten Gleises einzusetzen,
dann muss man zunächst einmal die Relationen betrachten. Der Bund gibt in den nächsten zehn Jahren jährlich ungefähr 50 Millionen € pro Jahr für Stuttgart 21 aus. Die Kosten für die Errichtung des dritten und vierten Gleises sind seit der ver gangenen Kostenschätzung von 4,5 Milliarden € auf 5,7 Mil liarden € gestiegen. Wenn Sie sagen, dass Sie das sofort „umswitchen“ wollen – und angenommen, das ginge –, dann setzen Sie sich dafür ein, dass eine Antragstrasse realisiert wird, die man den Menschen im Rheintal gar nicht zumuten kann und die die Menschen dort zu Recht gar nicht wollen.
Im Rheintal müssen wir das nachholen, was leider versäumt worden ist, nämlich in einem Raumordnungsverfahren fest zustellen, was für Mensch und Umwelt das Verträglichste ist – entweder eine autobahnnahe Trasse oder die Antragstrasse. Das wurde versäumt, weil man aufgrund von Bleistiftstrichen in allen Kommunalparlamenten zu dem Ergebnis kam: Wir wollen Flächenverbrauch vermeiden. Also schaffen wir ent lang der bestehenden Gleise ein drittes und ein viertes Gleis.
Mit dem Bleistift gezeichnet sieht das wunderbar aus. So kann man das nachvollziehen. Wenn man aber in der Realität in ei nem dicht besiedelten Gebiet neue Gleise verlegt, dann sind Lärmschutzwände erforderlich, und dann wird der Vorwurf erhoben, man durchschneide Städte. Das wird von den Men schen als eine unzumutbare Lösung wahrgenommen, und die Menschen gehen zu Recht auf die Barrikaden, weil dies ihre Lebensqualität in unzumutbarer Weise einschränkt.
Das wollen Sie von heute auf morgen realisieren, wenn Sie diese Mittel für das dritte und vierte Gleis im Rheintal ver wenden wollen.
Wir müssen zunächst einmal im Rheintal eine autobahnnahe Trasse finden, die von der Mehrheit gewünscht wird, Herr Mi nisterpräsident. 14 Gemeinden sind dann neu betroffen. Dann muss man versuchen, einen Ausgleich zu schaffen. Deshalb ist es gut, wenn man versucht, sie zusammenzubringen.
Unsere Position ist klar: Eine autobahnnahe Trasse ist für die Mehrheit der Menschen die verträglichste Lösung. Man muss bereit sein, aus eigenen Stücken einen Beitrag zu leisten, weil sich der Bund sonst zurückziehen und auf das beschränken würde, was laut Planfeststellung notwendig ist.
Dazu wäre ein klares Wort von allen angesagt. Wir hören es jetzt von der Regierung. Wir haben es schon lange gefordert. Es wäre gut, wenn alle im Parlament sagen würden, dass sie dafür sind, dass hier Landesgeld eingesetzt wird.
Wenn Stuttgart 21 und die Neubaustrecke nicht realisiert wer den, dann wird erst einmal gar nichts realisiert.
Die Alternative zum planfestgestellten Projekt, zum realisier baren Projekt, zum finanzierten Projekt ist, dass alles von vorn beginnt. Wir wissen, um was für einen Zeitraum es sich dabei handelt: 10 Jahre werden nicht reichen, 15 Jahre sind das Min deste. Bis man dann eine neue Finanzierung in einem schwie rigen Umfeld hat – da stimme ich Ihnen zu –, wird es wahr scheinlich 20 Jahre dauern.
Angesichts dieser Alternative ist unsere Position eindeutig: Man kann sagen: „Wir sind dagegen.“ Aber man kann den Menschen nicht erzählen: „Wir nehmen das Geld einfach von hier, setzen es dorthin und machen dort etwas Gescheites.“
(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da könnte ich noch stundenlang applaudieren! – Abg. Klaus Herrmann CDU: Großer Beifall bei der CDU!)
Ich will gleich darauf hinweisen, dass wir Tagesordnungs punkt 3 nach der Mittagspause im Anschluss an die Regie rungsbefragung behandeln.
Aktuelle Debatte – Grundlagen für eine erfolgreiche Inte grationspolitik – beantragt von der Fraktion GRÜNE
Die Gesamtredezeit ist auf 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einlei tenden Erklärungen der Fraktionen und für die Redner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten. Ich darf auch die Landesregierung bitten, sich an diesen vor gegebenen Redezeitrahmen zu halten.
Herr Präsident, mei ne Damen und Herren! Ministerpräsident Seehofer hat gesagt: „Wir als Union treten für die deutsche Leitkultur und gegen Multikulti ein. Multikulti ist tot.“ Bundeskanzlerin Merkel
Während Bundespräsident Christian Wulff versucht hat, mit seiner Formulierung „Der Islam gehört zu Deutschland“ eine neue Tonlage in die Integrationsdebatte zu bringen,
Ich glaube, dass die Tonlage und die Haltung insgesamt in der Integrationsdebatte keine Nebensache sind, sondern Grund lage dafür, zu einer erfolgreichen Integration zu kommen. Ich glaube nicht, dass Sie mit den Begriffen, die Sie wieder ein mal in die Welt setzen, richtig orientiert sind. Wer jedoch selbst nicht richtig orientiert ist, kann auch keine Orientierung geben.
Ich glaube, dass Sie mit dem Begriff „Deutsche Leitkultur“ nur Desorientierung in die Debatte bringen. Warum? Plurali tät ist ein fundamentales Konstitutionsprinzip jeder modernen Demokratie.
Es ist gerade der Sinn des modernen Verfassungsstaats, dass er größtmögliche Freiheiten garantiert. Es ist sozusagen der Sinn einer liberalen Demokratie, dass wir in ihr unsere Diffe renzen leben können. Das heißt, im Rahmen der Verfassungs ordnung kann jeder seine Persönlichkeit entfalten. Das steht ganz am Anfang unserer Verfassung. Das ist der Sinn einer li beralen Demokratie.
Es ist klar, dass diese Pluralität zunehmen und nicht abneh men wird. Das hat etwas mit der Individualisierung unserer Gesellschaft zu tun, das hat aber natürlich auch etwas mit Zu wanderung zu tun. Wir haben jetzt mit den Zuwanderern aus islamischen Ländern schätzungsweise viereinhalb Millionen Muslime in Deutschland. Also nehmen hier Multireligiosität und damit Multikulturalität zu. Das ist einfach evident.
Es ist gerade Ausdruck unseres säkularen, freiheitlichen Ver fassungsstaats, dass wir in allen Fragen der Religion, der Phi losophie, der Kultur, des Sports usw. frei sind.
Wie wir die Welt erklären, worin wir Sinn finden, aus welchen Quellen wir unsere Kraft schöpfen, das ist jedem selbst über lassen.
Ob jemand ein Anhänger von Buddha oder von Jesus Chris tus ist, ob er Nietzsche oder Kant folgt, ob er Sport für wich tig oder für Mord hält, das alles ist ihm in seiner persönlichen Lebensführung überlassen.