Protokoll der Sitzung vom 24.11.2010

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Schluss.

Beim Thema Inklusion ging die Debatte sehr schnell in den bildungspolitischen Bereich über. Ich glaube, wir werden die Übergänge vom Kindergar ten in die Schule und vor allem die Übergänge in die Arbeits welt sehr viel aufmerksamer zu betrachten haben. Auch dabei haben sich leichte Verbesserungen ergeben. Wir wissen aber, wie schwierig dies gerade in Krisenzeiten ist.

Wir haben festgestellt, dass die Landtagsverwaltung im lan desweiten Vergleich die Verwaltung ist, die sich am wenigs ten der Dienstleistungen von Integrationsfirmen bedient. Des halb noch einmal mein Appell, daran etwas zu ändern.

Eine weitere Frage wird sich sicherlich darauf beziehen, was nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben geschieht. Mit dieser Frage beschäftigen sich noch nicht so viele.

(Zuruf von der CDU: Noch nicht alle!)

Was ist, wenn Menschen, deren Lebensinhalt Arbeit ist, plötz lich in den sogenannten Ruhestand treten?

Es gäbe sicherlich noch viel zu sagen. Ich glaube aber, dass wir auf einem guten Weg sind. Die Aktionspläne sind auf zehn Jahre angelegt. Wir alle sollten auf allen Ebenen daran arbei ten. Die Formulierung gesetzlicher Ansprüche ist das eine. Die gelebte Solidarität mit all denen, die nicht auf der Son nenseite des Lebens stehen, ist das wirklich Wichtige.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Für die Landesregie rung erteile ich Herrn Staatssekretär Hillebrand das Wort.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Her ren! Heute stehen gleich drei Anträge auf der Tagesordnung, die sich mit Menschen mit Behinderungen befassen. Sie ha ben die Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das Landes-Behindertengleich stellungsgesetz und die unentgeltliche Beförderung im öffent lichen Personennahverkehr für schwerbehinderte Menschen zum Inhalt.

Auch ich freue mich, dass wir diese Themen in diesem Ho hen Haus erörtern, aber nicht zu einer „Randlagenzeit“, son dern zu einer Zeit, zu der noch viele Kollegen anwesend sind. Ich denke, es ist angemessen, diese Themen zu einer solchen Zeit zu behandeln.

Meine Damen und Herren, wir haben in Baden-Württemberg über 1,4 Millionen Menschen mit Behinderungen, darunter fast eine Million Menschen mit schweren Behinderungen und rund 780 000 Menschen mit einem Schwerbehindertenaus weis.

Lieber Kollege Wehowsky, ich habe Sie immer als einen kon struktiven Kollegen kennengelernt.

(Zuruf von der CDU: Ist er auch normalerweise!)

Mit Rundumschlägen, wie Sie sie vorhin gemacht haben, wer den wir der Sache aber nicht gerecht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Ich darf Sie ausdrücklich darum bitten, wieder zu einer sach orientierten Zusammenarbeit zurückzukehren.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Das heißt aber nicht, dass man immer nach dem Mund reden muss! Man kann auch eine eigene Meinung haben!)

Herr Wehowsky, ich begrüße es ausdrücklich, dass die UNKonvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen seit dem 26. März 2009 auch in Deutschland verbindlich ist. Die Konvention stellt damit einen wichtigen Schritt zur Stär kung der Rechte von weltweit über 650 Millionen behinder ten Menschen dar. Diese Konvention würdigt Behinderung als Teil der Vielfalt menschlichen Lebens und überwindet da mit das in vielen Ländern noch immer vorhandene, aber nicht mehr zeitgemäße Prinzip der Fürsorge.

Deutschland war hierbei Vorreiter. Baden-Württemberg nimmt dabei ebenfalls eine Vorreiterrolle ein. Diese Standards, die schon durch das SGB IX gelten, waren Blaupause für wichti ge Teile dieser Konvention.

Für uns alle in diesem Hohen Haus wird dieses Übereinkom men in Zukunft vor allem ein wichtiges Referenzdokument sein, auf dessen Grundlage neue Impulse und Entwicklungen in der Rechtswirklichkeit der Behindertenpolitik angestoßen und beurteilt werden. Im Kern geht es dabei, liebe Kollegin nen, liebe Kollegen, um das Recht auf Selbstbestimmung, um das Recht auf Teilhabe, um einen umfassenden Diskriminie rungsschutz für Menschen mit Behinderungen sowie um eine barrierefreie und inklusive Gesellschaft.

Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen ist die Vor gabe der UN-Behindertenrechtskonvention für alle gesell schaftlichen Bereiche, und sie betrifft jeden. Es geht darum, Behinderung ganz selbstverständlich als Teil der Vielfalt des menschlichen Lebens zu begreifen, zu begreifen, dass Men schen mit Behinderungen keine Sonderrechte für sich in An spruch nehmen wollen, sondern nur in gleicher Weise selbst bestimmt am Leben in der Gesellschaft teilhaben möchten und teilhaben können, wie dies für Menschen ohne Handicap ganz selbstverständlich ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dies erfordert einen gesellschaftlichen Kon sens und ein Bewusstsein für die spezifische Situation von Menschen mit Behinderungen, für ihre Beiträge und ihre Fä higkeiten. Dies sind daher der Ansatz und die Grundlage für die Arbeit der Landesregierung in diesem Bereich.

Jetzt möchte ich einmal konkret werden

(Abg. Dr. Frank Mentrup SPD: Ja! Das ist gut!)

und ein paar Dinge aufzählen, die in den vergangenen Jahren gelaufen sind – lieber Kollege Wehowsky, auch wenn Sie das jetzt teilweise nachlesen mussten und vielleicht auch gar nicht alles nachlesen konnten. Denn wir in Baden-Württemberg sind

es nicht so sehr gewohnt, Broschüren auf den Markt zu wer fen,

(Beifall des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU – Abg. Rein hold Gall SPD: Na ja! Da kenne ich einen Haufen Kruscht von Ihnen! – Gegenruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Der Staatssekretär hat recht! Völlig richtig!)

sondern wir arbeiten lieber inhaltlich und bringen die Dinge voran. Wir erarbeiten keine Hochglanzbroschüren im Bereich der Behindertenpolitik, wie es etwa Rheinland-Pfalz tut,

(Zuruf des Abg. Wolfgang Wehowsky SPD – Unru he)

sondern wir überzeugen durch unsere Arbeit.

Ich darf einige Ausschnitte unserer Arbeit in den vergangenen Jahren anführen – ich kann nicht auf alles eingehen –, die mir als Behindertenbeauftragtem persönlich wichtig waren.

2008 wurden auf meine Initiative hin landesweit über 300 Ver anstaltungen zum Tag der Menschen mit Behinderungen durchgeführt. Viele Menschen haben sich in einer Vielzahl von Orten in ganz Baden-Württemberg eingebracht. Das war eine tolle Aktion.

2009 haben wir insbesondere die Arbeit von Behinderten und die Tatsache, dass in den Werkstätten für Behinderte wertvol le Arbeit geleistet wird, auf der Oberschwabenschau präsen tiert. Das bot, ebenso wie der diesjährige Aktionstag bei der Landesgartenschau in Villingen-Schwenningen, für Men schen, die normalerweise nicht alle Tage mit Behinderten zu sammenkommen, die Gelegenheit, das Bewusstsein für unse re behinderten Mitbürgerinnen und Mitbürger zu schärfen, und es bot die Gelegenheit, auf die Probleme, die diese Men schen haben, hinzuweisen.

Mit Blick auf die spezifische Situation von Menschen mit Sin nesbehinderungen bestehen schon seit Langem unabhängige Sachverständigengremien, nämlich eine Landeskommission für hörgeschädigte Menschen und eine Landeskommission für sehgeschädigte Menschen. Diese Landeskommissionen be fassen sich mit allen Fragen der Rehabilitation und Teilhabe und geben dadurch wichtige Impulse für die Weiterentwick lung der Hilfen und die Verbesserung der Inklusion für hör geschädigte und sehgeschädigte Menschen.

(Abg. Reinhold Pix GRÜNE: Und was machen Sie dann mit den Impulsen?)

Vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention wurde zur Verbesserung der Einbeziehung der Menschen mit Behinderungen und ihrer Interessenvertretungen – ebenfalls auf meine Initiative hin – das ehemalige Landesforum „Re habilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Baden-Württemberg“ zu einem Landes-Behindertenbeirat weiterentwickelt – und das, ohne dass dies im Gesetz steht, lieber Herr Wehowsky. Bei der Zusammensetzung des Gre miums wurde auf Vorschlag der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe behinderter Menschen Baden-Württemberg die Vertretung der Menschen mit Behinderungen um fünf Sitze erhöht und damit nachhaltig gestärkt.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Der Landes-Behindertenbeirat berät, wie Sie wissen, die Lan desregierung in allen Fragen der Politik für Menschen mit Be hinderungen, insbesondere in Bezug auf die Weiterentwick lung der gleichberechtigen und selbstbestimmten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Der Landes-Behindertenbeirat hat sich bereits aktiv in die Beratung der Rahmenbedingungen für ein inklusives Bildungssystem vor dem Hintergrund von Ar tikel 24 der UN-Konvention als einer der zentralen Heraus forderungen eingebracht. Zur Identifizierung von Handlungs feldern mit Blick auf den Aktionsplan der Bundesregierung, der ja ins Auge gefasst ist und bis März nächsten Jahres so weit sein soll, und für eventuelle landesunmittelbare Maßnah men hat der Landes-Behindertenbeirat – ebenfalls auf meine Initiative hin – eine Arbeitsgruppe unter Leitung der Selbst hilfe eingerichtet.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Staatssekretär, ge statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Wehowsky?

Ja, gern.

Bitte.

Herr Hillebrand, ich habe eine Frage an Sie. Kommunikation ist wunderbar, aber die Be hinderten im Land fragen uns: Was wird von der Landesre gierung tatsächlich getan, um beispielsweise die Barrierefrei heit in den Kommunen zu verbessern bzw. zu erreichen?

Ich frage Sie konkret: Besteht die Absicht, hierfür einen För dertopf einzurichten, um in geeignetem Maß Zuwendungen bereitzustellen?

(Abg. Werner Raab CDU: Das müssen die Kommu nen selbst erkennen!)

Herr Kollege Wehowsky, ich denke, die Landesregierung muss nicht gleich für alle Be lange neue Fördertöpfe aufmachen.

(Abg. Werner Raab CDU: So ist es!)

Im Übrigen habe ich als Behindertenbeauftragter – das woll te ich jetzt gar nicht sagen – gleich zu Beginn meiner Tätig keit das Investitionsprogramm um mehrere Millionen Euro aufgestockt. Das ist wahrscheinlich der einzige Politikbereich im ganzen Land, in dem wir keinen Antragsstau haben. Das ist eine Leistung, die man uns andernorts erst einmal nachma chen muss, lieber Herr Kollege.