Deswegen sage ich noch einmal: Wenn Sie nicht dazu bereit sind – wir brauchen Sie für eine Zweidrittelmehrheit –, dann werden wir in einer zentralen Frage, die der Bundespräsident angesprochen hat, nicht weiterkommen, nämlich in der Fra ge: Wie machen wir es möglich, dass das Volk auch in wich tigen Einzelfragen zunehmend mitentscheiden kann? Das will es nämlich.
Wenn wir das – das hat Herr Kollege Schmid sehr gehaltvoll ausgeführt – in Bürgerprozessen mit der Bevölkerung machen, brauchen wir davor überhaupt keine Angst zu haben. Wir ha ben jedenfalls keine Angst vor dem Volk.
(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Fried linde Gurr-Hirsch CDU: Wir auch nicht! – Abg. Hel mut Walter Rüeck CDU: Aber das Volk vor euch!)
Herr Präsident, mei ne sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Landesverfassung ist ein bewährter und sta biler Pfeiler unserer Demokratie in Baden-Württemberg. Das hat heute Morgen auch der Herr Bundespräsident hervorge hoben. Dem kann man nur zustimmen.
Unsere Landesverfassung sieht mit dem Volksbegehren und der Volksabstimmung zwei Instrumente der direkten Demo kratie für Entscheidungen in wichtigen Landesangelegenhei ten vor. Allerdings – da gebe ich Ihnen recht, Herr Kretsch mann – sind die Hürden sehr hoch. Baden-Württemberg hat sich damals, im Jahr 1953, bewusst für die repräsentative De mokratie entschieden und hat festgelegt: Bei Volksabstimmun gen und Volksbegehren müssen die Hürden sehr hoch sein.
Wir Liberalen wollen die Hürden abbauen; sie sind zu hoch. Das steht auch überall in unserem Wahlprogramm.
Ja, Frau Kollegin Haußmann. – Ich darf daran erinnern: Die Liberalen haben sich im Jahr 2003 dafür ausgesprochen, dass über die Einführung der EU-Verfassung eine Volksabstim mung in der Bundesrepublik stattfindet. Die SPD hat zunächst auch dafür gesprochen, aber dann war sie, insbesondere mit den Grünen, im Bundestag ruhig. Da war es plötzlich nichts mehr mit direkter Demokratie.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger und Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: So ist es! – Abg. Winfried Kretschmann GRÜ NE: Jetzt reden Sie doch einmal zum Thema! – Ge genruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das hört man nicht gern!)
Ja. – Wir brauchen aber für eine Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit in diesem Hause, und diese Mehrheit ha ben wir – wenn ich das richtig sehe – heute jedenfalls nicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten auch un ter dem Eindruck der Proteste gegen Stuttgart 21 nun nicht in einem Schnellschuss die Hürden einfach reduzieren und her unterreißen. Viele umstrittene landespolitische Entscheidun gen sind von sehr großer Tragweite und Komplexität. Es ist daher fraglich, ob solche Entscheidungen mit einem Volksent scheid ohne Zustimmungsquorum, wie Sie es vorgesehen ha ben, einfach abgehandelt werden können.
Bei der Diskussion über den Volksentscheid und über das Volksbegehren wird natürlich schnell und immer wieder die Schweiz als Paradebeispiel für eine gut funktionierende, teil weise repräsentative Demokratie angeführt.
Dieses Beispiel trägt jedoch aus zwei Gründen meines Erach tens nicht – man kann keine Blaupause aus der Schweiz über nehmen –: Erstens hat die Schweiz eine ganz andere Ge schichte und daher auch eine ganz andere Erfahrung mit Volksentscheiden als die Bundesrepublik.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Tho mas Knapp SPD: Da müssen wir einmal anfangen! – Zuruf des Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE)
Wir können uns dem Schweizer Recht – Herr Kollege Kretsch mann, da gebe ich Ihnen recht – meines Erachtens schrittwei se, aber nicht in einem Hauruckverfahren nähern.
Außerdem sind die zuletzt bekannt gewordenen Volksent scheide in der Schweiz in diesem Jahr über die Ausschaffung von Straftätern und, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch von Sozialhilfeempfängern – das wurde vorhin gar nicht erwähnt – sowie im letzten Jahr über das Verbot des Baus wei terer Minarette jedenfalls in diesem Haus nicht in vollem Um fang überall auf Zustimmung gestoßen.
Ich kann mir vorstellen, dass Volksentscheide zu solchen und ähnlichen Fragen und Themen auch in Deutschland durchaus vorstellbar sind und gegebenenfalls auch erfolgreich sein könnten. Wir müssen uns meines Erachtens jedoch einmal fra gen, ob wir das wollen.
Jetzt zu Ihrem Gesetzentwurf. Danach können 10 000 Perso nen – also nur 0,1 % der Stimmberechtigten in Baden-Würt temberg – ein Gesetzgebungsverfahren und darüber hinaus andere Beschlussfassungen im Landtag initiieren. BadenWürttemberg hat 10,5 Millionen Einwohner. Angesichts mo derner Kommunikationstechniken ist meines Erachtens die Voraussetzung, 10 000 Stimmen zusammenzutragen, sehr leicht zu erfüllen, sodass sich der Landtag dann damit beschäf tigen muss. Ich denke, das sollte man genauer überlegen.
Das alles ist meines Erachtens problematisch und sollte gut überlegt werden. Nach Ihrem Vorschlag müsste ein durch Volksinitiative eingebrachter Gesetzentwurf innerhalb von sechs Monaten im Landtag behandelt werden. Schauen Sie sich doch einmal an, welche Behörden, Einrichtungen und sonstigen Stellen im Gesetzgebungsverfahren – zu Recht – angehört werden müssen, bevor ein Gesetz dann hier im Par lament beraten und beschlossen werden kann. Darauf sollten wir natürlich Rücksicht nehmen, und darauf legen Sie natür lich auch großen Wert.
Sie wollen das Quorum zur Durchführung eines Volksbegeh rens auf 5 % reduzieren. Da würde ich mitmachen; ein Quo rum von 5 % finde ich in Ordnung. Das Problematischste da bei ist meines Erachtens der vollständige Verzicht auf ein Zu stimmungsquorum.
Wie wir wissen, sind immer die Initiatoren und die Neinsager leichter auf die Straße und an die Urnen zu bekommen. Das ist immer leichter, wenn es gegen etwas geht, und schwerer, wenn für etwas gestimmt werden soll. Ich bin mir sicher, dass wir uns gründlich überlegen sollten, ob wir auf ein Zustim mungsquorum tatsächlich ganz verzichten. Das könnte dazu führen, dass in ganz eklatanter Weise die Minderheit über die Mehrheit bestimmt. Aber, meine Damen und Herren, in einer Demokratie gilt noch immer das Mehrheitsprinzip. Das soll ten wir auch nicht ändern.
Die Landesverfassungen in Deutschland sind hinsichtlich der Frage des Volksentscheids und des Volksbegehrens sehr un terschiedlich. Diese Unterschiede beziehen sich sowohl auf Unterschriftenquoren als auch auf Zustimmungsquoren. Die Länder haben ihre guten, aber auch ihre weniger guten Erfah rungen gemacht. Diese Erfahrungen sollten wir uns meines
(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Aber die Mehrheit in der repräsentativen Demokratie ist bei einer Wahlbeteiligung von nur noch 50 % auch rela tiv! – Gegenruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/ DVP: Lassen Sie den Redner doch einmal seinen Satz zu Ende bringen!)
Sie haben sich doch gerade darüber beschwert, dass andere „dazwischenblöken“. Jetzt haben Sie das auch gemacht.
(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Das war ein ganz normaler Zwischenruf! – Zuruf der Abg. Ursu la Haußmann SPD)
Wir sollten im nächsten Landtag genau prüfen und sorgfältig überlegen, was wir wollen. Wir wollen nicht unter dem Ein druck von Stuttgart 21 schnell noch ein Gesetz beschließen, das wir in einer ersten Bewährungsprobe dann möglicherwei se bereuen. Aus diesem Grund ist es ein guter Vorschlag, im neuen Landtag eine Enquetekommission zu diesem Thema einzurichten, um das Für und das Wider sorgfältig gegenein ander abzuwägen.
Ich zitiere auch hierbei noch einmal den Bundespräsidenten Wulff, der heute Morgen gesagt hat: Wir müssen das ändern, und wir stehen am Beginn dieser Überlegungen und nicht am Ende.
Wir können meines Erachtens dann gemeinsam – das wün sche ich mir – zu einem guten Ergebnis kommen. Wenn wir über die Modalitäten eines Volksbegehrens in diesem Haus neu entscheiden, wäre es wünschenswert, wenn nicht eine Fraktion gegen eine andere stünde, sondern wir dies mit gro ßer Mehrheit beschließen würden. Es geht schließlich um un sere bewährte Landesverfassung; es geht um die Demokratie. Diese Grundsätze sollten wir nicht einfach unter dem Druck der Protestierer für ganz partielle Interessen über Bord wer fen.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)
Meine verehrten Damen und Herren, auch ich will kurz noch zu Punkt 4 der heutigen Tagesordnung – Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg – Stellung nehmen: Wir wollen als erste Maßnahme das Zustimmungs quorum für einen Volksentscheid von einem Drittel auf ein Viertel reduzieren. Das wäre meines Erachtens ein erster Schritt in die Richtung, die Sie auch gehen wollen, Herr Kol lege Kretschmann. Machen Sie mit, geben Sie ein Zeichen; dann sind wir auf einem guten Weg.
Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Ich darf zunächst einmal feststellen, dass die Beratung im Ständigen Ausschuss keine wirklich neu en Aspekte hervorgebracht hat,
auf die ich hier an dieser Stelle näher eingehen müsste. Ich gehe jedoch auf einiges, was gesagt wurde, schon noch ein.