Protokoll der Sitzung vom 02.02.2011

Wenn ein Vertreter der Justiz irgendetwas tut, was einem Mit glied dieses Hauses nicht gefällt, dann soll er ausgewechselt werden. Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie ha ben ein Problem mit dem Rechtsstaat und der Demokratie.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Widerspruch bei der SPD und den Grünen – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Sie haben ein Prob lem!)

Wir akzeptieren das doppelte Spiel nicht. Sie müssen sich un tereinander einigen, was Sie eigentlich wollen.

(Zurufe von den Grünen)

Die Schlussbemerkung ist ganz einfach: Dieser Untersu chungsausschuss ist in die Mühlen des Wahlkampfs geraten. Sie haben diesen Untersuchungsausschuss missbraucht, ob wohl er die schärfste und beste Waffe der Opposition ist. Ich bedaure das vor allem deswegen, weil Sie als Opposition auf dieses Instrument auch in der nächsten Legislaturperiode viel leicht noch angewiesen sein werden.

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU – Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ein Hochgenuss!)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Stoch das Wort.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Endlich wird einmal zur Sache gesprochen!)

Herr Präsident, meine sehr geehr ten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es macht mich schon etwas betroffen – wenngleich manches na türlich auch zum Schmunzeln war, Herr Kollege Müller und Herr Kollege Scheuermann –, auf welchem Niveau Sie die Debatte über den 30. September 2010 hier führen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Selbstgerecht! – Zuruf von der CDU: Wir können auch Ihr Verhalten im Untersu chungsausschuss diskutieren!)

Herr Kollege Scheuermann, die ersten Minuten Ihrer Rede kann ich vollumfänglich unterstreichen, nämlich insoweit, als auch ich sage, dass sowohl die Mitarbeiterinnen und Mitar beiter des Landtags und der Fraktionen als auch die Kollegin nen und Kollegen in diesem Untersuchungsausschuss sehr viel und sehr Gutes geleistet haben und in intensivster Arbeit ge mäß dem Auftrag des Untersuchungsausschusses gearbeitet haben.

Ich darf allerdings jedoch auf eines hinweisen, was mir als noch relativ jungem Abgeordneten doch etwas erstaunlich vor kam: Als es einmal in einer Sitzung darum ging, ob man be reits am folgenden Sitzungstag wieder zehn, zwölf, 14 Zeu gen vernehmen könne, ohne überhaupt schon die Protokolle

der vorherigen Vernehmungen vorliegen zu haben, und ich dann sagte, wir würden auf diese Weise dem Untersuchungs auftrag, den uns der Landtag erteilt hat, nicht gerecht, wurde mir entgegengehalten: „Wir haben doch gar keinen Untersu chungsauftrag.“

Das lässt doch tief blicken und zeigt, wie manche die Aufga be in diesem Untersuchungsausschuss wahrgenommen haben. Wir haben hier als Parlament den Auftrag, Regierungshandeln zu kontrollieren. Ich hatte in diesem Untersuchungsausschuss aber streckenweise den Eindruck, dass die Ausschussmehr heit nicht die Kontrolle als zentrales Motiv verfolgte,

(Abg. Reinhold Gall SPD: Null Interesse!)

sondern der Frage Vorrang einräumte: Wie kann ich Vorwür fe, wie kann ich berechtigte Fragen abwehren, verniedlichen oder kleinreden? Das wird dem Untersuchungsauftrag dieses Parlaments nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf von der CDU: Wir haben keinen Beweisantrag abgelehnt!)

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wenn die Ministerien nach der Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses durch den Land tag am 27. Oktober 2010 bis zum Freitag, 26. November 2010, 20:00 Uhr, brauchen, um uns die Akten zu übergeben, dann frage ich mich, was in dieser Zeit mit den Akten passiert ist. Wenn wir am 29. November morgens um 9:30 Uhr mit der Vernehmung eines sehr wichtigen Zeugen, mit der Verneh mung von Herrn Stumpf, beginnen sollen, wie soll dieser Un tersuchungsausschuss aus Sicht der Regierung und aus Sicht dieses Parlaments seine Aufgabe erfüllen, wenn er die Mög lichkeiten dazu nicht bekommt?

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Nun zum Auftrag des Untersuchungsausschusses. Wenn Sie die in dem Untersuchungsauftrag formulierten Fragen lesen, werden Sie sehr deutlich erkennen, dass für die SPD-Frakti on, die die Einsetzung des Untersuchungsausschusses bean tragt hat, insbesondere die Frage der politischen Einflussnah me und die Frage, wie es zu diesem schwarzen Donnerstag kommen konnte, im Mittelpunkt standen. Deswegen dürfen Sie durchaus meine Verwunderung erwarten, wenn ein Zeu ge wie Herr von Herrmann, den Sie zitiert haben, auf Antrag der CDU vor den Untersuchungsausschuss geladen wird, um dort quasi als jemand vorgeführt zu werden, der in dieser Be wegung eine extreme Rolle spielt.

(Zuruf von der CDU: Was? Das ist unglaublich!)

Das ist polarisierend. Sie werden auch den vielen Bürgerin nen und Bürgern nicht gerecht, die auf legitime Weise ihren Willen, ihre politische Meinung zum Ausdruck bringen, wenn Sie Herrn von Herrmann als das Beispiel für die Gesinnung aller hinstellen. Das ist nicht korrekt.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zurufe von der CDU)

Deswegen nochmals meine Frage: Wer hat diesen Untersu chungsausschuss, was seinen Auftrag angeht, denn ernst ge nommen? Das, was Herr Kollege Müller hier gerade ausge breitet hat, war eher im Stil einer Büttenrede.

(Oh-Rufe von der CDU – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Einfach ungehörig!)

Sie haben diesen Untersuchungsauftrag nicht ernst genom men. Ich zitiere, was gerade schon einmal zitiert worden ist. Wenn der Ministerpräsident sagt, solche Dinge dürften sich in Baden-Württemberg nicht wiederholen, dann wird ihm je der hier im Saal zustimmen. Dann müssen Sie aber auch die Frage stellen, wie es dazu kommen konnte. Dann müssen wir die Frage stellen, was seit Juni im Land Baden-Württemberg passiert ist, damit Menschen auf diese Art und Weise gegen ein Projekt protestieren, das vom Landtag beschlossen wur de.

Ich sage eindeutig: Ich zeige nicht mit dem Finger auf eine Seite – so, wie Sie es tun –, sondern ich frage beide Seiten: Was hätte anders laufen müssen, damit es nicht zu diesen Er eignissen gekommen wäre? Damit nähern wir uns dem Kern des Problems. Niemand kann bei der Frage eines Bahnhofs oder einer Bahnstrecke den Anspruch erheben, allein recht zu haben. Es ist unsere Pflicht, eine Debatte in der Sache argu mentativ zu moderieren und zu führen.

Mit dem Finger auf andere zu zeigen und sie als „Lügenpack“ zu bezeichnen, dient dieser Debatte nicht. Das dient auch nicht einer Lösung dieses Problems. Genauso wenig dient es aber einer Lösung des Problems, wenn Sie am Ende Ihrer Ausfüh rungen Schülerinnen und Schülern empfehlen, mehr für ihre staatsbürgerliche Bildung zu tun. Das wird dem Protest der Bürgerinnen und Bürger, der überwiegend auf legale Weise geäußert wird, nicht gerecht. Das muss diesen Menschen wie Hohn und Spott erscheinen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Nun zur Frage der Notwendigkeit dieses Untersuchungsaus schusses. Herr Kollege Müller macht sich mehr Sorgen um die SPD als um seinen eigenen Laden. Das sollte er nicht tun. Dieser Untersuchungsausschuss wäre spätestens mit der Vor lage des Berichts des Innenministeriums auch von der SPDFraktion einstimmig befürwortet worden. Im Untersuchungs ausschuss hat sich im Nachhinein herausgestellt, dass das, was uns das Innenministerium auf unsere im parlamentarischen Antrag aufgeworfenen Fragen geantwortet hat, für die Lösung dieses Problems nicht zielführend war.

Wir haben festgestellt, dass dieser Untersuchungsausschuss notwendig ist. Dieser Untersuchungsausschuss, der unter ex trem schwierigen Bedingungen gearbeitet hat, hat drei we sentliche Fakten zutage gefördert.

Zum einen – das hat Herr Kollege Müller bereits ausgeführt – sind bei der Organisation dieses Einsatzes im Vorfeld, aber auch am Tag selbst auf der Ebene der Polizeiführung Fehler passiert. Ich darf auf eines hinweisen: Die SPD-Fraktion hat es als zentralen Punkt dieses Ausschusses angesehen, dass nicht die Polizei der Sündenbock oder der Prellbock für all das ist, was im Vorfeld falsch gelaufen ist.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen hat die SPD-Fraktion den Schwerpunkt auf die Fra ge gerichtet: Warum konnte es bei einer Polizei, die bis zu die sem 30. September, sowohl was die Polizeiführung als auch was die zahlreichen Beamtinnen und Beamten angeht, hervor

ragende Arbeit geleistet hat, zu dieser Situation kommen? Hier wurde auf Deeskalation gesetzt; hier wurde darauf gesetzt, dass man dem Recht zur Durchsetzung verhilft, aber den Men schen nicht mit brutaler Gewalt gegenübertritt. Für mich ist die entscheidende Frage: Wie konnte es am 30. September da zu kommen, dass die Situation gekippt ist und wir anschlie ßend die besagten Bilder hatten?

Lassen Sie mich einen 23-jährigen Polizeimeister zitieren, den ebenfalls Sie geladen hatten und der auch nichts über die po litische Einflussnahme sagen kann; denn auch Ihnen lag dar an, den 30. September im Untersuchungsausschuss hochzu halten. Dieser 23-jährige Polizeimeister war unter den Ersten im Park, und deren Auftrag war es, in kleineren Gruppen die Bäume davor zu schützen, dass sie bestiegen werden. Bereits nach zehn Minuten, gegen 10:20 Uhr, hat er festgestellt, dass Hunderte von Menschen, vor allem Jugendliche, in diesen Park geströmt sind. Er hat in frappierender Offenheit sinnge mäß erklärt: Wissen Sie, wir hatten gegen diese Übermacht von Menschen keine Chance; wir haben uns dann zu fünft um einen Baum gestellt, damit wir wenigstens etwas geschützt haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer junge Polizis tinnen und Polizisten unter diesen Bedingungen in solch ei nen Einsatz schickt, obwohl er weiß, dass an diesem Tag ei ne mit Risiken verbundene Jugenddemonstration stattfindet, und weiß, dass dieser Einsatztag bereits vorab öffentlich be kannt war, der handelt auch unverantwortlich gegenüber die sen jungen Polizistinnen und Polizisten.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Eine weitere Frage: Wie konnte es zu diesen Fehlern der ba den-württembergischen Polizei kommen, wie wir sie von ihr so nicht gewohnt sind? Wir haben eine Verschärfung der öf fentlichen Debatte im September festgestellt. Wir haben fest gestellt, dass vonseiten der CDU und des Ministerpräsidenten auf einmal von „Berufsdemonstranten“, von „Kriminellen“, von „Kommunisten“, die das Volk aufstacheln, die Rede war. Wir sprechen dabei von 80 000 Menschen, die bei den größ ten Demonstrationen im August auf die Straße gingen.

Es hat nicht in Ihr Bild gepasst, dass Menschen für ihre Mei nung auf die Straße gehen. Es hat nicht in Ihr Bild von der Stuttgarter Bürgergesellschaft gepasst. Deswegen haben Sie eine Schublade gebraucht. Mit dieser Schublade war dann auf einmal von „Berufsdemonstranten“ und von „kommunisti schen Aufhetzern“ die Rede. Was Sie hier als Interpretation vorgelegt haben, wurde der Situation aber einfach nicht ge recht.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Genau!)

Der Ministerpräsident sprach auf dem Landestag der Jungen Union davon, ihm sei der Fehdehandschuh hingeworfen wor den, und er habe diesen aufgenommen. Wenn er sagt: „Auf ins Gefecht“, können Sie an dieser martialischen Rhetorik durchaus erkennen, was in dieser Phase passiert ist.

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Sie waren doch gar nicht dort! – Gegenruf des Abg. Peter Hofelich SPD)

Auf einmal ist eine Aggressivität in diese Auseinandersetzung gebracht worden, auch vonseiten der Politik.

(Unruhe)

Sie können jetzt entgegnen: „Als Reaktion.“ Ich sage nur: Da durch wird es nicht richtiger. Es ist Aggression in diese De batte gebracht worden, und im Untersuchungsausschuss ha ben wir Anhaltspunkte dafür gefunden, in welcher Weise die ser entsprechende Druck auf die Polizei ausgeübt wurde. Wir haben Aktennotizen gefunden, laut denen bei einer Bespre chung bei der Polizei die Rede davon war, dass der Minister präsident ein offensives Vorgehen erwartet. Was erwarten Sie dann von der Polizei? Erwarten Sie, dass sie die Samthand schuhe anzieht? Wir haben Aktennotizen aus dem Staatsmi nisterium, aus denen hervorgeht, dass nur im Notfall abgebro chen werden soll.

Jeder normale Mensch fragt sich doch, warum ein solcher Ein satz durchgezogen wird. Der 23-jährige Polizist hat auf mei ne Frage „Wann war Ihnen klar, dass das heute nichts wird?“ geantwortet: „Das war mir nach einer Viertelstunde klar.“ Wa rum wird dann ein solcher Einsatz durchgezogen? Warum wird ein Wasserwerfer eingesetzt – der angeblich gar nicht für diesen Zweck mitgeführt wurde –, um den Weg freizumachen?

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Was heißt „angeb lich“?)

Warum sind diese Mittel in dieser Weise eingesetzt worden? Warum hat man nicht gesagt: „Der Preis ist zu hoch; wir scha den dem Ansehen dieses Landes und dieser Landeshauptstadt Stuttgart in einer Weise, wie es letztlich bei keinem anderen Vorfall im Umfeld dieses Projekts der Fall war“?

(Beifall bei der SPD und den Grünen)