Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehe davon aus, dass der Gesetzentwurf zur weiteren Beratung an den Sozialausschuss überwiesen wird. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Ministeriums für Arbeit und Soziales – Landesförderung der Schulsozialarbeit – Drucksache 14/225
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion, gestaffelt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt in fast keiner bildungspolitischen Frage einen so großen Konsens wie beim Thema Schulsozialarbeit. In der gesamten Gesellschaft, an den Schulen, bei den Bildungsverbänden, bei den Eltern herrscht Einigkeit darüber, dass Schulsozialarbeit als wichtige Unterstützung für die Schulen unverzichtbar ist.
Forderungen nach Einrichtung von Schulsozialarbeit hat es in Baden-Württemberg ja bereits seit über 20 Jahren gegeben. Die Landesregierung hat sich extrem lange geweigert, sich selbst in der Verantwortung dafür zu sehen, für die Einrichtung von Schulsozialarbeit zu sorgen. Erst die Jugendenquete des Landtags von 1998 bis 1999 hat die Landesregierung davon überzeugt, dass in Baden-Württemberg in der Fläche auch Schulsozialarbeit eingerichtet werden muss. Allerdings hat die Landesregierung bzw. haben die Regierungsfraktionen von CDU und FDP/DVP nur in eine dreijährige Anschubfinanzierung eingewilligt und nicht in eine Dauerfinanzierung, wie es die Oppositionsfraktionen von SPD und Grünen damals beantragt hatten.
In den drei Jahren, in denen es dann Schulsozialarbeit mit Landesförderung gegeben hat, sind weit über 200 Maßnahmen vor Ort eingerichtet worden. Eine wissenschaftliche Studie der Universität Tübingen, die das Sozialministerium in Auftrag gegeben hat, hat deutlich gezeigt, wie wichtig, wertvoll und unverzichtbar die Schulsozialarbeit insbesondere an den Hauptschulen zur Unterstützung war und ist. Das Sozialministerium hatte sogar die Absicht, eine Dauerfinanzierung einzurichten.
Aus heiterem Himmel wurden im Jahr 2005 die Mittel für die Schulsozialarbeit komplett gestrichen. Meine Damen und Herren, damit sparen Sie bei den schwächsten Jugendlichen in unserer Gesellschaft. Wir haben ein hoch selektives Schulsystem, in dem gerade benachteiligte Jugendliche an den Hauptschulen, an den beruflichen Schulen, im BVJ dringend Unterstützung brauchen. Sie sparen hier an der Bildung, Sie sparen an den Schwächsten, Sie sparen dort, wo die individuelle Förderung am notwendigsten ist, und Sie lassen die Kommunen, die Schulsozialarbeit einrichten, völlig im Regen stehen.
Meine Damen und Herren, als schließlich die Vorgänge an der Rütli-Schule in Berlin bekannt wurden, als dort Lehrer und Lehrerinnen aufgezeigt haben – wie übrigens auch an Schulen in Baden-Württemberg –, dass gerade dort, wo man die schwierigsten und am stärksten benachteiligten und förderbedürftigsten Jugendlichen in einer Schulart zusammenfasst, ohne zusätzliche Unterstützung der Bildungserfolg für diese Jugendlichen nicht mehr gesichert werden kann, hat Kultusminister Rau öffentlich sein Bedauern über den Ausstieg des Landes aus der Schulsozialarbeit erklärt. Er hat auch erklärt, er wolle sich dafür einsetzen, dass dieser Fehler rückgängig gemacht werde. Gleichzeitig haben Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, in Ihrem Koalitionsvertrag Hoffnungen geweckt, indem Sie festgeschrieben haben, dass Sie die Schulsozialarbeit sogar an allen Schularten stärken möchten. Aber, meine Damen und Herren, Absichtserklärungen und öffentliches Bedauern eines Kultusministers sind überhaupt kein Ersatz für aktives Handeln, für einen Wiedereinstieg in eine Landesförderung der Schulsozialarbeit.
Wir haben den vorliegenden Antrag eingebracht, damit Sie unter Beweis stellen können, dass Sie dazu bereit sind. Das Ergebnis ist ernüchternd, frustrierend und enttäuschend. In der Stellungnahme des Ministeriums zu unserem Antrag wird ganz klar gesagt: Es wird auf Landesebene kein eigenständiges Programm für Schulsozialarbeit mehr geben. Sie haben dies mit der problematischen finanziellen Situation des Landes begründet.
Und doch ist die Schulsozialarbeit längst ein integraler Bestandteil des Schulalltags in Baden-Württemberg.
Die Schulsozialarbeit geht weit über eine Kooperationsarbeit der Jugendhilfe hinaus. Sie behaupten hier, das sei eine Aufgabe der kommunalen Jugendhilfe. Das Gegenteil ist der Fall. Der Städtetag hat ganz klar erklärt, dass Schulsozialarbeit eine originäre Aufgabe des Landes ist, und beharrt weiterhin auf dieser Aussage. Trotzdem tragen die kommunalen Landesverbände nach Aussage des Städtetags mittlerweile bereits 18 Millionen € für Schulsozialarbeit. Aber der Städtetag hat auch gesagt, die weiteren Planungen, nämlich Schulsozialarbeit in der Fläche noch mehr auszubauen, hätten stagniert, nachdem das Land ausgestiegen ist, und würden auch weiterhin stagnieren. Die Kommunen sind nämlich selbst in einer finanziell prekären Situation und können schlicht und ergreifend keine Landesaufgabe finanzieren.
Sehr bedauerlich finde ich übrigens auch, dass Kultusminister Rau, der sich öffentlich zu der Notwendigkeit der Sozialarbeit geäußert hat, dies nicht in seine Federführung nimmt. Schulsozialarbeit als integraler Auftrag der Schulen muss doch unter der Federführung des Kultusministeriums eingerichtet werden und sollte nicht unter der des Sozialministeriums laufen.
Meine Damen und Herren, wir Grünen sagen: Schulsozialarbeit ist nur ein kleiner Baustein eines wichtigen Unterstützungssystems für die Schulen. Wir kennen die Verhältnisse in den skandinavischen Ländern. Dort gibt es an jeder Schule jeweils einen Schulsozialarbeiter, Sonderpädagogen, Förderlehrer, Logopäden und Schulpsychologen. Die Schulsozialarbeit ist nur ein winziger erster Einstieg in ein sol
ches Unterstützungssystem. Deshalb ist es wirklich beschämend, dass Sie nicht einmal bereit sind, hier Ihre Verantwortung und Ihren Eigenbeitrag als Landesregierung für die Schulsozialarbeit zu tragen.
Meine Damen und Herren, es gibt natürlich verschiedene Möglichkeiten, wie sich das Land an der Finanzierung der Schulsozialarbeit beteiligt. Die kommunalen Landesverbände haben ganz klar gesagt – obwohl sie das als originäre Aufgabe des Landes sehen –, bei dem Umfang, den Schulsozialarbeit in der Schule mittlerweile angenommen hat, wären sie trotzdem auch bereit, einen Eigenbeitrag zu leisten. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Man kann es über die Drittelfinanzierung machen, wie es von der Jugendenquete empfohlen wurde. Man kann auch die Möglichkeit schaffen, dass die Schulen über ein Personalbudget Geld statt Stellen bekommen und selbstständig Schulsozialarbeiter an der Schule einstellen können. Aber nur mit Gesprächen mit den kommunalen Landesverbänden ist es nicht getan.
Tatsachen müssen her. Es muss wieder die finanzielle Eigenbeteiligung des Landes erreicht werden. Wir fordern Sie von den Regierungsfraktionen auf: Machen Sie diesen Fehler der Landesregierung wieder wett. Unterstützen Sie heute unseren Antrag, damit das Land mit Blick auf den Koalitionsvertrag wieder Glaubwürdigkeit erhält.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist völlig unstrittig, dass in vielen Fällen und an vielen Schulen eine Ergänzung der Erziehungsaufgabe durch einen Schulsozialarbeiter oder eine Schulsozialarbeiterin eine sinnvolle Maßnahme sein kann. Sicherlich braucht auch nicht jede Schule einen Schulsozialarbeiter; denn bei uns gibt es große Unterschiede im Blick auf die Stadt-Land-Situation.
Aber heute geht es gar nicht darum, ob wir Schulsozialarbeiter an Schulen brauchen oder nicht. Vielmehr geht es heute wie so oft im Landtag darum: Wer ist für sinnvolle Maßnahmen zuständig, und wer hat dafür zu bezahlen? Das ist die Frage, um die es sich heute dreht.
Für die CDU-Fraktion war von Beginn an klar, dass es sich bei der Förderung des Landes um eine modellhafte Förderung handelt und nicht um den Aufbau eines neuen Angebots, das dauerhaft zulasten des Landes gehen sollte. Sinn des Projekts war es – um mehr ist es nie gegangen –, einen Anreiz für die Schulträger zu schaffen, sich in diese neue Situation zu begeben und hier etwas Kommunales in die Wege zu leiten. Unsere Opposition – Frau Rastätter hat es eben demonstriert – betrachtet die Schulsozialarbeit als einen Teil des Unterrichts, als einen Teil der Pädagogik. Nur so lässt sich die gebetsmühlenartige Forderung erklären,
Frau Rastätter, Sie haben sich eben selbst verraten – sie hört leider nicht zu; ich sage das trotzdem –: Sie haben davon gesprochen, Schulsozialarbeit sei eine Unterrichtsergänzung. Im gleichen Atemzug haben Sie gesagt, sie sei ein Bestandteil des Bildungsauftrags des Landes. Das passt nicht zusammen.
Erziehung ist neben der Vermittlung von Bildung eine eindeutige Aufgabe der vom Land ausgebildeten Lehrer.
Da stellt sich das Land seiner Verantwortung. In Sachen Lehrer haben wir uns bestimmt nichts vorwerfen zu lassen.
Sie versuchen einen Bildungsauftrag da zu differenzieren, wo er nicht differenzierbar ist. Wenn die Inhalte der Aufgaben eines Schulsozialarbeiters die Erziehung umfassen, dann, muss ich sagen, machen Sie für unsere Lehrer kein gutes Geschäft. Denn zuständig für die Erziehung und die Bildung in der Schule sind in allererster Linie die Lehrer. Dabei kann es zu ergänzenden Angeboten kommen. Da haben wir auch gar nichts dagegen. Aber die Frage der Zuständigkeit ist sehr eindeutig. Die Schulsozialarbeit ist ganz eindeutig eine Sache der öffentlichen Jugendhilfe.
Da Sie mir sowieso nicht glauben – was ja logisch ist –, werde ich mir erlauben, ein Zitat vorzulesen, was Schulsozialarbeit eigentlich bedeutet. Sie können das im Begleitheft „Empirische Befunde und theoretische Reflexionen zur Schulsozialarbeit“ aus dem Jahr 2000 nachlesen. Ich zitiere:
Unter dem Begriff „Schulsozialarbeit“ werden sämtliche Aktivitäten und Ansätze einer verbindlich vereinbarten, dauerhaften und gleichberechtigten Kooperation von Jugendhilfe und Schule... verstanden, durch die sozialpädagogisches Handeln am Ort sowie im Umfeld der Schule ermöglicht wird.
Das ist genau die richtige Definition: eine Kooperation von Jugendhilfe und Pädagogik an den Schulen. Wer es noch immer nicht glaubt, dem empfehle ich einen Blick ins Bundesgesetz.
Lieber Herr Kretschmann, ich bin mit einer Sozialarbeiterin verheiratet. Ich weiß gut, was Sozialarbeit ist. Glauben Sie mir das.
(Heiterkeit bei der CDU – Abg. Winfried Kretsch- mann GRÜNE: Das war jetzt etwas doppeldeutig, Herr Kollege! – Unruhe)
In § 13 des SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe – wird auch klar zwischen Jugendhilfe und sozialpädagogischer
Begleitung im Unterricht differenziert. In Absatz 4 steht – ich sage das nur noch einmal zur Verdeutlichung; damit zitiere ich jetzt das Bundesgesetz; Sie waren ja auch einmal an der Bundesregierung beteiligt –, die Angebote sollten mit Maßnahmen der Schulverwaltung und vieler Träger abgestimmt werden. Das heißt, es geht nicht darum, ein Konglomerat zu schaffen, sondern es geht darum, dass verschiedene Akteure an diesem Thema mitwirken. Ich glaube, deutlicher kann man das gar nicht ausführen. Selbst der Bundesgesetzgeber ist der Ansicht – das können Sie in vielen Kommentaren lesen –, dass die Sozialarbeit eben nicht ein Bestandteil von Erziehung ist – die eine Lehreraufgabe ist –, sondern Schulsozialarbeit ist eine Ergänzung der Jugendarbeit vor Ort. Sie macht ja auch vollkommen Sinn. Da sind wir uns doch einig.
Wenn man Sozialarbeiter in die Schulen schickt, dann hat man später sicher weniger Problemfälle, als wenn man keine Sozialarbeiter an den Schulen hätte. Aber damit ist doch nicht der Auftrag verbunden, dass das Land flächendeckend für mehrere hundert Schulen Sozialarbeiter definiert. Ich glaube, wenn man Sozialraum optimieren will – das wollen die Kommunen; deswegen machen sie bei der Finanzierung mit –, dann muss man das von dem Thema trennen, wer dafür finanziell verantwortlich ist.
Für mich wäre es sogar gefährlich, wenn wir das Thema zu sehr in einer Form als integralen Bestandteil eines jeden Unterrichts definierten und nicht mehr die Kinder vor Augen hätten. Dann täten wir unseren Lehrern keinen Gefallen, und wir reduzierten auch die Schulsozialarbeit auf eine Aufgabe, die die Sozialarbeiter dann sehr reduziert im Bereich der Erziehung wahrnähmen. Das sollen sie aber nicht.
Wenn Sie die Berichte über die Modellprojekte, die es gegeben hat, aufmerksam gelesen haben, dann wissen Sie, dass ein besonderes Modellprojekt erfolgreich war, nämlich das, bei dem der Sozialarbeiter nicht ständig an der Schule war, sondern in einem Jugendamt angesiedelt war und von dort aus die Schulen besucht und betreut hat,
mehrere Wochen im Unterricht gewesen ist oder am Unterricht teilgenommen hat und – darauf kommt es an – das dann vernetzt hat; denn die Kinder haben ja nicht nur ein Schulproblem, sondern sie haben oft ganz andere Probleme. Wenn wir einen separaten Sozialarbeiter an der Schule allein lassen, dann haben Sie spätestens nach einem Jahr keine Vernetzung mehr zu den regionalen Jugendhilfeträgern und zu den vielen sinnvollen ergänzenden Maßnahmen.