Protokoll der Sitzung vom 01.03.2011

Damit, meine Damen und Herren, stellt sich eine weitere Fra ge: Woran kann ich denn messen, ob eine individuelle Förde rung überhaupt gut gelingt?

(Zuruf des Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE)

Herr Kollege Kretschmann, Sie sollten sich vielleicht auch intensiver mit Bildungsforschung auseinandersetzen und nicht nur die jeweiligen Überschriften zitieren.

Gestatten Sie mir deswegen in diesem Zusammenhang eine weitere Frage: Woran messen wir, ob individuelle Förderung gelingt? Es gibt viele Studien, aus denen wir auch zitieren. Für mich ist ganz entscheidend, auch an der Stelle, an der un sere Jugendlichen unser Bildungssystem, unser gegliedertes Schulsystem verlassen, eine Erfolgskontrolle vorzunehmen. Ich habe einige Parameter, die durchaus für den Erfolg des be stehenden gegliederten Schulsystems in Baden-Württemberg sprechen.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Nachweisen!)

Baden-Württemberg hat, lieber Herr Kollege Zeller, deutsch landweit die niedrigste Wiederholerquote.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Jawohl!)

Baden-Württemberg hat deutschlandweit die niedrigste Schul abbrecherquote. Baden-Württemberg hat – Frau Kollegin Dr. Arnold hat es eben angesprochen – europaweit die niedrigste Jugendarbeitslosenquote. Auch dies spricht dafür, dass wir un sere Jugendlichen in unserem Bildungssystem mindestens für den darauf folgenden Beruf bestens vorbereiten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Norbert Zeller SPD: Das hat andere Pa rameter!)

Damit, meine Damen und Herren, habe ich Belege, die dafür sprechen, dass individuelle Förderung in unserem geglieder ten Schulwesen sehr gut gelingt.

Natürlich ist die Grundschulempfehlung eine ganz sensible Stellschraube. Das ist überhaupt keine Frage. Auch wir spre chen mit den Eltern, mit den Lehrkräften, wenn es darum geht, für die Kinder die richtige Entscheidung zu finden. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang jedoch, einen kleinen Be fund des Ländervergleichs der PISA-Studie aus dem Jahr 2006 zu erwähnen. Aus diesem Ländervergleich geht hervor, dass wir eine gemeinsame Grundschulempfehlung haben, bei der die Eltern bekanntermaßen nicht allein entscheiden, welche Kinder welche weiterführende Schulart besuchen. Der Unter schied zwischen unserer Grundschulempfehlung und der Vor gehensweise in den Bundesländern, in denen die Eltern allein entscheiden, welches Kind welche weiterführende Schulart besucht, ist der Beleg dafür, dass der Elternwille und die Prä ferenz der Lehrkräfte, welche Schulen die Kinder nach der Jahrgangsstufe 4 besuchen, nirgendwo so dicht beieinander liegen wie in Baden-Württemberg.

Meine Damen und Herren, das ist doch ein Beleg dafür, dass dieser gemeinsame Weg – eine gemeinsame Grundschulemp fehlung, bei der die Lehrkräfte maßgeblich entscheiden, aber natürlich unter Einbeziehung der Eltern – vernünftig ist. Denn wir können davon ausgehen, dass hier die geringste Gefahr besteht, dass ein Zusammenhang zwischen der sozialen Her kunft und dem Bildungserfolg entstehen kann, meine Damen und Herren. Das ist die Tatsache. Deswegen wollen wir am bestehenden System der Grundschulempfehlung festhalten.

Wir sagen aber gleichzeitig, dass auch die Eltern dabei zum frühestmöglichen Zeitpunkt mitgenommen werden sollen. Sie dürfen nicht erst dann mit der Grundschulempfehlung kon frontiert werden, wenn sie ansteht.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Staatssekretär, ge statten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Rastätter?

Ich lasse die Frage gern zu.

Bitte, Frau Abgeordne te.

Herr Staatssekretär Wacker, die Studie, die Sie erwähnt haben, war weder im Internet noch – auf Nachfrage – bei der Max-Planck-Gesellschaft für Bil dungsforschung aufzufinden. Ich bitte Sie, sie mir zukommen zu lassen.

Ich gebe sie Ihnen gern.

Unabhängig davon habe ich die Frage, wie es kommt, dass auch durch die letzte PISA-Stu die bestätigt wurde, dass in Baden-Württemberg ein Kind mit Migrationshintergrund eine um das Sechseinhalbfache gerin gere Chance hat, ins Gymnasium überzuwechseln. Das ist un ter allen Bundesländern die schlechteste Quote.

(Zuruf der Abg. Andrea Krueger CDU)

Wie erklären Sie sich dann, dass z. B. Eltern aus der oberen Dienstklasse, wie sie in der PISA-Studie genannt wird, durch die für sie bestehende Möglichkeit, schon in der Grundschu le Nachhilfe erteilen zu lassen, und durch ihre massive Unter stützung erreichen, dass ihre Kinder trotz nachweislich gerin gerer kognitiver Leistungsfähigkeit eine Gymnasialempfeh lung bekommen, während dies bei den Kindern, die auch ei ne Gymnasialempfehlung wünschen, deren Eltern ihnen die se Unterstützung aber nicht geben können, nicht erfolgt?

Das waren zwei Fragen, um deren Beantwortung ich bitte.

Zunächst einmal, Frau Kol legin Rastätter: Ich kann Ihnen in der IGLU-Studie aus dem Jahr 2006 die Passagen zeigen und Ihnen dies auch gern zur Verfügung stellen, in denen zwischen den Bundesländern die Präferenzen der Eltern und der Lehrkräfte verglichen werden. Es wird deutlich, dass im Ländervergleich in Baden-Württem berg die Unterschiede bei den Präferenzen am geringsten sind. Das ist ein Beleg dafür, dass das System der Grundschulemp fehlung in Baden-Württemberg besser funktioniert als anders wo.

(Zuruf des Abg. Norbert Zeller SPD)

Ich habe nicht gesagt, dass es in Baden-Württemberg zwi schen der sozialen Herkunft und dem Bildungserfolg keinen Zusammenhang gibt.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Am extremsten unter al len Bundesländern!)

Aber eines ist klar, Herr Kollege Zeller: Der IQB-Länderver gleich – um eine weitere Länderstudie zitieren zu dürfen –

(Zuruf des Abg. Jörg Döpper CDU)

belegt eindeutig, dass dort, wo es innerhalb Deutschlands ge gliederte Schulsysteme gibt, dieser signifikante Zusammen hang zwischen der sozialen Herkunft und dem Bildungserfolg am wenigsten gegeben ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Norbert Zeller SPD)

Damit sage ich nicht, dass es diesen Zusammenhang nicht gibt. Deswegen: Lösen Sie sich bitte von Strukturdebatten. Denn alle Bildungsexperten sagen: Wir müssen uns auf den Bereich der individuellen Förderung konzentrieren. Deswe gen steht der Unterricht im Mittelpunkt. Wir müssen uns da rauf konzentrieren, die Maßnahmen zu ergreifen, die den Un terricht eines jeden Kindes und die besondere Förderung un terstützen.

Gestatten Sie mir zum Abschluss noch wenige Sätze zu Ihrem Gesetzentwurf. Ich muss Ihnen zugestehen: Sie haben an ei ner Stelle von Hamburg gelernt.

(Zurufe der Abg. Norbert Zeller SPD und Dr. Hans- Peter Wetzel FDP/DVP)

Sie wollen kein anderes Bildungssystem mehr überstülpen.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Hamburg war nach dem Gesetzentwurf!)

Vielmehr setzen Sie jetzt auf die Freiwilligkeit. Auf der ande ren Seite sagen Sie immer wieder, es gebe aufgrund unseres gegliederten Schulwesens so etwas wie einen Flickenteppich in Baden-Württemberg.

An dieser Stelle muss ich Ihnen sagen – das werden wir auch in den nächsten Wochen dieses Landtagswahlkampfs deutlich sagen; zumindest ich persönlich werde das sehr deutlich sa gen –: Sie wollen, dass es neben der etablierten vierjährigen Grundschule zusätzlich eine freiwillige sechsjährige Grund schule geben soll. Sie wollen, dass es neben den weiterfüh renden Schularten eine neunjährige Basisschule geben soll.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Sie wollen, dass es neben dem achtjährigen Gymnasium ei nen zusätzlichen G-9-Bildungsgang geben soll.

(Zuruf des Abg. Norbert Zeller SPD)

Wenn ich genau zusammenzähle, komme ich zu dem Ergeb nis, dass Sie ein sechsgliedriges Schulsystem in Baden-Würt temberg haben wollen, meine Damen und Herren. Jetzt sagen Sie einmal in aller Deutlichkeit: Was ist ein Flickenteppich?

Schauen wir uns diese Wahlfreiheit in Nordrhein-Westfalen einmal genau an: Dort ging man diesen Weg, indem man den Kommunen die Möglichkeit eingeräumt hat, Gemeinschafts schulen zu gründen. 17 Antragsteller haben dies getan, weil sie genau wussten, dass solche sogenannten Entwicklungs prozesse zu Verwerfungen vor Ort führen. Denn dann entsteht natürlich ein Wettbewerb unter den Schularten, und die Kom munen bemühen sich, sich die Schülerinnen und Schüler ge genseitig abzujagen. Eine verlässliche Schulentwicklung ba siert darauf, dass wir ein bestehendes Schulsystem weiterent wickeln.

Gestatten Sie mir ganz zum Schluss ein Zitat von Herrn Pro fessor Dr. Ulrich Trautwein von der Universität Tübingen am 5. Dezember 2006 im „Schulspiegel“ bei „Spiegel online“. Professor Trautwein war viele Jahre lang am Max-Planck-In stitut für Bildungsforschung in Berlin tätig. Er ist einer der sehr guten und anerkannten Bildungsforscher. Ich darf hier an dieser Stelle zitieren:

„Man wird nie allen Schülern das Gleiche bieten kön nen“, das wäre eine Illusion. „Eine neue Struktur löst nicht automatisch alle Probleme. Ob Schüler etwas ler nen oder nicht, entscheidet sich immer noch im Unter richt.“

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen daher in der Zweiten Beratung zur A b s t i m m u n g über den Gesetzentwurf Drucksache 14/3179. Ab stimmungsgrundlage ist die Beschlussempfehlung des Aus schusses für Schule, Jugend und Sport, Drucksache 14/7246. Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Gesetzentwurf abzuleh nen.

Ich bitte Sie, damit einverstanden zu sein, dass ich den Ge setzentwurf im Ganzen zur Abstimmung stelle. Wer dem Ge setzentwurf Drucksache 14/3179 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Gesetzentwurf mehrheitlich abge lehnt.

Damit ist Tagesordnungspunkt 4 erledigt.