Protokoll der Sitzung vom 13.12.2006

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Gerade wegen des Ladenschlussgesetzes!)

Ich glaube, wir eröffnen neue Chancen, flexibel auch Nischen zu besetzen. Dass es nicht nur Gewinner geben wird, ist auch uns klar, aber wir dürfen ein solches Thema nicht immer nur anhand von Einzelaspekten behandeln, sondern wir müssen es möglichst im großen Zusammenhang sehen. Da glaube ich, dass die Mehrzahl derer, denen wir jetzt die Möglichkeit geben, eigenverantwortliche Lösungen zu suchen, diese Flexibilisierung auch nutzen werden – auch zu ihrem wirtschaftlichen Erfolg.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, die Aussprache ist damit beendet.

Ich gehe davon aus, dass der Gesetzentwurf zur weiteren Beratung an den Sozialausschuss überwiesen werden soll. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Punkt 1 der Tagesordnung ist damit erledigt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Beschlussempfehlung und Bericht des Europaausschusses zu der Mitteilung der Landesregierung vom 12. September 2006 – Bericht über die Europapolitik der Landesregierung im Jahre 2005/2006 – Drucksachen 14/315, 14/652

Berichterstatter: Abg. Jürgen Walter

Das Präsidium hat eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion festgelegt, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.

In der Aussprache erteile ich Herrn Abg. Lusche das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist erst ein paar Wochen her, dass wir an dieser Stelle über die Lissabon-Strategie debattiert haben, also über die Frage: Wie wird Europa zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsstandort? Vulgo: Wie stellen wir uns erfolgreich der Globalisierung? Heute diskutieren wir über den Europabericht der Landesregierung. Selbst das Lieblingsthema des Kollegen Boris Palmer, Stuttgart 21, kann man nicht ohne europäische Bezüge diskutieren. Man ist also versucht, zu sagen: Selten war so viel Europa im Landtag. Ich denke, das ist gut und richtig so.

(Beifall bei der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)

Man muss sich – wenn man etwa den Bericht des Ombudsmanns der Landesregierung, Staatssekretär Böhmler, liest – einfach darüber klar werden, dass wir es mit 80 000 Seiten Vorschriften der EU zu tun haben. Ich kann dem Schluss, dass es praktisch keinen Rechtsbereich mehr gibt, der nicht flächendeckend von der EU geregelt ist, nur zustimmen. Insofern hat auch dieses Haus Anlass, sich intensiv mit Europa zu beschäftigen; ich komme darauf zurück.

Zunächst danke ich namens meiner Fraktion der Landesregierung für den Europabericht. Ich finde, es handelt sich bei diesem 87-seitigen Bericht um einen sehr klar strukturierten, übersichtlichen Querschnitt, der vor allem gut lesbar ist, und das ist durchaus auch eine Qualität.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Gegliedert ist der Europabericht in zwei Abschnitte. Im ersten Abschnitt sind die allgemeinen europapolitischen Schwerpunkte der Landesregierung aufgeführt, im zweiten Abschnitt die Schwerpunkte der Ressorts. Getreu der Absprache über die Tätigkeit des Europaausschusses, dem ich angehöre – wir als Europaausschuss wollen nicht als „Überausschuss“ eine Debatte über die einzelnen Fachausschüsse hinweg führen –, will ich jetzt auf diesen zweiten Abschnitt nicht eingehen. Ich will mich vielmehr einigen allgemeinen europapolitischen Schwerpunkten zuwenden. Der Kollege Christoph Palmer wird in der zweiten Runde noch ein paar

besonders intensiv diskutierte Punkte wie die europäische Verfassung und die Frage der Erweiterung ansprechen.

Gestatten Sie mir, dass ich mich etwas den Mühen des europäischen Alltags zuwende. Ich möchte mich zunächst den Punkten der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und der Arbeit der Landesvertretung zuwenden, werde dann zum Dauerbrennerthema „Bürokratie in Europa“ übergehen und will zum Schluss auf unseren neu eingerichteten Europaausschuss zu sprechen kommen.

Erster Punkt: grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Sie wissen es vielleicht: Der Kollege Stickelberger und ich kommen aus einem Wahlkreis, der nicht nur eine EU-Außengrenze zur Schweiz, sondern auch eine Grenze zu Frankreich aufweist. Ich kann deshalb aus eigenem Erleben nur sagen: Es ist gut und richtig, wenn die Landesregierung in ihrem Europabericht feststellt, dass sie der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auch zukünftig einen Schwerpunkt in ihrer Arbeit einräumen will. Wir sehen und erleben es tagtäglich, dass dies richtig ist und dass hierbei enorme Synergieeffekte zu erzielen sind.

In diesem Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass es gut und richtig ist, dass sich – auch dank des Einsatzes des Ministerpräsidenten – die Einsicht durchgesetzt hat, dass die Förderung auch an den alten Binnengrenzen weiter fortgesetzt wird. Das ist nicht zuletzt für das Oberrheingebiet, aber auch für Baden-Württemberg insgesamt eine äußerst wichtige Frage.

(Beifall bei der CDU)

Ich komme zu meinem zweiten Punkt, zur Arbeit der Landesvertretung. Wir reden ja neudeutsch alle sehr viel von Networking. Wenn man in den Europabericht schaut und sich klarmacht, dass wir es mit über 3 500 Interessenvertretungen in Brüssel zu tun haben, dann weiß man, wie entscheidend es ist, dass wir dort eine gute Mannschaft haben, die sich intensiv um Kontakte in Brüssel bemüht, die intensiv für die Belange des Landes Baden-Württemberg arbeitet. Ich denke, diese Arbeit ist nicht nur angemessen zu würdigen, sondern hat auch unseren Dank verdient.

(Beifall bei der CDU sowie der Abg. Michael Theurer FDP/DVP und Reinhold Gall SPD)

Ich komme zu meinem nächsten Punkt: Bürokratie. Ich habe schon gesagt: Es handelt sich um einen Dauerbrenner. Wir haben schon im Ausschuss darüber diskutiert und richtigerweise gesagt: Wenn wir über Bürokratie diskutieren, dann kann das nicht bedeuten, dass wir auf den Beamten herumhacken. Denn es ist und bleibt, wie man bei einem Blick in so manches Land erkennen kann, ein wertvolles Gut, eine gute und funktionierende Verwaltung zu haben. Dazu ist leider auch von der EU-Kommission in letzter Zeit das eine oder andere gesagt worden, was eher kontraproduktiv ist.

Beim Thema Bürokratie geht es im Wesentlichen um die Vorschriften. Ich habe in der Vorbereitung auf die heutige Sitzung eine Untersuchung des Bankenverbands gelesen, in der ganz klar wird, dass auch unsere deutschen Mitbürger nach wie vor extrem pro Europa sind. Aber womit sie ihr Problem haben, ist eben die Europäische Union und das,

was dort zum Teil herauskommt. Wir haben darüber z. B. im Zusammenhang mit der Bodenschutzrichtlinie diskutiert. Es gibt – auch da kann ich wieder auf den Bericht des Ombudsmanns verweisen – eine Tendenz, dass wir die ursprüngliche Rahmenrechtsetzung der EU kaum noch haben, sondern dass es eine unsägliche Neigung gibt, Detail- und Vollregelungen vorzunehmen, was zur Folge hat, dass ein großer Bürokratieaufwand über die Betroffenen hereinbricht. Das schadet der Akzeptanz der EU, und das ist schlecht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich habe das Stichwort Bodenschutzrichtlinie schon genannt. Hier sehe ich den Landtag als nach der Föderalismusreform gestärkten eigenständigen Gesetzgeber zukünftig mehr auf dem Plan. Im Grunde haben wir eine hervorragende Konstellation, eine hervorragende Parallelität der Ereignisse: Der Landtag hat sich dazu bekannt, mit dem institutionalisierten Ausschuss dem Thema Europa rechtzeitig mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Wir haben im nächsten Jahr die Ratspräsidentschaft, die uns die Möglichkeit gibt, diese Thematik auch öffentlichkeitswirksam nach vorn zu bringen. Insofern, denke ich, steht es uns gut an, als ein Parlament, das immerhin 11 Millionen Menschen und einen der stärksten Wirtschaftsräume in der Mitte Europas vertritt, dieses Feld offensiv anzugehen.

Ich hoffe – und ich bin da eigentlich ganz optimistisch –, dass wir im Europaausschuss den Gedanken der Subsidiarität, des immer wieder Hinterfragens: „Muss das, was von Brüssel beabsichtigt ist, wirklich in dieser Form sein?“, aktiv und gemeinsam angehen. Ich gebe mich natürlich nicht der Illusion hin, dass der Landtag von Baden-Württemberg im großen europäischen Konzert nun die Stimme sein wird, die alles übertönt. Aber ich denke – ich habe es schon angesprochen –, bei dem Gewicht, das wir einzubringen haben, wird unsere Stimme gut vernehmbar sein. Voraussetzung ist allerdings, dass wir auch das gleiche Liedlein singen.

Deswegen ist mein Appell – insofern möchte ich sowohl der Landesregierung als auch den Kollegen im Europaausschuss die Kooperationsbereitschaft der CDU-Fraktion anbieten –, immer zu versuchen, gemeinsam einen klaren Standpunkt zum Wohle des Landes zu entwickeln. Dann, denke ich, werden wir gehört werden.

Insofern wünsche ich uns eine erfolgreiche Arbeit. Nutzen wir die Chance der Ratspräsidentschaft, und seien wir weiter das, wessen es dringend bedarf – ich habe es angesprochen –: überzeugte und damit letztendlich auch erfolgreiche Europäer.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP sowie des Abg. Reinhold Gall SPD – Abg. Thomas Blenke und Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sehr gut!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hofelich.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Region Stuttgart in Europa!)

Mit dem Herrn Fraktionsvorsitzenden der FDP/DVP selbstverständlich Hand in Hand.

Verehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Der Bericht über die Europapolitik in den Jahren 2005 und 2006 liegt uns seit einigen Wochen vor. Wir haben ihn im zuständigen Ausschuss beraten, und heute ist der Tag, an dem wir hier im Plenum die Position Baden-Württembergs in Europa besprechen wollen und auch werten wollen.

Unser Land liegt in der Mitte Europas, und das nicht erst seit jüngster Zeit. Ich komme aus der Region rund um den Hohenstaufen. Wir wissen, dass der deutsche Südwesten bereits im Mittelalter eine zentrale Rolle in Europa spielte. Auf diesem Pfad wollen wir weiter wandeln.

Aus Europa kommt für uns ein Auftrag, der für BadenWürttemberg eine besondere Rolle bringt. Er bringt nicht nur ein einfaches Mitmachen, sondern wir müssen in Europa Führung übernehmen und auch Konturen zeigen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Thomas Knapp SPD: Sehr gut!)

Wir danken der Landesregierung für einen umfangreichen und detaillierten Bericht. Ich danke insbesondere, Herr Minister, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses, die hier viel zusammengetragen haben, und ich danke Ihnen auch persönlich für Ihren Einsatz, den Sie – zumindest in den Zeiten, in denen ich das verfolgen konnte – auf jeden Fall an den Tag legen. Der Europaausschuss wird uns hier zusätzlich eine Motivation und auch eine gute Arbeitsebene bringen.

Baden-Württemberg ist in Europa stark. Baden-Württemberg hat eine größere Bevölkerungszahl und ein höheres Bruttoinlandsprodukt als mancher europäische Nationalstaat. Dazu kommt – Herr Kollege Lusche hat das erwähnt –, dass bei unserer Bevölkerung die Zustimmung zu Europa groß ist. Der deutsche Bankenverband, dem ich in Sachen Europa vollständig vertraue, hat noch einmal festgestellt: Der Aussage „Ich bin stolz darauf, ein Europäer zu sein“ stimmen 79 % der deutschen Bevölkerung zu. Auf die Frage „Geht durch die europäische Integration das verloren, was Deutschland ausmacht?“ antworteten 58 % mit Nein, also eine Mehrheit. Und auf die Frage „Wie würden Sie die aktuelle Lage der EU beschreiben?“ wurde geantwortet: Es gibt größere, aber lösbare Probleme.

Das ist eine Grundlage, auf der wir handeln können. Vor dem Hintergrund dieser Grundlage finde ich das, was ich von den Regierungsfraktionen bisher zu Europa höre, viel zu abwehrend und viel zu zaghaft, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Ich habe mir heute drei Fragen für Sie gestellt: Welchen Stellenwert hat Europa bei uns? Wo sind die konkreten Schwachstellen? Welche Perspektiven wollen wir für Europa entwickeln? Die dritte Frage möchte ich – die Spannung soll erhalten bleiben – in der zweiten Runde beantworten.

Welchen Stellenwert hat Europa für uns? Herr Minister, bei allem Lob für das Zusammengetragene muss ich sagen: Das, was wir heute als Europabericht sehen, ist mehr ein mit Fleiß erstellter Tätigkeitsbericht als ein wirklicher europäischer Fortschrittsbericht für unser Land.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grü- nen)

Ich mache das an einem Punkt fest. Wir sind derzeit, was den Verfassungsprozess angeht, in einer Reflexionsphase. Hier könnte Baden-Württemberg mit seinen vielen Grenzen, speziell mit der Außengrenze zu Frankreich, eine hervorgehobene Rolle spielen. Dazu ist wenig zu hören und zu lesen. Im Ausschuss der Regionen will man das Prinzip der Subsidiarität weiterführen. Das allein reicht in dieser Phase nicht für ein so starkes Land wie Baden-Württemberg.

(Abg. Ingo Rust SPD: Sehr richtig!)

Wir haben, was das Europabüro angeht, eine gute Basis. Das Büro ist zu loben. Die Präsenz des Landtags dort sollte sich verstärken.