Protokoll der Sitzung vom 08.02.2007

Das Wort erteile ich Frau Abg. Rastätter für die Fraktion GRÜNE.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jetzt wird es we- nigstens pädagogisch! – Gegenruf der Abg. Ute Vogt SPD: Nur kein Neid!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen in der Bildungspolitik in der Tat vor riesigen Herausforderungen. Wir müssen erstens unser Bildungssystem so ausgestalten, dass kein Kind verloren geht und dass die Begabungspotenziale aller Kinder optimal gefördert werden.

(Beifall des Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE – Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Zugangsgerechtigkeit, meine Damen und Herren, beginnt im Kindergarten.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

Wir Grünen haben ein Konzept zu einer flächendeckenden Implementierung des Orientierungsplans und zur Sprachförderung im Kindergarten vorgelegt. Danach erhalten Kindergärten bei uns Bildungsbudgets für Fortbildungs- und Bildungsmaßnahmen. Insgesamt brauchen wir dafür 51 Millionen €.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Nur?)

Wir wollen bereits in diesem Haushaltsjahr und im nächsten Haushaltsjahr die ersten Tranchen von 10,6 Millionen € und 14,6 Millionen € in den Haushalt einstellen.

Meine Damen und Herren, ich sage aber ganz deutlich an die Adresse von denjenigen, die immer von gebührenfreien Kindergärten reden: Qualitätsverbesserung ist der erste Schritt, und Gebührenfreiheit kommt erst im zweiten. Zur dringend notwendigen Qualitätsverbesserung im Kindergarten gehört nämlich auch der notwendige Einstieg der Erzieherinnen auf Hochschulniveau und gehören flexible Öffnungszeiten im Kindergarten und die Verbesserung der Bildungsqualität. Damit schaffen wir Bildungszugangsgerechtigkeit und nicht, in

dem wir zuerst versuchen, den Kindergarten beitragsfrei zu machen, und die Qualität auf die lange Bank schieben.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Meine Damen und Herren, zur Verbesserung der Bildungs chancen von benachteiligten Kindern gehört aber auch dringend die Landesförderung für die Schulsozialarbeit an den Schulen. Vor Weihnachten war im „Offenburger Tagblatt“ ein Artikel mit der Überschrift zu finden: „Oettinger entdeckt Schulsozialarbeit“. Herzlichen Glückwunsch, kann ich da nur sagen, Herr Ministerpräsident. Aber eine solche Entdeckung muss doch auch Konsequenzen haben. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Sie haben heute die Gelegenheit, unserem Antrag auf 7 Millionen € im Landeshaushalt für den Wiedereinstieg des Landes zuzustimmen.

Gerechtes Bildungswesen heißt auch, die Versprechen gegenüber den Schulen in freier Trägerschaft einzuhalten. Ich vermisse Frau Berroth jetzt heute in der Bildungsdebatte. Frau Berroth hat gemeinsam mit der FDP/DVP-Fraktion in der letzten Legislaturperiode versprochen, dass nach dem Bruttokos tenmodell der Einstieg in das Stufenmodell für die Anhebung der Zuschüsse noch im Haushaltsjahr 2008 folgen wird.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Deshalb ist sie heute nicht da, weil sie das Versprechen nicht eingehalten hat!)

Das, was Sie hier mit den Schulen in freier Trägerschaft machen, ist ein ganz klarer Bruch Ihres Wahlversprechens. Ich fordere Sie hiermit auf: Sie können dies noch verhindern, indem Sie heute unserem Antrag zustimmen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sie machen uns ein schlechtes Gewissen!)

Meine Damen und Herren, Bildungsgerechtigkeit schaffen wir aber auch nicht, wenn wir an dieser rigorosen Trennung von Kindern nach nur vier Jahren gemeinsamer Grundschulzeit festhalten.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Das ist das En- de der Grundschule auf dem Land, Frau Kollegin!)

Denn diese Trennung erfolgt in unserem Bildungssystem nach sozialer Herkunft.

Und schließlich zweitens: Die demografische Entwicklung mit dem Schülerrückgang ist die zweite große Herausforderung in unserem Bildungswesen. Rita Süssmuth hat beim Bildungskongress der Bertelsmann-Stiftung in Hannover kurz vor Weihnachten gesagt:

Warum haben wir in Deutschland eigentlich eine solche Angst vor einem längeren gemeinsamen Lernen von Kindern? … Aber

hat sie hinzugefügt –

die Demografie wird es schon richten.

In der Tat, Herr Kultusminister Rau, die demografische Entwicklung wird dazu führen, dass Sie diesem Druck, der schon längst von den Kommunen, von den Schulen, von den Krei

sen bis hin zum Städtetag kommt, nachgeben müssen und dass Sie endlich integrative Schulmodelle in der Fläche dort, wo der Wunsch besteht, zulassen müssen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ich fordere Sie deshalb auf: Lassen Sie endlich Ihre Strukturbesessenheit, und entlassen Sie dafür die Schulen in die Freiheit. Lassen Sie endlich zu, dass in den Gemeinden und in den Kreisen vor Ort neue Schulmodelle mit individueller Förderung der Schüler und Schülerinnen und eine neue Unterrichtskultur entstehen können und dass diese neue Unterrichtskultur mit einer neuen integrativen Schulentwicklung zusammenkommt.

(Beifall bei den Grünen)

Drittens: Die allergrößte Herausforderung besteht in der Finanzierung der Qualitätsverbesserung unseres Bildungswesens. Wir stehen in der Bildung nicht in einem nationalen Wettbewerb, sondern wir stehen in einem globalen Wettbewerb. Führende Ökonomen weltweit, wie gerade der Bildungsökonom und Nobelpreisträger Stiglitz, haben gesagt: Hohe Bildungsinvestitionen sind die einzige Chance, um im globalen Wettbewerb zu bestehen und sich zu behaupten. Er hat die Länder aufgefordert, alles zu tun, um die Bildungsausgaben zu erhöhen.

(Abg. Dietmar Bachmann FDP/DVP: Deswegen tun wir das auch!)

Nun besetzen Sie 521 Lehrerstellen nicht. Da hilft auch nicht, Herr Kultusminister Rau, dass Sie immer wiederholen: Diese 521 Lehrerstellen haben nichts mit den 5 500 zu tun, die Sie in der letzten Legislaturperiode geschaffen haben.

Die Eltern erleben doch jeden Tag: Unterricht fällt aus, Lehrerstunden fehlen für die Ganztagsschulen, Förderstunden und Stützkurse fehlen. Ich sage Ihnen: Wo in Baden-Württemberg „Ganztagsschule“ draufsteht, muss auch Ganztagsschule drin sein. Da muss es gute pädagogische Konzepte geben, und die se brauchen qualifiziertes pädagogisches Personal. Sie sind bis jetzt die Antwort schuldig geblieben, wo Sie diese Lehrerstellen hernehmen wollen,

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

um die Versorgung mit qualifiziertem Personal zu leisten.

(Beifall bei den Grünen)

Meine Damen und Herren, die Eltern erleben auch jeden Tag den Druck, der auf dem Bildungswesen lastet. In den „Badischen Neuesten Nachrichten“ in Karlsruhe stand gerade ein Artikel unter der Überschrift: „Irrsinniger Druck auf die Familien“. Dabei geht es um den Druck, der in der Grundschule aufgrund der frühen Auslese der Kinder besteht. Auch da fehlen die Förderstunden. Inzwischen steigen in Baden-Würt temberg die Volkshochschulen in den lukrativen Nachhilfemarkt ein. Das kann doch so nicht weitergehen. Wir brauchen deshalb jetzt in diesem Bildungssystem vernünftige Investitionen.

(Beifall bei den Grünen)

Meine Damen und Herren, es ist für mich – und ich bin schon elf Jahre im Landtag – ein Novum, dass der Landesschulbeirat – der immerhin ein Gremium ist, das Sie berufen haben, welches die Landesregierung und das Kultusministerium in Fragen der Bildungspolitik beraten soll – jetzt gebeten hat, dass die Landesregierung uns, den Gremien des Landtags, und dem Ministerpräsidenten seine Empfehlung, die an das Kultusministerium geht, weitergibt. In dieser Empfehlung steht:

Der Landesschulbeirat fordert zum wiederholten Male, die Sperrung der 521 Stellen mit sofortiger Wirkung aufzuheben und die Schulen entsprechend zu versorgen. Bei allem Verständnis für den sparsamen Umgang mit öffentlichen Mitteln muss ein Zeichen gesetzt werden für den Vorrang der Bildungsinvestitionen in Baden-Württemberg, und deshalb muss der Kultusbereich aus den Sparmaßnahmen herausgenommen werden.

Jetzt kommt der entscheidende Satz:

Kostenneutral ist eine erfolgreiche Bildungsreform nicht zu verwirklichen.

Was schlägt nun die SPD vor? Ist dieser Vorschlag nun „Mentrup 1“? Ich glaube das eigentlich nicht. Ich will Ihnen zugutehalten, dass Sie sicher auch zu den Bildungspolitikern gehört haben, die diesen Vorschlag intern abgelehnt haben. Aber die SPD-Fraktion schlägt vor, die Junglehrer sozusagen als Opfer heranzuziehen und ihnen die Eingangsstufe ihrer Gehälter für drei Jahre zu kürzen. Was Sie hier machen, ist eine Steilvorlage für die Landesregierung, die ja längst schon plant, die Einstiegsgehälter für die Grund- und Hauptschullehrkräfte zu verringern. Das halte ich für mehr als fahrlässig. Das ist ein völlig verfehlter bildungspolitischer Ansatz.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Wenn das Ihr finanzpolitischer Vorschlag ist, dann muss ich dazu sagen: Sie sollten sich wirklich einmal moderne und nachhaltige Finanzkonzepte gründlich anschauen.

Jetzt komme ich zu unserem Bildungspakt.

(Abg. Ute Vogt SPD: Schulden sind doch nicht nach- haltig! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Sind Schul- den besser? – Unruhe)

Wir haben ja folgende Situation: Wir haben die demografische Entwicklung mit einem dramatischen Schülerrückgang in den nächsten Jahrzehnten. Dieser Schülerrückgang beginnt aber zeitversetzt. Wir haben heute die hohen Bedarfe. Wir können diese durch den Schülerrückgang finanzieren. Aber der deutliche Schülerrückgang beginnt erst in der nächsten Legislaturperiode, nämlich ab dem Jahr 2011. Wenn wir aber heute die Mittel brauchen, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass wir den Schülerrückgang dazu nutzen, heute die zusätzlichen Lehrerstellen zu schaffen. Wir machen einen Sonderfonds für Bildungsfinanzierung,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Schulden! – Abg. Dr. Nils Schmid SPD: 500 Millionen € Schulden! – Zu- ruf der Abg. Ute Vogt SPD)

und dieser Sonderfonds beinhaltet, dass wir einen Aufwuchs machen zu der Zeit, in der wir diese zusätzlichen Mittel brauchen.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Schulden!)